Selfhtml

Staatsarchiv des Kantons Zürich

Zentrale Serien seit 1803 online: Gesetzessammlung

https://www.zh.ch/staatsarchiv



SignaturStAZH OS 21 (S. 409-619)
TitelPrivatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich.
Datum04.09.1887
P.409-619

[Titelblatt, S. 409-410]

[Inhaltsverzeichnis, S. 411-416]

[p. 417]

Einleitung.

Von der Anwendung des Rechtes.

Paragraph 1. Das zürcherische Privatrecht gilt zunächst und nur für alle Personen, Einheimische und Fremde, die im Kanton Zürich wohnen oder sich aufhalten oder darin ihr Recht suchen, und für alle Privatverhältnisse, welche im Lande wirksam werden, soweit nicht die eigenthümliche Natur des besonderen Rechtsverhältnisses entweder die Anwendung eines fremden Rechtes auf hiesigem Gebiete oder die Ausdehnung des hiesigen Rechtes auf fremdes Gebiet erfordert.

2. Für Rechte an Liegenschaften gilt das Recht des Landes, in dessen Gebiet die Liegenschaften gelegen sind. Auch bei der Beurtheilung der Rechte an beweglichen Sachen ist die jeweilige Lage der Sache und die natürliche Beziehung derselben zu den verschiedenen Orts- und Landesrechten zu beachten.

3. Das Recht des Heimatortes gilt für die Familienverhältnisse (z. B. eheliche Vormundschaft und Güterrecht der Ehegatten, väterliche und obrigkeitliche Vormundschaft) der Kantonsbürger.

Die Familienverhältnisse von Kantonsfremden, welche im Kanton wohnen, werden insofern nach dem Rechte ihrer Heimat beurtheilt, als das Recht des Staates, dem sie angehören, solches vorschreibt.

4. Für die Beerbung gilt das Recht des Heimatortes des Erblassers.

Die Beerbung von Kantonsfremden, welche im Kanton gewohnt haben, wird insofern nach dem Rechte ihrer Heimat beurtheilt, als das Recht des Staates, dem sie angehören, solches vorschreibt. [p. 418]

Eine Ausnahme macht die besondere Folge in liegende Stiftungsgüter.

5. Die äussere Form eines Rechtsgeschäftes oder einer Rechtshandlung wird in der Regel nach dem Rechte des Ortes bestimmt, wo das Rechtsgeschäft abgeschlossen oder die Rechtshandlung vorgenommen worden ist. Im Interesse des Bestandes eines Rechtsgeschäftes kann indessen eine im Ausland vorgenommene Handlung als gültig anerkannt werden, auch wenn zwar nicht den dortigen Rechtsformen, wohl aber den hierorts für solche Geschäfte vorgeschriebenen formellen Erfordernissen ein Genüge geschehen ist.

Vorbehalten bleibt die Ungültigkeit derjenigen Handlungen, welche zur Umgehung der hier nothwendigen Rechtsformen ausserhalb des Kantons, wenn auch in einer auswärts genügenden Form, vorgenommen worden oder für welche aus öffentlichen Rücksichten, damit sie im Kanton wirksam werden, bindende Vorschriften erlassen worden sind (z. B. Pfandrechte an Fahrniss, Leibdingsverträge).

6. Vorbehalten bleiben für alle obigen Regeln:

a) Die Bestimmungen der Staatsverträge;

b) die Vorschriften des eidgenössischen Rechtes;

c) besondere Bestimmungen kantonaler Gesetze;

d) abweichende ausdrückliche oder aus schlüssigen Thatsachen hervorgehende Bestimmungen der Vertragspersonen oder des Verfügenden, insoweit nicht bindende gesetzliche Vorschriften dadurch verletzt werden. [p. 419]

Erstes Buch.

Personenrecht.

Erster Abschnitt.

Von den einzelnen Menschen.

7. Jeder Mensch ist in der Regel alles Privatrechtes fähig. Kein Mensch ist rechtlos.

8. Die Persönlichkeit (Rechtsfähigkeit) des Menschen beginnt mit seiner Geburt und endigt mit seinem Tode.

9. Das Kind im Mutterleibe hat unter der Voraussetzung, dass es lebendig geboren werde, die Anwartschaft auf Persönlichkeit und Erwerb von Privatrechten, und ist dabei von Rechtes wegen vorläufig zu schützen.

10. Die Mündigkeit des Kindes beginnt mit dem zurückgelegten sechszehnten Altersjahre.

11. Ein Abwesender, dessen Schicksal nicht ausgemittelt werden kann, wird von dem Tage an, auf welchen sich die letzte sichere Kunde von seinem Leben bezieht, noch fünfzehn Jahre lang als lebend vermuthet.

12. Ausgenommen sind:

a) Diejenigen Fälle, in welchen zwar der Beweis des Todes des Abwesenden unmöglich, aber eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit des Todes aus den Umständen gerichtlich nachgewiesen ist;

b) der Fall, wenn der Abwesende, insofern er noch lebte, ein Alter von achtzig Jahren bereits überschritten hätte. [p. 420]

In diesen Fällen wird die Vermuthung für das Leben aufgehoben durch die nachgewiesene Wahrscheinlichkeit des Todes oder durch den Beweis eines Alters von mehr als achtzig Jahren, und ist der Abwesende als verschollen zu betrachten.

13. Nach Ablauf von fünfzehn Jahren gilt, auch abgesehen von den Voraussetzungen des § 12, keinerlei Vermuthung mehr für das Leben, und es wird der Abwesende nunmehr als verschollen angesehen.

14. Wenn von dem Zeitpunkte an gerechnet, in welchem nach §§ 12 und 13 die Vermuthung für das Leben erloschen ist, weitere fünfzehn Jahre verflossen sind, ohne dass man von dem Leben des Verschollenen seither eine sichere Kunde erhalten hat, so wird von da an die Vermuthung seines Todes begründet und die Todeserklärung über den Verschollenen ausgesprochen.

15. Die Todeserklärung bezeichnet genau den Tag, von welchem an der Verschollene als todt zu vermuthen ist.

16. Die Vermuthung für das Leben (§ 11) wird, abgesehen von den in § 12 bezeichneten Ausnahmen, durch den Beweis des Todes in einem früheren, die Vermuthung für den Tod (§ 14) durch den Beweis des Todes in einem anderen, oder des Lebens in einem späteren Zeitpunkte zerstört.

Zweiter Abschnitt.

Von den privatrechtlichen Korporationen.

17. Für diejenigen privatrechtlichen Korporationen und Genossenschaften, welche nicht unter die Titel XXVI und XXVII, Art. 612 bis 715 des Schweizerischen Obligationenrechtes fallen, und für diejenigen Vereine zu idealen Zwecken, welche sich nicht gemäss Art. 716 daselbst in das Handelsregister haben eintragen lassen, sind unter Vorbehalt der bindenden Vorschriften der §§ 30, 31, 34 und 35 die Korporations- oder Vereinsstatuten maassgebend. Soweit aber [p. 421] die Statuten keine abweichenden Bestimmungen enthalten, gelten die Vorschriften der nachfolgenden §§ 18 bis 29, 32, 33, 36 bis 39.

18. Solche Korporationen und Vereine bedürfen zu ihrer Entstehung lediglich der in den Statuten festzustellenden Uebereinkunft mehrerer Mitglieder und erlangen dadurch ohne weiteres das Recht der Persönlichkeit.

19. Genossenschaften, welche durch besondere Gesetze vorgesehen und mit Zwangsrechten ausgerüstet sind, wie z. B. Bewässerungs- und Entwässerungs-, Flur- und Garantiegenossenschaften, erhalten die juristische Persönlichkeit mit ihrer Entstehung nach Maassgabe der betreffenden Gesetze.

20. Diejenigen aus der ursprünglichen Gemeindeverbindung hervorgegangenen Korporationen der Gerechtigkeitsbesitzer, bei welchen die gänzliche Ausscheidung ihrer Güter von dem Gemeindegut stattgefunden hat, stehen mit Ausnahme der forstgesetzlichen Bestimmungen über Korporationswaldungen den übrigen privatrechtlichen Korporationen gleich.

21. In der Versammlung derjenigen Korporationen, welche eine Einheit ohne Theilrechte (eine juristische Person im engeren Sinne) bilden, haben alle männlichen Korporationsglieder, welche eigenen Rechtes und nicht in ihren bürgerlichen Ehren zurückgesetzt sind, Sitz und Stimme. Das Stimmrecht wird von den Mitgliedern persönlich, nicht durch Stellvertreter ausgeübt.

22. Wenn dagegen die einzelnen Glieder einer Korporation Theilrechte besitzen an dem Korporationsvermögen (Gerechtigkeiten), so ist in der Versammlung der Mitglieder nicht nach Personen, sondern nach Theilrechten zu stimmen.

23. Jeder männliche Inhaber eines Theilrechtes, welcher eigenen Rechtes ist, kann in der Versammlung persönlich erscheinen und sein Theilrecht vertreten. Ausserdem kann jeder Berechtigte sich in der Versammlung vertreten lassen.

24. Als Stellvertreter ist Jeder zulässig, welcher eigenen Rechtes und in der bürgerlichen Ehre nicht herabgesetzt ist, auch wenn er nicht Mitglied der betreffenden Korporation ist. Ueber seine Vollmacht hat er sich auszuweisen. [p. 422]

25. Jedem vollen Theilrechte steht eine ganze Stimme zu, Bruchtheile eines Theilrechtes haben ein ihrer Bruchzahl entsprechendes Stimmrecht.

26. Niemand darf bei der Abstimmung in der Versammlung der Mitglieder mehr als einen Drittel sämmtlicher Theilrechte repräsentiren.

27. Ueber die Bedingungen zur Aufnahme neuer Mitglieder der Korporation und den Austritt aus derselben entscheiden die Korporationsstatuten.

Sind Theilrechte vorhanden, so sind dieselben veräusserlich und vererblich.

28. Der Vorstand oder der Präsident und die Mitglieder der Vorsteherschaft werden von der Versammlung der Korporation aus den stimmberechtigten Mitgliedern derselben gewählt.

29. Bei Wahlen sowohl als bei Beschlüssen entscheidet die einfache Mehrheit der in der Versammlung anwesenden Korporationsglieder oder, wo Theilrechte bestehen, die Mehrheit der in der Versammlung repräsentirten Theilrechte.

30. Wohlerworbene Rechte einzelner Korporationsglieder dürfen denselben nicht willkürlich durch Mehrheitsbeschlüsse entzogen oder geschmälert werden.

31. Wahlen und Beschlüsse, welche, auch ohne unter die Bestimmung des § 30 zu gehören, über den Bereich des Korporationszweckes hinausgehen, oder denselben wesentlich gefährden, oder in gesetz- oder statutenwidriger Form geschehen, können von der Minderheit angefochten werden. Eine derartige Anfechtung ist innerhalb Monatsfrist bei dem zuständigen Friedensrichteramte, beziehungsweise dem Schiedsgerichte einzuleiten.

32. Jedes Mitglied einer Korporation mit oder ohne Theilrechte kann aus der Verbindung austreten, wenn es seine Verpflichtungen an dieselbe gehörig erfüllt hat.

33. Die einzelnen Mitglieder einer Korporation sind nicht berechtigt, reale Theilung des Korporationsgutes zu fordern, noch wenn sie Theilrechte besitzen, Ausscheidung ihres Antheiles. [p. 423]

34. Wenn die Mehrheit einer Korporation deren Auflösung beschliesst, so ist die Minderheit, falls durch diesen Beschluss ihre eigenen oder öffentliche Interessen verletzt werden, berechtigt, denselben nach § 31 anzufechten.

35. Der Regierungsrath ist berechtigt, gegenüber einer entarteten oder den Kredit oder andere öffentliche Interessen gefährdenden Korporation reformirend einzuwirken.

Ueberdies kann der Kantonsrath solche Korporationen auflösen, sofern sie unerlaubte oder unsittliche oder gemeinschädliche Zwecke verfolgen.

Es ist jedoch vorher der Korporation Gelegenheit zu geben, sich zu vertheidigen, und es ist der Aufhebungsbeschluss zu begründen.

36. Wird eine Korporation aufgelöst, in welcher die einzelnen Mitglieder Theilrechte besessen haben, so wird das gesammte Vermögen unter dieselben nach Maassgabe ihrer Theilrechte vertheilt.

37. Bildete die aufgelöste Verbindung dagegen eine Korporation ohne Theilrechte, und sind keine gültigen Bestimmungen über die Nachfolge in ihr Vermögen getroffen worden, so fällt das Korporationsgut, wenn die Korporation für einen Gemeindezweck gegründet war oder vorzugsweise dem Interesse der Bürger oder Einwohner einer bestimmten Gemeinde diente, der betreffenden Gemeinde, wenn sie einen andern öffentlichen Zweck hatte, dem Staate, in andern Fällen endlich den letzten Mitgliedern zur Vertheilung unter sich, je nach ihrer Anzahl, anheim.

38. Fällt ein Korporationsgut nach § 37 der Gemeinde oder dem Staate anheim, so soll dasselbe denjenigen Gütern einverleibt werden, deren Bestimmung der früheren Benutzung des Korporationsgutes am nächsten verwandt ist.

Insbesondere fallen die Korporationsgüter, welche die Unterstützung von Armen oder Kranken einer Gemeinde, oder einer Klasse von Einwohnern einer Gemeinde oder Angehörigen einer Anstalt in der Gemeinde bezwecken, dem Armengute (den Armenanstalten) der betreffenden Gemeinde, diejenigen aber, welche die Unterstützung von weiteren Kreisen der Bewohner oder von Kantonsanstalten bezwecken, dem entsprechenden Gute (Anstalt) des Staates zu. [p. 424]

39. Eine Korporation, über deren Vermögen das Konkursverfahren vollzogen wird, geht dadurch unter.

Dritter Abschnitt.

Von den Stiftungen.

40. Zu Stiftungen, durch welche eine dauernde Anstalt begründet, oder einem Vermögen ein besonderes Dasein zu bestimmtem Zwecke über den Tod des Stifters hinaus verschafft werden soll, sind nur mündige und willensfähige Personen berechtigt. Ehefrauen und Kinder, welche unter der väterlichen Vormundschaft stehen, bedürfen überdies der Zustimmung des Ehemannes oder Vaters, unter öffentlicher Vormundschaft stehende Personen der Zustimmung der Obervormundschaft.

Auch von einer juristischen Person kann eine Stiftung errichtet werden.

41. Stiftungen, welche schon bei Lebzeiten des Stifters in Wirksamkeit treten sollen, oder von juristischen Personen errichtet werden, bedürfen zu ihrer Gültigkeit:

a) der notarialischen Beurkundung des Stiftungsaktes;

b) der Ausstattung mit einem abgesonderten Stiftungsgute;

c) der Mittheilung an die Oberaufsichtsbehörde (§ 44).

42. Eine Stiftung, welche erst nach dem Tode des Stifters ins Leben treten soll, kann nur durch ein öffentliches Testament des Stifters und Anweisung eines Stiftungsfondes begründet werden. Dabei bleibt das Recht der Erben vorbehalten, eine derartige Stiftung wegen Verletzung des Pflichttheiles anzufechten.

43. Bei der Gründung der Stiftung ist sowohl das Wesen und der Zweck derselben zu bezeichnen, als anzugeben, in welcher Weise für die Verwaltung des Stiftungsvermögens und die Stellvertretung der Stiftung zu sorgen sei.

44. Die Stiftungen stehen zunächst unter der Oberaufsicht der Gemeinde, zu welcher sie gehören. Stehen sie in keiner Beziehung zu einer besonderen Gemeinde, so stehen sie unter der unmittelbaren Oberaufsicht der betreffenden Staatsbehörde. [p. 425]

45. Die Stiftungsstatuten dürfen nur unter der Voraussetzung abgeändert werden:

a) dass die zur Verwaltung des Stiftungsvermögens oder zur Stellvertretung der Stiftung berechtigten Personen in ihrer Versammlung mit Mehrheit eine Abänderung beschliessen;

b) dass die zur Ausübung der Oberaufsicht befugte Stelle oder Behörde, bei den Stiftungen, welche unmittelbar unter der Oberaufsicht des Staates stehen, der Regierungsrath die Zustimmung ertheilt;

c) dass durch die Abänderung dem Geiste der Stiftung nicht zuwider gehandelt wird.

Der Minderheit ist gestattet, mit Rücksicht auf das dritte Erforderniss innerhalb Jahresfrist seit Erlassung des Beschlusses gerichtliche Klage gegen die Mehrheit zu erheben und Nichtigerklärung desselben zu beantragen. Ueberdies steht es, insofern durch die Abänderung wohlerworbene Rechte Einzelner verletzt werden sollten, den Berechtigten zu, diese Rechte vor Gericht zu schützen.

46. Wird die Portdauer der Stiftung unzulässig oder unmöglich, so fällt, insofern nicht in den Statuten etwas anderes bestimmt ist, das Stiftungsvermögen, wenn die Stiftung zunächst unter der Oberaufsicht einer Gemeinde stand, dieser, wenn dieselbe unter der unmittelbaren Oberaufsicht des Staates stand, dem Staate zu.

Es soll jedoch das Stiftungsvermögen denjenigen besonderen Gütern einverleibt werden, deren Bestimmung die grösste Verwandtschaft hat mit dem Zwecke der Stiftung.

47. Die Auflösung einer Stiftung bedarf ausser den in § 45 genannten Erfordernissen in allen Fällen noch der Genehmigung des Kantonsrathes. [p. 426]

Zweites Buch.

Sachenrecht.

Erster Abschnitt.

Von den Sachen.

A. Liegenschaften.

48. Die Grundstücke, ferner alle auf einem Grundstücke errichteten und mit demselben dauernd verbundenen Gebäude und Wasserwerke sind Liegenschaften.

Blosse, vorübergehend hingestellte Buden (Marktstände, Schilderhäuser u. drgl.), sowie das zu einem Gebäude bestimmte, aber noch nicht oder nicht mehr damit verbundene Material sind als bewegliches Gut zu behandeln.

49. Sämmtliche Theile einer unbeweglichen Sache sind in allen Beziehungen als unbewegliche Sachen zu behandeln.

Als Theile einer unbeweglichen Sache erscheinen:

a) alle diejenigen Gegenstände, welche in einem natürlichen Zusammenhange mit der Erdoberfläche stehen, also:

die unter der Erdoberfläche befindliche Erde, die Felsen, Steine, Fossilien (Erze, Kohlen), Quellen, dagegen nicht ein vergrabener Schatz;

die in dem Boden wurzelnden Kräuter, Sträucher, Bäume sammt den daran hängenden Früchten bis zu ihrer Trennung vom Boden, beziehungsweise von der fruchttragenden Pflanze;

b) alle durch Menschenhand mit dem Boden in eine ihrer Bestimmung nach dauernde Verbindung gebrachten Gegenstände, so: [p. 427]

die im Boden stehenden Mauern und Einfriedigungen; alles, was in einem Gebäude nut- und nagelfest ist, die in die Wand eingelassenen Schränke, Spiegel, Bilder;

die in den Boden eingelassenen oder mit einer Feuermauer in Verbindung gebrachten Oefen oder Herde;

die mit dem Gebäude baulich verbundenen Einrichtungen, wie Triebwerke (Wasserräder, Turbinen, Transmissionen, Dampfmaschinen), Aufzüge, Läutwerke, Kessel, Ventilatoren, Röhrenleitungen, Hammer-, Trottwerke u. drgl.).

50. Als Zubehörde von Liegenschaften werden behandelt:

die ihrer Natur nach für die betreffende Liegenschaft bestimmten und nur für den Besitzer der letzteren ganz oder annähernd in ihrem wahren Werthe zur Geltung kommenden Gegenstände, insbesondere:

die zu einem Gebäude oder einer Einfriedigung gehörenden Schlüssel;

die über die Liegenschaft aufgenommenen Pläne und Urkunden;

die im Boden stehenden Rebstickel, Stützpfähle für Pflanzen u. drgl.;

Vorfenster, Fensterladen, Stören, Vorhangstangen, Gasleuchter, Fasslager u. drgl.;

der auf einem landwirthschaftlichen Gute erzeugte und daselbst vorhandene Dünger;

bei einer zum Betriebe eines Gewerbes oder einer Fabrikation dienenden Liegenschaft (Fabrik, Mühle, Säge, Stampfe, Trotte, Käserei, Werkstatt u. drgl.) die eigens für dieselbe konstruirten oder ihrer besonderen Einrichtung angepassten oder sonst zur dauernden Benutzung für dieselbe bestimmten Vorrichtungen, wie Spinnstühle nebst Spindeln und Spuhlen, mechanische Webstühle, Stickmaschinen, Mahlgänge u. drgl.

51. Diese Gegenstände erhalten die Eigenschaft einer Zubehörde erst dann, wenn sie sich auf, an oder in der betreffenden Liegenschaft befinden, und verlieren sie, sobald sie [p. 428] der Verwendung für dieselbe rechtlich oder faktisch auf die Dauer entzogen werden.

52. Ferner können als Zubehörden folgende Sachen behandelt werden:

das auf dem Gute gewachsene Heu und Stroh;

Löschgeräthschaften;

Obstmühlen, Most- und Weinpressen, Winden- und Scheunenseile;

die Vorräthe von Ziegeln, Brettern, Stickeln u. drgl., welche zur Verwendung auf der Liegenschaft bestimmt sind;

bewegliche Oefen, Kästen, Gestelle;

die zum Betriebe einer Fabrik, Mühle, Säge, Stampfe, Trotte, Käserei, Werkstatt u. drgl. dienenden Geräthschaften und Werkzeuge;

die zum Betriebe eines Gasthofes dienenden Möbeln.

53. Als Zubehörde können dagegen nicht behandelt werden:

Gegenstände, welche nicht der Liegenschaft, sondern nur dem persönlichen Gebrauche eines Besitzers derselben dienen oder zum Veräussern, Vermiethen u. s. w. bestimmt sind;

insbesondere zum Verbrauche bestimmte Sachen, wie Vorräthe von zu verarbeitenden Rohstoffen oder Lebensmitteln.

54. Die in § 50 aufgezählten Zubehörden gelten von selbst und ohne besondere Vertragsbestimmung oder Aufzählung als mit der Hauptsache veräussert oder verpfändet.

Sie können nicht auf dem Wege der Mobiliarexekution gerichtlich gepfändet werden.

Sollen sie von dem rechtlichen Schicksale der Hauptsache getrennt werden, so müssen sie demgemäss entweder ihrer in § 50 angeführten Bestimmung auf die Dauer entzogen oder ausdrücklich vorbehalten werden.

55. Die in § 52 aufgezählten Zubehörden dagegen gelten nur dann als mit der Hauptsache veräussert oder verpfändet, wenn:

a) dies von den Parteien ausdrücklich und in den für die Veräusserung und Verpfändung unbeweglicher Sachen vorgeschriebenen Formen bestimmt worden ist; ferner [p. 429]

b) die einzelnen Sachen aufgezählt und so bezeichnet sind, dass ihre Identität zweifellos ist, und

c) das Vorhandensein dieser Sachen auf, in oder an der Hauptsache durch den Gemeindammann des Ortes der gelegenen Sache oder den Notar bezeugt ist.

56. Alle Zubehörden können auf dem Wege des Immobiliarpfandrechtes nur in Verbindung mit der Hauptsache verpfändet werden.

Eine Verpfändung derselben ohne Mitverpfändung der Hauptsache kann gemäss dem Schweizerischen Obligationenrechte nur auf dem Wege des Faustpfandes oder, im Falle des § 52, des gerichtlichen Pfandrechtes stattfinden.

57. Das Immobiliarpfandrecht geht ohne besondere Bestellung von einer abgehenden Zubehörde auf die an ihrer Stelle angeschaffte von gleicher Art über.

B. Bewegliche Sachen.

58. Unter dem Ausdrucke «bewegliches Gut» werden in der Regel nicht bloss alle beweglichen Sachen im eigentlichen Sinne des Wortes verstanden, sondern auch das ganze dem Verkehre anheimfallende, in Rechten (Forderungen und Schulden) bestehende Vermögen, mit Ausnahme des Eigenthums an Liegenschaften und deren Zubehörde und anderer selbständiger aktiv oder passiv mit Grundstücken verbundener Rechte, sowie der Wasserrechte.

Der Ausdruck «Fahrhabe» umfasst in der Regel alle beweglichen körperlichen Sachen mit Ausnahme des Geldes und der Werthschriften.

59. Der Ausdruck «Möbeln» begreift in der Regel die zur Benutzung oder zum Schmucke eines Wohngemaches oder Zimmers dienenden Gegenstände, wie Betten, Sophas, Stühle, Tische, Schränke, Gemälde, Spiegel, Uhren u. drgl.;

das Wort «Hausrath» umfasst in der Regel ausser den Möbeln auch noch die zum Dienste des Haushaltes bestimmten Sachen, als Küchen- und Speisegeräthschaften u. drgl.;

das Wort «Werkzeug», «Schiff und Geschirr» in der Regel alle Vorrichtungen und Instrumente, welche zur Betreibung eines Berufes dienen. [p. 430]

C. Sachen in und ausser dem Verkehr.

60. Dem Privatrechte entzogen sind:

a) was von Natur der besonderen Herrschaft der einzelnen Menschen entrückt ist, wie z. . die Luft:

b) die öffentlichen dem gemeinen Gebrauche dienenden Sachen, als Seen, Flüsse, Strassen, Brücken, Plätze u. drgl., so lange sie dem öffentlichen Gebrauche überlassen sind.

61. An den einzelnen Theilen der öffentlichen Sachen können indessen Privatrechte bestellt und erworben werden, z. B. Wasserrechte.

62. Die herrenlosen Sachen, wie z. B. das Wild im Walde, die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft, sind in Niemandes Eigenthum, auch nicht des Staates, aber fähig, in das Privateigenthum überzugehen.

Zweiter Abschnitt.

Von dem Besitze.

A. Erwerb des Besitzes.

63. Der Erwerb des Besitzes geschieht im Falle der Uebergabe beweglicher Sachen nach Maassgabe der Art. 200 u. ff. des Schweizerischen Obligationenrechtes; für die übrigen Fälle des Besitzerwerbes sind die folgenden Bestimmungen maassgebend.

64. Zu dem Besitzerwerbe gehört in der Regel zweierlei:

a) die Aeusserung körperlicher Macht über die Sache, an welcher Besitz ergriffen wird;

b) der Wille, diese Macht im eigenen Interesse zu üben.

65. Die Aeusserung körperlicher Macht über die Sache setzt nicht nothwendig körperliche Berührung derselben voraus, wohl aber die geoffenbarte Möglichkeit, auf die Sache unmittelbar einzuwirken.

Sie ist auch dann vorhanden, wenn die Sache in die Wohnung oder das Magazin des Erwerbers gelangt ist, selbst wenn dieser weder persönlich noch durch einen Stellvertreter zugegen war. [p. 431]

66. Wer den Niessbrauch an einer Sache innehat, der Faustpfandgläubiger und andere Personen, welche ihren Besitz zwar regelmässig von dem Eigenthümer ableiten, aber ein selbständiges Interesse daran haben, wie der Pächter eines Grundstückes, der Miether einer Sache u. s. f., haben zwar keinen Eigenthums-, wohl aber Niessbrauch-, Pfand-, Pacht-, Miethebesitz und werden in demselben insoweit geschützt, als die Natur des Rechtsverhältnisses reicht, welches sie durch diesen Besitz ausüben.

67. Der Besitz kann auch durch Stellvertreter erworben werden, welche aus Auftrag oder mit Vollmacht für einen Anderen Besitz ergreifen. Handelt ein Geschäftsführer ohne Auftrag, so erwirbt der Vertretene den Besitz durch dessen Vermittlung erst, wenn er die Besitzergreifung desselben genehmigt.

68. Der Besitz eines Grundstückes oder einer Wohnung zieht in der Regel den Besitz der beweglichen Sachen nach sich, welche in den Bereich des Grundstückes oder der Wohnung kommen und um dessen willen in die Macht des Besitzers dieser Liegenschaften gerathen.

69. Der gesetzliche Erbe setzt den Besitz des Erblassers unmittelbar nach dem Tode desselben in der Weise fort, wie ihn der Erblasser gehabt hat.

Wenn der Testaments- oder der Vertragserbe infolge seines Erbantrittes den Besitz erwirbt, so wird angenommnn, auch er setze den Besitz des Erblassers fort.

