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Staatsarchiv des Kantons Zürich

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SignaturStAZH MM 24.49 KRP 1911/003/0046
TitelGesetz betreffend den Zivilprozeß, Vorlage der Kommission vom 24. März 1911.
Datum26.06.1911
P.24–34

[p. 24] Über die Kommissionsverlage „Gesetz betreffend den Zivilprozeß“ referiert Stadtpräsident Dr. Sträuli - Winterthur. Er führt im wesentlichen aus: Im Januar 1911 habe das Zürcher Volk das Gesetz betreffend das Gerichtswesen im allgemeinen angenommen, womit ungefähr der dritte Teil des gesamten Rechtspflegegesetzes revidiert sei. Es bleibe der Zivilprozeß nebst einem Gesetz betreffend das Verfahren in nichtstreitigen Rechtssachen, sowie der Strafprozeß zu behandeln. Es könnte sich fragen, ob nicht viele Bestimmungen des vorliegenden Entwurfes besser in einer Verordnung Platz fänden; allein man habe sich in der Hauptsache an die Zivilprozeßordnungen von 1866 und 1874 angelehnt. Die Revision sei schon vor mehr als 15 Jahren in die Wege geleitet worden und man habe damals speziell den Strafprozeß als revisionsbedürftig betrachtet. Eine Reihe von Revisionspunkten, welche damals zur Sprache gebracht, seien im Laufe der Zeit immer mehr zurückgetreten, wogegen andere an ihre Stelle gerückt seien; so namentlich die bedingte Verurteilung und die Behandlung von jugendlichen Angeklagten. Hinsichtlich des Zivilprozesses sei eine etwas andere Grundlage gewonnen worden durch das schweizerische Zivilgesetzbuch. Und da seit dem Jahre 1874 mehr als ein Dritteil der zivilprozessualen Bestimmungen geändert worden, so sei das Bedürfnis einer Revision unbestreitbar. In der Kommissionsvorlage werden nicht grundlegende Umgestaltungen vorgeschlagen: es handle sich im wesentlichen um den Ausbau des geltenden Rechtes unter spezieller Berücksichtigung des schweizerischen Zivil- [p. 25] gesetzbuches. Die Kommission habe vor allem die Frage untersucht, ob gegenüber dem Grundsatze der Mündlichkeit mehr diejenige der Schriftlichkeit des Verfahrens zur Geltung gelangen solle. Das mündliche Verfahren habe den Vorteil, daß die Parteien dem Richter direkt gegenüberstehen und ihre Anträge vor ihm begründen können, so daß der Richter leicht Gelegenheit habe, Unklarheiten und Lücken der Darstellung durch geeignete Fragen abzuhelfen; die Parteien seien eher in der Lage, ihre Sache selbst zu führen, als wenn ein Schriftsatz nötig wäre. Das System der Mündlichkeit habe allerdings auch gewisse Nachteile; so könne es namentlich vorkommen, daß bei der Entgegennahme der Parteivorbringen und der Protokollierung falsche Auffassungen entstehen, so daß die Grundlagen des Prozesses dem Richter nicht immer so klar und bestimmt unterbreitet werden, wie wenn sie schriftlich eingereicht werden. In vielen Kantonen und Ländern sei aber dem Prinzipe der Schriftlichkeit der Vorzug gegeben oder wenigstens ein gemischtes Verfahren eingeführt worden in der Weise, daß Klagebegründung und Klagebeantwortung schriftlich erfolgen und sich dann ein mündliches Verfahren anschließe. Ein solches gemischtes Verfahren habe wenigstens teilweise die Nachteile, die dem schriftlichen Verfahren überhaupt anhaften; namentlich könne es Verzögerungen der Prozesse herbeiführen. In der Vorlage sei nun ein fakultatives schriftliches Verfahren insofern vorgesehen, als in § 118 b den Parteien die Erlaubnis beziehungsweise die Möglichkeit gegeben sei, dem Gerichte zur Vorbereitung dienende kurze Rechtsschriften einzureichen.

Eine weitere grundsätzliche Frage, die von der Kommission einläßlich behandelt worden, sei diejenige der sogenannten Eventualmaxime. Das Zivilprozeßrecht geht im allgemeinen davon aus, daß die Parteien dem Richter zusammengefaßt alles vorbringen müssen, was als zur Sache gehörig betrachtet werden könne. Der Zweck sei der nämliche, wie er auch der Ansetzung von bestimmten Fristen zugrunde liege, nämlich eine Beschleunigung des Verfahrens zu erwirken.

