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Staatsarchiv des Kantons Zürich

Zentrale Serien seit 1803 online: Gesetzessammlung

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SignaturStAZH OS 10 (S. 45-48)
TitelVerordnung des Obergerichtes vom 14. Hornung 1854 betreffend das Verfahren in Prozessen über Entziehung der väterlichen Vormundschaft und über Bevogtigung Volljähriger.
Datum14.02.1854
P.45-48

[p. 45]

Das Obergericht des Kantons Zürich,

welches nach § 2 des Gesetzes vom 28. Christmonat 1853 betreffend die Einführung der §§ 1 bis 473 des privatrechtlichen Gesetzbuches ermächtigt worden ist, mit Hinsicht auf diejenigen Modifikationen des gerichtlichen Verfahrens, welche durch die §§ 283 und 327 des erwähnten Gesetzbuches nothwendig gemacht werden, provisorisch das Geeignete zu verfügen,

verordnet:

§ 1. Wenn von dem Bezirksrathe gegen Jemanden vorläufig auf Bevormundung wegen Verschwendung [p. 46] erkannt und dem provisorisch bestellten Vogte Prozeßvollmacht ertheilt worden ist, um den zu Bevormundenden auf gerichtlichem Wege als Verschwender erklären und verrufen zu lassen, so hat der Präsident des zuständigen Bezirksgerichtes nach Eingang des dießfälligen Beschlusses des Bezirksrathes entweder das in nachfolgenden Paragraphen bezeichnete Vorverfahren selbst durchzuführen oder ein Mitglied des Gerichtes als Referent zu bezeichnen und ihm den Bezirksräthlichen Beschluß nebst den demselben allfällig beigelegten Akten zuzustellen.

§ 2. Dem Gerichtspräsidenten, beziehungsweise dem Referenten liegt ob, ohne vorausgegangene gerichtliche Parteiverhandlung die Untersuchung zu führen. Zu diesem Ende hin wird er die Parteien vorbescheiden, und, jedoch ohne Zulassung von Anwälten, einvernehmen; behufs Feststellung der für den Entscheid erheblichen, jedoch bestrittenen Behauptungen die ihm nöthig oder wünschbar scheinenden Berichte von Behörden einziehen; auch Privatpersonen, von denen sich Aufschluß erwarten läßt, wie z. B. Nachbaren des Beklagten oder sonst mit den Verhältnissen Vertraute, abhören; erforderlichen Falls einen Schuldenausruf und überhaupt alles dasjenige, sei es auf oder ohne Antrag der Parteien, anordnen, was geeignet ist, Aufklärung in die Sache zu bringen. Beweisanerbieten der Parteien, welche ihm unerheblich scheinen, hat der Referent von sich aus von der Hand zu weisen, und unnöthige Weitläufigkeiten, Verzögerungen und Kosten möglichst zu vermeiden.

§ 3. Ueber die Verhandlungen und Verfügungen hat der Gerichtsschreiber oder ein Stellvertreter desselben ein den Akten beizulegendes Protokoll zu führen. [p. 47]

§ 4. Wenn eine Partei gegen eine Verfügung begründete Einsprache erheben zu können glaubt, so sind auf ihr Verlangen die Akten dem Gerichte vorzulegen, welches gestützt auf deren Inhalt ohne Parteiverhandlung durch Beschluß entscheidet, wogegen, vorbehältlich der nach Ausfüllung des Urtheils zulässigen Beschwerde vor der Appellationsinstanz, kein Rechtsmittel gestattet ist.

§ 5. Nach Durchführung der Untersuchung ordnet der Gerichtsvorstand ein mündliches Schlußverfahren vor Gericht an, bei welchem der als Verschwender Verklagte sich durch einen Anwalt vertreten lassen darf.

§ 6. Sollte hierauf das Gericht allfällig noch eine Vervollständigung der Akten für erforderlich erachten, so hat es in seinem Auftrage an das betreffende Gerichtsmitglied genau anzugeben, worin die noch vorzunehmende Ergänzung zu bestehen habe. Nach erfolgter Vervollständigung der Akten kann über das Ergebniß derselben, wenn es dem Gerichte erforderlich scheint, vor Ausfällung des Urtheils noch eine Verhandlung im Sinne von § 5 zugelassen werden.

§ 7. Wird gegen das von dem Bezirksgerichte ausgefällte Urtheil die Appellation ergriffen, so findet bei der Verhandlung vor Obergericht das gewöhnliche für Civilprozesse geltende Verfahren Statt, immerhin in der Meinung, daß dem Obergerichte frei steht, da, wo Verhältnisse, die nach seiner Ansicht erheblich sind, durch das erstinstanzliche Verfahren nicht ermittelt wurden, die nachträgliche Ermittlung derselben auch ohne Begehren der Parteien von Amtes wegen anzuordnen.

§ 8. Da, wo ein Vater die Frage zur gerichtlichen [p. 48] Entscheidung bringt, ob ihm die väterliche Vormundschaft über seine Kinder von dem Bezirksrathe mit Recht entzogen worden sei, findet das oben in §§ 1 bis 7 für Prozesse über Bevormundung wegen Verschwendung vorgeschriebene Verfahren ebenfalls analoge Anwendung.

§ 9. Gegenwärtige Verordnung, die mit Ende März dieses Jahres in Kraft tritt und durch welche die §§ 27, 28 und 29 der obergerichtlichen Verordnung vom 18. Mai 1853 aufgehoben werden, ist im Amtsblatte bekannt zu machen, sämmtlichen Bezirksgerichten mitzutheilen und dem von dem Obergerichte dem Großen Rathe zu erstattenden Jahresberichte beizulegen.