70. Wird der Besitz durch widerrechtliche Gewalt oder Arglist oder Missbrauch des Vertrauens ergriffen, so ist er als fehlerhafter und bösgläubiger Besitz zu behandeln.

71. Der rechtmässige Besitz setzt nicht allein fehlerfreie Besitzergreifung (§ 70), sondern überdies einen auf Besitzerwerb gerichteten und dafür tauglichen Rechtsgrund voraus, z. B. Kauf, Geschenk, Erbrecht.

72. Auch wer einen gültigen Rechtsgrund (Titel) zur Besitzergreifung hat, darf dieselbe in der Regel nicht gewaltsam selber vollziehen, wenn der gegenwärtige Besitzer der Sache die Besitzergreifung streitig macht, sondern bedarf dazu der richterlichen Hülfe. [p. 432]

73. Der gutgläubige Besitz setzt voraus, dass der Besitzer die Besitzergreifung nicht als eine unrechtmässige gekannt habe.

74. Wer schon zur Zeit der Besitzergreifung auch bei gewöhnlicher Aufmerksamkeit Ursache hatte, an der Gültigkeit seines Titels zu zweifeln, wird, insofern er sich den unrechtmässigen Besitz ohne weitere Prüfung angeeignet, nicht als ein gutgläubiger Besitzer behandelt.

75. Dagegen hört der gutgläubig erworbene Besitz nicht auf, als gutgläubiger Besitz zu gelten, wenn erst nachher bei dem Besitzer Zweifel an der Rechtmässigkeit des Besitzes entstehen, wohl aber, wenn der Besitzer anfängt zu wissen, dass er die Sache mit Unrecht dem Berechtigten vorenthalte.

76. Im Zweifel ist die Vermuthung für den guten Glauben, nicht aber ebenso für die Rechtmässigkeit des Besitzes.

B. Wirkungen des Besitzes.

77. Jeder Besitzer ist, ohne Rücksicht auf den guten Glauben oder die Rechtmässigkeit des Besitzes, berechtigt, seinen Besitz gegen unbefugte Gewalt oder eine Beeinträchtigung welche ein Vergehen begründet, zu vertheidigen und dafür auch gerichtlichen Schutz zu begehren.

78. Ist es streitig, welche Partei als gegenwärtiger Besitzer zu betrachten sei, so wird vorläufig derjenigen der Vorzug gegeben, welche zur Zeit den reellen Besitz hat, wenn nicht vorliegt, dass sie auf widerrechtliche Weise die Gegenpartei aus dem Besitze verdrängt habe.

79. Der gutgläubige Besitzer hat überdies ein Recht auf gerichtlichen Schutz gegen jede eigenmächtige, wenn auch nur theilweise Störung seines Besitzes, selbst wenn darin kein Vergehen liegt.

80. Der Beklagte kann infolge der Beschwerde des Klägers zum Schadenersatz und, wenn weitere Störungen zu befürchten sind, zur Kautionsstellung angehalten werden.

81. Ist der gutgläubige Besitzer auf widerrechtliche Weise (durch Gewalt oder List oder Missbrauch einer Vergünstigung) aus dem Besitze verdrängt worden, so ist er be- [p. 433] rechtigt, demjenigen, welcher ihn verdrängt hat, und dessen Erben gegenüber Wiederherstellung des Besitzes und Schadenersatz zu verlangen.

82. Diese Klage steht dem Besitzer auch unter der Voraussetzung zu, dass der Beklagte, welcher ihn verdrängt hat, ein besseres Recht auf den Besitz habe. Dem letzteren bleibt es aber unbenommen, sein besseres Recht auf dem gewohnten Wege Rechtens geltend zu machen.

83. Die Klage auf Wiederherstellung wird auch gegen den dritten Besitzer der Sache gegeben, welcher den Kläger nicht verdrängt hat, wenn derselbe zur Zeit, als er den Besitz, wenn auch in fehlerfreier Form erworben, davon Kenntniss hatte, dass die Sache dem Besitze des Klägers auf widerrechtliche Weise entzogen worden sei.

84. Die bisher genannten Besitzesklagen zur Verteidigung oder Wiederherstellung des Besitzes sind innerhalb sechs Monaten seit der Störung oder dem Entzuge des Besitzes anhängig zu machen und werden in der Regel in Form des Befehlsverfahrens erledigt. Nach Ablauf dieser Frist werden sie nur insoweit gestattet, als der Beklagte aus dem begangenen Unrechte bereichert worden ist, und sind dannzumal auf dem gewohnten Wege Rechtens geltend zu machen.

85. Der gutgläubige Besitzer ist nicht verpflichtet, dem Eigenthümer oder wer sonst ein besseres Recht an der Sache hat, für die Früchte, welche er infolge seines gutgläubigen Besitzes bezogen und genossen hat, Ersatz zu leisten, noch selbst die vorhandenen, aber bereits abgetrennten Früchte herauszugeben.

Ausnahmsweise ist das Gericht in Fällen ungehöriger Bereicherung des Beklagten ermächtigt, denselben zur Herausgabe der vorhandenen oder zum Ersatz der genossenen Früchte anzuhalten.

86. Wird eine Entwehrungsklage (Eviktionsklage) gegen den gutgläubigen Besitzer erhoben, so muss derselbe, insofern die Klage begründet erfunden wird, diejenigen Früchte, welche er, seitdem ihm die Klage mitgetheilt wurde, bezogen hat oder den Verhältnissen gemäss hätte beziehen sollen, her- [p. 434] ausgeben, wenn sie vorhanden sind, und Ersatz dafür leisten, wenn sie verbraucht worden sind.

87. Hat der gutgläubige Besitzer Auslagen auf die Sache verwendet, so braucht er dieselbe nicht anders herauszugeben, als gegen vollen Ersatz der nothwendigen und gegen Ersatz der nützlichen Auslagen, so weit der Nutzen noch fortwirkt.

88. Für bloss verschönernde Auslagen hat er keinen Anspruch auf Ersatz, kann aber die Verschönerung wegnehmen, wenn solches ohne Schädigung der Hauptsache möglich ist und nicht der Berechtigte vorzieht, die Verschönerung in billigem Maasse zu ersetzen.

89. Verwendungen auf die Sache, welche zum gewöhnlichen guten Wirthschaftsbetriebe gehören, werden auch dem gutgläubigen Besitzer nicht ersetzt, ebenso wenig wie die Verwendungen auf die Früchte, welche demselben verbleiben.

Ausnahmsweise kann der Eigenthümer, insofern er zum Schaden des gutgläubigen Besitzers ungehörig bereichert würde, zum Ersatze der Kulturkosten oder anderer Verwendungen der Art angehalten werden.

90. Der bösgläubige Besitzer haftet auch für alle bezogenen, gleichviel ob noch vorhandenen oder konsumirten, sowie für diejenigen Früchte, welche der Berechtigte hätte beziehen können, wenn ihm nicht durch den bösgläubigen Besitzer der Genuss seiner Sache entzogen gewesen wäre.

91. Auslagen kann der bösgläubige Besitzer insoweit in Abrechnung bringen, als dieselben nothwendige sind. Bloss nützliche oder verschönernde Verwendungen kann er, wenn der Berechtigte es nicht vorzieht, dieselben gegen billige Entschädigung ihres noch vorhandenen Werthes zurückzubehalten, wegnehmen, soweit das ohne Schädigung der Sache möglich ist.

92. Der gutgläubige und zugleich rechtmässige Besitzer hat, insofern das seinem Besitze entsprechende Recht durch eine dingliche Klage geschützt wird, eine dieser nachgebildete dingliche Besitzrechtsklage gegen Jeden, welcher ihm ohne Recht den Besitz beeinträchtigt oder stört, oder ihm die Sache selbst vorenthält. [p. 435]

93. Hat der Beklagte ein gleiches oder besseres Besitzrecht an der Sache, so ist die Klage ihm gegenüber insoweit unwirksam, als nicht hinwieder der Kläger besondere (dingliche oder vertragsmässige) Beschränkungen jenes gleichen oder bessern Besitzrechtes herzustellen vermag.

94. Diese Klage dient auch zum Schutze des ideellen Besitzrechtes, z. B. des Erben (§ 69) und nicht bloss bei Störungen des reellen Besitzrechtes.

95. Die Besitzrechtsklage unterliegt denselben Beschränkungen wie die Klage für das entsprechende Recht selbst.

C. Verlust des Besitzes.

96. Der Besitz wird in der Regel verloren, wenn entweder die Möglichkeit der Aeusserung körperlicher Macht über die Sache oder der Wille, diese Macht in eigenem Interesse zu üben, aufhört.

97. Insbesondere tritt der erstere Fall ein, wenn die besessene Sache selbst untergeht oder dauernd verloren oder von einem Anderen dem Besitzer entzogen und vorenthalten wird.

98. Die blosse Abwesenheit des Besitzers oder die eingetretene Unfähigkeit desselben, Besitz zu erwerben, heben den bereits erworbenen Besitz nicht auf.

99. Der Besitz an wilden Thieren dauert nur solange, als sie in dem Gewahrsam des Besitzers verbleiben, oder auch ohne verwahrt zu sein, der körperlichen Gewalt desselben unterworfen sind.

Gezähmte Thiere werden so lange den zahmen Thieren gleich behandelt, als sie in den Gewahrsam des Besitzers zurückzukehren pflegen.

100. Den weggeflogenen Bienenschwarm kann der Besitzer binnen drei Tagen nach dem Ausfluge verfolgen, und was er davon wieder in seine Macht bringt, wird als fortwährend in seinem Besitze geblieben angenommen.

101. Damit der Besitz an einem Grundstücke verloren werde, genügt es nicht, dass ein Anderer sich desselben bemächtige, sondern es muss hier der bisherige Besitzer von [p. 436] dieser Veränderung Kenntniss erhalten und versäumt haben, diese Herrschaft des Anderen ohne Verzug zu beseitigen.

102. Fängt der Besitzer an, statt den Besitz im eigenen Interesse fortzusetzen, für einen Anderen zu besitzen, so hat er seinen Besitz dadurch aufgegeben.

103. Ebenso geht für ihn der Besitz unter, wenn er auf denselben Verzicht leistet, auch wenn kein Anderer denselben erwirbt.

104. Der Besitz wird auch durch einen Stellvertreter des Besitzers für diesen verloren, wenn jener denselben an einen Anderen überträgt oder dem Vertretenen widerrechtlich vorenthält, nicht aber ohne weiteres durch blosse Verzichtleistung des ersteren.

D. Besitz von Rechten.

105. Der Besitz von Dienstbarkeiten (Servituten) oder anderen Realrechten, welcher sich zwar nicht in thatsächlicher Herrschaft über eine Sache, aber in thatsächlicher und bewusster Ausübung des entsprechenden Rechtes äussert, wird ähnlich wie der Sachenbesitz sowohl durch das Befehlsverfahren als durch Besitzrechtsklagen geschützt.

106. Der Besitz von negativen Dienstbarkeiten, d. h. solchen, welche in einem Unterlassen des belasteten Grundeigenthümers bestehen, wird in Ermanglung eines auf Besitzerwerb gerichteten Rechtstitels nicht schon durch das blosse Nichtthun des angeblich Verpflichteten, sondern erst dann erworben, wenn der Besitzer eine dem Inhalte der Servitut widersprechende Handlung des Anderen gehemmt hat.

107. Ist das entsprechende Recht der Art, dass die Ausübung desselben sich in Handlungen äussert, welche nur von Zeit zu Zeit vorgenommen werden, z. B. in Benutzung eines Weges oder in Bezahlung eines Grundzinses, so bedarf es zum Nachweise des Besitzes einer kleineren oder grösseren Zahl solcher Handlungen, je nachdem aus den übrigen Umständen leichter oder weniger leicht auf die dem Rechtsverhältnisse entsprechende Gesinnung der Betheiligten geschlossen werden kann. [p. 437]

Dritter Abschnitt.

Von dem Eigenthum.

Erstes Kapitel.

Rechte des Eigentümers.

108. Das Eigenthum ist die volle und ausschliessliche rechtliche Herrschaft über eine körperliche Sache.

Dasselbe kann zustehen entweder einer Person allein (Alleineigenthum) oder mehreren Personen zu ideellen Theilen (Miteigenthum).

109. Der Miteigentümer ist berechtigt, über seinen Theil frei zu verfügen, denselben zu veräussern oder zu verpfänden.

110. Der Miteigentümer darf die im Miteigentum befindliche Sache insoweit frei benutzen, als dadurch die Mitbenutzung der übrigen Miteigentümer nicht beeinträchtigt wird, und sich die Früchte derselben nach Verhältniss seines Anteiles aneignen.

111. Der Miteigentümer ist verpflichtet, nach Verhältniss seines Anteiles zu denjenigen Auslagen und Vorkehrungen, welche zur Erhaltung der gemeinsamen Sache notwendig sind, beizutragen und die auf derselben ruhenden Lasten tragen zu helfen.

Erfüllt er diese Verpflichtung nicht, so hat jeder der übrigen Miteigentümer das Recht, Abtretung des Miteigenthums des ersteren gegen angemessene Entschädigung zu begehren.

112. Ueber die ordentliche Verwaltung und Benutzung der gemeinsamen Sache entscheiden der oder die Miteigentümer, welchen die Mehrheit der Anteile zusteht.

Im übrigen aber sind die Mehrheitsbeschlüsse der Miteigentümer für die Minderheit nicht rechtsverbindlich.

113. Die Miteigentümer haften einander für den aus Fahrlässigkeit verursachten Schaden wie Gesellschafter (Schweizerisches Obligationenrecht Art. 538).

114. Jeder Miteigentümer ist, wo nicht die Bestimmung der gemeinsamen Sache selbst hindernd im Wege steht, [p. 438] jederzeit berechtigt, reale Theilung der gemeinsamen Sache beziehungsweise Umwandlung des Miteigenthums an dem Ganzen in alleiniges Eigenthum an einem entsprechenden Theile oder Ersatz des Werthes seines Miteigenthums gegen Abtretung desselben an einen anderen Miteigenthümer zu fordern.

115. Bei Theilungs- und Ausscheidungsklagen hat der Richter, soweit die Fragen unter den Parteien streitig sind, die Befugniss, nach vernünftigem Ermessen entweder reale Theilung anzuordnen oder das alleinige Eigenthum einem der Miteigenthümer gegen Entschädigung an die anderen zuzusprechen, nötigenfalls auch das zuerkannte Eigenthum mit einer Servitut zu Gunsten der anderen Partei zu belasten.

116. Das Gericht kann zum Behufe der Auseinandersetzung unter den Miteigenthümern auch eine Versteigerung der gemeinsamen Sache, sei es unter den Miteigenthümern selbst, sei es, wo solches angemessen erscheint, in Form der öffentlichen Versteigerung anordnen.

Zweites Kapitel.

Eigenthum an Liegenschaften.

A. Erwerb des Eigenthums an Liegenschaften.

117. Das Eigenthum an Liegenschaften geht über:

a) unter Lebenden durch kanzleiische Fertigung;

b) durch Erbfolge von Todes wegen.

Vorbehalten bleiben:

1. die Bestimmungen betreffend den Uebergang bei Zwangsabtretungen sowohl nach kantonalem als auch nach eidgenössischem Rechte;

2. die Bestimmungen des Gesetzes über die Eintragung von Grunddienstbarkeiten betreffend den Erwerb des Miteigenthums an Flur- und Feldwegen.

I. Kanzleiische Fertigung.

118. Damit das Eigenthum durch kanzleiische Fertigung übergehe, wird erfordert:

a) dass der Urheber (Auktor) der Uebertragung selber Eigentümer oder ermächtigt sei, über das Eigenthum eines Anderen zu verfügen; [p. 439]

b) Handlungsfähigkeit des Uebertragenden;

c) ein auf Eigenthumsübergang gerichtetes Rechtsgeschäft, z. B. Kauf, Tausch, Erbtheilung u. drgl.;

d) Eintragung dieses Rechtsgeschäftes in das Grundprotokoll.

119. Die Frage, ob und wann die gegen den Eigenthümer angehobene Schuldbetreibung denselben des Rechtes beraube, das Eigenthum an seinem Grundstücke zu übertragen, wird durch die Gesetzgebung über die Schuldbetreibung geregelt.

120. Der Uebergang des Grundeigenthums richtet sich, wenn nicht das eingetragene Rechtsgeschäft ausdrücklich einen späteren Zeitpunkt desselben festsetzt (die blosse Bestimmung eines späteren Besitzantrittes gilt nicht dafür), nach dem Datum, welches das Rechtsgeschäft in dem Grundprotokolle erhalten hat.

Die Eintragung in das Grundprotokoll ist in der Regel nach dem Tage zu datiren, an welchem das Rechtsgeschäft als ein fertiges dem Notar zur Kenntniss gebracht und von demselben in das Journal aufgenommen worden ist.

Wenn der Veräusserer in der Zwischenzeit zwischen der Aufnahme des Rechtsgeschäftes in das Journal und der wirklichen Eintragung in das Grundbuch in Konkurs geräth und der Mangel der Eintragung lediglich in der Zögerung des Notars seinen Grund hat, im übrigen aber das Verhältniss unversehrt geblieben ist, so soll die Eintragung nachträglich vollzogen werden.

II. Ersitzung.

121. Eine Ersitzung von Grundstücken ist zulässig zu Gunsten des rechtmässigen und gutgläubigen Besitzers in folgenden Fällen:

a) wenn zwar eine kanzleiische Fertigung vorgenommen worden ist, aber an Mängeln leidet, wie insbesondere, wenn aus Versehen Jemandem Grundeigenthum zugefertigt worden, während der Urheber des Geschäftes nicht Eigenthümer oder nicht handlungsfähig, oder wenn die gerichtliche Genehmigung des Rechtsgeschäftes, wo diese vorgeschrieben worden ist, unterblieben war; [p. 440]

b) wenn Jemand ein von einem Erblasser hinterlassenes Grundstück in gutem Glauben als Erbe übernommen hat, während er nicht Erbe war;

c) wenn Jemand rechtmässigen Besitz an einem Grundstücke erlangt hat, über dessen Eigenthumsverhältnisse in dem Grundbuche keine oder ungenügende Aufschlüsse zu finden waren.

122. Die Ersitzung bildet in diesem Falle einen Rechtsgrund des Eigenthumserwerbes, wenn:

a) mit dem ideellen Besitzrechte während zehn Jahren reeller Besitz verbunden bleibt, und

b) der wirkliche Eigenthümer oder sein Stellvertreter nicht innerhalb zehn Jahren sein Eigenthum einklagt oder dem Besitzer gegenüber zur Anerkennung bringt.

123. Ueberdies findet die Ersitzung zu Gunsten des gutgläubigen Besitzers auch in Ermanglung eines nachweisbaren, auf Eigenthumserwerb gerichteten Rechtsgrundes an Grundstücken statt, deren Eigenthümer nicht aus dem Grundprotokolle ersichtlich ist, wenn der Eigenthumsbesitz während dreissig Jahren ohne gerichtlichen Widerspruch ununterbrochen fortgedauert hat.

Wo das hergebrachte Eigenthum eines Besitzers solcher Grundstücke schon aus den Umständen klar wird, bedarf es keiner Ersitzung.

124. Der zur Ersitzung berechtigte Besitzer darf den Besitz seines Vorgängers zu dem seinigen hinzurechnen, insofern derselbe ebenfalls zur Ersitzung tauglich war.

125. Ist die Ersitzung vollendet, so ist der Besitzer infolge derselben berechtigt, von dem Bezirksgerichte die Erlaubniss zur Eintragung in das Grundprotokoll und damit nunmehr vollgültige kanzleiische Zufertigung des Eigenthums zu begehren.

Das Bezirksgericht ertheilt die Erlaubniss, wenn es sich überzeugt, dass die Bedingungen der Ersitzung vorhanden sind (§§ 121 bis 124). Es ist ermächtigt, wo solches zum Behufe dieser Ueberzeugung nöthig erscheint, eine öffentliche Ausschreibung zu erlassen. [p. 441]

III. Anspülung.

126. Wird durch allmälige Anspülung oder durch allmäliges, aber bleibendes Zurücktreten öffentlicher Gewässer das Erdreich des Ufers erweitert, so erweitert sich dadurch auch das Eigenthum an dem Ufer.

127. Wird dagegen ein zusammenhängendes Stück einer Liegenschaft von dem Gewässer losgerissen und an fremdes Ufer angelegt, so ist der Eigentümer jener Liegenschaft berechtigt, sein Eigenthum auch an dem losgerissenen Stücke geltend zu machen, insofern nicht der Eigentümer des fremden Ufers eine entsprechende Vergütung für dasselbe zu zahlen bereit ist.

Uebt Ersterer sein Recht nicht binnen Jahresfrist aus, so erlischt dasselbe, und Letzterer ist berechtigt, sich ohne weiteres das losgerissene Stück, soweit es mit seinem Boden verbunden ist, anzueignen.

128. Entsteht in einem Flusse eine Insel, so sind die benachbarten Ufereigenthümer berechtigt, dieselbe sich anzueignen und nach dem Verhältnisse der Nähe und Ausdehnung des Uferbesitzes unter sich zu theilen.

129. Innerhalb zehn Jahren nach der Erweiterung des Ufereigenthums (§§ 126 bis 128) kann der Staat oder die Gemeinde im Interesse einer Flusskorrektion oder überhaupt zum Schutze der Ufer und zur Handhabung der Wasserpolizei über den angelegten Boden ohne Entschädigung verfügen.

IV. Verbindung mit dem Grundstücke.

130. Wenn durch einen Erdschlipf Erde von einem oberen auf ein unteres Grundstück fällt, so ist der Eigenthümer des ersteren berechtigt, dieselbe mit Beförderung und gegen Ersatz des durch die Wegnahme veranlassten Schadens wegzunehmen. Thut er das nicht, so gehört sie zu dem Grundstücke, auf welchem sie liegt.

131. Wenn fremde Pflanzen in dem Boden des Grundeigenthümers Wurzel geschlagen haben, so gehen sie als Bestandtheil des Grundstückes in sein Eigenthum über. Derselbe ist aber verbunden, dem zu Schaden gekommenen frü- [p. 442] heren Eigenthümer der Pflanzen die Wegnahme zu gestatten, wenn diese mit Beförderung und auf unschädliche Weise vorgenommen wird, oder, soweit er durch das Stehenlassen ungehörig bereichert würde, Ersatz zu leisten.

132. Ebenso gehört das Gebäude, welches ein Dritter auf dem Boden des Grundeigenthümers errichtet hat, mit Vorbehalt des § 133 dem letzteren. Derselbe ist jedoch verpflichtet, nach seiner Wahl entweder dem Eigenthümer des dazu verwendeten Materiales die Wegnahme zu gestatten, oder, soweit eine ungehörige Bereicherung vorliegt, eine billige Entschädigung dafür zu bezahlen.

133. Ausnahmsweise wird eine Theilung des Eigenthums in der Art, dass verschiedene über einander liegende Abtheilungen eines Gebäudes oder das Gebäude einerseits und der Boden anderseits verschiedenen Eigenthümern gehören, noch anerkannt, soweit derartige Spaltungen zur Zeit bestehen.

Neue Fertigungen, welche derartige Spaltungen des Eigenthums zur Folge hätten, sind nicht zulässig.

V. Landanlagen.

134. Der Eigenthumserwerb an neuen Landanlagen in vormaligem See- oder Flussgebiet setzt voraus, dass Erlaubniss zu der Ausfüllung ertheilt und dieselbe vollzogen worden sei.

B. Rechte des Eigenthümers an Liegenschaften.

135. Die Herrschaft des Grundeigenthümers erstreckt sich nicht nur auf den Boden des Grundstückes, sondern auch auf den Raum über und unter demselben.

Vorbehalten bleiben die Vorschriften des vierten Abschnittes über die Regalien und die aus ihnen hergeleiteten Gerechtigkeiten.

136. Der Eigenthümer eines Grundstückes, auf welchem ein Anderer bei Ausübung einer ihm zustehenden Befugniss etwas vornehmen will, wovon Schaden zu befürchten ist, hat das Recht, von diesem zu fordern, dass er zureichende Sicherheit leiste gegen die drohende Gefahr, bevor er dieselbe herbeiführt. [p. 443]

Das nämliche Recht steht den bedrohten Bewohnern eines Hauses zu.

137. Der Miteigentümer eines Grundstückes darf keine Neubaute auf demselben vornehmen, wenn auch nur einer der übrigen Miteigenthümer Einsprache macht. Bauten, welche zur Erhaltung eines bereits bestehenden oder zur Herstellung eines eingestürzten oder abgebrannten Gebäudes unentbehrlich sind, werden in dieser Beziehung nicht als Neubauten betrachtet.

138. Ebenso darf kein Miteigenthümer die Kultur des Bodens und die Bestimmung einzelner Theile des Grundstückes ändern, wenn einer der übrigen Eigenthümer dagegen Einsprache macht.

C. Nachbarrecht.

I. Nothweg.

139. Wenn ein bereits bestehendes Gebäude oder ein landwirtschaftliches Grundstück von der Verbindung mit den öffentlichen Strassen und Wegen abgeschnitten und ohne Weg ist, so kann der Eigenthümer desselben von den benachbarten Grundeigentümern insoweit ein Wegrecht begehren, als er desselben zum Behufe des Zuganges zu seinem Gebäude oder der landwirtschaftlichen Bewerbung seines Grundstückes nothwendig bedarf.

Er hat sich aber zunächst an seinen Urheber zu halten, wenn dieser ihm den Weg verschaffen kann, sodann an andere Nachbarn in der Richtung zu wenden, welche am wenigsten schädlich ist.

Vorbehalten bleiben die Bestimmungen des Gesetzes über die Eintragung von Grunddienstbarkeiten betreffend die Grundstücke, welche in der Nähe eines Flur- und Feldweges liegen.

140. Der des Nothweges bedürftige Eigenthümer ist verpflichtet, den Schaden, welcher aus der Ueberlassung oder Benutzung des Nothweges dem Nachbar erwächst, diesem zu ersetzen.

141. Hat der des Nothweges bedürftige Eigenthümer durch eigenes Verschulden ein ihm früher zugestandenes Wegrecht verloren, so ist er zwar ebenfalls berechtigt, die Einräu- [p. 444] mung des Nothweges zu begehren, aber nur gegen doppelte Entschädigung des belasteten Grundeigenthümers.

142. Wenn durch Aufhebung einer öffentlichen Strasse einem Grundstücke der Weg entzogen wird, so behält dasselbe das nöthige Wegrecht über die verlassene Wegstrecke bis an deren Einmündung in die öffentliche Strasse, so lange ihm nicht ein anderer ausreichender Weg unentgeltlich angewiesen wird.

II. Tretrecht.

143. Soweit in den einzelnen Landesgegenden übungsgemäss noch Tretrechte bestehen, ist der Pflüger bei Bestellung der Felder berechtigt, auf das nicht bepflanzte Land eines Anderen drei und einen halben Meter weit hinauszufahren.

III. Wasserabfluss.

144. Der Eigenthümer des unteren Grundstückes ist verpflichtet, das natürlich von dem oberen Grundstücke abfliessende Regenwasser abzunehmen. Trifft der Eigenthümer des letzteren künstliche Einrichtungen, um für den Abfluss zu sorgen, z. B. durch Anlegung eines Grabens oder Anbringung einer Dachrinne, so muss er das in einer für den ersteren möglichst unschädlichen Weise thun.

145. Dasselbe gilt von anderem Wasser, welches nicht erst künstlich, z. B. durch Anlegung von Kanälen, auf ein Grundstück herbeigezogen oder durch Grabung aus der Tiefe emporgehoben worden, sondern auf demselben natürlich entsprungen oder durch natürlichen Abfluss auf dasselbe gelangt ist.

Künstlich herbeigezogenes oder emporgehobenes Wasser ist der tiefere Nachbar nicht verpflichtet abzunehmen. Vorbehalten sind die folgenden Bestimmungen über die Wasserleitung.

