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Staatsarchiv des Kantons Zürich

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SignaturStAZH MM 24.1 KRP 1804/0119
TitelAnnahme des Gesezes-Vorschlags betreffend die Einrichtung des Advocatur-Wesens im Canton Zürich.
Datum18.12.1804
P.391–400

[p. 391] Nach Anhörung des, von der, unterm 13ten dieß geordneten Commission, unterm 14ten dieß hinterbrachten Gutachtens über den Gesezes-Vorschlag vom 7ten December, betreffend die Einrichtung des Advocatur-Wesens im Canton Zürich, worinn die Commißion einmüthig auf die Annahme dieses Gesezes-Vorschlags anträgt, und nach wiederholter Verlesung des gedachten Gesezesvorschlags wurde derselbe in sorgfältige Berathung genohmen, die Diskußion, nach beendigter erster Umfrage, als geschloßen erklärt, und der Gesezes-Vorschlag mit 76 gegen 26. Stim- [p. 392] men genehmigt, weßwegen folgender Beschluß dem Protocoll beyzurüken ist:

Der Große Rath, nach Anhörung des ihm, von dem Kleinen Rathe unterm 28sten November konstitutionsmäßig hinterbrachten Gesezesvorschlags, betreffend die Einrichtung des Advocaturwesens im Canton Zürich, nach angehörtem Commißional-Bericht, hat den Vorschlag angenommen und zum Gesez erhoben.

Gesetz

betreffend die Einrichtung des Advocatur-Wesens im Canton Zürich.

Da eine mehrjährige traurige Erfahrung gezeigt hat, daß die unbeschränkte Freyheit, den Beruf eines Anwaldes oder Advocaten, ohne bestimmte Vorschrift, treiben zu können, weit entfernt, die Führung der Rechtshändel sicherer und weniger kostbar zu machen, vielmehr die Prozeße vervielfältiget, unerfahrne Leute oft in großen Verlurst bringt, und überhaupt für das rechtsbedürftige Publikum die nachtheiligsten Folgen erzeugt, so haben wir nothwendig erachtet, über diesen Gegenstand folgende Verordnung zu machen.

Von den Rechts-Anwälden überhaupt.

§. 1. Es bleibt jedermann freygestellt, vor allen Tribunalien und Behörden des Cantons seine eigenen Rechtsangelegenheiten mündlich und schriftlich selbst zu verfechten. Nur vor dem Obergericht, dem Ehegericht und den Bezirksgerichten kann man sich hierzu auch eines Rechtsandwaldes, nach näherer Anleitung gegenwärtiger Verordnung, bedienen. Vor den Zunftgerichten hingegen bleibt der Gebrauch eines solchen Anwaldes gänzlich [p. 393] untersagt.

§. 2. Nur den Obrigkeitlich geordneten Rechtsanwälden ist die Betreibung eigentlicher Advocatur-Geschäfte gestattet.

§. 3. Alle Rechtsanwälde des Cantons Zürich sind in Fürsprecher und Procuratoren abgetheilt. Außer diesen sollen keine weiteren Beyständer geduldet werden.

§. 4. Sämmtliche Anwälde sollen der Cantons-Regierung Treu und Wahrheit leisten, und sich dazu, so wie zu Erfüllung ihrer wichtigen Pflichten überhaupt, durch einen besondern Eyd verpflichten.

§. 5. Sie sollen niemals wißentlich eine ungerechte und schändliche Handlung verfechten.

§. 6. Ihre Partheyen sowohl beym Beginnen der Prozeße, als im Lauf derselben, gewißenhaft und mit möglichstem Fleiß berathen.

§. 7. Sich der freundlichen Beseitigung der Rechtshändel keineswegs widersetzen, sondern solche vielmehr aufrichtig befördern.

§. 8. Alle unnöthigen Beyhändel und Nebenfragen möglichst hindern, auch in ihren mündlichen und schriftlichen Vorträgen, überflüßige Weitläufigkeit vermeiden.

§. 9. Bey Führung ihrer Rechtshändel nur erlaubte Rechtsmittel gebrauchen, demnach sich aller persönlichen Verunglimpfungen, beschimpfenden Stichelreden und heimlichen Empfehlungen enthalten.

§. 10. In allen ihren Vorträgen den gehörigen Anstand und die schuldige Achtung gegen die richterlichen Behörden beobachten.

