Signatur | StAZH MM 24.68 KRP 1956/039/0319 |
Titel | Interpellation Willi Haindl - Zürich vom 13. Februar 1956 über die Sistierung des Ferienanspruches der Arbeitnehmer (Traktandum 5). |
Datum | 30.04.1956 |
P. | 890–893 |
[p. 890] Regierungspräsident Egger beantwortet die in einer früheren Sitzung begründete Interpellation Haindl - Zürich namens des Regierungsrates wie folgt:
«Die Auszahlung von Arbeitslosenentschädigungen richtet sich nach dem Bundesgesetz über die Arbeitslosenversicherung vom 22. Juni 1951. Gemäß Artikel 24, Absatz 2, lit. c, besteht ein Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung nur dann, wenn der Versicherte einen anrechenbaren Verdienstausfall erlitten hat. Nach Artikel 28 ist der Verdienstausfall nicht anrechenbar während Arbeitstagen, für welche dem Versicherten Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber aus Dienstvertrag zustehen. Zu den Ansprüchen aus Dienstvertrag gehört auch derjenige auf Ferien. Die Kassen müssen deshalb vor jeder [p. 891] Auszahlung von Arbeitslosenentschädigung unter anderem auch prüfen, ob ein Versicherter noch einen Ferienanspruch hat.
Das Gesetz regelt die Frage, inwieweit Versicherten, die aus irgendwelchen Gründen ihren Ferienanspruch noch nicht realisiert haben, bei vorübergehender Arbeitslosigkeit ein Taggeld zukomme, nicht ausdrücklich. Anfänglich wurde die Auffassung vertreten, ein Versicherter könne solange keine Arbeitslosenentschädigung beanspruchen, als er unter dem Rechtstitel bezahlter Ferien noch Urlaub zu fordern habe. Damit wurde in solchen Fällen die freie Feriengestaltung weitgehend beschränkt. Die Rechtsprechung führte dann aber zu einer für die Versicherten wesentlich günstigeren Auslegung des Gesetzes. Darnach werden Ferienansprüche nur angerechnet, wenn sie aus dem Vorjahr stammen und mindestens vier Tage umfassen.
Diese vom eidgenössischen Versicherungsgericht als der obersten Instanz herausgearbeiteten Grundsätze müssen von allen anerkannten Kassen, nicht nur von den öffentlichen, angewendet werden.
Das eidgenössische Versicherungsgericht erstrebt mit seiner Praxis im Rahmen der erwähnten Gesetzesvorschriften einen möglichst gerechten Ausgleich der Interessen der Versicherten und der Versicherung. Dabei wird die Feriengestaltung in keiner Weise eingeschränkt, wenn die Versicherten ihre Ferien – wie dies im kantonalen Feriengesetz als Regel vorgesehen ist – während des Kalenderjahres beziehen, für welches dem Arbeitgeber die Pflicht zur Gewährung obliegt. Anderseits begründet ein Verdienstausfall an Arbeitstagen, für welche dem Versicherten Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber aus Dienstvertrag zustehen, nach Artikel 28 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung. Dieser Vorschrift wird dadurch Rechnung getragen, daß größere Ferienguthaben aus dem Vorjahr realisiert werden müssen, bevor Taggelder ausgerichtet werden. Es soll damit auch verhindert werden, daß im Falle einer vorübergehenden Arbeitslosigkeit für die nämliche Zeitspanne Feriengeld und Arbeitslosenentschädigung bezogen werden. Ein solches Vorgehen käme einem Mißbrauch einer Sozialinstitution gleich und liefe überdies dem Sinn und Zweck der Ferien zuwider.
[p. 892] Die vom eidgenössischen Versicherungsgericht vorgenommene Interessenabwägung wird den Verhältnissen im allgemeinen gerecht. Freilich ist nicht zu verkennen, daß sich im Baugewerbe wegen dessen besonderer Ferienregelung gewisse Härten ergeben.