IV. Wasserleitung.

146. Im Interesse der Errichtung öffentlicher oder Privatbrunnen ist, wer eine Quelle erworben hat, berechtigt, von den Eigenthümern der dazwischen liegenden Grundstücke gegen volle Entschädigung den nöthigen Raum zur Anlegung einer Brunnenleitung oder zur Ableitung des Wassers [p. 445] zu begehren, wenn solches ohne besonders erheblichen Nachtheil für Gebäude oder Anlagen des Eigenthümers geschehen kann. Bei der Bestimmung des Durchzuges der Wasserleitung ist auf die Beschaffenheit der betreffenden Grundstücke und die Wünsche der Eigenthümer derselben gebührende Rücksicht zu nehmen.

147. Der Eigenthümer eines landwirthschaftlichen Grundstückes ist verpflichtet, dem Wasserberechtigten zum Behufe der Betreibung eines Wasserwerkes die Durchleitung zu gestatten, oder zur Anlage oder Vergrösserung eines Weiers das nöthige Land abzutreten. Dem Grundeigenthümer ist der doppelte Werth des hiefür in Anspruch genommenen Landes und ein allfälliger anderweitiger Vermögensnachtheil zu ersetzen.

148. Die nämliche Verpflichtung besteht bezüglich der Anlegung von Kanälen oder Dolen zum Behufe der Entwässerung oder Bewässerung von Grundstücken. In diesem Falle hat der belastete Grundeigenthümer Anspruch auf einfache volle Entschädigung.

Vorbehalten bleibt das Gesetz betreffend Bewässerung und Entwässerung von grösseren Grundflächen.

149. Wenn die Frage, ob ein Bedürfniss zu solcher Wasserleitung (§§ 146 bis 148) vorhanden sei, streitig wird, so ist darüber auf dem Wege der Verwaltungsstreitigkeit zu entscheiden. Im übrigen gelten die Vorschriften des Gesetzes betreffend die zürcherische Rechtspflege.

V. Pflanzen von Bäumen.

150. Gegen den Willen des Nachbars dürfen Gartenbäume, kleinere Zierbäume und Sträucher nicht näher als sechzig Centimeter an die nachbarliche Grenze gepflanzt werden.

Dieselben müssen überdies bis auf eine Entfernung von vier Meter von derselben so unter der Scheere gehalten werden, dass ihre Höhe nie mehr als das Doppelte ihrer Entfernung beträgt.

151. Waldbäume und grosse Zierbäume, wie Pappeln, Kastanienbäume und Platanen, ferner Nussbäume und Kirschbäume dürfen nicht näher als acht Meter, andere sogenannte [p. 446] zahme Obstbäume und kleinere nicht unter der Scheere zu haltende Zierbäume nicht näher als vier Meter von der nachbarlichen Grenze gepflanzt werden. Besteht das angrenzende Grundstück aus Rebland, so ist auch für die letzteren Bäume ein Zwischenraum von acht Meter zu beachten.

152. Besteht das angrenzende Land aus Waldboden, so dürfen Sträuche und Bäume jeder Art nicht näher als fünfzig Centimeter an der Grenze stehen und fällt die Pflicht, dieselben unter der Scheere zu halten, weg.

153. Die Klage auf Beseitigung von Bäumen, welche näher an der Grenze stehen als nach den vorstehenden Bestimmungen gestattet ist, verjährt nach fünf Jahren seit der Pflanzung des näher stehenden Baumes.

154. Bäume, welche infolge des früheren Rechtes oder der Zulassung des Nachbars (§ 153) näher an der Grenze stehen, werden zwar in ihrem Bestände geschützt; wenn dieselben aber abgehen, so tritt, abgesehen von besonderen Vereinbarungen und mit Ausnahme des bereits bestehenden Waldbodens, für die Neupflanzung wieder die Regel ein.

155. Steht der Stamm eines Baumes auf der Grenze, so ist der Baum beiden Nachbarn gemeinsam. Für die Grösse der Antheile ist das Verhältniss entscheidend, in welchem die Schnittfläche des Stockes auf den beiden Grundstücken liegt.

156. Der Eigenthümer des Grundstückes ist berechtigt, soweit nicht besondere Vertragsverhältnisse entgegenstehen, die Wurzeln fremder Bäume, die in seinen Boden herüberragen, zum Behufe der Benutzung seines Eigenthums abzuhauen.

157. Vorbehalten bleiben:

1. die Bestimmungen betreffend Bäume auf solchen Strassen und öffentlichen Plätzen, welche unter der Bauordnung stehen;

2. die polizeilichen Bestimmungen des Strassengesetzes;

3. die Bestimmungen des Forstgesetzes.

VI. Kappung und Anries.

158. Wenn die Aeste oder Zweige eines Obstbaumes oder eines in Kulturland stehenden Strauches oder Wald- [p. 447] baumes in den Luftraum des Nachbars überragen, so hat dieser die Wahl, ob er Kappung der Aeste und Zweige verlangen oder ob er das Recht des Anrieses benutzen wolle.

159. Bei Bäumen, welche in Waldboden stehen, kann die Kappung nicht verlangt werden.

Hinsichtlich des Anrieses bleiben überdies vorbehalten die besonderen Bestimmungen des Gesetzes betreffend die Eintragung von Grunddienstbarkeiten mit Bezug auf das Ueberhängen über Flur- und Feldwege.

160. Das Anries besteht in dem Rechte des Nachbars, die überhängenden Früchte zu gewinnen und die überfallenden zu behalten.

VII. Einfriedigung.

161. Grünhecken dürfen gegen den Willen des nachbarlichen Grundeigenthümers nicht näher als die Hälfte ihrer Höhe beträgt, jedenfalls aber nicht näher als sechzig Centimeter von der Grenze gehalten werden.

162. Andere Einfriedigungen, wie sogenannte todte Hecken, Holzwände oder Mauern, welche die Höhe von einhundertfünfzig Centimeter nicht übersteigen, darf der Eigenthümer an der Grenze anbringen und daran auch Spaliere ziehen. Wenn dieselben aber jene Höhe überschreiten, so kann der Nachbar begehren, dass sie je um die Hälfte der Höhe über einhundertfünfzig Centimeter von der Grenze entfernt werden.

163. Zum Behufe des Zuschneidens der Grünhecken und der Reparatur von Grenzmauern darf der Eigenthümer, insoweit das Bedürfniss denselben dazu nöthigt, den Boden des Nachbars betreten, nachdem er diesen vorher hievon in Kenntniss gesetzt hat. Entsteht daraus für diesen Schaden, so hat jener dafür Ersatz zu leisten.

164. Bezüglich derjenigen Einfriedigungen, welche an öffentlichen Strassen stehen, gelten die polizeilichen Bestimmungen des Strassengesetzes.

VIII. Hut des Viehes.

165. Wer ein Grundstück zur Weide benutzt, ist verpflichtet, sein Vieh von der Betretung oder Schädigung des nachbarlichen Grundstückes abzuhalten. [p. 448]

IX. Markung.

166. Der Eigenthümer eines Grundstückes ist berechtigt, den Nachbar zu gemeinsamer Bezeichnung der Grenzen (Markung) oder zur Wiederherstellung der beschädigten oder unkenntlich gewordenen Grenzzeichen anzuhalten. Die über die Markung entstehenden Kosten sind von den betheiligten Eigenthümern nach Verhältniss der Ausdehnung ihrer Grenzlinie zu tragen.

Bezüglich der Markung von Staats-, Gemeinde- und Genossenschaftswaldungen gelten die Bestimmungen des Forstgesetzes.

X. Recht zu bauen.

167. Der Eigenthümer des Bodens ist berechtigt, auf und über demselben ein beliebiges Gebäude zu errichten, soweit er nicht durch die Baute das Eigenthum des Nachbars oder die nachbarlichen Beziehungen oder die polizeilichen Vorschriften verletzt.

168. Eine Verletzung des nachbarlichen Eigenthums ist es, wenn ein Theil des Gebäudes, z. B. Altanen, Fensterladen u. drgl., in den Luftraum des Nachbars hinüberragt, oder wenn durch die Vorkehrungen des Eigenthümers eine körperliche Einwirkung auf das Eigenthum des Nachbars begründet wird, z. B. durch Anlegung von Dachtraufen, die sich auf das Grundstück des Nachbars ausgiessen.

In der Anlehnung einer neuen Mauer an die an die Grenze reichende Mauer des nachbarlichen Gebäudes liegt keine unerlaubte körperliche Einwirkung auf dasselbe.

169. Auf noch nicht überbautem Boden darf ohne Zustimmung des Nachbars innerhalb einhundertfünfzig Centimeter von der Grenze kein neues Gebäude errichtet, noch irgend ein Gebäudetheil (z. B. Vordach, Treppe, Sockel) angebracht werden.

Vorbehalten bleiben Bauten an öffentlichen Strassen mit zusammenhängenden Häuserreihen.

170. Pferde- oder Schweineställe, Kloaken, Dünger- und Lohgruben, Misthaufen und andere dem nachbarlichen Gebäude schädliche Anlagen sollen wenigstens einhundertfünfzig Centimeter von den benachbarten Gebäuden entfernt bleiben. [p. 449]

171. Der Eigenthümer eines Gebäudes ist befugt, dem Nachbar einen projektirten Bau zu untersagen, wenn jenem Gebäude in solchem Maasse Licht entzogen würde, dass eines oder mehrere Zimmer oder Räume zur Erfüllung ihrer Bestimmung ohne künstliche Mittel, wie Anzünden von Licht u. drgl., unbrauchbar gemacht oder der Werth des Gebäudes um wenigstens den zehnten Theil verringert würde.

172. Der Eigenthümer eines anderen Grundstückes ist zur Einsprache befugt, wenn demselben durch Entzug von Sonnenlicht ein namhafter landwirthschaftlicher Schaden zugefügt würde.

173. Diese Einsprache (§§ 171 und 172) fällt weg, wenn die Entfernung zwischen den einander zunächst gelegenen Punkten des neu zu errichtenden oder zu verändernden Gebäudes und des nachbarlichen Gebäudes oder Grundstückes wagrecht gemessen grösser ist als die Höhe des ersteren in seiner projektirten Gestalt von der First auf die Erdoberfläche, und zwar auf dem nächst gelegenen Punkte senkrecht gemessen; ebenso wenn zwischen beiden eine Strasse erster Klasse mit der gesetzlichen Breite liegt.

174. Wenn ein bestehendes Gebäude zerstört oder in seinem Umfange vermindert wird, so hat der Eigenthümer zehn Jahre lang ohne Rücksicht auf die Beschränkungen der §§ 171 und 172 das Recht, dasselbe in dem früheren Umfange herzustellen, und während der ersten drei Jahre das Recht, gegenüber von Neubauten seiner Nachbarn Einsprache zu erheben, wie wenn sein Gebäude noch vorhanden wäre.

175. Der Eigenthümer eines Bauplatzes oder Gebäudes wird innerhalb zehn Jahren, seitdem sein Nachbar gebaut oder höher gebaut und an der jenem zugewendeten Mauer Fenster ausgebrochen hat, durch die Rücksicht auf diese nicht gehindert, seinerseits ebenfalls zu bauen oder höher zu bauen, auch wenn dadurch jene Fenster zugedeckt werden sollten. Nach dieser Zeitfrist tritt die gewohnte Regel über Beschränkung des Baurechtes ein.

176. Wenn der Eigenthümer eines Gebäudes durch die Errichtung von Kaminen, Feuerherden, Oefen u. drgl. in dem nachbarlichen Gebäude gefährdet wird und nicht schon auf [p. 450] polizeilichem Wege die Abwendung der Gefahr erlangt, so ist er berechtigt, sein bedrohtes Privatrecht auf gerichtlichem Wege zu schützen.

177. Back-, Brenn- oder Schmelzöfen und Feueressen dürfen an einer gemeinsamen oder dem Nachbar zugehörigen Scheidewand ohne dessen Zustimmung nicht angelegt werden.

178. Die Anlegung von Schornsteinen und Kaminen ist an die vorgenannte Beschränkung nicht gebunden.

179. Ueber eine gemeinschaftliche Mauer kann jeder Nachbar auf seiner Seite bis zur Hälfte ihrer Dicke in seinem Interesse insofern verfügen, als nicht durch diese Verfügung die Bestimmung der gemeinsamen Mauer für die Scheidung und Sicherung der beiden Gebäude beeinträchtigt wird; der Bauende hat aber vorher dem Nachbar von der beabsichtigten Bauveränderung Anzeige zu machen.

180. Ueberdies dürfen Wandschränke oder derartige Vertiefungen, welche in die gemeinsame Mauer eingelassen werden, ohne Zustimmung des Nachbars nicht unmittelbar auf ähnliche Anlagen stossen, welche dieser zuvor schon auf seiner Seite gemacht hat.

181. Anlagen, durch welche ein schon vorhandener Brunnen eines Anderen verunreinigt oder unbrauchbar gemacht würde, sind unzulässig.

182. Der Eigenthümer darf auch nicht durch Graben auf seinem Boden dem vorhandenen Brunnen eines Anderen das nöthige Wasser entziehen. Im übrigen ist er nicht gehindert, auch auf seinem Boden zu graben, selbst wenn infolge dieser Benutzung seines Bodens der nachbarliche Brunnen an Fülle des Wassers einbüssen sollte.

183. Soweit die bauliche Wiederherstellung oder Reinigung eines Gebäudes die Betretung oder vorübergehende Benutzung des nachbarlichen Bodens unentbehrlich macht, muss sich der Nachbar dieselbe gefallen lassen.

184. Entsteht hieraus für den Nachbar Schaden, so ist der Eigenthümer des Gebäudes verpflichtet, ihm dafür vollen Ersatz zu leisten.

185. Ebenso ist er verpflichtet, von jener Befugniss einen für den Nachbar möglichst wenig lästigen Gebrauch zu machen [p. 451] und demselben vorher rechtzeitig von dem beabsichtigten Gebrauche Kenntniss zu geben.

186. Dieselben Grundsätze finden auch auf die Reinigung und Wiederherstellung bereits bestehender Kloaken und Abtrittgruben, sowie von Brunnen Anwendung.

187. Mit Bezug auf städtische Verhältnisse bleiben die besonderen Bestimmungen der Bauordnung, mit Bezug auf Bauten an Strassen diejenigen des Strassengesetzes vorbehalten.

XI. Schädliche Benutzung des Eigenthums.

188. Der Eigenthümer eines Wohnhauses oder einer Stallung ist berechtigt, gegen eine Benutzung des nachbarlichen Bodens oder Hauses, welche der Gesundheit von Menschen oder Vieh schädlich ist, z. B. durch Verbreitung schädlicher Dünste, polizeilichen und nötigenfalls gerichtlichen Schutz zu begehren.

189. Eine an und für sich erlaubte Benutzung des Bodens oder Hauses dagegen, welche bloss auf die Augen, Ohren oder die Nase des Nachbars unangenehm einwirkt, berechtigt noch nicht zu Einsprache.

Nur wenn dieselbe im Uebermaass oder lediglich um den Nachbar zu ärgern geübt wird, kann dieser auch gegen eine solche übermässige oder böswillige Benutzung die polizeiliche und nötigenfalls die gerichtliche Hülfe anrufen.

Vorbehalten bleiben für städtische Verhältnisse die Bestimmungen der Bauordnung.

190. Der Eigenthümer eines landwirtschaftlichen Grundstückes kann gegen eine Benutzung des nachbarlichen Grundstückes gerichtliche Einsprache erheben, wenn ihm durch dieselbe ein namhafter landwirthschaftlicher Schaden erwächst, und ebenso der Eigenthümer eines Gebäudes, wenn die Bestandteile seines Gebäudes oder die in demselben befindlichen und zu dem Gebrauche desselben erforderlichen Sachen um jener Benutzung willen eine erhebliche Schädigung erleiden. [p. 452]

D. Verlust des Eigenthums an Liegenschaften.

191. Das Eigenthum an Liegenschaften wird für den bisherigen Eigenthümer verloren:

a) durch Veräusserung derselben in Form der kanzleiischen Fertigung;

b) durch seinen Tod;

c) durch den Untergang der Sache;

d) dadurch, dass die Sache dem Privateigenthum entzogen wird (§ 60).

Vorbehalten bleiben:

1. die Bestimmungen betreffend den Uebergang des Eigenthums bei Zwangsenteignungen sowohl nach kantonalem wie nach eidgenössischem Rechte;

2. die Bestimmungen des Gesetzes über die Eintragung von Grunddienstbarkeiten betreffend den Uebergang des Miteigenthums an Flur- und Feldwegen.

192. Die blosse ausserkanzleiische Verzichtleistung des Eigenthümers zerstört sein Eigenthum nicht. Wird dieselbe aber in dem Grundprotokolle eingetragen, so wirkt sie auch dann, wenn ausnahmsweise keine Uebertragung des Eigenthums damit verbunden ist.

193. Ist ein Anderer durch Ersitzung Eigenthümer geworden (§ 125), so wird das bisherige Eigenthum in dem Momente der Eintragung der Ersitzung in das Grundprotokoll zerstört.

194. Eine vorübergehende Ueberschwemmung oder Ueberschüttung des Grundstückes wirkt nicht zerstörend auf das Eigenthumsverhältniss, wohl aber eine dauernde Ueberfluthung des Grundstückes durch ein öffentliches Gewässer oder eine derartige Ueberschüttung desselben durch einen Bergsturz, dass dasselbe nicht wieder hergestellt oder nicht weiter zu Eigenthum benutzt werden kann. [p. 453]

Drittes Kapitel.

Eigenthum an beweglichen Sachen.

Erwerb und Verlust des Eigenthums.

A. Zueignung.

195. Wer an einer herrenlosen Sache Besitz ergreift in der Absicht, sich dieselbe zuzueignen, wird durch diese Besitzergreifung Eigenthümer derselben.

I. Gefundene Sachen.

196. Wer eine verlorene Sache findet, ist verpflichtet, dieselbe dem früheren, rechtmässigen Besitzer zurückzustellen.

197. Ist der frühere Besitzer unbekannt, so sollen Versuche zur Entdeckung desselben gemacht werden.

Insbesondere soll der Finder selbst, wenn der Fund den Werth von fünfzig Franken nicht übersteigt, denselben in der Gemeinde, wo der Fund geschehen, öffentlich bekannt machen, und wenn der Werth desselben mehr als fünfzig Franken beträgt, durch Anzeige an das Gericht einen gerichtlichen Aufruf veranlassen.

198. Der Finder, welcher das Gefundene abliefert, hat Anspruch auf Vergütung seiner Auslagen, und, sofern er den Fund nicht verheimlicht, noch die Bekanntmachung oder Anzeige desselben verzögert hat, auf einen angemessenen Finderlohn.

II. Schatz.

199. Werden Sachen von Werth, z. B. Geldsummen, Kleinode u. drgl. entdeckt, welche dem Anscheine nach seit langem verborgen gelegen haben, so ist der Finder in wichtigen Fällen verpflichtet, davon dem Gerichte Anzeige zu machen, welches je nach Umständen weitere Nachforschungen nach dem früheren Eigenthümer anordnet oder auch ohne solche den Fund sofort als Schatz erklärt.

200. Ist der Fund solcher Sachen, weil der Eigenthümer nicht mehr zu entdecken ist, als Schatz zu betrachten, so gehört derselbe dem Finder und dem Eigenthümer des [p. 454] Grundstückes oder Hauses, in welchem er gefunden worden, zu gleichen Theilen.

201. Hat der Finder des Schatzes in unrechtmässiger Weise nach demselben gesucht oder den Fund verheimlicht, so fällt der ihn treffende Antheil an dem Schatze dem Armengute der Gemeinde zu, in welcher der Schatz verborgen gelegen ist.

III. Thierfang.

202. Wer Thiere fängt, welche Niemandem zugehören, wird durch die Zueignung Eigenthümer derselben, es wäre denn, dass diese Besitzergreifung selbst eine verbotene Handlung oder eine Verletzung fremder Rechte wäre, wie z. B. die unerlaubte Jagd.

203. Der Eigenthümer eines Bienenstockes ist berechtigt, den ausfliegenden Schwarm zu verfolgen (§ 100). Verzichtet er auf die Verfolgung oder gelingt es ihm nicht, innerhalb dreier Tage der Bienen habhaft zu werden, so werden dieselben als herrenloses Wild betrachtet.

B. Fruchterzeugung.

204. Die natürlichen Früchte des Bodens oder der Thiere kommen dem Eigenthümer der fruchttragenden Sache zu, es wäre denn, dass einem Anderen, z. B. dem Besitzer in gutem Glauben, dem Niessbraucher, dem Pächter, ein besonderes Recht auf Gewinnung der Früchte zustände.

C. Umbildung.

205. Wer durch Umarbeitung und Umbildung eines Stoffes eine neue Sache schafft, wird dadurch Eigenthümer dieser Sache, insofern der dazu gebrauchte Stoff ihm ganz oder theilweise zugehört hat.

206. Hat er nur fremden Stoff gebraucht, so gehört das Eigenthum der neuen Sache dem Eigenthümer des Stoffes, insofern sich jene in die ursprüngliche Gestalt zurückführen lässt, und kommt unter der entgegengesetzten Voraussetzung in das Eigenthum dessen, welcher dieselbe in der Absicht, eine eigene Sache zu erzeugen, gemacht hat, ohne Unterschied, ob er dabei im guten Glauben gewesen ist oder nicht. [p. 455]

207. In beiden Fällen hat der verlierende Theil einen den Verhältnissen angemessenen Anspruch auf Entschädigung.

D. Vermischung und Verbindung.

208. Sind Sachen verschiedener Eigenthümer ohne Umbildung mit einander vermischt oder verbunden worden, so bleibt, insofern die Ausscheidung nach den ursprünglichen Bestandtheilen möglich ist, das Eigenthum unverändert. Ist dagegen die Ausscheidung nicht oder nur mit einem unverhältnissmässigen Aufwande von Kosten oder mit erheblichem Schaden möglich, so entsteht in der Regel Miteigenthum jener Eigenthümer an dem Ganzen, je nach Verhältniss des Werthes ihrer Bestandtheile.

209. Hat einer der Eigenthümer auf widerrechtliche Weise die Vermischung oder Verbindung verschuldet, so hat die schuldlose Partei überdies die Wahl, gegen Entschädigung der rechtmässigen Ansprüche der schuldigen Partei das Ganze zu behalten oder das Ganze dem schuldigen Theile zu überlassen und von diesem volle Entschädigung zu fordern.

Vierter Abschnitt.

Von den Regalien und den aus ihnen hergeleiteten Gerechtigkeiten.

Erstes Kapitel.

Rechte an Gewässern.

A. Im Allgemeinen.

210. Seen, Flüsse und in der Regel auch die Bäche, soweit sich an denselben nicht ein hergebrachtes Privatrecht nachweisen lässt, sind Gemeingut.

Angelegte Teiche und Kanäle dagegen sind Gegenstand des Privatvermögens.

211. Das auf einem Grundstücke entspringende Quellwasser wird, so lange es auf diesem Grundstücke verbleibt, als ein Bestandtheil des Grundstückes behandelt. [p. 456]

B. Wasserwerke und Wiesenwässerung.

212. Die Anlegung oder Erweiterung von Wasserwerken an fliessenden Gewässern (öffentlichen oder Privatgewässern) unterliegt der Aufsicht, und bedarf, wenn öffentliche Gewässer benutzt werden, der Bewilligung der Staatsbehörde.

213. Die benachbarten Ufereigenthümer sind insofern berechtigt, Einsprache zu erheben, als durch die Errichtung eines neuen Wasserwerkes ihr Eigenthum verletzt oder gefährdet wird.

214. Die Besitzer älterer Wasserwerke an demselben Gewässer sind überdies zur Einsprache insoweit berechtigt, als sie an der bisherigen Benutzung des Wassers durch das neue Wasserwerk verhindert werden oder einen erheblichen Schaden leiden.

Gleiche Einsprache steht auch den benachbarten Besitzern einer Anstalt zur Wiesenbewässerung zu.

215. Bei Beurtheilung von Streitigkeiten zwischen dem Errichter eines neuen Wasserwerkes und den Benutzern älterer Wasserwerke oder Wässerungsanstalten ist der Richter ermächtigt, die Interessen sowohl der Sicherheit der älteren Benutzung als der Freiheit weiterer Benutzung des Gemeingutes durch Anordnung näherer Ausscheidung und Feststellung bestimmter Schranken in billiger Weise auszugleichen.

216. Jeder Besitzer eines Wasserwerkes, zu welchem Wasser aus einem öffentlichen Gewässer benutzt wird, ist, auch wenn dasselbe an einem Kanale angelegt ist, verpflichtet, soweit das Bedürfniss seines Wasserwerkes es zulässt, theils das Wasser seinem natürlichen Abflusse zu überlassen, theils keine Vorkehrungen zu machen, durch welche die weitere Benutzung des Wassers verhindert oder beeinträchtigt wird.

217. Zum Schaden vorhandener Wasserwerke darf weder das Gewässer oberhalb abgeleitet, noch unterhalb durch neue Vorrichtungen gestaut werden.

218. Wenn Wassermangel eintritt, so muss derselbe von denjenigen voraus getragen werden, welche das jüngere Wasserwerk haben, oder wenn das Alter der Benutzung nicht [p. 457] entscheiden kann, zuerst von den untersten Benutzern des Gewässers.

219. Im übrigen sind mit Bezug auf das Verhältniss zwischen bestehenden Wasserwerken unter sich oder gegenüber bestehenden Wiesen Wässerungen, sowie mit Bezug auf die Errichtung von Fähren und Brücken über öffentliche Gewässer die Bestimmungen des Gesetzes betreffend die Benutzung der Gewässer maassgebend.

C. Gemeine Benutzung.

220. Jedermann ist berechtigt, innerhalb der Schranken der polizeilichen Ordnung das öffentliche Gewässer zur Schifffahrt, zum Wasserschöpfen, Baden, Tränken, Schwemmen, Waschen zu benutzen; jedoch darf dadurch die Beschaffenheit des Wassers nicht so verändert werden, dass Schaden für das öffentliche Wohl entsteht oder die allgemeine Benutzung in erheblicher Weise beeinträchtigt wird.

221. Die Benutzung eines öffentlichen Gewässers zum Flössen unverbundener Holzstücke ist nicht dem gemeinen Gebrauche hingegeben, sondern nur insoweit zulässig, als sie entweder durch ein öffentliches Bedürfniss gerechtfertigt und von Staates wegen gestattet oder als ein erworbenes Recht dem Herkommen gemäss ausgeübt wird.

222. Die Ufereigenthümer an einem Flusse können den Schifffahrern nicht wehren, sich der vorhandenen Reckwege zu bedienen, am Ufer, wenn ein Bedürfniss dafür vorliegt, zu landen, die Schiffe vorübergehend daran zu befestigen und selbst in Nothfällen die Ladung eine Zeit lang daselbst auszusetzen.

Für daherige Beschädigung des Eigenthums ist indessen der Ufereigenthümer berechtigt, von den Schifffahrenden Ersatz zu fordern.

223. Ebenso haben die Ufereigenthümer an Flüssen, die zum Flössen von Holzstücken benutzt werden, das Betreten der Ufer zum Zwecke des Flössens zu dulden.

224. Das Recht, Sand und Kies aus dem Flussbette zu beziehen, steht, soweit nicht erworbene Rechte Anderer daran bestehen, dem Staate und den betreffenden Gemeinden zu. [p. 458]

D. Fischerei.

225. Mit Bezug auf die Fischerei gelten die nachfolgenden Bestimmungen, vorbehaltlich der eidgenössischen und kantonalen Vorschriften über Fischerei und diesfälliger Staatsverträge.

226. Das Recht des Fischfanges in den öffentlichen Gewässern und in den mit diesen in Zusammenhange stehenden Kanälen und Weiern steht dem Staate, beziehungsweise denjenigen Personen zu, welchen vom Staate eine Bewilligung dazu ertheilt ist.

Im Zürichsee und, soweit die Fischerei nicht verpachtet ist, auch in den anderen Seen, in welchen das Recht des Fischfanges dem Staate zusteht, darf indessen auch ohne staatliche Bewilligung die einfache Angelruthe zum Fischfange vom Ufer aus benutzt werden.

227. Wer eine besondere Fischereigerechtigkeit hat, ist berechtigt, andere Personen innerhalb seines Fischereibezirkes an jedem seinem ausschliesslichen Rechte widersprechenden Fischfange zu hindern.

228. Ebenso ist der Fischereiberechtigte befugt, Einsprache zu machen, wenn durch neue Vorkehrungen oder Nutzungen eines Anderen in und an dem Gewässer auch ausserhalb seines Fischereibezirkes seiner Fischerei ein erheblicher Schaden zugefügt wird.