§. 11. Dem vorgeschriebenen Tarif sich unterziehen, von ihren Clienten niemals ein mehreres fordern, als der Tarif bestimmt, auch getreulich in jedem einzugebenden Kosten-Verzeichniß nur das Empfangene oder Ausgegebene ansezen.

12. Keine Rechtshändel kaufen, oder, für einen bestimmten Antheil an dem strei- [p. 394] tigen Gegenstand, übernehmen.

§. 13. Von einer Gegenparthey, ihren Verwandten und Freunden, oder zu ihrem Vortheil weder Geld, Geschenke noch sonst einiges Anerbieten für sich oder die Ihrigen annehmen, und eben so wenig zum Vortheil ihrer eigenen Parthey solche Bestechungs-Versuche machen.

§. 14. Alle Gerichtsstellen, Vollziehungs-Beamtete, Canzleyen und die Anwälde selbst, haben die nähere und bestimmte Pflicht, darauf zu achten, ob irgend ein Anwald gegen obige allgemeine Pflichtordnung und seinen Eid sich verfehle, und so bald sie von einem solchen Vergehen Kenntniß bekommen, solches der Justiz-Commißion unverweilt anzuzeigen. Auch die Partheyen selbst sind zu einer solchen Anzeige berechtigt.

§. 15. Sobald die Justiz-Commißion eine Anzeige von dieser Art erhalten hat, wird sie aus Amtspflicht die Thatsache möglichst zu erwahren trachten, und dem betreffenden Anwald seine Vertheidigung abfordern.

§. 16. Kann der Angeschuldigte sich nicht befriedigend rechtfertigen, so überweist die Justiz-Commißion die Anklage, nebst allen dazu gehörigen Akten, zu näherer Untersuchung und angemeßener Beurtheilung dem Obergericht, welches einen erweislichen Übertretter seiner beschwornen Eydespflichten nach Gebühr zu bestrafen, zu Vergütung des aus seinem Mißtritt entstandenen Schadens anzuhalten, insbesondere aber je nach Beschaffenheit des Falls, mit Suspension oder gänzlicher Entsezung zu belegen wißen wird.

§. 17. Damit aber redliche Anwälde nicht muthwilligen Klagen unzufriedener Partheyen ausgesezt seyen, so soll [p. 395] eine Parthey, die einen Anwald verklagt, in so ferne sie ihre Unvermögenheit nicht erweisen kann, sogleich eine von der Justiz-Commission zu bestimmende Summe versichern, damit der Beklagte für seine Kosten entschädigt werden könne, im Fall die Anzeige von richterlicher Behörde ungegründet erfunden würde. Außerdem haben muthwillige Verläumder noch die verdiente Strafe zu gewärtigen.

Von den Fürsprechen insbesonders.

§. 18. Die Fürsprechen werden aus der Klaße der Procuratoren gezogen und müßen sich in Ausübung dieses Berufs, als ausgezeichnet verständige und redliche Männer gezeigt haben. Für einstweilen wird ihre Zahl auf Acht festgesezt, und zwar in der Meynung, daß die sechs vormahligen, schon längst geprüften Rathsredner ohne weitere Wahl ihren Plaz unter den gesezlichen Fürsprechen einnehmen, dann jedoch noch zwey andere zugewählt, und alle acht, nach geleistetem Eid, patentiert, in Zukonft aber die Fürsprechen auf die Zahl von sechsen beschränkt, und mithin die beyden zuerst ledig werdenden Stellen nicht mehr besezt werden, sondern die Ergänzungen erst bey der sich ergebenden dritten Vacanz ihren Anfang nehmen sollen.

§. 19. Über ihre Kenntniße und Fähigkeit werden sie folgender Maaßen geprüft:

a. Sie müßen über eine, durch das Loos ertheilte Rechtsfrage in einem verschloßenen Zimmer ohne Bücher eine Abhandlung verfertigen.

b. Eine solche Abhandlung mit Büchern und Muße über eine gegebene Rechtsmaterie abfaßen.

c. Eine wirkliche Rechtssache zur Probe vor dem Obergericht mündlich und unentgeldlich verfechten.

§. 20. Die Prüfungen der Candidaten werden durch eine, aus zwey Mitgliedern [p. 396] der Justiz- und Polizey-Commißion und eben so vielen Mitgliedern des Obergerichts bestehende gemeinschaftliche Commißion vorgenohmen, welche dem Kleinen Rath in jedem eintrettenden Fall einen bestimmten schriftlichen Bericht über die Resultate der Prüfung zu erstatten hat.