Der Bauarbeiter erhält mit jedem Zahltag einen bestimmten Prozentsatz des Bruttolohnes in Form von Ferienmarken, deren Gegenwert ihm im Verhältnis zur geleisteten Arbeitszeit den Bezug von Ferientagen ermöglicht. Dieser Gegenwert, das Feriengeld, muß innert 18 Monaten bezogen werden, ansonst es der Ferienkasse verfällt. Die Anrechnung der im Vorjahr nicht bezogenen Ferien bei Arbeitslosigkeit hat zur Folge, daß der Bauarbeiter nicht mehr in gleicher Freiheit entscheiden kann, wann er seine Ferien beziehen will; wenn das Ferienmarkengeld aus dem Vorjahr mehr als drei Tagen entspricht, riskiert er, daß ihm diese Tage angerechnet werden, obwohl er nach der für das Baugewerbe geltenden Ferienordnung mit dem Bezug nicht an das Kalenderjahr gebunden ist. Dem eidgenössischen Versicherungsgericht sind diese Verhältnisse bekannt, doch hält es dafür, daß allfällige Härten vor den Vorteilen seiner Praxis zurücktreten müssen. Für die Arbeitslosenversicherungskasse sei ausschlaggebend, daß Arbeitslosenentschädigung lediglich für Verdienstausfall infolge Arbeitslosigkeit gewährt werden dürfe. Die den Kassen in dieser Hinsicht obliegende Kontrollpflicht sei aus praktischen Gründen zeitlich zu begrenzen; es könne deshalb nur auf das normale Bezugsjahr und nicht auf eine 18monatige Frist abgestellt werden. Das öffentliche Interesse, einen ungesetzlichen Doppelbezug zu verhindern, gehe dem privatrechtlichen Interesse des Versicherten an möglichst weitgehender Freiheit in der Feriengestaltung vor.
Trotz dem Gewicht dieser Überlegungen kann man sich fragen, ob nicht eine Regelung gefunden werden könnte, die den besondern Verhältnissen im Baugewerbe besser Rechnung trüge.
Eine solche neue Regelung ist jedoch nur auf dem Wege einer Praxisänderung des eidgenössischen Versicherungsgerichtes oder einer Revision der Bundesgesetzgebung möglich. Eine Beeinflussung der Rechtsprechung des eidgenössischen Versicherungsgerichtes durch den Regierungsrat ist ausgeschlossen. Allein schon der Grundsatz der Gewaltentrennung würde den Versuch einer derartigen Einflußnahme verbieten. [p. 893] Zudem handelt es sich beim Arbeitslosenversicherungsgesetz um Bundesrecht. Im Falle der Bauarbeiter ist überdies zu berücksichtigen, daß für diese Arbeitnehmerkategorie das kantonale Feriengesetz überhaupt nicht gilt. Dieses Gesetz ist nämlich dann nicht anzuwenden, wenn durch Gesamtarbeitsvertrag oder ähnliche kollektive Vereinbarung eine mindestens gleichwertige Ferienregelung besteht. Mit Verfügung vom 28. Januar 1953 hat die Volkswirtschaftsdirektion den Landesmantelvertrag für das Baugewerbe vom 9. Mai 1952 auf Begehren der beteiligten Verbände als gleichwertige Regelung anerkannt, womit das Feriengesetz gemäß dessen § 2, Absatz 2, ausgeschaltet wurde. Eine Ausnahme gilt nur für die Jugendlichen. Die Durchführung der Ferienregelung im Baugewerbe ist damit dem Einfluß des Regierungsrates entzogen.
Im Hinblick auf die grundsätzlichen Erwägungen, die den Entscheiden des eidgenössischen Versicherungsgerichtes zugrunde liegen, ist eine baldige Praxisänderung wenig wahrscheinlich. Die Volkswirtschaftsdirektion hat darum das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit ersucht, zu prüfen, ob den Begehren der Arbeitnehmer des Baugewerbes durch eine Revision der Bundesgesetzgebung, sei es eine Ergänzung der Verordnung oder eine Änderung des Gesetzes, Rechnung getragen werden könne.»
Der regierungsrätliche Sprecher gibt ergänzend bekannt, daß durch das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit in einem Schreiben mitgeteilt wurde, eine Revision der Verordnung zum Bundesgesetz über die Arbeitslosenversicherung werde angestrebt, wobei auch das Problem der Ferienregelung im Sinne einer Neuregelung Abklärung finde.
Haindl - Zürich dankt für die Antwort des Regierungsrates und erklärt sich davon befriedigt.