229. Indessen kann aus diesem Grunde weder gegen verbesserte Einrichtung der Schiffahrt noch gegen die Errichtung von Wasserwerken oder Anlage von Wiesenwässerungen Einsprache erhoben werden.

Vorbehalten bleibt in den beiden letzteren Fällen, nicht aber im ersteren, der Anspruch des Fischereiberechtigten auf Entschädigung.

Zweites Kapitel.

Jagdregal.

230. Mit Vorbehalt der eidgenössischen und kantonalen polizeilichen Vorschriften über Jagd und Vogelschutz gelten die nachfolgenden Bestimmungen betreffend das Jagdregal. [p. 459]

231. Niemand ist berechtigt zu jagen, dem nicht ein Jagdrecht verliehen worden ist.

232. Die Jäger sind verpflichtet, das Jagdrecht ohne Belästigung und ohne Schädigung der Grundeigenthümer zu üben, und diesen für den Schaden verantwortlich, welchen sie bei Ausübung der Jagd veranlassen. Die Jagd darf nicht auf fremde Grundstücke erstreckt werden, welche von dem Eigenthümer durch Einfriedigung gegen dieselbe abgeschlossen worden sind.

233. Der Eigenthümer eines nicht in Waldung bestehenden Grundstückes ist jederzeit berechtigt, zur Sicherung desselben Wild, welches darauf kommt, abzufangen und sich anzueignen, soweit nicht die polizeiliche Ordnung und Sicherheit dadurch gestört oder die Jagdordnung verletzt wird.

Drittes Kapitel.

Bergwerkregal.

234. Das Bergwerkregal erstreckt sich auf alle Fossilien, woraus Metalle gewonnen werden können, ferner auf alle Salzarten, die Salzquellen inbegriffen, und auf Schwefel, Stein-, Braun- und Schieferkohlen.

235. Dagegen fallen Steinbrüche und einzelne auf der Oberfläche liegende Steine, auch wenn diese metallische Bestandteile enthalten, Torf, Salpeter, Heilquellen nicht unter das Regal.

236. Werden auf einem Grundstücke Fossilien gefunden, auf welche sich das Bergwerkregal erstreckt, und die eines bergmännischen Baues fähig und würdig sind, so ist der rechtmässige Finder befugt, sich der Bergordnung gemäss die Berggerechtigkeit verleihen zu lassen. Will derselbe den Bergbau nicht betreiben, so kann der Staat diesen entweder auf eigene Rechnung betreiben lassen oder einem Anderen verleihen.

237. In beiden Fällen ist dem Grundeigenthümer, in dessen Boden gegraben wird, der allfällige Schaden, den er infolge des Baues erleidet, und was er zum Behufe desselben an den Unternehmer zu überlassen genöthigt ist, in vollem Maasse zu ersetzen. [p. 460]

Fünfter Abschnitt.

Von den Dienstbarkeiten (Servituten).

Erstes Kapitel.

Grunddienstbarkeiten.

A. Begriff und Voraussetzungen.

238. Die Grunddienstbarkeiten setzen ein dienendes Grundstück voraus, dessen Eigenthümer infolge der Dienstbarkeit verhindert wird, etwas zu thun, oder genöthigt wird, etwas zu dulden, was er als freier Eigenthümer thun könnte oder nicht zu dulden brauchte.

239. Das Recht der Grunddienstbarkeit steht in der Regel dem Eigenthümer eines anderen herrschenden Grundstückes und zwar in der Art zu, dass dasselbe nicht von diesem Grundstücke zu trennen ist. Ausnahmsweise aber kann die Grunddienstbarkeit auch zu Gunsten einer Korporation und selbst einer einzelnen Person bestellt werden.

240. Der Inhalt der Dienstbarkeit kann nie darin bestehen, dass der Eigenthümer des dienenden Grundstückes infolge der Dienstbarkeit unmittelbar angehalten werden könnte, etwas zu thun.

241. Nur insofern die Handlungen oder Vorkehrungen des belasteten Eigenthümers dazu dienen, die Ausübung der Dienstbarkeit möglich zu machen oder zu erleichtern, können ihm dieselben, wie insbesondere der Unterhalt einer Mauer, auf welcher ein Theil des berechtigten Hauses ruht, oder eines Weges, den der Berechtigte benutzt, mit dinglicher Wirkung auferlegt werden.

B. Entstehung.

242. Zur Begründung von Grunddienstbarkeiten, die sich nicht durch eine körperliche Einrichtung darstellen und in dieser ständig fortwirken, bedarf es der Eintragung in das öffentliche Grundbuch.

243. Der Vertrag für sich allein oder ein anderer auf Bestellung einer Dienstbarkeit der Art gerichteter Rechtstitel, [p. 461] z. B. gerichtliche Zusprechung, Vermächtniss, kann zwar wohl Denjenigen, der einem Anderen die Dienstbarkeit verspricht, oder dem sie auferlegt worden, und seine Erben persönlich verpflichten, jenem den Genuss derselben zu verschaffen, auch den zur Begründung einer wirklichen Dienstbarkeit nöthigen Vormerk in dem Grundbuche vorzunehmen, erzeugt aber noch keine dingliche an dem Boden haftende Beschwerde.

244. Die Ersitzung derartiger Dienstbarkeiten setzt voraus:

a) dass zwar die Eintragung oder der Vormerk der Dienstbarkeit in dem Grundprotokolle geschehen sei, aber an einem inneren Mangel leide, insbesondere weil der bestellende Theil nicht Eigenthümer oder nicht handlungsfähig war;

b) fortgesetzten und unwidersprochenen gutgläubigen Besitz von zehn Jahren.

Dieselbe berechtigt den Ersitzer, nunmehr eine wirksame Eintragung vornehmen zu lassen, durch welche jener Mangel gehoben wird.

245. Dienstbarkeiten, welche sich in einer körperlichen Anstalt darstellen, können auch ohne Vormerk in dem Grundprotokolle durch ein auf Begründung einer Dienstbarkeit gerichtetes Rechtsgeschäft, z. B. einen Vertrag mit dem Eigenthümer des belasteten Grundstückes, verbunden mit der Errichtung jener Anstalt, bestellt werden.

Solche Anstalten sind z. B. Dachtraufen, ein überragender Bau; ferner Wasserleitungen, Dolen, Gasleitungen u. drgl., auch wenn sie verborgen liegen; ebenso Thüren, Fensterladen und Treppen in Häusern sowohl als an der Einfriedigung eines Grundstückes, soweit Zweck und Bestimmung derselben ausser Zweifel stehen.

246. Dergleichen Dienstbarkeiten können überdies durch zehn Jahre lang ununterbrochen und unwidersprochen fortgesetzten gutgläubigen Besitz (§ 73), auch wenn ein Erwerbstitel nicht vorliegt, ersessen werden.

Der Erwerber einer solchen Dienstbarkeit kann verlangen, dass dieselbe im Grundbuche vorgemerkt werde. [p. 462]

C. Untergang.

247. Die im Grundbuche vorgemerkten Grunddienstbarkeiten können, ausser den durch besondere eidgenössische oder kantonale Gesetze geregelten Fällen der Zwangsabtretung, mit rechtlicher Wirkung gegen Dritte nur durch Löschung im Grundprotokolle aufgehoben werden.

248. Der Eigenthümer des dienenden Grundstückes kann verlangen, dass der Berechtigte in die Löschung einwillige und diese vornehmen lassen, wenn:

a) der Berechtigte auf die Dienstbarkeit Verzicht geleistet hat;

b) es sich um eine Wegdienstbarkeit handelt, die bestanden hat zur Befriedigung eines Bedürfnisses, welches nunmehr durch das Vorhandensein einer öffentlichen Strasse oder eines offenen Weges befriedigt wird;

c) der Verpflichtete die Dienstbarkeit auf Grund des Gesetzes betreffend die städtische Bauordnung ablöst.

249. Die Grunddienstbarkeiten gehen unter.

a) durch Vereinigung des herrschenden und des dienenden Grundstückes in der Hand des nämlichen Eigenthümers;

b) durch Beseitigung der Anstalt, wenn dieselbe entweder sich auf einen Vertrag oder auf einen anderen auf Aufhebung gerichteten Rechtstitel stützt, oder auch ohne solche, wenn dieselbe nicht innerhalb zehn Jahren wieder hergestellt worden ist; sind solche Dienstbarkeiten im Grundprotokolle eingetragen, so gewährt der Vertrag oder der Nichtgebrauch nur einen Titel auf Löschung zu Gunsten des Eigenthümers des dienenden Grundstückes.

250. Ist das herrschende Grundstück mit einem Pfandrechte belastet und die Dienstbarkeit in der betreffenden Schuldurkunde vorgemerkt, so ist zur Löschung des Eintrages im Grundprotokolle, ausgenommen in den Fällen des § 248 lit. b und c, die Zustimmung des Pfandgläubigers erforderlich.

D. Allgemeine Grundsätze.

251. Im Zweifel ist eher für die Freiheit des Eigenthums als für die Beschränkung desselben durch die Dienstbarkeit zu vermuthen. [p. 463]

252. Derjenige, welchem eine Dienstbarkeit zusteht, ist berechtigt, alles, was zur Erhaltung oder Benutzung derselben nöthig ist, vorzunehmen.

253. In der Regel hat der belastete Eigenthümer die Kosten für den Unterhalt und die Herstellung der für die Dienstbarkeit erforderlichen Einrichtungen nicht zu tragen, sondern sind dieselben von dem Berechtigten selber zu übernehmen.

254. Wenn ausnahmsweise dem belasteten Eigenthümer die Kosten für Unterhalt und Herstellung solcher Vorrichtungen entweder ausschliesslich überbunden sind, oder theilweise, wie insbesondere wegen Mitbenutzung, so ist derselbe doch jederzeit berechtigt, gegen eigenthümliche Ueberlassung des dienenden Grundstückes (§ 260) an den Inhaber der Dienstbarkeit sich von dieser Last zu befreien.

255. Der belastete Eigenthümer darf nichts vornehmen, wodurch die Ausübung der Dienstbarkeit verhindert oder erschwert würde.

256. Lässt sich die Ausübung der Dienstbarkeit ohne Nachtheil für den Berechtigten von einer Stelle auf eine andere übertragen, so kann der Berechtigte auf das Begehren des belasteten Eigenthümers diese Versetzung nicht versagen.

257. Steht eine Dienstbarkeit einem herrschenden Grundstücke zu, so ist das Maass ihrer Ausübung, soweit nicht anerkannte Uebungen oder besondere Rechtsgründe eine Erweiterung begründen, durch das Bedürfniss des herrschenden Grundstückes beschränkt.

258. Steigt dieses Bedürfniss infolge veränderter Kultur des herrschenden Grundstückes, so muss sich zwar der Eigenthümer des dienenden Grundstückes diese Erweiterung gefallen lassen, ist aber in erheblichen Fällen berechtigt, Entschädigung zu verlangen.

259. Wird das Bedürfniss durch eine veränderte Benutzungsweise des herrschenden Grundstückes, z. B. durch Herstellung eines Wohngebäudes auf vormaligem landwirtschaftlichem Boden vergrössert, so ist der Eigenthümer des dienenden Grundstückes nicht verpflichtet, diese Vermehrung der Beschwerde zuzulassen. [p. 464]

260. Die Grunddienstbarkeiten bestehen als untheilbare Rechte auch nach realer Theilung des dienenden oder des herrschenden Grundstückes für alle Theile desselben fort, sofern sie nicht ihrer besondern Natur oder Bestimmung nach sich ausschliesslich auf einen bestimmten Theil des dienenden oder des herrschenden Grundstückes örtlich beschränken.

261. Wenn ein gemeinsames Grundstück unter die Miteigenthümer real vertheilt oder wenn sonst ein Grundstück in kleinere Stücke zerschlagen und unter mehrere Eigenthümer zertheilt wird, so ist anzunehmen, auf die vorhandenen Anstalten, welche ihrer Natur oder Bestimmung nach einzelnen Stücken der Art dienen, haben deren Eigenthümer für die Zukunft als auf Dienstbarkeiten Anspruch.

E. Einzelne Dienstbarkeiten.

262. In dem Fusswegrechte ist das Recht enthalten, über das dienende Grundstück, beziehungsweise den dafür angewiesenen Fussweg zu gehen, zu tragen und sich von Menschen darüber tragen zu lassen, nicht aber auch das Recht zu reiten, zu fahren oder Vieh zu treiben. Indessen ist, wenn nicht aus den Umständen auf ein ausgedehnteres Recht geschlossen werden muss, der belastete Eigenthümer nicht verpflichtet, im Interesse des Fusswegberechtigten, welcher hohe Lasten tragen will, die Bäume längs des Fussweges höher als zwei Meter aufzustücken.

263. Gebahnter Wege durch offenes Feld und Wald darf jeder Fussgänger sich bedienen, wenn kein besonderes Verbot im Wege steht. Es ist jedoch aus dem Dasein und der freien Benutzung solcher Wege nicht ohne weiteres auf die Existenz einer Dienstbarkeit zu schliessen.

264. Wer ein Fahrwegrecht hat, darf auch über den Weg reiten und festgehaltenes (gefangenes) Vieh darüber führen, aber aus dem Fahrwegrechte folgt nicht das Recht, schwere Lasten zu schleifen oder freigelassenes Vieh darüber zu treiben.

265. Der sogenannte Winterweg (Fahrweg zu Winterszeit) ist, wenn nicht besondere Verträge etwas Abweichendes festsetzen, in der Zeitfrist von Martini bis Mitte März und in [p. 465] der Regel nur wenn der Boden mit Schnee bedeckt oder gefroren ist, auszuüben. Ausnahmsweise darf, wenn sich in milden Wintern bis Mitte Hornung dazu keine Gelegenheit bietet, von da an auch über offenen (abern) Boden mit Wagen gefahren werden, insofern kein anderer Weg ohne namhafte Erschwerung benutzt werden kann.

266. Privatwege, Brücken und Stege, welche von mehreren Grundbesitzern gemeinsam benutzt werden, sind in der Regel auch auf gemeinsame Kosten zu unterhalten.

267. Die Breite der Wege und das Maass des freien Luftraumes über denselben werden durch die Landessitte und das Bedürfniss bestimmt.

268. Das Weiderecht ist von Seite des belasteten Grundeigenthümers jederzeit ablösbar gegen volle Entschädigung des Berechtigten, sei es durch Bezahlung oder einstweilige Versicherung und Verzinsung einer dem schatzungsmässigen Werthe des Rechtes entsprechenden Geldsumme, sei es durch eigentümliche Ueberlassung eines entsprechenden Theiles des pflichtigen Grundstückes an den Berechtigten.

269. Erstreckt sich das Weiderecht über mehrere verbundene Grundstücke, die verschiedenen Eigentümern zugehören, so ist ein einzelner Grundeigenthümer gegen den Willen der Mehrheit nur unter der Voraussetzung zur Ablösung berechtigt, dass er selber durch Umzäunung für den nötigen Abschluss seines Grundstückes gegen das weidende Vieh sorgt. Beschliesst aber die Mehrheit der betreffenden Grundeigenthümer die Ablösung, so hat sich die Minderheit derselben ebenfalls zu unterziehen.

270. Ebenso sind die Holzungsrechte von Seite des belasteten Waldeigenthümers ablösbar.

Mit Bezug auf dieselben gelten die Bestimmungen der eidgenössischen und kantonalen Forstgesetze.

271. Insofern die Weid- oder Holzungsrechte aus der ursprünglichen Gemeindeverbindung hervorgegangen sind und einer Genossenschaft von Gerechtigkeitsbesitzern zustehen, während der Boden der ursprünglich gemeinen Weide oder Waldung einer Gemeinde zugehört, so ist sowol die Gemeinde als die Genossenschaft der Gerechtigkeitsbesitzer berechtigt, [p. 466] eine Auseinandersetzung ihrer verschiedenen Ansprüche durch Theilung des Bodens selbst zu fordern, und weder jene noch diese verpflichtet, eine Ablösung in Geld anzunehmen.

272. Bei solchen Auseinandersetzungen ist der Werth des Eigenthums, abgesehen von den damit dem Eigenthümer vorbehaltenen materiellen Nutzungen, je nach der grösseren oder geringeren Bedeutung der darin liegenden Dispositionsrechte und der Beschränkung des Gerechtigkeitsbesitzes zu einem Achtel bis zu einem Zwölftel, im Durchschnitt somit zu einem Zehntel des gesammten Grundstückes anzuschlagen.

273. Unter keinen Umständen dürfen die Nutzungsrechte an einer Waldung den nach forstwirthschaftlichen Grundsätzen zu bestimmenden jeweiligen Jahresertrag derselben übersteigen.

274. Ist die Ertragsfähigkeit der Waldung durch ausserordentliche Ereignisse, z. B. durch Brand oder feindliche Verheerung vermindert worden, so sind auch die bestehenden Nutzungsrechte je nach ihrem Verhältnisse zu der regelmässigen Gesammtnutzung so lange als nöthig zu vermindern.

275. Ist die Ertragsfähigkeit der Waldung durch unmässiges Holzschlagen des Eigenthümers zum Schaden der Nutzungsberechtigten vermindert worden, so müssen zwar diese sich ebenfalls eine Verminderung ihrer Nutzung, soweit dieselbe nöthig ist, gefallen lassen, sind aber berechtigt, den Eigenthümer zum Schadenersatz anzuhalten.

Zweites Kapitel.

Niessbrauch.

A. Begriff und Entstehung.

276. Der Niessbrauch kann sich auf Grundstücke oder auf bewegliche Sachen, auf ein ganzes Vermögen oder einzelne Bestandteile des Vermögens beziehen.

277. Der Niessbrauch an Grundstücken kann, insofern derselbe nicht familien- oder erbrechtlich begründet worden, nur durch Eintragung in das Grundbuch bestellt werden.

Auch das Vermächtniss eines Niessbrauches wirkt als erbrechtliche Begründung. [p. 467]

278. Ist aber der Niessbrauch nicht kanzleiisch bestellt oder vorgemerkt worden, so ist ein späterer gutgläubiger Erwerber des Grundeigenthums oder ein späterer Pfandgläubiger nicht an die Beschränkung desselben gebunden.

Ein älterer Pfandgläubiger wird in der Realisirung seines Pfandrechtes auch nicht durch den später eingetragenen Niessbrauch gehemmt.

B. Rechte des Niessbrauchers.

279. Der Niessbraucher hat das Recht, die Sache zu gebrauchen und die Früchte derselben zu geniessen, so jedoch, dass der Bestand derselben erhalten bleibt.

280. Der Niessbraucher hat das Recht der Verwaltung der Sache oder des Vermögens, woran ihm ein Niessbrauch zusteht.

281. Bezieht sich der Niessbrauch auf Schuldbriefe oder ähnliche Kapitalforderungen, so ist der Niessbraucher als Verwalter auch berechtigt, dieselben zu kündigen und die Zahlung neu anzulegen. Die Umlegung in andere Schuldbriefe geschieht jedoch, wenn der Eigenthümer nicht seine Zustimmung ertheilt hat, in dem Sinne auf Gefahr des Niessbrauchers, dass der Eigenthümer am Schlusse des Niessbrauches berechtigt ist, statt der neuen Briefe baares Geld zu fordern.

282. Sind Werthpapiere, welche ihrer Natur nach einen leicht veränderlichen Kurs haben, wie Staatspapiere, Aktien u. drgl. Gegenstand des Niessbrauches, so ist die Veräusserung derselben nur im beiderseitigen Einverständnisse des Eigenthümers und des Niessbrauchers gestattet.

283. Die Früchte, welche bei Beginn des Niessbrauches noch mit dem Grundstücke verbunden sind, das Getreide am Halm, das Obst an den Bäumen, fallen dem Niessbraucher zu, ohne Abrechnung der Kulturauslagen, die auf deren Erzeugung verwendet worden sind. Dagegen gehören ebenso die zur Zeit der Beendigung des Niessbrauches noch hangenden Früchte dem Eigenthümer.

284. Die Jungen der Thiere gehören dem Niessbraucher, soweit dieselben nicht zur Bewahrung des übernommenen Viehstandes verwendet werden müssen. [p. 468]

285. Die bei Beginn des Niessbrauches ausstehenden Bruchzinse (Marchzahlzinse) gehören dem Eigenthümer, die zu Ende des Niessbrauches vorhandenen dem Niessbraucher.

286. Der Niessbraucher darf das Grundstück entweder selbst bewirthschaften oder verpachten. Aber er darf die Kultur desselben gegen den Willen des Eigenthümers nicht umgestalten, es wäre denn, dass ihm aus andern Rechtsgründen, z. B. als Ehemann oder Vater, ein freies Verfügungsrecht zukäme.

287. Verbrauchbare Sachen gehen sofort in das Eigenthum des Niessbrauchers über, mit der Verpflichtung, nach Beendigung des Niessbrauches eben so viele Sachen von gleicher Art und Beschaffenheit, oder in Ermanglung derselben den dannzumaligen Geldwerth solcher Sachen dem Eigenthümer zurück zu lassen.

288. Sind derlei zum Niessbrauch übergebene Sachen in Geld geschätzt worden, so ist, wenn die Verabredung nichts anderes bestimmt, anzunehmen, dass der Niessbraucher die Schätzungssumme zu erstatten habe.

C. Verpflichtungen des Niessbrauchers.

289. Der Niessbraucher kann von dem Eigenthümer jederzeit angehalten werden, diesem ein Inventar über die zu Niessbrauch überlassenen Sachen zuzustellen.

290. Bei der Benutzung der Niessbrauchssachen soll er wie ein guter Hauswirth verfahren und dafür sorgen, dass dieselben in gutem Zustande erhalten bleiben.

291. Er ist verpflichtet, dem Eigenthümer sowohl dafür als für unversehrte Rückerstattung nach Beendigung des Niessbrauches Sicherheit zu leisten.

Von dieser Verpflichtung ist der Schenker befreit, welcher sich den Genuss der geschenkten Sache ausbedungen hat.

Vorbehalten bleiben die besonderen Bestimmungen über die Versicherungspflicht des Ehemannes und des Vaters.

292. Kann oder will der Niessbraucher nicht genügende Sicherheit leisten, so verliert er, soweit nöthig, das Recht der Selbstverwaltung, auch wenn dadurch die Ausübung seines Gebrauchsrechtes gehemmt werden sollte. Verbrauchbare Sachen [p. 469] sind in diesem Falle zu Geld zu machen und mit den übrigen Geldern anzulegen, die Werthschriften (Kapitalbriefe u. drgl.) aber bei einem unparteiischen Dritten zu hinterlegen. Auf die Zinse derselben hat der Niessbraucher nach Abzug der Hinterlegungs- und Verwaltungskosten Anspruch.

293. Wenn Fahrhabe, welche durch regelmässigen Gebrauch, wie z. B. Hausgeräthe und Kleidungsstücke, oder durch Alter, wie z. B. Hausthiere, an Werth verliert, Gegenstand des Niessbrauches ist, so hat für den daherigen Abgang der Niessbraucher, welcher ordentlich wirtschaftet, keinen Ersatz zu leisten.

294. Die gewöhnlichen Reparaturkosten für die benutzten Gebäude, ebenso die auf dem Grundbesitze haftenden Gemeindelasten und Abgaben, soweit dieselben mit der Bewirtschaftung des Grundstückes in Verbindung stehen, fallen dem Nutzniesser zur Last.

295. Hauptreparaturen dagegen sind von dem Eigenthümer zu übernehmen. Die daherigen Kapitalauslagen ist der Nutzniesser nur insoweit zu verzinsen verpflichtet, als dieselben notwendig waren oder durch dieselben sein Fruchtgenuss vermehrt worden ist.

296. Ist ein ganzes Vermögen oder ein Theil desselben Gegenstand des Niessbrauches, so hat der Niessbraucher die darauf haftenden Kapitalschulden nach Verhältniss zu verzinsen und in gleicher Weise die Vermögenssteuern zu entrichten.

297. Bezieht sich der Niessbrauch auf eine einzelne Sache oder einen Theil derselben, so ist der ausgesprochene oder der aus den Verhältnissen zu folgernde Wille darüber maassgebend, ob der Eigenthümer oder der Niessbraucher die darauf versicherten Kapitalschulden zu verzinsen habe.

298. Wird ein Gebäude durch Zufall zerstört, so ist der Eigenthümer nicht verpflichtet, dasselbe herzustellen. Wird es aber von dem Eigenthümer wieder aufgebaut, so wird der Niessbrauch daran wieder wirksam. Wird es nicht hergestellt, so gebührt dem Niessbraucher der Genuss der allfälligen Assekuranzsumme, soweit dieselbe dem Eigenthümer zukommt. [p. 470]

D. Untergang des Niessbrauches.

299. Der Niessbrauch erlischt mit dem Tode des Niessbrauchers oder nach Ablauf der Zeit oder nach Beendigung des Verhältnisses, wofür derselbe bestellt worden ist.

300. Wird der Niessbrauch zu Gunsten einer juristischen Person oder einer Korporation mit Theilrechten bestellt, so erlischt derselbe mit der Auflösung jener oder dieser, oder auch ohne solche längstens nach Ablauf von einhundert Jahren seit dem Zeitpunkte, in welchem die Ausübung begonnen hat.

Drittes Kapitel.

Wohnrecht.

301. Das Wohnrecht wird entweder durch Eintragung in das Grundbuch oder auch ohne solche durch Vermächtniss erworben. Im letzteren Falle aber steht dasselbe, wenn es nicht in das Grundbuch eingetragen oder vorgestellt worden, dem gutgläubigen neuen Erwerber des Grundstückes oder dem darauf versicherten Pfandgläubiger bei der Realisirung seines Pfandrechtes nicht entgegen (§§ 277 und 278).

302. Steht dem Berechtigten der ausschliessliche Gebrauch einer ganzen Wohnung oder einzelner abgeschlossener Räume zu, so darf er mit seiner Familie dieselbe einem Miether ähnlich benutzen, nicht aber weiter vermiethen.

303. Ist das Wohnrecht auf die Mitbenutzung einer Wohnung beschränkt, wie z. B. der sogenannte Winkel im Haus, so kann der Berechtigte diejenigen Räume für sich in Anspruch nehmen, welche seinen Bedürfnissen und Verhältnissen gemäss sind, nicht aber, wenn ihm das Wohnrecht ohne Rücksicht auf eine Familie bestellt war, durch Verheiratung eine neue Familie zur Mitbenutzung herbeiziehen.

304. Im ersteren Falle (§ 302) trägt der Eigenthümer die Kosten der Hauptreparaturen, der Wohnberechtigte die der gewöhnlichen Unterhaltung; im letzteren Falle (§ 303) liegen die sämmtlichen Unterhaltungskosten dem Eigenthümer ob.

305. Insofern das Wohnrecht zu Gunsten eines Leibdingnehmers oder für den Wittwer oder die Wittwe des verstorbenen [p. 471] Eigenthümers bestellt wurde, steht die Auswahl der geeigneten Räume und Plätze innerhalb der Schranken der Billigkeit dem Berechtigten zu.

Sechster Abschnitt.

Von den Reallasten.

A. Entstehung.

306. Dem Grundeigenthum dürfen keine unablöslichen Reallasten auferlegt werden.

Die alten sogenannten ewigen Lasten (Zehnten, Zinse) sind ablösbar.

307. Eine Reallast kann nur durch kanzleiische Eintragung im Grundprotokolle begründet werden.

308. Das Vermächtniss gewährt nur einen Titel auf Bestellung einer Reallast, nicht diese selbst. Die Ersitzung ist nur ausnahmsweise innerhalb der Beschränkungen anwendbar und wirksam, welche für die kanzleiisch zu fertigenden Grunddienstbarkeiten gelten (§ 244).

B. Inhalt.

309. Die Reallast haftet in der Weise an dem pflichtigen Grundstücke, dass der jeweilige Besitzer desselben, und nur so lange er Besitzer bleibt, zu der in derselben enthaltenen Leistung verpflichtet ist.

310. Ist der rechtzeitige Bezug einer fälligen Leistung von dem Berechtigten versäumt worden, so bleibt in der Regel der Besitzer, welcher dieselbe nicht entrichtet hat, auch in Zukunft noch persönlich dazu verbunden, aber das Grundstück, beziehungsweise ein nachfolgender gutgläubiger Erwerber desselben als solcher hat für derlei Rückstände nicht weiter einzustehen.