§. 21. Die Wahlen der Fürsprechen werden jeweilen auf das Fundament obgedachter Berichte über die Resultate der Prüfungen, von dem Kleinen Rath vorgenohmen.

§. 22. Jeder neuerwählte Fürsprech erhält, gegen Erlegung einer Gebühr von hunder[t] Franken zu Handen des Staats, ein förmliches Patent von der Regierung.

§. 23. Bey Antretung seines Berufs, ist er zu einer Real- oder Personal-Bürgschaft von dreytausendzweyhundert Franken verpflichtet, welche bey der Justiz-Commißion deponiert wird.

§. 24. In Civil- und Criminal-Sachen sind die Fürsprechen sowohl zu den schriftlichen als mündlichen Vorträgen vor dem Obergericht und dem Ehegericht ausschließlich befugt, mit Vorbehalt der Ausnahmen, welche die eingeführte Criminalprozedur erfordert.

§. 25. Neben den allgemeinen Pflichten aller Anwälde, liegt den Fürsprechen noch besonders ob, auf Anweisung des Präsidii bey dem Obergericht und dem Ehegericht, die Rechtsangelegenheiten erweislich unvermögender Personen, vor diesen Tribunalien nach einzuführender Kehrordnung, unentgeldlich zu verfechten.

§. 26. Ferner sollen sie auf die Pflichterfüllung der übrigen Anwälde achten, [p. 397] und die zu ihrer Kenntniß gelangenden strafwürdigen Fälle der Behörde unfehlbar anzeigen.

§. 27. Endlich haben sie die besondern Aufträge der Regierung, des Obergerichts und der Regierung-Departements, zu Führung obrigkeitlicher Rechtssachen, Abfaßung von Gutachten, Prüfung der Procuratoren, u. s. w. gewißenhaft zu erfüllen.

Von den Procuratoren.

§. 28. Vier Monate nach Bekanntmachung gegenwärtigen Gesezes, soll, außer den geordneten Fürsprechen, niemand mehr als Anwald sich zu Advocatur-Geschäften gebrauchen laßen, als wer zu einem Procurator förmlich gewählt worden ist.

§. 29. Die Anzahl dieser Procuratoren soll im ganzen Canton nicht über zwanzig ansteigen, kann aber darunter bleiben.

§. 30. Um wahlfähig zu seyn, muß man das 21.ste Jahr zurükgelegt, und entweder als Zögling unter einem geschikten Fürsprech, Procurator, Bezirks-Gerichtschreiber oder Landschreiber drey Jahre lang gearbeitet, oder aber auf einer Academie die Rechtsgelehrsammkeit förmlich studiert haben, vornämmlich aber gute Zeugniße, seines Fleißes und seiner moralischen Aufführung halber, vorlegen können.

§. 31. Die abzulegenden Beweise der Kenntniße eines solchen Candidaten bestehen:

a. In einem gründlichen Examen über die Civilgeseze unsers Cantons.

b. In unentgeldlicher Verfechtung einer Rechtssache vor einem Bezirksgericht. Sowohl über die Verfechtung, als auch überhaupt in Bezug auf das Betragen und die Eigenschaften des Candidaten, soll das betreffende Bezirksgericht den Examinatoren einen sorgfältigen Bericht erstatten.

Vormaligen Licentiaten wird diese neue [p. 398] Prüfung nachgelaßen.

§. 32. Die Examinatoren sind, zwey Mitglieder der Justiz-Commission, ein Mitglied des Obergerichts und zwey von der Justiz-Commißion beliebig zugezogene Fürsprechen.

§. 33. Auf erstatteten günstigen Bericht dieser Examinatoren, wird der Candidat von dem Justiz-Collegio selbst gewählt, beeydigt und patentiert.

§. 34. Der neuerwählte Procurator entrichtet für sein Patent 40. Frk[en]. Gebühren an den Staat, und ist außerdem zu einer Real- oder Personal-Bürgschaft von 1600. Frk[en]. verpflichtet, die bey der Justiz-Commißion deponiert wird.

