Signatur | StAZH MM 24.138 KRP 1994/155/0004 |
Titel | Postulat Franziska Frey-Wettstein, Zürich, und Mitunterzeichnende vom 21. September 1992 betreffend kontrollierte Opiatabgabe (schriftlich begründet) KR-Nr. 265/1992, Entgegennahme, Diskussion |
Datum | 07.03.1994 |
P. | 9821–9826 |
[p. 9821] Das Postulat lautet wie folgt: Der Regierungsrat wird eingeladen, nach der Verordnung und den Richtlinien des Bundesrates Bewilligungen zu erteilen für medizinisch-wissenschaftliche Forschungsprojekte zur diversifizierten Drogenabgabe. Um eine einseitige Belastung der Stadt Zürich zu vermeiden, sollen Versuchsprogramme zum Beispiel unter der Führung des Sozialpsychiatrischen Dienstes auch im übrigen Kantonsgebiet durchgeführt werden.
Die Begründung wurde wie folgt abgegeben:
In seiner Vernehmlassungsantwort zur Betäubungsmittelgesetzgebung vom 1. April 1992 äusserte sich der Regierungsrat positiv zu einer wissenschaftlich begleiteten versuchsweisen Abgabe von Betäubungsmitteln. Dabei hielt er fest: «Es sollen die Drogen abgegeben werden, die in Wirklichkeit auch konsumiert werden. Dazu zählt Heroin, nicht aber das zur Abgabe und Verschreibung vorgesehene Morphin.» Mittlerweile hat sich der Bundesrat dieser Betrachtungsweise angeschlossen und eine Verordnung mit Rahmenbedingungen zu den Versuchen ausgearbeitet. Der Regierungsrat kann Bewilligungen für Versuche im Kanton Zürich im Rahmen dieser Vorschriften erteilen. Es wäre wünschenswert, dass solche Versuche von verschiedenen Trägern in Stadt und Kanton Zürich durchgeführt würden, so dass Vergleichsdaten erhoben und wissenschaftlich ausgewertet werden können.
Der Regierungsrat ist bereit, das Postulat entgegenzunehmen. Laurenz Styger (SVP, Zürich) hat den Gegenantrag gestellt.
Franziska Frey-Wettstein (FDP, Zürich): Die Ermüdungserscheinungen sind offensichtlich. Wir haben auch vieles, was dieses Postulat betrifft, bereits diskutiert. Ich werde mich darum kurz fassen. Ich kann aber nicht umhin, nach rechts zu schauen und zu sagen: Herr Stocker, Sie haben erwähnt, es sei unbestritten, dass alle Lösungen, die etwas beitragen können zum Drogenproblem, willkommen seien. Ich möchte Sie an diesen Satz erinnern, und ich hoffe, dass Sie auch dieses Postulat unterstützen. Es kann nämlich auch einen kleinen Beitrag zur Lösung des Drogenproblems leisten, wenn wir die kontrollierte Abgabe in den jetzt angelaufenen Versuchen unterstützen und vielleicht auch noch etwas ausbauen. Dies gilt auch für Herrn Federer, der gesagt hat, den Letten könne man nicht mit repressiven Massnahmen räumen, man [p. 9822] brauche neue Versuche. Das ist nun ein neuer Versuch, den wir auch ausschöpfen und feststellen müssen, ob auch hier eine neue Möglichkeit zur Verbesserung der Situation besteht.
Sie kennen das wissenschaftliche Forschungsprojekt; es wurde in den Zeitungen vorgestellt. Ich möchte darum nicht im Detail darauf eingehen. Die Zielgruppen sind sehr unterschiedlich ausgewählt worden. Wir haben in der Stadt Zürich zwei Zielgruppen. Eine wurde im Sozialamt der Stadt Zürich, die andere von Dr. Seidenberg aufgenommen. Es sind verschiedene Betäubungsmittel abgegeben worden, nicht nur Heroin. Es sind auch bereits akzeptierte Betäubungsmittel, die Ärzte verschreiben dürfen, in diese Versuche einbezogen worden.