Wenn jedoch die Leistung in einer bestimmten Summe, z. B. einem Grundzinse besteht, so haftet der jeweilige Besitzer subsidiär bis auf drei unter seinem Vorgänger aufgelaufene rückständige Zinse und den laufenden. [p. 472]

311. Steht das Realrecht einem herrschenden Grundstücke zu, so geht dasselbe mit dem Eigenthum an diesem über. Wenn dasselbe nicht mit einem herrschenden Grundstücke verbunden ist, so bedarf es zu seiner Veräusserung der kanzleiischen Fertigung nicht. Ist aber dafür eine besondere kanzleiische Urkunde angefertigt, so ist die Uebertragung derselben erforderlich.

312. Wird das pflichtige Grundstück unter mehrere Erben getheilt oder durch theilweise Veräusserung zerstückt, so bleibt die Reallast auf allen Stücken haften, soweit dieselbe nicht ihrer Natur nach sich nur auf einzelne Stücke bezieht.

313. Bei der Vertheilung eines Realzinses unter mehrere Einzinser ist darauf Rücksicht zu nehmen, dass auch für die Entrichtung der einzelnen Theilzinse in der Art und dem Werthe der damit zunächst belasteten Grundstücke hinreichende Gewähr liege.

C. Tragerei.

314. Die Einzinser sind berechtigt, aus ihrer Mitte einen Träger zu bezeichnen, an welchen der Grundzinsberechtigte sich für den ganzen Grundzins hält und welcher hinwieder den Bezug der einzelnen Raten von den übrigen Einzinsern besorgt.

315. Können sich die Einzinser nicht über die Ernennung eines Trägers einigen oder sind sie in der Bestellung säumig, so ist der Zinsberechtigte befugt, von sich aus einen Einzinser als Träger zu bezeichnen.

316. Im Zweifel ist es Sache des Trägers, nicht des Zinsberechtigten, den sogenannten Tragerrodel anzufertigen und die Einzinser aufzusuchen.

317. Die übrigen Theilschuldner sind verpflichtet, dem Träger nach Verhältniss ihrer Theilschulden für die Besorgung des Bezuges und für die Kosten der Ueberbringung des Zinses an den Zinsherrn einen angemessenen Lohn durch Zuschlag zu ihrer Zinsrate zu bezahlen. Erhält der Träger ein Trinkgeld von dem Zinsherrn, so braucht er dasselbe nicht mit den Mitschuldnern zu theilen.

318. Ergibt sich aus dem Bezuge der Zinsraten ein Ueberschuss über den Betrag des Gesammtzinses, so kommt derselbe, [p. 473] soweit er nicht als Lohn (§ 317) aufzufassen ist, allen Einzinsern nach Verhältniss ihrer Raten zu.

Auf der anderen Seite haften die übrigen Einzinser nach demselben Verhältnisse für den Ausfall einer Zinsrate, deren Verlegung auf ein Grundstück nicht mehr aufgefunden wird.

D. Untergang.

319. Die Reallasten gehen, ausser den durch die eidgenössischen und kantonalen Gesetze geregelten Fällen der Zwangsabtretung, unter:

a) durch Ablösung;

b) durch Verzichtleistung des Berechtigten;

c) durch Verjährung.

320. Der befreite Grundeigenthümer ist jederzeit berechtigt, die Löschung im Grundprotokolle vornehmen zu lassen. Besteht eine kanzleiische Urkunde über das Realrecht, so ist die Löschung zu der völligen Befreiung des Grundstückes nothwendig, indem, so lange sie nicht vollzogen ist, der gutgläubige Erwerber der Urkunde berechtigt erscheint, die Fortdauer der Reallast vorauszusetzen.

321. Durch Verjährung erlischt das Realrecht, wenn der Pflichtige die Leistung verweigert und der Berechtigte sich während dreissig Jahren bei der Nichterfüllung beruhigt hat.

Bezüglich der Verjährung der Forderung auf eine einzelne rückständige Leistung dagegen, soweit sie nicht als versichert erscheint, ist Art. 147 des Schweizerischen Obligationenrechtes maassgebend.

E. Ablösung der Gülten.

322. Ist ein Grundstück mit einer Gült belastet, so geht die Gültschuld von Rechtes wegen auf jeden neuen Erwerber desselben über. Für ausstehende Gültzinse haftet das Grundstück in derselben Weise wie für ausstehende Grundzinse.

323. Sowohl der Gültschuldner als der Gültgläubiger ist jederzeit berechtigt, auch wo ursprünglich an eine ewige Gült gedacht war, mit Beachtung der für Schuldbriefe vorgeschriebenen Aufkündungsfristen und Termine aufzukünden und abzulösen. (§§ 379 u. ff.) [p. 474]

Ist die Gült vor dem Jahre 1601 errichtet worden, so ist in Berücksichtigung der damaligen Veränderung des Münzfusses und des Herkommens zu dem Ablösungskapital von Einhundert für einen Zins von je fünf eine Aufgabe von zwanzig Prozent hinzuzurechnen. Diese Bestimmung findet auf blosse Schuldbriefe, auch wenn sie vor dem Jahre 1601 errichtet wurden, keine Anwendung.

324. Im Konkurse des Gültschuldners oder bei einer Zwangsversteigerung geht die ältere Gült auch ihrem Kapitalwerthe nach den späteren grundversicherten Forderungen vor.

Siebenter Abschnitt.

Von dem Pfandrechte an Liegenschaften.

Erstes Kapitel.

Entstehung des Pfandrechtes.

A. Allgemeine Grundsätze.

325. Ein Pfandrecht an Liegenschaften kann, abgesehen von den gesetzlichen Pfandrechten, nur durch Eintragung in das Grundprotokoll entstehen.

326. Ausser an Liegenschaften im eigentlichen Sinne kann ein Pfandrecht nur an solchen dauernden Realrechten bestellt werden, mit welchen Besitz an Boden oder an einem Gewässer verbunden ist, wie Holzgerechtigkeiten, Wasserrechten und Wasserwerken, Fischereirechten, nicht bloss auf Zeit verliehenen Tavernenrechten und Metzgbänken, dagegen nicht an Zehnten, Grundzinsrechten, Gülten, Pfandbriefen.

327. Der Eigenthümer ist berechtigt, sein Grundstück auch für eine fremde Schuld zu verpfänden.

328. Die Forderung, für welche eine Grundversicherung bestellt wird, muss in bestimmter Geldsumme verzeichnet oder mindestens in solcher begrenzt sein. Nur unter dieser Beschränkung kann ein Grundstück auch für zukünftige Forderungen verpfändet werden. [p. 475]

329. Wird ein Grundstück für Leibrenten oder für eine Forderung auf Unterhalt und Pflege (Leibgedinge) oder für andere Naturalleistungen verpfändet, so ist auch in diesem Falle eine Kapitalsumme in Geld anzugeben, für welche oder bis auf welche im äussersten Falle das Grundstück haftet.

330. Ist die Schuldsumme genau und unabänderlich als feste und einseitige Kapitalschuld bestimmt, wie bei bezahlten Gelddarlehen, oder, wenn auch aus einem anderen Rechtsgeschäfte entstanden, doch als solche kanzleiisch gefertigt worden, so entsteht ein eigentlicher Schuldbrief.

331. Ist der Schuldner berechtigt, nach Umständen Abzüge an der genannten Schuldsumme zu machen, wie z. B. bei einer Kaufschuld für Mängel der verkauften Sache, oder stellt sich sonst die Schuldsumme nicht als eine feste und einseitige Kapitalschuld dar, so ist bei der Fertigung ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, und eine solche Grundversicherung auch äusserlich nicht einem eigentlichen Schuldbriefe gleich zu stellen, sondern als Kaufschuldbrief, Kreditversicherungsbrief, Kautionsurkunde, Ausrichtungsbrief u. s. f. zu bezeichnen.

B. Rechtstitel.

332. Von Gesetzes wegen bestehen ohne Vertrag und ohne kanzleiische Fertigung folgende Pfandrechte:

a) das Recht der Gemeinde beziehungsweise des Bewerbers eines Gebäudes, sich während der Dauer eines Jahres vom Ende der Bezugsfrist an für den an die Brandversicherungsanstalt bezahlten Jahresbeitrag an Denjenigen zu halten, welcher zur Zeit der Erhebung Eigenthümer des versicherten Gebäudes war;

b) das Recht des Grund- und Erblehenzinsberechtigten, für drei ausstehende Zinse und den laufenden auf das belastete Grundstück zu greifen;

c) das Pfandrecht für eine Forderung aus baulichen Anordnungen, welche im Interesse der Feuerpolizei getroffen wurden, gemäss dem Gesetze betreffend die Brandversicherungsanstalt für die Gebäude im Kanton Zürich; [p. 476]

d) das Pfandrecht des Staates oder der Gemeinden zur Deckung von Auslagen, welche sie bei der Korrektion oder bei dem Unterhalte der Gewässer für Private zu machen haben, gemäss dem Gesetze betreffend die Korrektion der öffentlichen Gewässer;

e) das Pfandrecht das Rebfondes für die ausstehenden Beiträge, gemäss dem Gesetze betreffend Massnahmen gegen die Reblaus.

333. Für die in § 332 lit. d und e bezeichneten gesetzlichen Pfandrechte kann nach Maassgabe der bestehenden Gesetze innerhalb sechs Monaten von deren Entstehung an durch einfache Aufprotokollirung am Grundbuche ohne Mitwirkung des Schuldners Grundversicherung bestellt werden.

334. In allen übrigen Fällen, in welchen von Rechtes wegen, oder gestützt auf Vertrag, letztwillige Verordnung oder gerichtliches Erkenntniss eine Grundversicherung begehrt werden kann, erwächst aus diesem Titel nicht das Pfandrecht selbst, sondern bloss das obligatorische Recht, den Schuldner zur kanzleiischen Bestellung desselben anzuhalten.

335. Von Rechtes wegen, auch ohne hierauf gerichteten Vertrag sind berechtigt, die Bestellung einer Grundversicherung zu begehren:

a) der Verkäufer eines Grundstückes für den noch unbezahlten Kaufpreis mit Bezug auf das verkaufte Grundstück;

b) der ausgerichtete oder ausgekaufte Miterbe (Bruder, Schwester) für die Ausrichtungs- oder Auskaufssumme auf den Liegenschaften, welche dem ausrichtenden oder auskaufenden Miterben zugefallen sind;

c) die Quaiunternehmung der Gemeinden Zürich, Riesbach, Enge und Wollishofen für die Beitragspflicht der Anstösser an den Seequai gemäss der bestehenden Verordnung;

d) die Korporationen für Bewässerung oder Entwässerung von grösseren Grundflächen zur Deckung ihrer diesfälligen Kosten.

336. Weigert sich der Eigenthümer, obwohl ein rechtmässiger Anspruch auf Bestellung des Pfandrechtes vorliegt, [p. 477] zu der kanzleiischen Fertigung mitzuwirken, oder ist er thatsächlich verhindert, so ist, wo Gefahr im Verzuge liegt, der Gerichtspräsident nach vorheriger Prüfung des Falles ermächtigt, auf Begehren des Gläubigers zu dessen Gunsten die provisorische Bestellung anzuordnen, wenn die Forderung sowohl als die Verpflichtung, Pfandrecht zu gewähren, liquid erscheint. Dem Schuldner bleibt aber auch in diesen Fällen das Recht vorbehalten, über die Frage der Gültigkeit des Pfandrechtes auf dem Wege des ordentlichen Prozesses ein gerichtliches Urtheil zu verlangen.

337. Ist zwar die Existenz und Qualität der Schuld, sowie die Verpflichtung des Schuldners zur Pfandbestellung im allgemeinen klar, aber die Grösse der Schuld zweifelhaft, so hat der Gerichtspräsident unter den obigen Voraussetzungen mit Bezug auf den wahrscheinlichen Betrag eine provisorische Versicherung durch das Grundbuch anzuordnen. In diesen Fällen bleibt überdies die gerichtliche Ermittlung des Betrages der Schuld vorbehalten.

C. Fertigung und Rangordnung der Pfandrechte.

338. Ohne Vorwissen des Eigenthümers der Liegenschaft oder seines rechtmässigen und beglaubigten Stellvertreters darf keine Eintragung eines Pfandrechtes vorgenommen werden.

339. Die Frage, ob und wann die gegen den Eigenthümer angehobene Schuldbetreibung denselben des Rechtes beraube, sein Grundstück zu verpfänden, wird durch die Gesetzgebung über die Schuldbetreibung geregelt.

Eine derartige Beschränkung der Verfügungsfreiheit schliesst weder die Entstehung der gesetzlichen Pfandrechte des § 332; noch die in § 333 erwähnten Aufprotokollirungen, noch endlich das Recht auf Bestellung einer Grundversicherung gemäss § 335 aus.

340. Die Unterpfande müssen speziell aufgeführt werden.

Bei Gebäuden ist die Nummer und der Werth derselben nach den Katastern der Brandassekuranzanstalt vorzumerken. [p. 478]

341. Die Wirksamkeit der gesetzlichen Pfandrechte richtet sich nach dem Momente der Entstehung der Forderung.

Dieselben gehen, auch wenn eine Aufprotokollirung erfolgt ist, allen übrigen gemäss § 334 bestellten Pfandrechten im -Range vor; ihre gegenseitige Rangordnung unter sich bestimmt sich nach der Reihenfolge der in § 332 enthaltenen Aufzählung.

342. Die Wirksamkeit der gemäss § 334 bestellten Pfandrechte und die Rangordnung derselben unter sich wird, insofern nicht die besser berechtigten Pfandgläubiger in eine Vorstellung des späteren Pfandrechtes einwilligen und dieselbe sowohl im Grundprotokolle als in ihren Pfandurkunden vorgenommen wird, nach dem Datum der Eintragung beurtheilt.

343. Das Datum der Eintragung in das Grundbuch wird durch das Datum bestimmt, unter welchem das fertige Rechtsgeschäft in das Journal aufgenommen worden ist.

Wenn der Schuldner in der Zwischenzeit zwischen der Aufnahme des Rechtsgeschäftes in das Journal und der wirklichen Eintragung in das Grundbuch in Konkurs geräth und der Mangel der Eintragung lediglich in der Zögerung des Notars seinen Grund hat, im übrigen aber das Verhältniss unverändert geblieben ist, so soll die Eintragung nachträglich vollzogen werden.

344. Pfandrechte, welche gleichzeitig angelobt und unter dem nämlichen Datum eingetragen werden, stehen, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt wird, in gleichen Rechten. Davon ist jedoch im Protokolle und in den Pfandbriefen Erwähnung zu thun.

B. Ausfertigung der Pfandurkunde.

345. Wenn die Vertragsparteien sich nicht über die blosse Aufprotokollirung vereinbart haben, noch auch das Gesetz blosse Aufprotokollirung vorschreibt, so soll für jede Verpfändung zu Handen des Berechtigten eine besondere notarialisch beglaubigte Urkunde, Schuldbrief, Versicherungsbrief, angefertigt und in dieser alle älteren auf dem Unterpfande haftenden, aus dem Grundbuche ersichtlichen Pfandrechte und andere dingliche Beschwerden vorgestellt werden. [p. 479]

346. Ueberzeugt sich der Notar, dass das Darlehen, für welches ein Schuldbrief gefertigt wird, noch nicht bezahlt ist, sondern erst gegen den Schuldbrief bezahlt werden soll, so darf er diesen ohne ausdrücklichen Auftrag des Schuldners dem Gläubiger nicht übergeben, bevor er sich über die geschehene Zahlung vergewissert hat. Er kann aber in einem solchen Falle den Schuldbrief dem Schuldner selbst zur Uebergabe an den Gläubiger zustellen.

347. Zu Gunsten des Gläubigers und dessen Erben begründet der ordnungsgemäss erworbene Besitz der Pfandurkunde zunächst die Vermuthung für die Wahrheit ihres Inhaltes; aber es kann dieselbe durch den Beweis der Einrede von Seite des Schuldners, dass kein wirkliches Schuldverhältniss bestehe, zerstört werden.

348. Bloss aufprotokollirte Grundversicherungen sind, wenn eine jüngere Verpfändung bestellt und dafür eine Urkunde ausgefertigt wird, entweder zu löschen oder es ist dafür auf Begehren des Gläubigers, dem von diesem Falle Kenntniss gegeben werden soll, nachträglich ebenfalls eine Urkunde auszufertigen.

Ausgenommen hievon sind die in § 333 und § 335 lit. d erwähnten Fälle.

349. Der Schuldner eines Kreditversicherungsbriefes ist jederzeit berechtigt, zu verlangen, dass derselbe auf seine Kosten in einen eigentlichen Schuldbrief (§ 330) umgewandelt werde. Bestehen jedoch nachgehende Pfandrechte, so darf die Umwandlung ohne Zustimmung der nachgehenden Gläubiger nur dann vorgenommen werden, wenn der Betrag des Schuldbriefes mindestens zwanzig Prozent unter dem bisherigen Maximalbetrage des Kreditversicherungsbriefes bleibt.

350. Die Ausfertigung einer neuen Pfand-Urkunde an Stelle einer verloren gegangenen darf nur mit gerichtlicher Bewilligung nach vorheriger Amortisation der vermissten Urkunde geschehen.

351. Ebenso ist für die Ausfertigung einer neuen Pfand-Urkunde an Stelle einer noch vorhandenen, aber schadhaften die gerichtliche Bewilligung erforderlich. [p. 480]

Zweites Kapitel.

Wirkung des Pfandrechtes.

A. Gegenstand.

352. Das Pfandrecht erstreckt sich auf die ganze Sache und was damit dauernd verbunden ist, das Pfandrecht an dem Boden somit auch auf das Gebäude, welches auf demselben errichtet wird, ebenso auf die Zubehörde.

Bezüglich der Haftung der Zubehörde eines Grundstückes sind die §§ 50 bis 57 maassgebend.

353. Wird ein versichertes Gebäude durch Brand zerstört oder beschädigt, so darf dem Eigenthümer die Entschädigung der Assekuranzanstalt nur mit Zustimmung der versicherten Gläubiger verabreicht werden. Will derselbe auf dem mit dem Gebäude verpfändeten Grundstücke wieder bauen, so dürfen die Pfandgläubiger ihn nicht daran hindern, dass er die Assekuranzvergütung zu dieser Baute verwende.

Erklärt der Eigenthümer, dass er die Assekuranzvergütung nicht für einen neuen Bau verwenden, sondern an seine Pfandgläubiger abtreten wolle, so sind diese verpflichtet, den Betrag anzunehmen und an ihrem Kapitale abschreiben, sowie das Gebäude in den Pfandbriefen als abgebrannt bezeichnen zu lassen.

Der Anspruch der Gläubiger auf die Assekuranzvergütung wird, wenn sie sich nicht anders verständigt haben, durch die Rangordnung ihrer Pfandrechte bestimmt.

354. Im Falle einer Zwangsabtretung finden die Gesetze betreffend die Abtretung von Privatrechten Anwendung.

355. Wenn der Werth des Unterpfandes durch Vernachlässigung oder Verschlimmerung der Sache in erheblichem Maasse vermindert oder gefährdet wird, so kann der Pfandgläubiger auch vor der Verfallzeit der Forderung Bezahlung fordern oder auf gerichtlichem Wege verlangen, dass solche schädliche Einwirkung gehemmt werde.

Das Recht zu diesem gerichtlichen Begehren steht auch dem Miteinzinser zu.

356. Das Pfandrecht haftet an dem verpfändeten Gute und seinen Bestandtheilen, auch wenn dasselbe ganz oder theilweise auf einen dritten Besitzer übergegangen ist. [p. 481]

B. Geschreiung.

357. Wenn dem dritten Besitzer die Schuld weder ganz noch theilweise zur Bezahlung angewiesen, sondern gar nicht oder nur in Form eines Anhanges angezeigt worden, oder wenn sonst der Eigenthümer des Unterpfandes nicht zugleich Schuldner ist, so hat derselbe als Geschreiter im Konkurse des Schuldners die Wahl, ob er die Schuld, für welche das in seinem Besitze befindliche Grundstück als Pfand haftet, übernehmen und bezahlen (ziehen) oder ob er dasselbe dem Gläubiger überlassen (fliehen) wolle.

Sind mehrere Geschreite für dieselbe Schuld vorhanden, so entscheidet über das Verhältniss ihrer Betheiligung bei dem Zuge der Werth, welchen ihre verpfändeten Grundstücke zur Zeit der Geschreiung haben.

358. Wenn der Geschreite zieht, so kann er die Forderungs- und Pfandrechte des Gläubigers geltend machen, soweit nicht die Rücksicht auf seine Mitgeschreiten (§ 357) eine Beschränkung nöthig macht.

359. Wenn dagegen der Geschreite flieht, so haben die auf seinem Grundstücke nachgehend versicherten Pfandgläubiger, und zwar zunächst je der jüngste das Recht, für ihn einzutreten, und die Wahl, ob sie das geschreite Grundstück sammt den darauf haftenden Schulden übernehmen (ziehen) oder unbeschadet ihrer Forderung an den bisherigen Schuldner auf ihr Pfandrecht daran verzichten (fliehen) wollen.

360. Dem Geschreiten bleibt der Rückgriff gegen den eigentlichen Schuldner vorbehalten für den Schaden, welchen er durch die Geschreiung erlitten hat.

C. Anweisung der Schulden. Einzinserei.

361. Wird das Eigenthum eines Grundstückes, worauf Schulden versichert sind, ungetheilt auf einen neuen Erwerber übertragen, so ist dieser verpflichtet, mit der verpfändeten Sache auch die darauf haftenden Schulden zu übernehmen.

Diese Verpflichtung gilt für eigentliche Schuldbriefe (§ 330) ohne Beschränkung, für andere Grundversicherungen (§ 331), soweit die Natur des Rechtsverhältnisses es zulässt.

Ausgenommen hievon ist der Fall der Zwangsabtretung. [p. 482]

362. Der Erwerb einer durch einen Kreditversicherungsbrief verpfändeten Liegenschaft und die Ueberbindung einer solchen Schuld schliesst den Eintritt des Erwerbers in das Kreditverhältniss nicht in sich.

363. Die Notare sollen von der Ueberbindung einer ganzen Schuld, oder von der Anweisung einer Theilschuld, wenn dieselbe mehr als die Hälfte der Gesammtschuld beträgt, dem Gläubiger Anzeige machen, welchem die Wahl offen steht, ob er sich zunächst noch an den alten Schuldner halten oder den neuen Schuldner anerkennen will. Zieht er das erstere vor, so muss er seine Forderung beziehungsweise Gesammtforderung spätestens innerhalb zweier Jahre, von dem ersten offenen Termine (§§ 379 u. ff.) an gerechnet, einziehen. Geschieht das nicht, so wird der alte Schuldner von Rechtes wegen frei, und es kann sich von da an der Gläubiger nur an den neuen Schuldner halten.

364. Wenn das verpfändete Grundstück der Realtheilung unterliegt oder einzelne Stücke desselben veräussert werden, so hat der Notar darauf einzuwirken, dass die auf jenem versicherten Schuldverhältnisse gehörig und im Interesse der Einfachheit und Einigung von Schuld und Unterpfand bereinigt werden.

365. Zu diesem Behufe wird er je nach den Umständen und der Willensmeinung der Parteien:

a) Ablösung der Schuld auf einen der nächsten offenen Zahlungstermine, sei es mit oder ohne Bestellung eines Liquidators, oder

b) die Zerlegung der Schulden auf die einzelnen Stücke im Sinne völliger Trennung, oder aber

c) die Theilung der Schulden im Sinne der Einzinserschaft anordnen.

366. Bis zu gänzlicher Tilgung der abzulösenden Schuld haften die Uebernehmer einzelner Stücke und der provisorisch darauf zu verlegenden Theilzahlungen wie Einzinser.

367. Können die Parteien sich zwar über das Eintreten der Liquidation, nicht aber über das Verfahren dabei einigen, so erlässt auf den Bericht des Notars der Bezirksgerichtspräsident die nöthigen Verfügungen. [p. 483]

368. Die ausschliessliche Verstossung einer Schuld auf ein einzelnes Stück in Verbindung mit der Entlastung der übrigen Stücke oder die Zerlegung einer Schuld in mehrere kleinere getrennte Schulden und die ausschliessliche Anweisung derselben auf einzelne Stücke setzt die Zustimmung der betheiligten Pfandgläubiger voraus und macht die Vormerkung in den Schuldbriefen erforderlich. Der Gläubiger ist im letzteren Falle auch berechtigt, auf Kosten des Schuldners an Stelle des bisherigen Schuldbriefes sich mehrere neue, der Zerlegung der Schuld entsprechende kleinere Schuldbriefe ausstellen zu lassen.

369. Muss die Schuld im Sinne der Einzinserschaft getheilt und auf die einzelnen Stücke verlegt werden, so haften die Einzinser zwar zunächst für die ihnen nach Verhältniss des ungefähren Werthes ihrer Stücke anzuweisenden Theilschulden, aber subsidiär für die ganze Schuld (Gesammtschuld).

Der Gläubiger ist berechtigt, die Einzinser zur Bildung einer Tragerei (§§ 314 u. ff.) anzuhalten.

370. Die Anweisung eines Theiles der Schuld auf ein abgetrenntes Stück darf nur ausnahmsweise, und zwar da unterlassen werden, wo unter Berücksichtigung aller Verhältnisse die übrigen Unterpfande vollständige Sicherheit zur Deckung aller Vorstände sammt Kosten gewähren, oder wo aus besondern Gründen, z. B. wegen des im Verhältnisse zu den übrigen Pfändern geringen Werthes des veräusserten Stückes, der Eintritt in den Einzinserverband bedenklicher erscheint als die Gefahr einer Geschreiung.

Vorbehalten bleiben die gesetzlichen Bestimmungen über die Zwangsabtretung.

371. Bei allen Fertigungen, welche eine Einzinserschaft zur Folge haben, soll der Notar die neuen Erwerber zu einer Verständigung über die Wiederauflösung der Einzinserverbindung, beziehungsweise die Abzahlung der Gesammtschuld auf einen bestimmten Zeitpunkt innerhalb der nächsten sechs Jahre zu bestimmen suchen. Eine solche Verständigung ist im Protokolle und in den Ausfertigungen vorzumerken und mit der Anzeige über die geschehene Anweisung von dem Notar den betheiligten Gläubigern mitzutheilen. Jeder [p. 484] einzelne Einzinser ist berechtigt, gegenüber den übrigen Betheiligten auf Erfüllung derselben zu dringen.

372. Bei sämmtlichen Einzinsereien ist die Mehrheit der Einzinser, auf welcher zugleich mehr als die Hälfte der Gesammtschuld lastet, berechtigt, die Gesammtschuld zu kündigen und die Minderheit zur Theilnahme an der Ablösung zu nöthigen. Aus einem derartigen Beschlusse erwirbt jeder einzelne Einzinser das Recht, die übrigen zur Vollziehung desselben anzuhalten.

373. Ist eine seit Erlass des gegenwärtigen Gesetzes entstandene neue Einzinserei nicht innerhalb sechs Jahren seit ihrer Begründung, oder eine vorher entstandene nicht innerhalb sechs Jahren von dem Inkrafttreten dieses Gesetzes an, sei es durch Abzahlung der Schuld, sei es durch reine und einfache Verstossung, aufgelöst worden, so ist der Notar verpflichtet, von Amtes wegen in dem Schuldbriefe selbst die Androhung der bevorstehenden Umwandlung der Einzinserschaft in eine völlige Zerlegung der Schuld, beziehungsweise des Unterganges der Subsidiärhaft der bisherigen Einzinser und ihrer Grundstücke vorzumerken. Wird das Verhältniss nicht innerhalb zweier Jahre von dieser Vormerkung an bereinigt, so ist der Androhung Folge zu geben und muss sich der Gläubiger den nöthigen Aenderungen in seinem Schuldbriefe unterziehen.

374. Wenn die Vorlegung der Urkunde verweigert wird, so hat der Notar sie durch gerichtliche Vermittlung einzufordern. Ueberdies sind die Schuldner in diesem Falle berechtigt, die fällig werdenden Zinse, statt zu bezahlen, gerichtlich zu deponiren.