§. 35. Die Procuratoren haben (neben den Fürsprechen) ausschließlich die Befugniß zu mündlichen Vorträgen von den Bezirks-Gerichten, zu Ausfertigung von Hauptschriften in Rechtssachen, und zu allen übrigen Advocatur-Geschäften, welche nicht ausschließend den Fürsprechen vorbehalten sind.

§. 36. Die Fürsprechen werden allein aus dem Mittel der Procuratoren gezogen.

§. 37. Neben den allgemeinen Pflichten aller Anwälde, liegt den Procuratoren noch besonders ob, vor denjenigen Bezirks-Gerichten, bey welchen sie sich vorzüglich gebrauchen laßen, die Rechtsangelegenheiten erweislich unvermögender Personen, auf dießfällige Anweisung des Präsidenten, unentgeldlich zu verfechten.

Tarif für alle Rechts-Anwälde.

§. 38. Für jeden einfachen Vortrag vor einem Tribunal darf kein Anwald mehr fordern, als nach Maaßgabe der Wichtigkeit des Gegenstandes, 2. bis 6. Frk[en]. [p. 399] vor dem Obergericht, und 1. bis 4. Franken vor den übrigen Tribunalien.

§. 39. Für eine förmliche Verfechtung oder Contradictorium dürfen, je nach der Wichtigkeit des streitigen Gegenstandes und der Procedur 4. bis höchstens 12. Frk[en]. vor dem Obergericht als lezter Instanz, und 2. bis höchstens 8. Frk[en]. vor den übrigen Tribunalien, gefordert werden.

§. 40. Für jeden Tag nothwendiger Entfernung von seinem Wohnort, darf ein Anwald der betreffenden Parthey, als Taggeld für seine Bemühung, nicht mehr ansezen, als 4. Frk[en]. nebst möglich bescheidenen Reise- und Zehrungs-Kosten.

§. 41. Für das Haupt-Doppel eines Memorials in wichtigeren Prozeßen soll von jeder Folio-Seite höchstens ein Franken gefordert werden, und jede Seite muß wenigstens 25. Zeilen gewöhnlicher Schrift enthalten. Für keine Rechtsschrift aber überhaupt sollen mehr als 24. Franken in Anrechnung kommen.

§. 42. Für minder wichtige Schriften, Kostenverzeichniße und Copiaturen sollen nicht mehr als 2. Bazen für die Folio-Seite gewöhnlicher Schrift, den Partheyen verrechnet werden dürfen.

§. 43. Nach dieser Taxordnung werden alle obrigkeitlichen Behörden und Tribunalien die vorzulegenden Kostenverzeichniße der Anwälde beurtheilen, und überhaupt auf derselben genaue Handhabe, so wie auf die Verhütung übertriebener Verrechnungen der Partheyen an ihre Rechtsanwälde, sowohl für Consultationen, als für andere Verrichtungen, unausgesezt das sorgfältigste Augenmerk richten.

Eides-Formal

für alle Rechts-Anwälde.

§. 44. Jeder Anwald (Fürsprech oder Procurator) soll schwören:

„Der Regierung des Cantons Zürich ge- [p. 400] treu zu seyn, ihren Nuzen zu fördern und Schaden zu wenden, zu Verfechtung offenbar ungerechter oder schädlicher Sachen sich nicht gebrauchen zu laßen, das Recht der Partheyen, die seines Beystandes bedürfen, sie seyen reich oder arm, fremd oder einheimisch, nach Wißen und Gewißen, getreulich und mit allem Fleiß zu besorgen, sich an dem vorgeschriebenen Tarif zu genügen, und nicht ein mehreres von einer Parthey für Schriften, Verrichtungen und Versäumniße zu fordern, mit keiner Gegenparthey irgend ein unerlaubtes und dem Intereße seiner Clienten nachtheiliges Verständniß zu unterhalten, von Niemandem, wer es immer seyn möchte, sich durch Geschenk oder Anerbietungen, für sich und die Seinigen, zum Schaden seiner Parthey auf irgend eine Weise bestechen zu laßen, auch eben so wenig anderen Mieth und Gaben anzubieten, überhaupt alles gewißenhaft zu beobachten und zu leisten, was die Hochobrigkeitliche Verordnung in Bezug auf die Pflichten der Rechtsanwälde, vermag.

Alles getreulich und ohne Gefahr.“

Zürich, den 18. December 1804.

Im Namen des Großen Raths,

unterzeichnet:

Der Amtsburgermeister,

Escher.

Der Erste Staatsschreiber.

Lavater.