Zuzugeben sei dabei, daß die Parteien nicht immer zum voraus wiesen können, was der Gegner vorbringen werde, daß man gelegentlich irgend ein erhebliches Moment vergessen werde oder daß eine Tatsache, die man anfänglich als un- [p. 26] erheblich betrachtet und daher nicht geltend gemacht habe, nachher doch als relevant erscheine. Die Praxis habe daher schon bisher Ausnahmen gestattet und neue Tatsachen wenn immer möglich zugelassen. § 137 der Vorlage enthalte nun eine dahingehende allgemeine Bestimmung. Daß im Kanton Zürich grundsätzlich eine rasche Erledigung der Prozesse erreichbar sei, verdanke man dem Ausschlusse des sogenannten Parteibetriebes, an dessen Stelle durchweg der Gerichtsbetrieb gelte: das Gericht müsse den Prozeß fördern, ohne daß übereinstimmende Verschiebungsanträge der Parteianwälte maßgebend wären.

Im Kanton Zürich seien die Verhältnisse und die Zahl der Geschäfte in den einzelnen Bezirken sehr verschieden; die Kommission habe daher auch die Frage geprüft, ob nicht in der Prozeßordnung der Unterschied zwischen Stadt und Land in grundsätzlicher Weise berücksichtigt werden sollte. Diese Frage habe keine prinzipielle Lösung gefunden; immerhin seien durch einige Bestimmungen besondere Rücksichten auf die Verhältnisse des Bezirksgerichtes Zürich genommen worden.

Der Referent beantragt, auf die Vorlage einzutreten und dieselbe abschnittweise zu beraten. Das wird ohne Gegenantrag beschlossen.

I. Abschnitt: Allgemeine Bestimmungen.

A. Gerichtsstand: Der Referent führt aus, daß hier die Übereinstimmung mit den einschlägigen Vorschriften des neuen Zivilgesetzbuches habe hergestellt werden müssen. Hervorzuheben sei, daß als zuständig für die Widerspruchsklagen das Gericht des Wohnortes der Betreibung bezeichnet werde, mit Rücksicht auf den betreibungsrechtlichen Charakter dieser Klagen; interkantonal sei dieses Forum allerdings nicht haltbar. Im weitern sei in § 16 die Verpflichtung der Gerichte, einen vereinbarten Gerichtsstand anzuerkennen, für den Fall statuiert, wo der Kläger im Kanton Domizil habe, und in § 19 gegenüber dem geltenden Rechte eine Einschränkung insofern getroffen worden, als in den Fällen, wo der Beklagte nach Vorladung zum Sühneverfahren den Wohnsitz ändere, die Weisung innerhalb einer bestimmten Frist (drei Monate) einzureichen sei.

[p. 27] Dr. Weisflog - Zürich beantragt, in § 6 oder 8 eine Bestimmung aufzunehmen, wonach Klagen auf Rückgabe von deponierten Mietzinsen bei dem Gerichte anhängig gemacht werden können, wo der betreffende Betrag deponiert ist, oder da, wo die Retention geltend gemacht wurde, beziehungsweise geltend gemacht werden könnte. Es komme sehr häufig vor, namentlich in Zürich, daß am Ende eines Quartals Mieter, die mit dem Vermieter Anstände haben, beim Audienzrichter das Begehren um Deposition des Mietzinses stellen, um die Retention abzuwenden. Der Audienzrichter bewillige in der Regel solche Begehren ohne weiteres, setze aber zugleich dem Deponenten eine Frist an, um auf Herausgabe des Depositums zu klagen. Dann entstehe die Frage, welcher Richter zuständig sei, ob derjenige des Wohnortes des Vermieters, oder derjenige, wo das Depositum liege. Wenn nun der Vermieter außerhalb des Kantons wohne und der Mieter dort klagen müsse, sei das mit großen Unzukömmlichkeiten verbunden, die den Mieter manchmal veranlassen, lieber auf sein Recht zu verzichten.

Welti - Zürich beantragt, in § 14, Absatz 2, anstatt „Schweizer" zu setzen „Kantonsbürger".

Wenger - Zürich weist darauf hin, daß im bisherigen Gesetze auch der Ort der Schwängerung als Gerichtsstand vorgesehen gewesen sei; es könne vorkommen, daß eine Schweizerin, welche im Auslande wohne, in der Schweiz einen Ausländer auf Vaterschaft belangen möchte, und nun wäre diese Möglichkeit inskünftig ausgeschlossen, ohne daß ein Grund hiefür ersichtlich sei. Er bestätigt die Ausführungen von Dr. Weisflog und macht die Anregung, für innerkantonale Verhältnisse einen Gerichtsstand des Depositums zu schaffen; für die Regelung interkantonaler Verhältnisse hält er dies nicht für angängig.