375. Sowohl bei älteren hergebrachten als bei neu entstehenden Einzinsereien sind die einzelnen Einzinser auch gegen den Willen der Miteinzinser berechtigt, sich und ihre Grundstücke aus dem Einzinserverbande abzulösen und von der Schuld zu ledigen, indem sie von sich aus für Kündigung und Bezahlung der Gesammtschuld in Kapital und Zinsen auf die offenen Zahlungstermine sorgen. In einem solchen Falle hat der befriedigte Gläubiger seine persönlichen und dinglichen Rechte auf die übrigen nicht zahlenden Ein- [p. 485] zinser unversehrt an die zahlenden Einzinser abzutreten; es erlischt dann aber die Subsidiärhaft der ersteren und die letzteren haben sich die völlige Trennung der noch fortbestehenden vormaligen Theilschulden gefallen zu lassen.

376. Geräth ein Einzinser in Konkurs, so können die übrigen Einzinser, welche an seiner Statt zur Zahlung angehalten werden, sich nicht durch Verzichtleistung auf ihre verpfändeten Stücke von der Schuld befreien (nicht fliehen). Für den daherigen Schaden dürfen sie die Rechte des Gläubigers zwar an dem in der Konkursmasse befindlichen Grundstücke geltend machen, nicht aber an den Grundstücken der Geschreiten.

377. Wird eine Schuld ausschliesslich auf ein Grundstück verlegt oder werden im Verfolge die Einzinser und ihre Grundstücke von der subsidiären Haft geledigt (§§ 373 und 375), so erlangen gleichzeitig auch diejenigen Grundstücke einen Anspruch auf Ledigung von dem Pfandrechte, welche ohne Verstossung von Theilschulden in dem Besitze von Dritten (Geschreiten) sind.

378. Wenn ein Gläubiger ein einzelnes Stück des ihm haftenden Unterpfandes zum Nachtheile der übrigen Einzinser oder Geschreiten ohne deren Einwilligung entlässt, so wird er für den hieraus entstandenen Schaden den Betheiligten gegenüber verantwortlich.

D. Aufkündung der Schuldbriefe.

379. Wenn in dem Schuldbriefe nichts anderes bestimmt ist, so hat die Kündigung der Forderung oder der Schuld je sechs Monate vor dem Zahlungstermine zu geschehen. Jedoch gilt eine auf den ersten Mai erlassene halbjährige Kündigung als rechtzeitig geschehen, wenn sie nur vor dem zwölften Wintermonat des vorausgegangenen Jahres mitgetheilt worden ist.

380. Sind keine anderen Zahlungstermine in dem Schuldbriefe festgesetzt, so gelten als zulässig der vertragsmässige Zinstermin und die beiden landesüblichen Ziele Maitag und Martini. [p. 486]

381. Ist die Forderung auf einen bestimmten Zahlungstermin ohne vorausgehende Kündigung zahlbar oder wird dieselbe auf einen bestimmten Termin gekündigt, so kann die Zahlung innerhalb des nächsten Jahres nach diesem Termine jederzeit ohne weitere Kündigung gefordert beziehungsweise geleistet werden. Nach Jahresfrist bedarf es wieder der vorherigen Kündigung.

Dieser Grundsatz findet auch auf verabredete Theilzahlungen Anwendung.

382. Die Unaufkündbarkeit der Schuldbriefe darf auch durch Vertrag auf Seite des Schuldners nicht über sechs Jahre, auf Seite des Gläubigers nicht über vierundzwanzig Jahre ausgedehnt werden.

E. Realisirung.

383. Die Realisirung des Pfandrechtes an Liegenschaften geschieht nach Maassgabe des Schuldbetreibungs- und des Konkursgesetzes.

384. Bei verzinslichen Forderungen haftet das Unterpfand höchstens für drei ausstehende Zinse ausser dem laufenden.

Indessen gelten die während des Konkurses oder der Zwangsversteigerung fällig werdenden Zinse als versichert, auch wenn sie mit den bei der Konkurseröffnung oder dem Eintritte der Zwangsversteigerung ausstehenden fälligen Zinsen zusammen den Betrag von drei Jahreszinsen übersteigen.

Drittes Kapitel.

Verkehr mit Schuldbriefen.

385. Schuld- und Pfandbriefe können auch ohne Vorwissen und Zustimmung des Schuldners von dem Pfandgläubiger beliebig veräussert und verpfändet werden.

Ausgenommen sind die Versicherungsbriefe der Ehefrauen für ihr Weibergut (§ 592 lit. c).

386. Auch dem Schuldner selbst steht die Veräusserung und die Verpfändung eines abbezahlten, aber unversehrt in seine Hand übergegangenen Schuldtitels zu. [p. 487]

387. Der Erwerb eines Kreditversicherungsbriefes verpflichtet den Erwerber nicht, dem Schuldner einen über den Betrag des erworbenen Guthabens hinausgehenden Kredit zu gewähren.

388. Die Veräusserung und Verpfändung geschieht nach den Grundsätzen, welche von der Yeräusserung und Verpfändung der beweglichen Sachen gelten, in dem Sinne, dass der Uebergang und die Verhaftung der versicherten Forderung an die Uebergabe des Besitzes und die Uebertragung des Eigentums oder die Bestellung eines Pfandrechtes an der Urkunde gebunden ist.

Eine Vormerkung der Uebertragung in dem Schuldbriefe ist nicht notwendig.

389. Wer auf Grund der Bestimmung des § 386 einen abbezahlten aber nicht gelöschten Schuldbrief von dem Schuldner selbst empfangen hat, muss sich in gleicher Weise wie im Falle § 347 die Einrede gefallen lassen, dass das von ihm beanspruchte Recht nicht bestehe.

390. Im übrigen hat, wer einen Schuldbrief in gutem Glauben empfangen und erworben hat, dem Schuldner gegenüber auch dann ein Recht auf volle Anerkennung seines urkundlichen Inhaltes, wenn dem Veräusserer Einreden, die sich nicht auf die Urkunde stützen, entgegengestanden wären. Insbesondere kann sich der Schuldner gegenüber einem gutgläubigen dritten Erwerber des Schuldbriefes nicht darauf berufen, dass das Geld, wofür das Pfandrecht gefertigt worden, nicht bezahlt, oder dass die Schuld eine bloss simulirte oder dass dieselbe ganz oder theilweise abbezahlt sei.

391. Der gutgläubige Besitz des Schuldbriefes begründet dem Schuldner gegenüber, soweit sich nicht aus den Umständen Zweifel ergeben, zunächst die Vermuthung, dass dem Besitzer desselben das von ihm behauptete Recht an der Urkunde zustehe. Im übrigen sind die Schuldbriefe nicht als Papiere auf den Inhaber zu behandeln. [p. 488]

Viertes Kapitel.

Untergang des Pfandrechtes.

392. Die gesetzlichen Pfandrechte gehen mit dem Ablaufe der Zeitdauer, für welche sie verliehen sind, ohne weiteres unter.

Vorbehalten bleibt für die in § 332 lit. d und e bezeichneten Fälle das Recht, denselben durch Aufprotokollirung weiteren Fortbestand zu sichern.

393. Ebenso erlöscht ein ausdrücklich nur für eine bestimmte Zeit bestelltes Pfandrecht, z. B. eine Kaution für eine Anzahl Jahre, mit Ablauf dieser Frist ohne weiteres.

394. Abgesehen von dem Falle des § 393 und demjenigen der Zwangsabtretung des Unterpfandes kann eine bestellte Grundversicherung nur durch kanzleiische Löschung getilgt werden.

395. Der Schuldner hat das Recht, bei Theilzahlung amtliche Abschreibung der Zahlung sowohl im Grundbuche als in der Schuldurkunde zu verlangen. So lange die Abschreibung nicht erfolgt ist, erscheint der gutgläubige Besitzer des Schuld- oder Pfandbriefes als berechtigt, dem Schuldner und dem Geschreiten gegenüber den Inhalt der unversehrten Urkunde als noch fortwirkend zu betrachten.

396. Bei gänzlicher Abzahlung der Schuld in Kapital und Zins ist der Gläubiger verpflichtet, dem Schuldner die Schuldurkunde unentkräftet herauszugeben, und ihm ausserdem auf Verlangen, je nach dessen Wahl, entweder einen besonderen Empfangschein für die geleistete Zahlung oder einen Abtretungsschein, welcher die Bescheinigung dieser Zahlung enthält, auszustellen.

In letzterem Falle hat der Abtretende dem Erwerber keinerlei Gewähr zu leisten.

397. Ist der Pfandbrief ohne Löschung verloren oder zerstört oder gestohlen worden, oder haftet auf einem Grundstücke nach der Angabe des Grundbuches eine Pfandschuld, deren Gläubiger nicht mehr aufgefunden werden kann, so kann die Löschung nur nach vorheriger gerichtlicher Amortisirung vorgenommen werden. [p. 489]

Im ersteren Falle ist der Schuldner vor vollendeter Amortisirung nicht zur Zahlung an den Gläubiger, sondern nur zu gerichtlicher Deponirung der anerkannten Schuld verpflichtet.

398. Der Pfandgläubiger muss sich die Errichtung einer oder mehrerer neuer Titel an Stelle eines ihm vorgehenden und zu löschenden Pfandrechtes gefallen lassen, insofern der Eigenthümer der Unterpfande ein solches Begehren sofort bei der Löschung stellt und die neuen Titel zusammen den Betrag des bisherigen Vorstandes nicht übersteigen.

Treffen diese Voraussetzungen nicht zu, so rückt infolge der Löschung einer Grundversicherung der nachfolgende Gläubiger vor.

Achter Abschnitt.

Von der Eintragung von Mieth- und Pachtverträgen in das Grundbuch.

399. Besondere Verabredungen zwischen Miether und Vermiether, Pächter und Verpächter, sei es über Erlöschen und Fortsetzen der Miethe, sei es über Kündigungsfristen, können durch Eintragung in das Grundbuch auch Dritten gegenüber wirksam gemacht werden.

400. Hat auf diese Weise der Miether oder Pächter sich auch einem neuen Erwerber des Mieth- oder Pachtobjektes gegenüber die Fortsetzung des Mieth- oder Pachtverhältnisses bis zum Ablaufe der bedungenen Zeit gesichert, so kann er auch im Konkurse des Vermiethers oder Verpächters nicht früher verdrängt werden, ausser wenn bei der Versteigerung auf den Fall der Fortdauer der Miethe oder Pacht nicht so viel geboten wird, als zur Deckung der der Eintragung vorgehenden Forderungen nothwendig ist. [p. 490]

Neunter Abschnitt.

Von dem Pfandrechte an beweglichen Sachen.

A. Selbstpfändung.

401. Gast- und Schenkwirthe sind zur Selbstpfändung befugt, wenn Gefahr ist, dass ihre Gäste die gegen Baarzahlung gelieferten Speisen, Getränke und die übrige laufende Wirthsrechnung nicht gehörig und rechtzeitig bezahlen werden.

402. Das durch Selbstpfändung erlangte Pfand wird in derselben Weise realisirt wie das freiwillige Faustpfand.

B. Pfandverschreibung.

403. Mit Bewilligung des Bezirksgerichtspräsidenten kann ein Pfandrecht an Viehstücken, auch ohne Uebertragung des Besitzes an den Gläubiger, durch Eintragung in das öffentliche Pfandbuch des Gemeindammanns bestellt werden.

Diese Verpfändung ist auch dann gültig, wenn der Verpfänder zwar Besitzer, aber nicht Eigenthümer ist, der Pfandgläubiger bei Errichtung des Pfandrechtes sich in gutem Glauben befindet und die Viehstücke weder gestohlenes noch verlorenes Gut sind.

404. Die Bewilligung zur Eintragung der Verschreibung wird nur dann ertheilt, wenn der Verpfänder sich nicht am Rechtstriebe befindet oder wenn alle treibenden Gläubiger eingewilligt haben.

405. Das Pfandrecht entsteht mit der Eintragung in das Pfandbuch.

Innerhalb vierundzwanzig Stunden seit der Ertheilung der Bewilligung kann die Eintragung ungehindert vollzogen werden, auch wenn inzwischen ein Rechtstrieb gegen den Verpfänder eingetreten wäre.

406. Zur Bestellung eines solchen Pfandrechtes wird erfordert, dass die verpfändeten Viehstücke nach Gattung, Alter, Geschlecht, Farbe und allfälligen besonderen Merkmalen so genau als möglich bezeichnet werden. Ein erheblicher Zweifel darüber, ob ein bestimmtes Stück Vieh als Pfand gemeint sei, hindert die Gültigkeit des Pfandrechtes. [p. 491]

407. Dieses Pfandrecht ist zunächst auf die Dauer von zwei Jahren, von dem Tage der gerichtlichen Bewilligung an, beschränkt, kann jedoch vor Ablauf dieser Frist auf einfaches Begehren des Gläubigers je auf zwei folgende Jahre erneuert werden.

Nach Ablauf der Frist kann die Pfandverschreibung nur mit Zustimmung des Verpfänders und mit Beachtung der Erfordernisse für eine neue Pfandbestellung wieder hergestellt werden, wenn nicht inzwischen eine andere Verpfändung derselben Viehstücke stattgefunden hat.

408. Die zum Ersatze von abgegangenem oder mit Bewilligung des Gläubigers verkauftem Vieh angeschafften neuen Stücke gleicher Gattung werden nur dann an die Stelle der ursprünglichen Pfänder pfandrechtlich verhaftet, wenn sie im Pfandbuche und in der Pfandverschreibung nach Vorschrift des § 406 eingetragen werden. Für diese Aenderung im Bestande der Pfänder gelten die für Errichtung einer neuen Pfandverschreibung vorgeschriebenen Erfordernisse nicht.

409. Der Verpfänder darf verpfändetes Vieh ohne Zustimmung des Pfandgläubigers nicht veräussern.

410. Kann die Gefahr bescheinigt werden, dass der Verpfänder das verpfändete Vieh zu veräussern beabsichtige oder durch Vernachlässigung desselben den Pfandgläubiger schädige, so ist dieser berechtigt, die Einstellung des Pfandes bei einem Dritten (Sequester) zu begehren und überdies, auch wenn die Forderung sonst noch nicht fällig wäre, Bezahlung derselben zu verlangen.

411. Die Realisirung der Pfandverschreibung geschieht durch Versilberung infolge des Rechtstriebes oder im Konkurse.

C. Gerichtliche Pfändung.

412. Die gerichtliche Pfändung geschieht in der Form des Rechtstriebes nach den Vorschriften über die Schuldbetreibung.

413. In der Rangordnung stehen sich die freiwillige Pfandverschreibung und die gerichtliche Pfändung in der Weise gleich, dass je das ältere Pfandrecht dem jüngeren vorgeht. [p. 492]

Drittes Buch.

Die durch das Schweizerische Obligationenrecht der kantonalen Gesetzgebung überlassenen Bestimmungen des

Obligationenrechtes.

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

A. Vertrag.

414. Verträge über Veräusserung oder Verpfändung von Grundstücken sind nur insofern gültig, als sie schriftlich abgefasst und unterzeichnet worden sind. (Art. 11 u. ff. des Schweizerischen Obligationenrechtes.)

Vorbehalten bleibt die Versteigerung von Grundstücken (§§ 460 und 463).

415. Für das Haupt einer Haushaltung können diejenigen Personen, welche mit demselben als Hausgenossen Zusammenleben, also vorzüglich für den Ehemann die Ehefrau, für den Vater die in der Haushaltung befindlichen Kinder, für die Herrschaft die Dienstboten, auch ohne Ermächtigung Forderungen erwerben, insofern sie sich für jenes versprechen lassen.

B. Beschädigungen durch öffentliche Beamte und Angestellte.

416. Die folgenden Bestimmungen gelten für die nicht unter Art. 64 Satz 2 des Schweizerischen Obligationenrechtes fallenden Beschädigungen durch öffentliche Beamte und Angestellte. [p. 493]

417. Wenn Jemand durch absichtliche Fehler oder durch grobe Fahrlässigkeit eines Richters oder einer anderen Gerichtsperson in einem Prozesse oder bei Verwaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu Schaden gekommen ist, so hat er gegen den Schuldigen eine Forderung auf Ersatz des Schadens, vorausgesetzt, dass nicht der Beschädigte durch Anwendung von Rechtsmitteln den Schaden hätte gut machen können und solches versäumt hat.

418. Diejenigen Personen, welche mit der Führung öffentlicher Bücher im Interesse des Privatverkehres betraut sind, wie insbesondere die Notare, haften für Ersatz auch des Schadens, welcher aus leichter Fahrlässigkeit bei Uebung ihres Berufes Jemandem widerfahren ist.

419. Die Mitglieder und Angestellten der Verwaltungsbehörden haften den Privaten für den Schaden, welchen sie bei Behandlung von Geschäften, die diese betreffen, mit Absicht oder aus grober Fahrlässigkeit denselben verursachen, insofern diese nicht Gelegenheit hatten, den entstandenen Schaden durch Rechtsmittel wieder zu beseitigen, und solches unterlassen haben.

Vorbehalten bleiben die besonderen Bestimmungen über die Verantwortlichkeit der Vormundschaftsbehörden (§§ 816 u. ff.).

420. Wenn bei Ausübung der Staatsgewalt aus Gründen der öffentlichen Wohlfahrt Jemandem Schaden zugefügt worden, welchen er nicht aus öffentlichen Gründen zu tragen verpflichtet ist, noch sich selber zuschreiben muss, z. B. bei Gelegenheit von Militärübungen oder infolge polizeilicher Maassregeln, so haftet demselben nicht der Schädiger, sondern die Staatskasse insofern für Ersatz, als der Gesichtspunkt oder die Analogie der Entschädigung für zwangsweise Abtretung von Privatrechten zur Anwendung kommt, sonst nicht.

421. Wenn aber bei der Ausübung der Staatsgewalt die böse Absicht oder grobe Fahrlässigkeit eines Beamten oder einer anderen im öffentlichen Dienste handelnden Person den Schaden verursacht hat, so hat dafür nur die schuldige Person zu haften.

422. Die Verantwortlichkeit der im öffentlichen Dienste der Gemeinde handelnden Personen und des Gemeindever- [p. 494] mögens für die dabei verursachte Schädigung von Privatpersonen ist in analoger Weise zu bestimmen.

423. Wenn mehrere Personen für derartigen Schaden auf gleicher Linie einzustehen haben, so haften sie in dem Falle absichtlicher Schädigung jede solidarisch, im Falle fahrlässiger Schädigung dagegen alle zusammen so, dass jede zunächst nur für ihren Antheil und erst subsidiär für das Ganze einzustehen hat.

424. Vorbehalten bleibt eine verschärfte Haftbarkeit sei es der Staatskasse oder der Gemeinde oder der Beamten und Angestellten infolge von besonderen Gesetzen.

C. Verjährung.

425. Die grundversicherten Forderungen erlöschen nicht durch Verjährung.

Zweiter Abschnitt.

Von der Schenkung.

426. Eine Schenkung ist vorhanden, wenn Jemand (der Schenkgeber) aus Freigebigkeit einem Anderen (dem Beschenkten) aus seinem Vermögen eine Bereicherung zuwendet, und dieselbe diesem zukommt.

Die Schenkung kann sich auf alle Arten von Vermögensrechten beziehen und in verschiedener Gestalt, z. B. durch Uebergabe einer Sache, durch Versprechen der Uebergabe oder einer Arbeit, oder durch Erlass einer Schuld vorgenommen werden.

427. Wenn Eltern oder Grosseltern den Kindern oder Enkeln Alimente geben, so wird im Zweifel angenommen, sie haben das schenkungsweise gethan.

428. Die Beschränkung der letztwilligen Verordnungen mit Rücksicht auf den Pflichttheil der Erben kommt für die Schenkungen unter Lebenden nicht zur Anwendung.

429. Auch unter Ehegatten sind Schenkungen erlaubt. Die Form richtet sich nach den Vorschriften der §§ 600 und 601. [p. 495]

430. Zur Annahme einer Schenkung sind auch solche Personen fähig, welche unter Vormundschaft stehen (Ehefrauen, Kinder), insofern sie überhaupt ein Verständniss des Geschäftes haben (Schweizerisches Obligationenrecht Art. 30 und 31) und soweit in demselben eine wirkliche Bereicherung liegt.

Der Vormund ist jedoch berechtigt, theils ihnen die Annahme eines Geschenkes zu untersagen, theils die versuchte Annahme zu missbilligen und dadurch beziehungsweise durch Rückgabe der geschenkten Sache unwirksam zu machen.

431. Eine gültig vollzogene Schenkung kann von dem Schenkgeber nur widerrufen werden:

a) wegen Undankes des Beschenkten;

b) wegen Verschwendung im Sinne des § 433.

Vorbehalten bleibt die Anfechtung einer vollzogenen Schenkung durch die Gläubiger im Konkurse (§ 1104).

432. Der Widerruf wegen Undankes des Beschenkten setzt eine erhebliche Schenkung voraus und von Seite des Beschenkten eine Handlung oder ein Benehmen gegen den Schenkgeber, welche offenbaren Undank bekunden.

433. Hat sich der Schenkgeber bei der Schenkung als Verschwender erzeigt und ist gegen denselben die öffentliche Bevormundung wegen Verschwendung eingeleitet worden, so kann eine derartige Schenkung, ungeachtet sie zum Vollzuge gekommen ist, binnen Jahresfrist von der Vormundschaft im Namen des Schenkers widerrufen werden.

434. Die Erben des Schenkgebers können die Schenkung nicht widerrufen, wohl aber die von dem Schenkgeber bereits eingeleitete Klage auf Wiederherstellung fortsetzen.

435. Die Rückgabe der widerrufenen Schenkung wird durch das Maass der noch vorhandenen Bereicherung bestimmt.

436. Das Schenkungsversprechen begründet eine Schuld des Schenkgebers an den annehmenden Beschenkten, die versprochene Leistung zu erfüllen.

437. Auf ein mündliches Schenkungsversprechen lässt sich keine Erfüllungsklage begründen. Es bedarf das Schenkungsversprechen zu seiner Klagbarkeit der schriftlichen Form. [p. 496]

Ist aber die mündlich versprochene Sache nachher von dem Schenkgeber dem Beschenkten übergeben und dadurch die Schenkung bekräftigt worden, so kann jener dieselbe nicht mehr aus dem Grunde der fehlerhaften Form zurückfordern.

438. So lange das Schenkungsversprechen unerfüllt geblieben ist, kann der Schenkgeber die Schenkung ausser den Fällen des Undankes und der Verschwendung (§§ 431 bis 433) auch noch widerrufen:

c) wegen Uebermaasses;

d) weil er selber in Noth gerathen ist;

e) weil ihm nach der Schenkung ein Kind geboren worden ist, während er zur Zeit der Schenkung kinderlos gewesen war.

Die Frage, ob ein Schenkungsversprechen als übermässig zu betrachten sei, wird je nach den Umständen durch freies richterliches Ermessen entschieden.

439. Geräth der Schenkgeber in Konkurs, so gehen die Forderungen gegen ihn aus Schenkungsversprechen von Rechtes wegen unter.

440. Hat der Schenkgeber sich zu wiederkehrenden Leistungen, z. B. Alimenten oder jährlichen Beiträgen für wohlthätige Zwecke verpflichtet, so geht diese Verpflichtung nicht von Rechtes wegen auf die Erben desselben über, sondern nur, wenn er ausdrücklich seine Erben ebenfalls hat binden wollen und gebunden hat.

Dritter Abschnitt.

Von der Unterstützungspflicht.

441. Die Unterstützungspflicht der Familie wegen Armut eines Anverwandten wird durch das Gesetz über das Armenwesen bestimmt.

Wenn jedoch die unterstützungspflichtigen Personen mit dem Unterstützungsberechtigten in auf- oder absteigender Linie verwandt sind, so bleibt die Unterstützungspflicht nicht auf die Fälle beschränkt, in welchen die öffentliche Unterstützung an- [p. 497] gesprochen werden kann, sondern tritt auch dann ein, wenn überhaupt nach den besonderen Lebens- und Familienverhältnissen ein dringendes Bedürfniss von Unterstützung und Beihülfe vorliegt, und auf Seite des Pflichtigen die erforderliche Beistandsfähigkeit vorhanden ist.

442. Durch grobe Verletzung der Familienpietät oder durch ein Betragen oder durch Handlungen, welche die persönliche oder die Familienehre zerstören oder schwer verletzen, wird das Recht auf diese erweiterte Unterstützung der Familie verwirkt, nicht aber die regelmässige Unterstützungspflicht in Armutsfällen beseitigt.

Vierter Abschnitt.

Von dem Kaufe.

A. Allgemeine Bestimmungen.

443. Der Kaufvertrag über eine Liegenschaft zwischen einem Vorfahren (Eltern, Grosseltern) als Verkäufer und einem Nachkommen (Sohn, Tochter, Enkel) als Käufer und ebenso zwischen den beiden Ehegatten als Vertragsparteien ist nur unter der Voraussetzung gültig, dass dort nicht einer der übrigen Nachkommen des Verkäufers, hier nicht ein Nachkomme einer der beiden Parteien wegen Pflicht Widrigkeit des Geschäftes Einsprache zu machen berechtigt ist und wirklich erhebt.

Vor der kanzleiischen Fertigung hat sich daher der Notar davon zu überzeugen, dass die Nachkommen entweder ihre Zustimmung erklärt oder, nachdem sie zur Erklärung durch Mittheilung des Kaufvertrages amtlich aufgefordert worden, sich verschwiegen haben.

Wollen dieselben auf die erhaltene amtliche Aufforderung hin ihre Zustimmung verweigern, so haben sie dies sofort zu erklären und bei dem Gerichte des Wohnortes des Verkäufers die Klage auf Ungültigerklärung des Kaufvertrages einzuleiten.

Wird die friedensrichterliche Weisung nicht binnen sechs Wochen nach der erhaltenen Anzeige dem Gerichte eingereicht, so erlischt ihr Recht zur Beschwerde. Für bevormundete Nach- [p. 498] kommen ist dem Vormunde beziehungsweise der Waisenbehörde Anzeige zu machen und in diesem Falle die Verschweigungsfrist auf drei Monate erstreckt.

444. Mit Bezug auf die Währschaftsmängel von Pferden und Rindvieh und auf das für diese Art des Viehhandels eigenthümliche Verfahren gelten die durch die Konkordate bestimmten besonderen Grundsätze.

445. Sind bei dem Verkaufe von Pferden oder Rindvieh, abgesehen von der Haft für die gesetzlichen Gewährsmängel, bestimmte Eigenschaften versprochen worden, deren Mangel die Nachwährschaft begründet, so kommen dafür die gewöhnlichen Rechtsgrundsätze zur Anwendung.

446. Für den Handel mit anderen Thieren, auch mit anderen Hausthieren, gelten die regelmässigen Bestimmungen über die Nachwährschaft.

B. Vorbehalte bei dem Verkaufe von Liegenschaften.

447. Wenn sich der Verkäufer einer Liegenschaft das Eigenthum an derselben bis zur Erfüllung einer Bedingung vorbehält, so kann erst nach deren Eintritt die kanzleiische Fertigung vorgenommen werden.

448. Bedingt sich der Verkäufer ein Vorkaufsrecht aus für den Fall, dass der Käufer die Liegenschaft im Verfolge wieder verkaufen wolle, so wird der letztere verpflichtet, in diesem Falle dem ersteren vor einem dritten Käufer den Vorzug zu geben, insofern er bereit ist, ebensoviel als dieser zu bezahlen.

449. Der Vorbehalt des Vorkaufsrechtes wirkt in der Regel nur persönlich im Verhältnisse der ursprünglichen Kontrahenten, nicht aber im Verhältnisse zu dem Dritten, der das Grundstück nun kauft; indessen kann durch Eintragung in das Grundbuch diesem Vorbehalte dingliche Sicherheit beigelegt werden.

450. Das Vorkaufsrecht geht nicht auf die Erben des Berechtigten über, wenn es nicht ausdrücklich auch zu deren Gunsten ausbedungen worden ist. [p. 499]

451. Ein dingliches Näherrecht (Zugrecht, Retraktrecht) kann nur durch kanzleiische Fertigung und nicht auf länger als höchstens einhundert Jahre bestellt werden.

452. Wenn der Näherberechtigte nicht innerhalb sechs Wochen, seitdem ihm ein Verkauf des belasteten Grundstückes zur Kenntniss gekommen ist, von seinem Näherrechte Gebrauch macht, so wird angenommen, er habe auf die diesmalige Ausübung desselben verzichtet.