Sie haben von meinen Kollegen schon gehört, dass wir jetzt zum Teil auch Probleme mit den Morphinen haben. Es hat Allergie-Reaktionen gegeben. Das tut den Versuchen aber keinen Abbruch. Es ist ja ein Versuch, wir experimentieren und erwarten Resultate, um sie dann zu beurteilen. Hier zeigt es sich einfach, dass gewisse Probleme auftauchen können. Dazu stehe ich.
Es ist im übrigen ganz klar nicht so, dass wir uns nach Beendigung der Versuche für eine Freigabe der Drogen einsetzen. Das ist nicht meine Meinung; so unvorsichtig dürfen wir nicht sein. Aber eine solche Versuchsreihe muss es geben.
Das Postulat, das schon lange auf der Traktandenliste stand, hat nun wieder Aktualität erhalten, nachdem Frau Bundesrätin Dreifuss gesagt hat, dass sie nicht warten wolle, bis die Versuche Ende 1996 abgeschlossen seien, sondern bereits auf Ende Jahr erste Zwischenresultate und deren Auswertung haben möchte. Vom Direktor des Bundesamtes für Gesundheitswesen hat man Genaueres gehört: Er setzt sich für eine zweite Versuchsreihe ein. Es gibt auch schon Stellungnahmen, Meinungen von Parlamentarierinnen und Parlamentariern in Bern, die darauf hinweisen, dass ein Dringender Bundesbeschluss nötig wäre, um hier weiterarbeiten zu können. Das muss aber nicht unsere Sorge sein.
Das Postulat zielt darauf hin, dass nicht nur die Stadt Zürich einen solchen Versuch durchführen soll, sondern dass auch der Kanton im Sinne der Dezentralisierung Hand bieten und – wenn es zu einer solchen zweiten Versuchsreihe kommt – mitmachen soll. Die Drogenproblematik im Kanton Zürich ist gross. Es würde uns gut anstehen, wenn dieses Parlament grossmehrheitlich dieses Postulat überweisen und damit den klaren Willen kundtun würde, dass wir im Kanton Zürich die Meinung vertreten, auch diese Versuchsmöglichkeit sei auszuschöpfen. Ich bitte Sie um Zustimmung zur Überweisung.
[p. 9823] Laurenz Styger (SVP, Zürich): Das Ziel einer Drogenpolitik muss sein, die Süchtigen zu heilen und sie nicht in ihrer Sucht zu belassen. Aus diesem Grunde stellt sich die SVP ganz klar gegen die sogenannten Opiatversuche, bei denen auch unter medizinischer Anleitung Drogen vom Staat an Süchtige abgegeben werden sollen. Bei diesem Experiment geht es um das Belassen von Süchtigen in ihrer Sucht. Die Zielsetzung dieser Versuche ist somit grundsätzlich falsch. Dies zeigen uns jetzt schon die vorliegenden Resultate eines Versuchs in der Stadt Zürich, wo Morphin-Abgaben und Methadon-Injektionen wegen Unverträglichkeit und schweren Nebenerscheinungen abgesetzt wurden. Tierversuche sind verpönt und werden allseits attackiert. Menschenversuche sind demgegenüber erlaubt. Aus ethischen Gesichtspunkten wehrt sich die SVP gegen das staatlich angeordnete Drogenversuchsprogramm.
Das Problem hinsichtlich staatlich verordneter Drogenabgabe besteht ja auch darin, dass eine Grenzziehung, welche Personen Drogen erhalten und an welche sie nicht abgegeben werden, äusserst schwierig, ja praktisch undurchführbar ist. Sollen ab dem 20. Lebensjahr Drogen abgegeben werden oder schon ab dem 14. Lebensjahr? Wo ist die Grenze zu ziehen? Sollen nur Schweizer Drogen erhalten, Ausländer dagegen nicht? All dies sind Fragen, die aufgrund praktischer Überlegungen kaum auf eine vernünftige Art und Weise gelöst werden können.