Dr. Bindschedler - Männedorf weist darauf hin, daß § 2, Ziffer 1, Lemma 2, identisch sei mit dem Wortlaute von Art. 25 des Zivilgesetzbuches. Er beantragt, den Schluß jener Bestimmung so zu fassen: „so kann die Klage an ihrem tatsächlichen Wohnorte erhoben werden.“

Der Referent erklärt, daß er mit den Anträgen Welti und Dr. Bindschedler einverstanden sei. Hinsichtlich des An- [p. 28] trages Wenger bemerkt er, daß das neue Zivilgesetz einer Aufnahme von § 512 des bisherigen Rechtspflegegesetzes entgegenstehe. Den Antrag von Dr. Weisflog ersucht er abzulehnen. Es sei möglich, daß in großen Städten ein gewisses Bedürfnis für eine Regelung in dem angedeuteten Sinne existiere. Man könnte daran denken, innerkantonal einen solchen Gerichtsstand zu schaffen; allein schon dagegen habe er Bedenken, sodann aber namentlich für die Fälle, wo der Beklagte in einem andern Kanton wohne, und zwar im Hinblick auf Art. 59 der Bundesverfassung. Wenn der Vermieter im Auslande wohne, so stehe es dem Mieter frei, durch Auswirkung eines Arrestes den hierseitigen Gerichtsstand zu begründen.

Dr. Weisflog - Zürich hält dafür, daß die Annahme seines Antrages keine Kollision mit Art. 59 der Bundesverfassung im Gefolge hätte, da es sich um einen dinglichen Anspruch handle, der am Orte der gelegenen Sache erhoben werden könne. Der Richter, in dessen Gerichtssprengel die streitigen Objekte liegen, sei am besten in der Lage, die Sache zu beurteilen. Sofern der Rat nicht heute schon gewillt sei, seinen Antrag anzunehmen, sei er damit einverstanden, daß die Kommission die Frage näher prüfe und speziell auch die Schaffung eines allgemeinen Gerichtsstandes des Depositums in Beratung ziehe.

Seidel - Zürich unterstützt im Interesse der Mieter den Antrag von Dr. Weisflog.

In der Abstimmung wird dieser Antrag mit großer Mehrheit angenommen.

B. Streitwert. Der Referent weist darauf hin, daß die vorgeschlagenen Bestimmungen im wesentlichen dem bisherigen Rechte entsprechen und daß nur in § 21 (Schlußsatz) und in § 22, Abs. 2, eine Änderung erfolgt sei.

Bopp - Bülach gibt zu, daß die Vorlage im allgemeinen eine Besserung gegenüber dem bisherigen Zustande bringe, er hält aber die Vorschriften über die Berechnung des Streitwertes nicht für hinreichend. Da sich nach der Bemessung des Streitwertes auch das Honorar des Anwaltes richte, so läge eine genauere Umschreibung im Interesse der Prozeßparteien.

[p. 29] Hinsichtlich § 22 sei die bisherige Fassung vorzuziehen. Auch dürfte sich in § 24 ein Zusatz rechtfertigen des Inhalts, daß Kapitalamortisationen nicht als periodisch wiederkehrende Leistungen im Sinne dieser Vorschrift betrachtet werden, da dies für den Laien nicht ohne weiteres klar sei. In § 25 wünscht er eine Änderung in dem Sinne, daß nur dann eine Ordnungsbuße verhängt werden soll, wenn wissentlich unwahre Angaben gemacht werden in der offenbaren Absicht, eine Instanz zu umgehen.

Der Referent erklärt, daß detailliertere Vorschriften mit Bezug auf die Bemessung des Streitwertes nicht möglich seien. Eine besondere Bestimmung, wie sie Bopp zu § 24 wünsche, könne nicht in das Gesetz aufgenommen werden, da solche Details die Vorlage zu umfangreich machen würden.

Mit dem Zusatze zu § 25 bezüglich der Ordnungsbußen sei er einverstanden.

C. Parteien. Der Referent führt aus, daß die Bestimmung des § 29, wodurch die Ehefrau als prozeßfähig erklärt wird, dem neuen Zivilgesetzbuch entspreche. In § 34 sei ausdrücklich unterschieden zwischen Vertretung und Verbeiständung und versucht worden die Ausnahmen etwas genauer zu formulieren, namentlich nach der Richtung, daß jede Partei die gleichen Rechte haben solle.