453. Behält sich der Verkäufer vor, das verkaufte Grundstück wieder einzulösen, so ist im Zweifel als Meinung der Kontrahenten anzunehmen, der Verkäufer könne dasselbe zu dem nämlichen Preise zurückkaufen, welchen er dafür erlöst hat.

454. Der Wiederkauf ist ein neues Kaufgeschäft, welches nach dem früheren Verkaufe bemessen wird, nicht aber diesen ungeschehen macht. Es werden daher die Nutzungen der Zwischenzeit nicht zurückerstattet.

455. Hat die Liegenschaft durch Verwendungen des Käufers an Werth inzwischen gewonnen, so muss der Verkäufer, wenn er zurückkaufen will, den Mehrwerth nach billigem Ermessen ersetzen. Jener haftet aber hinwieder dem Wiederkäufer für eine erhebliche Verminderung des Werthes, insofern diese seiner Arglist oder groben Fahrlässigkeit zur Last fällt.

456. Das Recht des Wiederkaufes geht nicht auf die Erben des Berechtigten über, wenn es nicht ausdrücklich für dieselben vorbehalten worden ist.

457. Das Recht des Wiederkaufes eines Grundstückes kann nicht auf länger als zehn Jahre vom ursprünglichen Verkaufe an bestellt werden.

Durch kanzleiische Fertigung kann demselben dingliche Sicherheit beigelegt werden.

C. Versteigerung (Gant).

458. Durch die Versteigerung wird eine Sache dem Meistbietenden veräussert. [p. 500]

459. Liegenschaften können öffentlich nur unter amtlicher Mitwirkung versteigert werden. Die Meistbieter werden in dem Gantprotokolle vorgemerkt und sind verpflichtet, dasselbe zu unterzeichnen.

460. Abgesehen von besonderen Gantbedingungen ist jedes während der Versteigerung erklärte Angebot für den Bieter bindend, unter der zweifachen Bedingung, dass nicht ein höheres Angebot erfolge und dass der Verkäufer zusage.

461. Die Behaftung des Meistbieters und beziehungsweise der Kaufabschluss geschieht nach dreimaligem vergeblichem Aufrufe zu einem Mehrgebote durch den Zuschlag.

462. Dem veräussernden Eigenthümer oder seinem Stellvertreter steht es indessen frei, vor dem dritten Rufe auf ein Angebot hin, welches ihm nicht annehmbar oder ungenügend scheint, seine Zustimmung ausdrücklich zu verweigern und dadurch den dritten Ruf und den darauf folgenden Zuschlag zu hemmen. In diesem Falle wird auch der Bieter von seiner bedingten Haft (§ 460) entbunden.

Bei Versilberungen gepfändeter oder verpfändeter Sachen zum Behufe der Realisirung des Pfandrechtes steht jedoch dieses Recht dem Eigenthümer nicht zu.

463. Macht der Veräusserer von dieser Befugniss vor dem dritten Rufe keinen Gebrauch, so erfolgt der Zuschlag ohne weiteres und ist nun auch der Veräusserer gebunden, wenn er sich nicht ausdrücklich in den Gantbedingungen eine weitere Bedenkzeit vorbehalten hat.

464. Hat sich der Veräusserer Bedenkzeit zu freier Zusage oder Absage vorbehalten, so haftet zwar der Meistbieter auch bis zu dem endlichen Entscheide jenes, kann aber fordern, dass dieser Entscheid beförderlich gegeben werde.

465. Erklärt sich der Veräusserer überall nicht binnen der vorbehaltenen oder ihm gerichtlich angesetzten Bedenkzeit, so steht es bei dem Meistbieter, dieses Stillschweigen zu seinen Gunsten auszulegen und je nach Umständen entweder von dem Kaufe abzustehen oder den Veräusserer dabei zu behaften.

466. Der Meistbieter wird nicht frei durch ein höheres Angebot eines Dritten, welches während der Bedenkzeit, aber [p. 501] nach Beendigung des Gantverfahrens gemacht wird. Von solchen Nachgeboten soll dem oder den vorläufig behafteten Meistbietern Kenntniss gegeben werden. Erklären sich diese, das Nachgebotene ebenfalls leisten zu wollen, oder überbieten sie den Nachbieter, so ist, wenn nicht eine zweite öffentliche Gant anzuordnen, doch wenigstens unter den Meistbietern und den Nachbietern die Versteigerung wieder aufzunehmen und zu Ende zu führen. Ausgenommen sind die gerichtlich angeordneten Versteigerungen.

467. In der Regel ist der Versteigerungskauf als Baarkauf zu betrachten und der Meistbieter, welchem zugeschlagen wird, zu sofortiger Zahlung des Kaufpreises verpflichtet.

468. Bei gerichtlicher Zwangsversteigerung wird, abgesehen von besonderen Zusicherungen oder von unredlicher Täuschung der Bietenden, keine Nachwährschaft geleistet.

469. Bei freiwilliger Versteigerung haftet der Veräusserer für rechtliche Mängel wie jeder andere Verkäufer, für sachliche Mängel aber nur, wenn ihm eine unredliche Täuschung des Käufers zur Last fällt. Die Klausel «wie zu besehen» versteht sich bei der Versteigerung von selbst.

Fünfter Abschnitt.

Von der Viehverstellung.

470. Die Viehverstellung kann in der Weise verabredet werden, dass der Einsteller Hausvieh zur Fütterung und Pflege für eine gewisse Zeit übernimmt und inzwischen die Früchte gewinnt, wogegen er an den Versteller einen Pachtzins, sei es in Geld, sei es in einer Anzahl Käse oder einem Gewichte Butter oder anderen Naturalleistungen zu entrichten verspricht.

471. Wird Melkvieh eingestellt, so ist als Meinung der Vertragsparteien zu vermuthen, der Einsteller sei berechtigt, die Milch und den Dünger zu gewinnen, und verpflichtet, für Wartung, Futter und Streue zu sorgen, aber auch die ersten [p. 502] vier Wochen lang das neugeborne, dem Versteller zugehörige Kalb auf eigene Kosten zu nähren, nach diesem Zeitraum aber an den Versteller abzuliefern. Ist es an einem Orte Uebung, die Kälber längere Zeit mit Milch zu nähren, z. B. sechs Wochen, so gilt die längere Frist auch bei der Verstellung.

472. Lässt der Versteller das Kalb längere Zeit bei dem Einsteller stehen, so wird jener diesem dafür zur Bezahlung des Futtergeldes verpflichtet, wenn nichts anderes verabredet worden oder aus fester Uebung auf eine andere Meinung der Parteien geschlossen werden kann.

473. Ist über die Dauer der Viehverstellung keine Verabredung getroffen worden, so ist anzunehmen, dass weder der Versteller das Vieh zur Unzeit zurückfordern, noch der Einsteller dasselbe zur Unzeit zurückgeben dürfe, im übrigen aber beide die Freiheit haben, die Viehverstellung aufzukündigen und ohne Verzug zu beendigen.

474. Die Frage, ob die Rückforderung oder Rückgabe zur Unzeit erfolge, ist nach den Grundsätzen des guten Glaubens und redlicher Treue zu beurtheilen.

475. Der Einsteller haftet nicht für den Schaden, welcher ohne sein Verschulden dem eingestellten Vieh widerfährt, ist aber verpflichtet, alle Sorgfalt zu verwenden.

Sechster Abschnitt.

Von dem Leibgedinge (Verpfründung).

476. Durch den Leibdingsvertrag verpflichtet sich der Eine, der Leibdingnehmer (Pfründer), dem Anderen, dem Leibdinggeber (der Pfrundanstalt), ein Vermögensstück oder ein Vermögen zu übertragen, wogegen dieser hinwieder jenem Unterhalt und Pflege auf Lebenszeit zusagt.

477. Der Leibdingsvertrag bedarf der gerichtlichen Prüfung und Genehmigung zu seiner Gültigkeit. Bevor diese ertheilt ist, sind die Kontrahenten nicht gebunden.

478. Die Prüfung des Gerichtes bezieht sich:

a) auf die Handlungsfähigkeit und die Willensfreiheit der Vertragspersonen; [p. 503]

b) auf die Klarheit der Vertragsbestimmungen;

c) auf die Angemessenheit des Inhaltes nach den natürlichen Beziehungen und Verhältnissen der Vertragsparteien;

d) auf die Sicherung des Leibdingnehmers für die Zukunft;

e) auf die Berücksichtigung der Erbverhältnisse (§§ 481 u. ff.);

f) auf die Beachtung der ehelichen Verhältnisse des Leibdingnehmers (§ 487).

479. Ausnahmsweise bedürfen die Verpfründungsverträge mit einer öffentlichen Pfrundanstalt des Staates oder einer Gemeinde oder mit einer Privatpfrundanstalt, deren Statuten von dem Staate genehmigt sind, der gerichtlichen Prüfung und Genehmigung nicht.

Wohl aber ist auch für diese Verträge eine schriftliche Form nöthig, sei es die Form der gewöhnlichen schriftlichen Abfassung oder die des Vormerkes in dem Protokolle der Anstalt.

480. Bei den gerichtlichen Leibdingsverträgen ist theils für kanzleiische Fertigung, theils dafür zu sorgen, dass der Leibdingnehmer genügende Sicherheit erhalte für die fortdauernde Erfüllung der ihm versprochenen Leistungen.

Ueberlässt er dem Leibdinggeber ein Grundstück zu Eigenthum, so sind die Leibdingsleistungen regelmässig auf dieses durch das Grundbuch zu versichern und nach Umständen auch ein dingliches Wohnrecht darauf zu konstituiren.

481. Vor Ertheilung der gerichtlichen Genehmigung ist den nächsten pflichttheilberechtigten Erben des Leibdingnehmers Gelegenheit zur Einsicht der Vertragsbestimmungen zu verschaffen und sind dieselben um ihre Zustimmung anzufragen.

482. Geben die Erben dem Vertrage ihre Zustimmung, so steht von dieser Seite der gerichtlichen Genehmigung nichts im Wege.

Die Zustimmung kann persönlich vor Gericht oder durch eine beglaubigte Unterschrift des Vertrages erklärt, oder aus dem Stillschweigen des von dem Vertrage unterrichteten Erben geschlossen werden. [p. 504]

483. Das Gericht des Wohnortes des Leibdingnehmers ist ermächtigt, auf Verlangen desselben den Erben eine Frist anzusetzen, binnen welcher sie eine allfällige Einsprache wegen Pflichtwidrigkeit des Vertrages zu eröffnen haben, widrigenfalls das Recht zur Einsprache verwirkt werde (§§ 981 und 982).

484. Erhebt ein Erbe Einsprache wegen Pflichtwidrigkeit des Geschäftes, so ist derselbe mit den Vertragsparteien zugleich vor Gericht zu laden, und die Erklärung derselben zu vernehmen. Abwesende Erben können sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen.

Kommt es nicht zu einer Verständigung, so ist der Einsprache erhebende Erbe, wenn er derselben Folge verschaffen will, verpflichtet, ohne Verzug gerichtliche Klage auf Unzulässigerklärung des Geschäftes bei dem nämlichen Gerichte einzuleiten, widrigenfalls angenommen wird, er verzichte auf das Recht der Einsprache.

485. Der Nachweis, dass durch das Leibdingsgeschäft das Vermögen des Leibdingnehmers ganz oder zu einem grossen Theile dem Erbgange entzogen werde, ist für sich allein nicht genügend, um die Pflichtwidrigkeit desselben zu begründen, sondern nur dann, wenn zugleich aus den Umständen sich ergibt, dass der Leibdingnehmer die natürlichen Pietätsrücksichten auf die Erben missachte.

486. Den nächsten pflichttheilberechtigten Erben steht es aus gleichem Grunde frei, auch einen mit einer Pfrundanstalt (§ 479) abgeschlossenen Verpfründungsvertrag durch gerichtliche Klage anzufechten. Wird die Klage nicht innerhalb sechs Wochen, nachdem sie von dem Vertrage Kenntniss erhalten haben, oder spätestens innerhalb sechs Monaten seit dem Eintritte des Verpfründeten in die Pfrundanstalt eingereicht, so ist dieselbe verjährt.

487. Erklärt der Ehegatte des Leibdingnehmers seine Zustimmung zu dem gerichtlichen Leibdingsvertrage, so steht auch in dieser Beziehung der gerichtlichen Genehmigung nichts im Wege. Wird jene Zustimmung aber verweigert, so ist das Gericht nach Anhörung der Ehegatten und Prüfung der Umstände ermächtigt, die Genehmigung des Vertrages sei es ganz zu versagen, sei es an Bedingungen zu knüpfen. [p. 505]

Ebenso hat der Ehegatte eines in eine Pfrundanstalt (§ 479) eintretenden Verpfründeten innerhalb der für die Erben angesetzten Frist (§ 486) eine allfällige Einsprache zu erheben.

488. Die Abtretung eines ganzen Vermögens oder eines Theiles desselben ist nicht als Erbfolge zu behandeln, sondern durch Uebertragung der einzelnen Rechte zu vollziehen.

Der Leibdinggeber hat als solcher keineswegs für die Schulden zu haften, welche der Leibdingnehmer vor dem Leibdingsvertrage eingegangen ist oder nach demselben eingeht.

489. Wenn durch Eingehung eines Leibdingsvertrages die Rechte der Gläubiger des Leibdingnehmers gefährdet werden, so steht diesen nach Analogie der Bestimmung des § 1104 ein Recht der Anfechtung zu.

490. Erhebliche Veränderungen oder die Aufhebung des Leibdingsvertrages bedürfen zu ihrer Gültigkeit ebenso der gerichtlichen Genehmigung wie der anfängliche Abschluss desselben.

491. Der Leibdingnehmer ist als Glied der Familie des Leibdinggebers zu betrachten.

Der Leibdinggeber ist verpflichtet, ihm die seinen Bedürfnissen und den Verhältnissen angemessenen Leibdingsleistungen zu machen, insbesondere für Wohnung und Unterhalt, in Krankheitsfällen auch für Pflege zu sorgen. Das Nähere wird theils durch den Vertrag, theils durch die gute Sitte bestimmt und ist im Zweifel durch gerichtliches Ermessen festzustellen.

492. Wenn der Leibdinggeber seine diesfälligen Pflichten unerfüllt lässt und die Pietätsrücksichten für den Leibdingnehmer gröblich verletzt, so dass die Fortsetzung des Leibdingsverhältnisses für den Leibdingnehmer unerträglich wird, so ist das Gericht auf Klage desselben ermächtigt, Auflösung des Verhältnisses auszusprechen und den Leibdinggeber zu einer bestimmten Entschädigung in Geld beziehungsweise einer jährlichen Leibrente zu verurtheilen, und wenn auf solche Weise nicht für den Leibdingnehmer gesorgt werden kann, den Leibdinggeber, unter billiger Berücksichtigung der gemachten und zu machenden Leistungen, zur Zurückgabe des Leibdingkapitales anzuhalten. [p. 506]

493. Stirbt der Leibdinggeber oder geräth er in Konkurs oder versetzt er sich durch Wegzug oder Veräusserung des Gutes, auf welches der Leibdingnehmer versichert ist oder an welchem er ein Wohnrecht hat, in die Unmöglichkeit, die verschiedenen wesentlichen Voraussetzungen des Vertrages zugleich zu erfüllen, so ist der Leibdingnehmer ebenfalls berechtigt, Auflösung des Verhältnisses und Schadenersatz zu fordern.

494. Der Leibdingnehmer darf seine Forderungen auf Leibdingsleistungen nicht an Dritte abtreten, noch durch Verheiratung oder in anderer Weise die Last des Leibdinggebers erschweren.

495. Wenn er durch sein Verhalten es dem Leibdinggeber unerträglich macht, mit ihm in derselben Haushaltung zusammenzuleben, so ist auch in diesem Falle das Gericht ermächtigt, auf die Klage des Leibdinggebers das Leibdingsverhältniss aufzulösen und eine Entschädigung in Geld für den Leibdingnehmer zu ermitteln.

Siebenter Abschnitt.

Von dem Versicherungsverträge.

Erstes Kapitel.

Versicherung im allgemeinen.

A. Form und Inhalt des Vertrages.

496. Durch den Versicherungsvertrag wird von dem Einen, dem Versicherer, gegen eine von dem Anderen, dem Versicherten, bezahlte oder zu bezahlende Prämie die Vergütung des aus einer gefürchteten Gefahr diesem widerfahrenden Schadens übernommen.

497. Der Versicherungsvertrag bedarf, damit er für beide Theile verbindlich werde, der schriftlichen Form. Für diese genügt indessen die Herausgabe eines Versicherungsscheines (der sogenannten Police) von Seite des Versicherers an den Versicherten, oder die Übungsgemässe Vormerkung des ersteren in seinen Geschäftsbüchern. [p. 507]

498. In dem Versicherungsvertrage ist zu bestimmen:

a) die Gefahr, um deren willen die Versicherung gemacht wird;

b) der Versicherungswerth des versicherten Gegenstandes;

c) die Versicherungsprämie.

499. Die künftige Gefahr, welche durch die Versicherung vermindert oder aufgehoben wird, kann eine bestimmte sein, z. B. Feuersgefahr, Wasserschaden, Hagelschaden u. drgl., oder es kann für alle Gefahr überhaupt, welche den Versicherungsgegenstand während einer bestimmten oder wenigstens begrenzten Zeit treffen würde, Versicherung bestellt werden.

500. Ist aber die Gefahr, für welche Versicherung gesucht wird, mit einer verbotenen Handlung verknüpft, so ist die Versicherung ungültig.

501. Es darf keine Sache über ihren wirklichen Werth hinaus und daher auch nicht gegen die nämliche Gefahr zwei- oder mehrfach versichert werden. Vorbehalten bleiben die abweichenden Uebungen bei Seeversicherungen.

502. Uebersteigt die Versicherungssumme den wirklichen Werth der Sache, so ist, abgesehen von strengeren Vorschriften, welche um der Gemeingefährlichkeit gewisser Versicherungen willen erlassen werden, der Versicherer auch nach der Ausstellung der Police jederzeit berechtigt, Herabsetzung jener Summe zu fordern, und ebenso der Versicherte Verminderung der Prämie. Ist von diesem Rechte Gebrauch gemacht worden, bevor der Schaden ein tritt, so ist der Versicherer nach Eintritt des Schadens nur verpflichtet, die auf den wirklichen Werth herabgesetzte Versicherungssumme zu bezahlen und den Mehrbetrag der zuviel empfangenen Prämie zurückzuerstatten.

503. Hat der Versicherte, indem er eine übermässige Versicherungssumme angab, unredlich gehandelt, so ist der Vertrag für den Versicherer überall nicht verbindlich.

504. In gleicherweise ist eine nochmalige Versicherung desselben Werthes unzulässig und kann auch nachträglich von beiden Theilen Berichtigung gefordert werden. Der zweite Versicherer, welcher von der ersten Versicherung nichts gewusst hat, ist aber auch dann berechtigt, die Bezahlung der [p. 508] Ueberversicherungssumme zu verweigern, wenn dieser Versicherungsvertrag vor Eintritt des Schadens nicht angefochten worden ist, und kann nicht zur Erstattung der bereits bezahlten Prämien angehalten werden.

505. Es können aber auch Personen und persönliche Eigenschaften zu einem Versicherungswerthe angeschlagen und dieser gegen Gefahren, z. B. des Todes oder der Arbeitsunfähigkeit, versichert werden.

506. In dem Falle persönlicher Versicherung wird die Grösse der Versicherungssumme durch freies Belieben der Vertragsparteien festgesetzt, und es kann das nämliche Interesse auf vollgültige Weise auch wiederholt versichert werden.

507. Die Grösse der Prämie wird durch freie Uebereinkunft bestimmt. Wird bei einer Versicherungsanstalt, welche Statutengemässe Prämien verlangt, eine Versicherung angemeldet, so versteht sich als Meinung der Vertragsparteien die vorschriftsgemässe Prämie.

508. Bei Schliessung des Versicherungsvertrages sind beide Parteien zur Wahrhaftigkeit und Treue verpflichtet.

509. Der Versicherte darf den Versicherer nicht durch unwahre Angaben oder durch unredliche Verschweigung einflussreicher Umstände zu täuschen und zur Versicherung zu bewegen suchen.

Fällt jenem eine erhebliche Verschuldung zur Last, so verliert er allen Anspruch auf die Versicherungssumme und darf weder die bezahlten Prämien zurückfordern, noch die Bezahlung der zur Zeit der Entdeckung seiner Schuld bereits verfallenen und der laufenden Prämie verweigern.

510. Wird die Versicherung durch einen Stellvertreter des Versicherten besorgt, so hat der letztere dem Versicherer gegenüber die nachtheiligen Folgen zu tragen, welche solche Verschuldung des Stellvertreters für die Gültigkeit des Geschäftes hat.

511. Weiss der Versicherer zur Zeit des Geschäftsabschlusses, dass die Gefahr, um deren willen die Versicherung begehrt wird, bereits vorbei ist, und geht er dennoch den Vertrag ein, so ist er verpflichtet, die empfangene Prämie doppelt zurückzubezahlen. [p. 509]

512. In der Police soll der Name desjenigen, welcher die Versicherung sich hat geben lassen, oder seines Stellvertreters genannt sein.

Sie darf nicht auf den Inhaber lauten.

Eine Ausnahme kann bei geringfügigen Versicherungen, oder soweit die Uebung und das Interesse des rascheren Verkehres dieselbe rechtfertigen, gemacht werden.

513. Die Police soll das Datum des Vertragsabschlusses enthalten mit Angabe des Tages, Monates und Jahres. Fehlt es an noch genaueren Vorschriften, so wird angenommen, die Versicherung gelte für den ganzen Tag, von welchem sie datirt ist.

B. Verpflichtungen des Versicherten.

514. Der Versicherte ist zur Bezahlung der versprochenen Prämie verbunden.

Der Versicherer ist nicht verpflichtet, die Police jenem auszuhändigen, wenn er nicht die fällige Prämie dagegen erhält.

515. Auch ohne Mahnung ist der Versicherte schuldig, für rückständige Prämien Verzugszinse zu bezahlen.

516. Geräth der Versicherte in Konkurs, und ist er im Rückstande mit der Prämienzahlung, oder sind in der Folge weitere Prämien zu entrichten, so ist der Versicherer nur insofern verpflichtet, auch nach Durchführung des Konkurses gegen den Versicherten noch für späteren Schaden einzustehen, als die rückständigen Prämien bezahlt und die künftig verfallenden von der Verwaltung der Konkursmasse oder dem Käufer der Police zu bezahlen übernommen werden.

Die Verpflichtung zur Vergütung eines früher eingetretenen Schadens bleibt jedenfalls unversehrt.

517. Der Umstand, dass die Gefahr, um deren willen der Versicherungsvertrag abgeschlossen worden, nicht eingetreten ist, befreit den Versicherten nicht von der Verpflichtung zur Prämienzahlung.

Vorbehalten sind die besonderen Uebungen des Seerechtes über das sogenannte Ristorno. [p. 510]

518. Eine Erhöhung der Prämien kann, abgesehen von bestimmten Vertragsvorbehalten, nicht gefordert werden, auch wenn die Gefahr in einer zur Zeit des Vertragsabschlusses nicht vorgesehenen Weise sich vergrössert.

519. Der Versicherte darf während der Versicherungszeit nichts vornehmen oder vornehmen lassen, wodurch den Voraussetzungen des Vertragsabschlusses zuwider zum Nachtheile des Versicherers die Gefahr vergrössert wird.

Thut er dies dennoch, so wird angenommen, er habe von da an die ganze Gefahr auf sich genommen, und der Versicherer sei inzwischen frei von der Ersatzpflicht.

520. Ebenso ist der Versicherte verpflichtet, wenn sich unvorhergesehene Vorfälle der Art ohne sein Zuthun ereignen, in erheblichen Fällen dem Versicherer ohne Verzug davon Kenntniss zu geben.

Eine Versäumniss dieser Pflicht hat für ihn die nämliche Folge, dass er die Gefahr nun selber tragen muss.

521. Bei der Beurtheilung solcher Fälle darf indessen nicht mit kleinlicher Aengstlichkeit verfahren werden, sondern es sind die Verhältnisse nach den Grundsätzen der Billigkeit und des von beiden Theilen geforderten guten Glaubens zu behandeln.

522. Ist der gefürchtete Schaden eingetreten, so ist der Versicherte verpflichtet, sobald er davon unterrichtet ist, dem Versicherer Kenntniss zu geben.

Erhebliche Vernachlässigung dieser Pflicht entbindet den Versicherer seiner Schuld in den Fällen, wo möglichst baldige Kenntnissnahme für ihn von Interesse sein konnte.

C. Verpflichtungen des Versicherers.

523. Der Versicherer ist verpflichtet, den um der übernommenen Gefahr willen eingetretenen Schaden dem Versicherten Geld zu vergüten, unter Umständen die Versicherungssumme zu bezahlen.

524. Im Zweifel wird angenommen, der Versicherer habe sich nicht verpflichten wollen, einen Schaden, welcher aus inneren Mängeln der versicherten Sache entstanden ist, zu ersetzen. [p. 511]

525. Ist die Versicherung für eine bestimmte Gefahr versprochen worden, z. B. für Feuerschaden, Hagelschaden, Viehseuche u. drgl., so haftet der Versicherer nicht, wenn der Schaden die Folge einer anderen Gefahr ist.

526. Der Versicherer für eine näher bestimmte Gefahr haftet aber auch dann, wenn der Schaden nicht als eine unmittelbare, sondern nur als eine mittelbare Folge derselben betrachtet werden kann, z. B. für den beim Feuerlöschen entstandenen Schaden, für Rettungskosten bei theilweisem Untergange u. drgl. Vorbehalten sind nähere Vertragsbestimmungen.

527. Ist der versicherte Gegenstand zu einem bestimmten Werthe angesetzt und auf diese Summe versichert, so ist im Falle seines Unterganges im Zweifel die volle Versicherungssumme zu bezahlen, und es wird dadurch der Versicherer frei von seiner diesfälligen Verpflichtung.

Vorbehalten sind die Beschränkungen der §§ 502 und 504.

528. Das Recht auf die Versicherung kann in Verbindung mit dem Eigenthum an dem versicherten Gegenstande oder mit der Verpfändung des letzteren auch auf einen Anderen übertragen werden, ohne diese Verbindung aber nur nach Maassgabe des besonderen Vertrages mit dem Versicherer beziehungsweise der Versicherungstatuten.

529. Auch wenn ein Anderer als Rechtsnachfolger des ursprünglich Versicherten erscheint, stehen dem Versicherer gegen den ersteren alle Einreden zu, welche er gegen den letzteren aus dem Versicherungsverhältnisse herzuleiten berechtigt wäre, wenn dieser die Forderung auf Schadenersatz stellen würde.

530. Geräth der Versicherer in Konkurs, bevor die Gefahr vorüber ist, so steht es dem Versicherten zu, anderwärts eine Versicherung zu bestellen und die noch rückständigen Zahlungen der Prämien zu verweigern.

D. Klagverjährung.

531. Jede Klage aus dem Versicherungsgeschäfte verjährt nach Jahresfrist, wenn die Parteien und die Gefahr sich innerhalb Europa befinden, das mittelländische und schwarze [p. 512] Meer und ihre Küstenländer mitbegriffen, und nach zwei Jahren, wenn andere aussereuropäische Interessen vorliegen.

532. Die Verjährung beginnt mit dem Tage, an welchem zuerst der Kläger von den Thatsachen, auf welche er seine Klage begründet, Kenntniss hatte oder bei gehöriger Sorge haben konnte.

Zweites Kapitel.

Wechselseitige Versicherung.

533. Die Versicherung kann auch in der Art eingerichtet werden, dass eine Anzahl von Versicherten sich dahin verbindet, den Schaden, welcher einzelne unter ihnen aus einer gemeinsamen Gefahr trifft, gemeinschaftlich zu tragen.

534. Die Verbindung der Versicherten bildet bei der wechselseitigen Versicherung eine Genossenschaft, welche als Versicherer erscheint.

535. Statt zu Prämien sind die Versicherten verpflichtet, durch ihre Beiträge die Kasse der Versicherungsgenossenschaft in den Stand zu setzen, dass die Verwaltungskosten und der erforderliche Schadenersatz daraus bezahlt werden können.

Das nöthige Maass der Beiträge wird in der Regel durch die Jahresrechnung bestimmt.