Wenn auch zugegebenermassen die Möglichkeit besteht, dass dadurch die Beschaffungskriminalität reduziert werden kann, so muss demgegenüber Rechnung getragen werden, dass möglicherweise der Sog, die Anziehungskraft, daher die Hemmschwelle für den Einstieg in den Konsum von harten Drogen wesentlich herabgesetzt wird. Natürlich weiss man in einem solchen Fall, dass bei einer entsprechenden Sucht der Staat für uns sorgt. Der Teufelskreis ist fatal und birgt die grosse Gefahr in sich, dass immer mehr Jugendliche von Drogen angezogen werden, weil einem ja dabei sowieso nichts mehr passieren kann. Die Bilder vom Platzspitz und vom Letten hatten doch bei Jugendlichen, welche diese Szene gesehen hatten, eine abschreckende Wirkung. Mit staatlich verordneter Drogenabgabe besteht die Gefahr, dass das Drogenproblem und die Gefahren der Sucht weiter verniedlicht werden.
Das Ziel einer Drogenpolitik muss sein, die Süchtigen zu heilen. Deshalb sind vermehrt Drogenkliniken zu schaffen, wie schon lange gefordert, und die Süchtigen dorthin zu bringen. Hierzu besteht auch das Mittel des fürsorgerischen Freiheitsentzugs. Die gesetzlichen [p. 9824] Voraussetzungen sind geschaffen. Nur gilt es, diese seitens der Behörden anzuwenden.
Aus all diesen Gründen wird die SVP-Fraktion geschlossen und mit Überzeugung gegen eine Überweisung dieses Postulats von Frau Franziska Frey-Wettstein sein. Es tut mir leid, Frau Franziska Frey-Wettstein.
Dr. Leo Gehrig (SP, Neftenbach): Wir können es kurz machen. Im Namen der Sozialdemokratisch-Gewerkschaftlichen Fraktion gebe ich Ihnen bekannt, dass wir der Überweisung dieses Postulats zustimmen werden. Wir haben schon in einer früheren Drogendebatte die Ausdehnung einer wissenschaftlich begleiteten, kontrollierten Drogenabgabe auf das ganze Kantonsgebiet gefordert. Der damalige Gesundheitsdirektor hat dies abgewiesen mit dem Hinweis, das Fuder wäre dann überladen. Wer sich aber nach wie vor für eine dezentrale Drogenhilfe einsetzt, muss sich auch dafür stark machen, dass solche Versuche der kontrollierten Drogenabgabe ausgedehnt werden. Es sind Versuche, die eben Klarheit bringen sollen, Herr Styger, wem unter welchen Bedingungen solche Drogen abgegeben werden können. Mit solchen wissenschaftlich begleiteten Versuchen der dezentralen, kontrollierten Drogenabgabe können möglicherweise Antworten auf wichtige Fragen im Zusammenhang mit dem Drogenproblem bereits gefunden werden. Zum Beispiel: Lassen sich die offenen Drogenszenen mit einer flächendeckenden kontrollierten Drogenabgabe auch tatsächlich verkleinern? Welche drogenkonsumierenden Menschen zieht es trotz einer dezentralen kontrollierten Drogenabgabe weiterhin in eine offene Drogenszene? Was bietet ihnen die Subkultur der offenen Drogenszene an, was ihnen unsere Gesellschaft nicht bieten kann? Wenn solche Fragen mit einer dezentralen, kontrollierten, wissenschaftlichen Untersuchung geklärt werden, hilft uns das weiter. Ich möchte nur noch eine kurze Nebenbemerkung machen: Ich stelle immer wieder fest, dass viele Menschen nicht nur auf den Stoff süchtig sind, sondern auch auf die Situation, auf die Atmosphäre, in der sie den Stoff einnehmen. Es muss uns doch zu denken geben, dass immer mehr junge Menschen – zunehmend auch Erwachsene – sich von Subkulturen angezogen fühlen, von totalitären Gruppierungen, Sekten und gewalttätigen Banden. Wir müssen wirklich auch einmal ernsthaft fragen, welche Bedürfnisse sie in unserer Gesellschaft nicht befriedigen können. Nur einige Hinweise: Wenn ich mit gewalttätigen Jugendlichen oder mit drogenabhängigen Jugendlichen darüber spreche, was sie vorübergehend plagt, dann stelle ich fest, dass sie unsere Welt als kalt, unsere Beziehungen als kalt empfinden. Sie leiden darunter, dass wir [p. 9825] uns zuwenig mit ihnen konstruktiv auseinandersetzen. Sie leiden unter gewissen Wohnstrukturen, sie vermissen gewisse kreative Freiräume, solche offenen Szenen. Ich glaube, dass wir solchen Subkulturen im Interesse unserer Jugendlichen eben auch eine Gegenwelt bieten müssen, dass wir ihnen wieder mehr entgegenkommen müssen. Deshalb halte ich solche dezentrale Versuche für dringend notwendig.