Dr. Schmid - Zürich beantragt, in § 34, Abs. 2, zu sagen: „macht sie von diesem Rechte Gebrauch, so ist dies der Gegenpartei, wenn möglich vor der Verhandlung, mitzuteilen und darf diese sich dann ebenfalls vertreten lassen."

Dr. Keller - Zürich beantragt in § 33, Abs. 2, am Schlüsse anstatt „Rechtsbeistandes“ zu sagen „Rechtsanwaltes“, dies in Übereinstimmung mit der Praxis.

Wenger - Zürich fragt an, ob die Abänderung in § 33 den Sinn habe, daß nun auch Ausländer als Vertreter vor Gericht erscheinen können; ferner wie es zu halten sei, wenn mehrere Gemeinden nur einen Friedensrichterkreis bilden.

Friedensrichter H. Großmann - Höngg macht geltend, daß nach seinen Erfahrungen eher ein Vergleich erzielt werden könne, wenn die Parteien persönlich, ohne Vertreter, vor Friedensrichter erscheinen, und er würde es daher als in deren [p. 30] Interesse erachten, wenn man bestimmen würde, daß die Parteien, welche innerhalb des Bezirkes wohnen, persönlich erscheinen sollen. Gegen den zweiten Teil des § 34 äußert er Bedenken, weil diese Neuerung geeignet sei, das Verfahren zu erschweren; der bisherige Zustand habe keine Übelstände im Gefolge gehabt.

Der Referent äußert sich zu den gefallenen Voten dahin: Der Antrag von Dr. Keller bedeute nicht nur eine formelle, sondern eine materielle Änderung; es würde derselbe dazu führen, daß eine Partei, welche ihre Sache nicht ordentlich führen könnte, pflichtig wäre, einen Anwalt zu bestellen, und nicht einen andern rechtskundigen Bürger, obschon nach dem Gesetze nur die berufsmäßige Vertretung durch Personen, welche nicht im Besitze eines Anwaltspatentes seien, untersagt sei. Praktisch sei die Frage nicht von großer Wichtigkeit. Mit dem Antrage von Dr. Schmid sei er einverstanden. Die Kommission habe gefunden, es bestehe keine Veranlassung, an den Kantonsratswahlkreisen für das persönliche Erscheinen festzuhalten, und bezirksweise Kreise wären zu groß; wenn mehrere Gemeinden sich zu einem Friedensrichterkreise zusammentun, so entstehe eben ein neuer „Friedensrichterwahlkreis".

Dünki - Rorbas beantragt, den § 34 an die Kommission zurückzuweisen, eventuell auf eine nächste Sitzung zurückzulegen. Die Frage betreffend die Größe der Kreise bedürfe einer eingehenden Prüfung; ebenso die Frage der Vertretung, die in ungenügender Weise geregelt sei. Er könnte sich mit dem bisherigen System der Kantonsratswahlkreise einverstanden erklären, wäre aber auch damit einverstanden, daß nach dem Antrage von Großmann diejenigen Parteien, welche im Bezirke wohnen, persönlich vor Friedensrichteramt zu erscheinen hätten.

Regierungsrat Dr. Keller beantragt, den Satz „macht sie von diesem Rechte Gebrauch etc.“ zu streichen, weil durch die neue Bestimmung der Zweck des Sühnverfahrens als gefährdet erscheine.

Dr. Weisflog - Zürich unterstützt den Antrag des Vorredners; auch nach bisherigem Rechte haben die Parteien schriftliche Eingaben machen können.

[p. 31] Dr. Schmid-Zürich beantragt für den Fall, daß der Satz nach Antrag Keller gestrichen werde, auch den Absatz zu streichen, welcher die Verbeiständung der Parteien ausschließe, da es doch Fälle geben könne, wo eine Verbeiständung ein Bedürfnis sei, speziell da, wo es sich um unbeholfene Personen handle.

Gaßmann - Rümlang äußert sich im gleichen Sinne.

Lang - Zürich macht geltend, der ganze Charakter des Sühnverfahrens vertrage sich mit einer Verbeiständung nicht; man habe stets darauf gehalten, daß die Parteien zur Sühnverhandlung selbst zu erscheinen haben. Wenn aber eine Partei mit einem Anwalte erscheine, so müsse dieses Recht auch der anderen Partei eingeräumt werden, sonst könne sich dieselbe benachteiligt fühlen.

Dr. Bindschedler - Männedorf hält dafür, daß unter den vorliegenden Umständen bei dem Widerstreit der Meinungen es das richtige sei, den Paragraphen an die Kommission zurückzuweisen behufs Neuformulierung im Sinne des bisherigen Rechtes. Der Rat beschließt die Rückweisung.

Dr. Keller - Zürich läßt seinen Antrag zu § 33 fallen.

D. Prozeßkosten. Der Referent weist darauf hin, daß die Kommission an dem bisherigen System festgehalten habe, wonach die Kosten erst nach Beendigung des Prozesses bezahlt werden sollen und nur in einigen wenigen Fällen, wenn gewisse Voraussetzungen zutreffen, Kaution zu verlangen sei. Dagegen seien die Barauslagen dem Gerichte stets vorzuschießen. Schon bisher habe indes das Institut des Armenrechtes bestanden, das nun in der Vorlage einige Erweiterungen erfahren habe; unter gewissen Voraussetzungen könne schon vor Anhebung des Prozesses die Ernennung eines Rechtsbeistandes erfolgen. Eine neue Bestimmung enthalte auch § 57, wonach der Richter im Beweisverfahren ausnahmsweise einer vorschußpflichtigen Partei die Leistung einer Kaution erlassen könne, wenn es die Verhältnisse rechtfertigen. Dabei habe man namentlich Fälle im Auge, welche in einer momentanen Situation des Kautionspflichtigen liegen. Gemäß § 67 a könne der Friedensrichter inskünftig in denjenigen Fällen, wo Abstand oder Anerkennung der Klage erfolge, der Gegenpartei eine Entschädigung zusprechen. § 73 ermögliche es dem Richter, der- [p. 32] jenigen Partei, welche nur teilweise unterliege, gleichwohl eine Entschädigung zuzubilligen.

Dr. Vollenweider - Affoltern beantragt, daß in denjenigen Fällen, wo nach dem Gesetze eine Kaution auferlegt werde, aus derselben die Gerichtskosten vorweggenommen, und erst in zweiter Linie die Entschädigung an die obsiegende Partei zu bezahlen sei.

Wenger - Zürich beantragt, daß in § 58 gesagt werde, anstatt bloß „Verwertung“, „Grundpfandverwertung“; der Ausdruck „Staatskasse“ sei neu, so daß daraus geschlossen werden könnte, auch derjenige, welcher Steuern schulde, sei kautionspflichtig. Der § 62 könne zu Mißbräuchen führen; er beantrage dessen Streichung.

Dünki - Rorbas beantragt, die Bestimmung des § 62 stehen zu lassen, damit auch der Friedensrichter zu seinen Gebühren komme.

G. Müller - Zürich wünscht, daß in § 72, Alinea 3, ausdrücklich gesagt werde, daß diese Bestimmung sich nur auf das Verfahren in erster Instanz beziehe. In § 55 beantragt er zu sagen: „so können vorläufig beide Parteien zur Vorschußleistung angehalten werden“; denn wenn es sich um von Amtes wegen zu machende Erhebungen handle, die nur geringe Auslagen veranlassen, so rechtfertige es sich nicht, dieselben von der Leistung einer Kaution abhängig zu machen.

H. Großmann - Höngg beantragt, in § 78, Abs. 2, an Stelle von „fahrlässig“ zu sagen „grobfahrlässig“.

Dr. Ammann - Winterthur hält es nicht für richtig, wenn man in § 58 den Ausdruck Verwertung durch Grundpfandverwertung ersetzen würde. Die Meinung sei die, daß eine Kaution dann soll auferlegt werden können, wenn der Kläger für die Kosten keine Sicherheit biete, und dieser Fall liege vor, wenn auf ihn Verlustscheine bestehen; wenn eine Verwertung eingeleitet sei, so bestehe immer eine Gefahr, daß die Gerichtskosten nicht erhältlich seien. Es wäre daher richtig, dem vorgeschlagenen Passus noch beizufügen: „oder ungedeckte Pfandscheine oder Verlustscheine existieren“. Zur Verdeutlichung könnte am Schlusse gesagt werden: „der Staatskasse noch Gerichtskosten oder Bußen schuldet“.