Dr. Ulrich E. Gut (FDP, Küsnacht): Ich knüpfe an einen Satz von Herrn Styger an: Das Ziel ist, die Süchtigen zu heilen und sie nicht in ihrer Sucht zu belassen. Ich möchte der SVP drei Fragen stellen.
1. Sind Sie wirklich der Meinung, dass alle Süchtigen jederzeit heilbar sind?
2. Wenn ja, wie kommen Sie zu dieser Zuversicht? Wenn nein, was soll dann mit denen geschehen, die in einer bestimmten Lebenslage nicht oder noch nicht heilbar sind? Wer – ausser der Drogenmafia – profitiert davon, wenn keine kontrollierte Abgabe an diese Süchtigen stattfindet?
3. Sind Sie bereit, die nun laufenden Versuche unvoreingenommen zu beobachten, selbst dann, wenn Sie mit der Durchführung nicht einverstanden waren?
Lassen Sie mich noch sagen, weshalb ich als Mitunterzeichner des Postulats von Frau Frey heute dieses Postulat auch weiterhin unterstützen werde. Es gibt Menschen, die in einer bestimmten Lebenslage nicht zu einem Entzug motiviert werden können. Ich bin überzeugt davon, dass sich die Heroinabgabe, wie sie jetzt versuchsweise stattfindet, bald bewähren wird. Dann werden vernünftige Politikerinnen und Politiker nicht zuwarten wollen, diesen Weg definitiv und entschieden einzuschlagen. Ich bedaure, dass die SVP sich so entschieden festgelegt und so verstiegen, hat, dass sie nicht öder kaum in der Lage sein wird, dannzumal die Konsequenzen zu ziehen. Ich empfehle Ihnen, über die Bücher zu gehen.
Hans Peter Amstutz (EVP, Fehraltorf): Die kontrollierte dezentrale Drogenabgabe ist eine heikle Gratwanderung zwischen einer ausschliesslich repressiven Drogenpolitik und einer allgemeinen Drogenliberalisierung. Die kontrollierte Abgabe ist ein Versuch, Schwerabhängige nicht einfach verelenden zu lassen, sie aus dem Teufelskreis der Beschaffungskriminalität herauszuholen. Wichtig scheint mir, dass die versuchsweise Abgabe wissenschaftlich ausgewertet wird, damit die wilden Spekulationen über die Auswirkung einer liberaleren Drogenpolitik an Bedeutung verlieren. Ich stehe einer streng kontrollierten dezentralen Drogenabgabe vorsichtig positiv gegenüber, lehne aber [p. 9826] eine weitergehende Drogenfreigabe ab. Ich finde, dass ein stures Nein gar nichts bringt. Die EVP wird das Postulat unterstützen.
Ulrich Welti (SVP, Küsnacht): Ich möchte Herrn Gut doch eine kurze Antwort geben. Ich empfehle Herrn Gut einmal einen Wochenendaufenthalt in der Waadt, beim freisinnigen Staatsrat Philippe Pidoux. Er wird ihn dann aufklären über das Konzept der Freisinnigen in der Waadt. Das Konzept sollten wir hier durchziehen. Aber es hat niemand den Mut dazu.
Abstimmung
Der Rat beschliesst mit 73:22 Stimmen, das Postulat von Franziska Frey-Wettstein (FDP, Zürich) dem Regierungsrat zur Berichterstattung zu überweisen.
Das Geschäft ist erledigt.