[p. 33] Der Referent beantragt, den Vorschlag von Dr. Vollenweider abzulehnen, da es sich doch rechtfertige, daß zuerst die Partei und erst nachher die Gerichtskasse zu ihrer Sache komme. Den ersten Teil des Antrages Wenger beantragt er ebenfalls zu verwerfen, und was den zweiten Teil anbetreffe, so sei zu sagen, daß es sich natürlich nur um Gerichtskosten handeln könne, aber zur Verdeutlichung könne an Stelle von „Staatskasse“ „Gerichtskasse“ gesetzt oder die von Dr. Ammann vorgeschlagene Fassung gewählt werden. Den § 62 beantragt er beizubehalten; übrigens stehe es ja im Ermessen des Friedensrichters, eine Kaution zu verlangen oder nicht. Mit den Anträgen Müller und Großmann erklärt sich der Referent einverstanden.

§ 62 wird in der Fassung der Kommission angenommen; ebenso § 65.

Wenger - Zürich zieht nach den Erklärungen des Referenten seinen Antrag zu § 58 zurück.

II. Abschnitt: Allgemeine Grundsätze des Verfahrens.

Der Referent führt aus, daß in § 89 die sogenannte „Feststellungsklage“ nunmehr ausdrücklich vorgesehen sei; bisher seien über deren Zulässigkeit Zweifel möglich gewesen. § 100a, der über die Rechtskraft der Urteile handle, sei neu; es sei darin speziell bestimmt, daß, wenn ein Entscheid der ersten Instanz nicht angefochten werde, seine Rechtskraft auf den Zeitpunkt der Ausfällung zurückzubeziehen sei. Die Rechtskraft habe die Wirkung, daß eine Partei, welche über den gleichen Gegenstand wiederum ins Recht gefaßt werde, die Einrede der bereits abgeurteilten Sache erheben könne; diese Einrede soll nun auch möglich sein gestützt auf ein auswärtiges Urteil unter den Voraussetzungen des § 104. Anders verhalte es sich mit der Vollstreckung eines auswärtigen Urteils, welche in § 354 geregelt sei.

Dr. Keller - Zürich findet es auffällig, daß in Betreibungs- und Konkursstreitigkeiten die Widerklage ausgeschlossen sein solle, während bis jetzt Aberkennungsklagen gegenüber eine Widerklage gestattet gewesen sei. Erstellt folgenden Antrag: Die Widerklage ist gegenüber Klagen in Betreibungs- und Konkursstreitigkeiten (§§ 7, 8, 10, mit Ausnahme der Aberkennungsklage) gänzlich ausgeschlossen.

[p. 34] Der Referent nimmt diesen Antrag zuhanden der Kommission entgegen.

III. Abschnitt: Das ordentliche Prozeßverfahren.

A) Sühnverfahren. Der Referent erklärt, daß das Institut des Friedensrichters im zürcherischen Zivilprozeß seit mehr als 100 Jahren eingeführt sei, und daß die Erfahrungen für dessen Beibehaltung sprechen. Nachbenannte Klagen seien direkt beim zuständigen Richter anhängig zu machen:

1. Die Klagen im beschleunigten Verfahren;

2. die Klagen, welche an das gewerbliche Schiedsgericht gehen;

3. Prozesse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern (in gewissen Fällen);

4. gewisse Amtsklagen (§ 234);

5. die Entmündigungsklagen;

6. Klagen auf Ehelicherklärung eines Kindes;

7. Klagen auf Berichtigung des Zivilstandsregisters.

Die bisherige Bestimmung, wonach Klagen ans Handelsgericht direkt anhängig gemacht werden konnten, sei nicht mehr aufgenommen worden, nachdem es sich herausgestellt, daß hievon nur selten Gebrauch gemacht worden sei.

H. Großmann - Höngg beantragt, nachdem der § 34 an die Kommission zurückgewiesen, auch § 106 zurückzuweisen, weil eine einheitliche Regelung angezeigt sei. Der § 111 soll in der gegenwärtig gültigen Fassung wieder hergestellt werden und danach im Streitfalle der Friedensrichter den Streitwert bestimmen können.

Dr. Schmid - Zürich beantragt: „Wenn die Parteien über die Höhe des Streitwertes sich nicht einigen können, so ist der höhere von einer Partei angegebene Streitwert maßgebend.“

Der Referent erklärt sich mit der Rückweisung von § 106 einverstanden und akzeptiert hinsichtlich des Streitwertes den Vorschlag von Dr. Schmid.

Der Rat beschließt in diesem Sinne.

Schluß 1 Uhr.

Zürich, den 26. Juni 1911.

Der Protokollführer:

Zöbeli.

a-Vom Bureau des Kantonsrates am 8. Juli 1911 genehmigt.-a