536. Indessen können auch bei wechselseitiger Versicherung feste Prämien vorgeschrieben werden. Reichen dieselben nicht aus zur Deckung der Kosten der Versicherung, so müssen die Versicherten einen verhältnissmässigen Nachschuss leisten.

Wird ein Ueberschuss gewonnen, so kommt dieser als Dividende zur Vertheilung unter die Versicherten. Vorbehalten ist die Gründung und Erhaltung eines angemessenen Reservefondes.

537. Sowohl die Nachschüsse als die Dividenden werden nach Verhältniss der Beiträge geleistet, zu denen jeder Versicherte verpflichtet ist.

538. Die Grösse der Beiträge wird zunächst nach Verhältniss des Versicherungswerthes bestimmt. [p. 513]

Die Grösse der Gefahr kann aber weitere Unterscheidungen begründen in verschiedener Bestimmung der Beiträge je für verschiedene Klassen oder Gattungen von Fällen.

Drittes Kapitel.

Einzelne Arten der Versicherung.

A. Feuerversicherung.

539. Wenn Gebäude oder die fahrende Habe in denselben gegen die Feuersgefahr versichert werden, so sind die besonderen Gesetzesvorschriften darüber zu beachten.

B. Hagelversicherung.

540. Die Schätzung des eingetretenen Hagelschadens soll das Verhältniss ermitteln zwischen dem durch den Hagel zerstörten Theil der Früchte und der erwarteten Ernte des ganzen versicherten Grundstückes.

Ist es wahrscheinlich, dass die Früchte sich wieder von dem Hagelschlage ganz oder theilweise erholen, so ist vor der Ernte noch eine die erste Schätzung berichtigende Nachschätzung vorzunehmen.

541. Ebenso vermindert sich die Vergütung verhältnissmässig, wenn der Versicherte die Möglichkeit hat, durch eine zweite Aussaat den erlittenen Schaden ganz oder theilweise auszugleichen.

542. Die Grösse der Vergütung wird in der Regel durch eine Summe bestimmt, welche sich zu dem Versicherungsanschlage verhält, wie der zerstörte Theil der Früchte zu dem ganzen Fruchtertrage des betreffenden Grundstückes.

C. Transportversicherung.

543. Werden Waaren, welche versendet werden, mit Bezug auf die Gefahren versichert, denen sie bei der Versendung von dem Abgangs- bis zum Bestimmungsorte ausgesetzt sein können, so bezieht sich im Zweifel die Versicherung nur auf die Fälle höherer Gewalt, aber auch auf alle derartigen Fälle. [p. 514]

544. Es steht dem Speditor oder Frachtführer frei, auch für den Schaden sich versichern zu lassen, für welchen er zwar verantwortlich ist, welcher aber nicht seiner persönlichen Fahrlässigkeit zugeschrieben werden kann.

545. Die eigenthümlichen Grundsätze über Versicherung gegen Seegefahr mit Bezug auf den Transport der Waaren über das Meer werden durch das Seerecht bestimmt.

546. Die Eisenbahnanstalten sind berechtigt, für die ihnen zu bestimmtem Versicherungsansatze anvertrauten Güter Versicherungsscheine auszustellen, deren Benutzung dem jeweiligen Inhaber zusteht.

D. Lebensversicherung.

547. Die Lebensversicherungen, welche den Zweck haben, in einem bestimmten Todesfalle den Erben des Verstorbenen oder anderen überlebenden Personen eine Kapitalsumme zu sichern, können auf die ganze Lebensdauer des Versicherten erstreckt oder auf eine bestimmte Zeitdauer beschränkt werden.

548. Der Versicherte kann die Versicherung auf sein eigenes oder auf ein fremdes Leben abschliessen, letzteres aber nur, wenn der Versicherte ein Interesse an dem Fortleben der Person hat, auf welche die Versicherung abgestellt wird. Im entgegengesetzten Falle wird das Geschäft als ein Spielvertrag behandelt. (Schweizerisches Obligationenrecht Art. 512 bis 516.)

549. Dem Versicherten steht, abgesehen von besonderen Vertragsbestimmungen, bei Lebzeiten das Recht zu, die Forderung auf die Versicherungssumme auf einen Anderen zu übertragen, und der Versicherer ist ohne Rücksicht auf die Erben desselben sowohl berechtigt als verpflichtet, nach seinem Tode die Versicherungssumme an diejenige Person zu bezahlen, welche sich als rechtmässigen Inhaber der Polizei ausweist.

E. Versicherung des Erlebungsfalles.

550. Die Versicherung kann auch so bestellt werden, dass eine bestimmte Person die Versicherungssumme empfängt, wenn sie ein gewisses Alter oder einen bestimmten Zeitpunkt erlebt. [p. 515]

551. Diese Versicherung ist ebenfalls eine persönliche, und es kann die Versicherungssumme in beliebiger Grösse angesetzt werden (§ 506).

F. Viehversicherung.

552. Wenn das Leben eines Stückes Vieh versichert wird und die Versicherung auf dem Schatzungswerthe beruht, so ist derselbe nach dem zur Zeit geltenden Mittelpreise des einzelnen Stückes oder einer ganzen Klasse gleichartigen Viehes der Versicherung zu Grunde zu legen.

Achter Abschnitt.

Von der Gemeinderschaft (Zusammentheilung).

553. Eine Gemeinderschaft (Zusammentkeilung) entsteht, wenn zwei oder mehrere Geschwister ihr ganzes Vermögen oder mindestens das ganze bewegliche Gut zusammenthun in der Absicht, Gewinn und Verlust, Glück und Unglück zusammen zu theilen und eine Vermögensgemeinschaft zu haben.

Durch den Vertrag können indessen einzelne Vermögensstücke oder Vermögenstheile als Sondergut vorbehalten werden.

554. Auch mit den Kindern verstorbener Geschwister kann die Gemeinderschaft eingegangen oder fortgesetzt werden.

555. Die Gemeinderschaft bedarf zu ihrer Gültigkeit der Genehmigung des Gerichtes und der kanzleiischen Fertigung.

Die Prüfung des Gerichtes bezieht sich:

a) auf die Handlungsfähigkeit und die Willensfreiheit der Vertragsparteien;

b) auf die Klarheit der Vertragsbestimmungen;

c) auf die Angemessenheit des Inhaltes nach den natürlichen Beziehungen und Verhältnissen der Parteien;

d) auf das Verhältniss der pflichttheilberechtigten Erben. [p. 516]

556. Den pflichttheilberechtigten Erben ist zwar von dem Gerichte Gelegenheit zu geben, ihre allfälligen Einwendungen zu äussern. Das Gericht ist aber ermächtigt, unter freier Berücksichtigung aller Verhältnisse seine Genehmigung zu ertheilen, ungeachtet durch die Gemeinderschaft die Interessen der Erben für die Zukunft gefährdet werden, und es kann die so genehmigte Gemeinderschaft auch nicht in ihren Wirkungen nach dem Tode eines Gemeinders aus dem Grunde angefochten werden, dass durch dieselbe die übrigen Erben ihre Pflichttheilsansprüche eingebüsst haben.

557. Von der genehmigten Gemeinderschaft soll durch gerichtliche Kundmachung im Amtsblatte dem Publikum Kenntniss gegeben werden.

558. Soweit kein Vorbehalt gemacht ist, wird alles Vermögen der Gemeinder, gegenwärtiges und künftiges, auch was einem derselben nach Erbrecht zukommt, gemeines Gut.

559. Der Vertrag soll bestimmen, wem die Verwaltung des gemeinen Gutes zukomme, und wer als Stellvertreter der Gemeinderschaft im Verkehre und vor Gericht gelte, sei es dass Verwaltung und Stellvertretung vorzugsweise einem Gemeinder, oder denselben gemeinsam, oder jedem einzelnen überlassen werde.

560. Das Eigenthum an dem gemeinen Gute wird, so lange die Gemeinderschaft dauert, nicht in Theile zerlegt und ohne Unterscheidung ideeller Theile gemeinsam von den Gemeindern ausgeübt.

561. Der Gemeinder kann nur aus erheblichen und zureichenden Gründen Auflösung der Gemeinderschaft verlangen.

Als ein Grund gilt es z. B., wenn ein Gemeinder sich verheiratet oder wenn einem bisher kinderlosen Gemeinder ein Kind geboren wird.

562. Stirbt ein Gemeinder, so wird die Gemeinderschaft aufgelöst, insofern nicht durch den Vertrag bestimmt war, dass dieselbe unter den Ueberlebenden fortdauern solle.

563. Wenn bestimmt worden, dass nach dem Tode eines Gemeinders dessen Kinder die Gemeinderschaft fortsetzen sollen, so steht denselben die Wahl offen, ob sie in der [p. 517] Gemeinderschaft verbleiben oder aus derselben ausscheiden wollen. Erklären sie sich für das erstere, so dauert die Gemeinderschaft so fort, dass der Theil des verstorbenen Gemeinders nun von dessen Erben gemeinsam übernommen wird.

564. Die überlebenden Gemeinder haben in der Regel und abgesehen von anderen Vertragsbestimmungen ein vertragsmässiges Recht für den Fall, dass ein Gemeinder ohne Kinder zu hinterlassen stirbt, in dessen Ansprüche auf das gemeine Gut als seine Erben, mit Ausschliessung anderer ausserhalb der Gemeinderschaft stehender Erben, einzutreten. Das vorbehaltene Sondergut fällt der gewohnten Erbfolge anheim.

565. Wird die Gemeinderschaft aufgelöst, so wird das gemeine Gut unter die Gemeinder beziehungsweise deren Erben nach den verabredeten Theilen, im Zweifel nach so viel gleichen Theilen getheilt, als wirkliche Gemeinder gewesen sind.

Neunter Abschnitt.

Von der Forderung auf Vorlegung einer Sache.

A. Allgemeine Bestimmungen.

566. Wer ein rechtliches Interesse an der Vorzeigung einer beweglichen Sache hat, darf von dem Inhaber derselben fordern, dass er dieselbe vorlege.

567. Es genügt, das Dasein eines rechtlichen Interesses zu bescheinigen, und es ist die Frage auf summarischem Wege nach billigem Ermessen zu erledigen.

568. Die Forderung kann gegen Jeden gestellt werden, welcher in der äusseren Lage ist, die Sache vorlegen zu können.

569. Der Zweck der Klage ist Vorlegung der Sache zum Behufe der Einsicht derselben von Seite des Klägers.

570. Die Gefahr und die Kosten der Vorlegung hat der Förderer auf sich zu nehmen, [p. 518]

571. Wenn der Beklagte die Vorlegung ohne zureichenden Grund verweigert, oder auf arglistige Weise unmöglich macht, so wird er schuldig, dem Kläger das Interesse zu vergüten.

B. Vorlegung von Urkunden.

572. Die Einsicht gerichtlicher oder notarialischer Akten und Protokolle oder anderer öffentlicher Urkunden ist Jedermann gestattet, der ein rechtliches Interesse daran bescheinigt. Akten, welche lediglich aus vormundschaftlichem Interesse in öffentlichen Laden verwahrt werden, sind anderen Privatdokumenten gleich zu achten.

573. Insoweit eine Privaturkunde ihrem Inhalte nach den Charakter einer gemeinschaftlichen hat, sind die dabei betheiligten Personen, sofern sie ein rechtliches Interesse daran zu bescheinigen vermögen, berechtigt, Vorlegung zu fordern, auch wenn sie an dem Eigenthum der Urkunde selbst keinen Theil, noch sonst ein vertragsmässiges Recht auf Mittheilung haben.

574. Als solche dem Inhalte nach gemeinschaftliche Urkunden gelten, abgesehen von den Geschäftsbüchern, Geschäftsbriefen und Telegrammen gemäss Art. 879 des Schweizerischen Obligationenrechtes insbesondere:

a) das Testament mit Bezug auf alle darin bedachten Personen und die natürlichen Erben;

b) die über ein Rechtsgeschäft vorhandenen Urkunden, Korrespondenzen, Empfangscheine, Quittungen für die Vertragsparteien;

c) die Rechnungen sammt den Belegen im Verhältnisse des Rechnungsstellers und Rechnungsnehmers;

d) die Urbare auch für die darin genannten Pflichtigen;

e) die Zinsbücher der Gläubiger auch für die Schuldner;

f) die Bücher der Sensalen und Börsenagenten für die Personen, deren Geschäfte dieselben vermitteln;

g) die Geschäftsbücher solcher Gewerbetreibender und Handwerker, welche nach dem Schweizerischen Obligationen- [p. 519] rechte zur Eintragung in das Handelsregister nicht verpflichtet sind, auch mit Bezug auf dritte Verkäufer oder Käufer oder die angestellten Arbeiter und Gesellen.

575. Dagegen ist Niemand verpflichtet zur Vorlegung von Urkunden, welche ihrer Natur nach einen rein persönlichen Charakter haben, wie blosse Notizbücher und eigentliche (nicht kaufmännische) Tagebücher, auch wenn dieselben Einträge über Geschäfte mit anderen Personen enthalten. Vorbehalten bleibt der Fall, in welchem gestützt auf ein dingliches Recht an einer Urkunde deren Vorlegung verlangt wird. [p. 520]

Viertes Buch.

Familienrecht.

Erster Abschnitt.

Von dem Eherechte.

Erstes Kapitel.

Verlöbniss.

576. Das Verlöbniss (Eheversprechen), in welchem ein lediger Mann und eine ledige Frauensperson sich die Ehe versprechen, begründet das Familienverhältniss der Brautleute (Verlobten).

577. Das Verlöbniss setzt die freie persönliche Zustimmung der Brautleute voraus.

Es ist in allen Fällen ungültig, in welchen eine Ehe zwischen den Verlobten unzulässig ist.

578. Wird das Dasein eines Verlöbnisses von einer betheiligten Person bestritten, so wird dasselbe nur dann als wirklich eingegangen betrachtet, wenn entweder eine schriftliche Anerkennung desjenigen Verlobten vorliegt, welcher das Verlöbniss leugnet, oder von der Familie dieses Verlobten bezeugt wird, dass ihr das Verlöbniss eröffnet worden sei, oder wenn die Beobachtung der bei Verlöbnissen üblichen Sitten und Gebräuche, z. B. des Ringwechsels, nachgewiesen ist, oder endlich, soweit keine solchen Gebräuche bestehen, wenn ein längere Zeit fortgesetztes Benehmen der beiden Personen das Vorhandensein eines Verlöbnisses als unzweifelhaft erscheinen lässt.

579. Es steht jedem Verlobten frei, einseitig von dem Verlöbnisse zurückzutreten. Eine Klage aus dem Verlöbnisse auf Vollziehung der Ehe ist somit unzulässig.

Ebenso ist die Verabredung von Konventionalstrafen für den Fall, dass die Ehe nicht zu Stande komme, ungültig. [p. 521]

580. In der Regel sind, wenn das Verlöbniss wieder aufgelöst wird, die gegenseitigen Geschenke zurück zu erstatten.

581. Ist das Verlöbniss von dem einen Verlobten ohne genügenden Grund aufgelöst worden, so ist der andere berechtigt, die empfangenen Geschenke zurück zu behalten und für den erlittenen Schaden Ersatz zu fordern, welcher durch richterliches Ermessen zu bestimmen ist. Ueberdies kann er eine Genugthuung begehren, welche je nach den Vermögens- und Lebensverhältnissen der Verlobten und der Grösse der Unbill durch richterliches Ermessen anzuschlagen ist.

582. Die Forderung auf Rückgabe der Geschenke sowohl als auf Entschädigung und Genugthuung erlischt, wenn der Verlobte, welcher dieselbe zu stellen berechtigt war, vor angehobener Klage stirbt, mit dem Tode desselben und verjährt innerhalb sechs Monaten seit der Auflösung des Verlöbnisses.

Zweites Kapitel.

Rechtliche Wirkungen der Ehe.

A. Persönliche Wirkungen.

583. Die Ehegatten sind zu ehelicher Gemeinschaft und Treue verbunden.

584. Die Ehefrau wird durch die Trauung die Genossin ihres Mannes und erwirbt seinen Geschlechtsnamen und sein Bürgerrecht.

585. Der Ehemann ist das Haupt der Ehe.

586. Er hat für anständigen, den persönlichen Verhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt der Frau zu sorgen und dieselbe vor Unbill zu schirmen.

587. Der Mann steht der Haushaltung vor und bestreitet ihre Kosten. Die Frau ist aber schuldig, ihrerseits nach ihren Verhältnissen und Kräften mitzuhelfen und mitzuwirken.

588. Die Frau hat dem Manne in seine Wohnung zu folgen; ein Zwang ist indessen nicht statthaft.

Sofern dringende, die Wohlfahrt der Frau ernstlich gefährdende Gründe es rechtfertigen, kann das Gericht der Ehefrau die Verpflichtung, dem Manne nachzufolgen, erlassen. [p. 522]

B. Vermögensrechtliche Wirkungen.

589. Der Ehemann ist von Rechtes wegen der eheliche Vormund der Frau. Er verwaltet ihr Vermögen und vertritt dieselbe nach aussen.

590. Er ist befugt, auch ohne die Zustimmung seiner Frau das ihr zustehende bewegliche Gut gültig zu veräussern oder zu verpfänden.

591. Liegenschaften, welche der Frau zugehören, darf der Ehemann nur mit ihrer Zustimmung veräussern oder verpfänden.

592. Zur Vornahme folgender Rechtsgeschäfte bedarf der Ehemann der Zustimmung der Ehefrau und eines zu diesem Behufe bestellten ausserordentlichen Vormundes (§ 601):

a) zur Veräusserung eines der Frau zustehenden Erbrechtes, vorbehalten die Bestimmungen der §§ 1054 und 1078;

b) zur Veräusserung oder Verpfändung verfangenen Gutes der Frau;

c) zur Veräusserung, Verpfändung oder Veränderung eines Weibergutsversicherungsbriefes.

593. Der Ehemann hat das Recht, das Vermögen seiner Frau zu gebrauchen und zu geniessen. Die Zinse und übrigen Früchte desselben und was die Frau durch ihre Arbeit erwirbt, gehören ihm. Vorbehalten bleibt § 622.

594. Das Recht des Mannes auf den Erwerb der Frau und den Ertrag ihres Vermögens ist an die Voraussetzung geknüpft, dass derselbe für den Unterhalt der Frau und Kinder und ihre laufenden Verpflichtungen gehörig sorge.

Wenn der Mann seine Pflichten als ehelicher Vormund dauernd nicht erfüllt, so kann ihm auf Bericht und Antrag des Waisenamtes, welches ihn vorher persönlich einzuvernehmen und überhaupt die Verhältnisse des Falles umfassend zu prüfen hat, durch den Bezirksrath die eheliche Vormundschaft entzogen werden. In diesem Falle wird die Frau sammt ihrem Vermögen unter obrigkeitliche Vormundschaft gestellt. [p. 523]

595. Bestreitet der Ehemann, dass Grund zur Entziehung der Vormundschaft vorliege, so hat er dies innerhalb sechs Wochen von der Mittheilung des Beschlusses an dem Bezirksrathe schriftlich zu erklären, und es hat alsdann der letztere nach Maassgabe des Gesetzes betreffend die zürcherische Rechtspflege einen gerichtlichen Entscheid herbeizuführen.

In der Zwischenzeit bleibt die obrigkeitliche Vormundschaft über die Frau bestehen.

596. Der Entzug der ehelichen Vormundschaft und Nutzniessung ist amtlich zu publiziren.

597. Ausgenommen von der ehelichen Vormundschaft und Nutzniessung des Ehemannes ist das ausdrücklich oder übungsgemäss vorbehaltene Sondergut, Spargut der Frau und was dieser von Seite des Mannes etwa an Spiel- und Nadelgeld ausgesetzt ist. Auch die Gaben, welche der Ehefrau zu ihrer ausschliesslichen Verfügung zugekommen sind, gehören zum Spargut.

Soweit dieses reicht, handelt und verfügt die Frau unabhängig von dem Manne.

598. Ohne die Zustimmung des Mannes kann die Frau, mit Vorbehalt des § 597, ihr Eigenthum oder andere Rechte nicht gültig an Andere übertragen. In den Fällen, in welchen der Mann bei seinen Verfügungen über Frauengut überdies an die Zustimmung eines ausserordentlichen Vormundes gebunden ist (§ 592), ist dieselbe auch für die Verfügungen der Frau erforderlich. Vorbehalten bleibt die selbständige Prozessführung durch die Ehefrau, wenn ihr Interesse demjenigen des Mannes widerstreitet.

599. Zur Eingehung persönlicher Schulden von Seite der Frau ist jederzeit die Zustimmung des Ehemannes und eines ausserordentlichen Vormundes nothwendig.

Hat die Frau ohne diese Zustimmung Schulden übernommen, so haftet dafür auch ihr Spargut nicht.

600. Um mit ihrem Ehemanne ein Rechtsgeschäft abzuschliessen, durch welches die Frau an denselben Rechte abtritt oder Schuldverpflichtungen eingeht, ebenso zu Prozessen mit ihrem Manne, den Scheidungsprozess ausgenommen, bedarf die Frau des Beirathes und der Zustimmung eines ausserordentlichen Vormundes. [p. 524]

Vorbehalten sind die unter Ehegatten üblichen kleineren Geschenke, z. B. bei Familienanlässen und an Festen.

601. In den Fällen, wo die Frau der Zuziehung eines ausserordentlichen Vormundes bedarf, hat das Waisenamt vorerst die Natur des Geschäftes zu prüfen und insbesondere die Ansichten nicht bloss der Frau, sondern in wichtigen Fällen auch diejenigen ihrer nächsten volljährigen Anverwandten zu vernehmen und sodann Bericht und Antrag an den Bezirksrath zu stellen, welcher den ausserordentlichen Vormund ernennt und mit den geeigneten Aufträgen und Vollmachten ausrüstet.

602. Soweit der Ehefrau die Sorge für die täglichen gewohnten Bedürfnisse der Haushaltung zusteht, ist der Mann verpflichtet, ihre Verfügungen seinerseits anzuerkennen und die daherigen Kosten als Haushaltungskosten auf sich zu übernehmen.

603. Sind besondere Gründe vorhanden, eine Frau ausnahmsweise in dieser ihrer Stellung als Hausfrau zu beschränken, so ist eine solche Beschränkung oder der Entzug ihrer diesfälligen Verfügungsfreiheit für dritte Personen, die mit der Frau in Verkehr treten, nur insofern verbindlich, als der Mann für eine öffentliche Kundmachung und Verwarnung gesorgt hat.

Die öffentliche Kundmachung setzt eine vorherige Prüfung der Verhältnisse durch die Vormundschaftsbehörden voraus, und ist, wenn der Bezirksrath seine Zustimmung ertheilt hat, auf Begehren des Mannes von dem Bezirksrathe amtlich zu erlassen.

604. Die Frau ist jederzeit berechtigt, von dem Manne ein von demselben unterzeichnetes und mit Hinsicht auf die Zeit der Aufnahme und die Unterschrift beglaubigtes Inventar über ihr Vermögen und überdies die Versicherung ihres Weibergutes oder eines Theiles desselben zu begehren.

605. Ueberdies ist das Waisenamt des Heimatortes beziehungsweise des Wohnortes berechtigt, auch ohne die Zustimmung der Frau Sicherstellung ihres Weibergutes durch den Ehemann zu verlangen, wenn die Erhaltung desselben gefährdet erscheint und nicht moralische Gründe die Verminderung oder selbst die Aufzehrung desselben rechtfertigen, [p. 525]

606. Das Waisenamt hat ein diesfälliges Begehren dem Bezirksrathe zur Entscheidung vorzulegen.

Der Bezirksrath erlässt die ihm zum Schutze des Vermögens der Frau nothwendig scheinenden Verfügungen, wie Verwahrung von Vermögensstücken und Dokumenten, Sperrung der Notariats- und Pfandprotokolle durch gerichtliche Vermittlung u. s. w. Falls der Ehemann entgegen dem Entscheide des Bezirksrathes seine Verpflichtung zur Sicherstellung bestreitet, so hat er dies innerhalb sechs Wochen von der Mittheilung des Beschlusses an dem Bezirksrathe schriftlich zu erklären, und es hat alsdann der letztere nach Maassgabe des Gesetzes betreffend die zürcherische- Rechtspflege einen gerichtlichen Entscheid herbeizuführen.

Eine solche Klage ist gutzuheissen, sobald dem Gerichte wahrscheinlich gemacht wird, dass die Versicherung wegen der Persönlichkeit oder der Vermögensverhältnisse des Mannes im Interesse der Ehefrau liege.

607. Die Ehefrau ist berechtigt, ihre Versicherungsbriefe in der Schirmlade des Waisenamtes zu hinterlegen.

608. Die Frage, ob die von dem Ehemanne angebotene Versicherung genüge, ist als Rechtssache zu behandeln.

Ist der Mann ausser Stande, hinreichende Sicherheit zu leisten, so ist die Frau beziehungsweise die Obervormundschaft berechtigt, das jener zugehörige bewegliche Kapitalvermögen dem unmittelbaren Besitze des Mannes zu entziehen und in der Schirmlade aufzubewahren. Ebenso ist der Mann berechtigt, durch thatsächliche Verzichtleistung auf jenen Besitz beziehungsweise Herausgabe des ganzen Weibergutes die Pflicht zur Versicherung von sich abzulehnen.

Im übrigen bleiben die Verfügungsrechte des Mannes ungeschmälert, soweit nicht das Bedürfniss der Sicherung im Wege steht.

609. Für den Fall, dass die eheliche Vormundschaft aufhört, haftet der Mann der Frau für die ungeschmälerte Herausgabe des Weibergutes.

Liegenschaften und anderes Kapitalvermögen (z. B. Schuldbriefe, Gutsinventar), welches nicht mehr in Natura vorhanden ist, hat er insofern vollständig zu ersetzen, als er nicht nachzuweisen vermag, dass dasselbe ohne seine Schuld [p. 526] durch Zufall untergegangen oder im Interesse der Frau und ihrer Pietätsbeziehungen und ohne Vernachlässigung der ihm obliegenden Pflichten verwendet worden sei.

610. Für andere Fahrhabe, als namentlich Hausgeräthe und Kleidungsstücke, welche durch den Gebrauch in der Haushaltung an Werth verloren haben oder zerstört worden sind, hat der Mann der Frau, abgesehen von besonderen Verträgen, in der Regel keinen Ersatz zu leisten. Dagegen ist die Ehefrau berechtigt, die noch vorhandenen von ihr eingebrachten Sachen der Art und solche während der Ehe angeschaffte Stücke anzusprechen, von welchen anzunehmen ist, dass dieselben zum Ersatze der inzwischen verbrauchten Sachen der Ehefrau angeschafft worden seien.

611. Im Konkurse des Ehemannes geniesst die Weibergutsforderung ein Vorzugsrecht gemäss den konkursrechtlichen Bestimmungen.

612. Der Ehemann darf von der Frau und ihren Rechtsnachfolgern niemals aus der Weibergutsforderung noch aus anderen während oder infolge des ehelichen Verhältnisses entstandenen Forderungen zum Konkurse getrieben werden.

613. Die eheliche Vormundschaft und der Niessbrauch des Ehemannes am Weibergute erlöschen, wenn die Ehe aufhört.

Mit dem Ausbruche des Konkurses über den Ehemann werden dieselben, wenn der Konkurs mit Zustimmung sämmtlicher Gläubiger oder durch Zwangsnachlass erledigt wird oder sonst zur gänzlichen Befriedigung der Gläubiger führt, bis zur Konkurserledigung, in allen übrigen Fällen dagegen für so lange unterbrochen, bis der Ehemann dem Konkursgerichte nachweist, dass er nachträglich die zu Verlust gekommenen Gläubiger befriedigt habe, oder dass dieselben ein für alle Mal auf die Geltendmachung ihrer Forderungen verzichten.

Die Vormundschaftsbehörden können indessen auch von sich aus, ohne einen solchen Nachweis, den Gemeinschuldner ganz oder theilweise in seine Vormundschafts- und Niessbrauchsrechte wieder einsetzen.

614. Geräth der Ehemann unter obrigkeitliche Vormundschaft, so werden diejenigen Rechte, welche infolge der ehelichen Vormundschaft demselben zustehen, von [p. 527] jener verwaltet. Die eheliche Nutzniessung des Mannes dauert in diesem Falle unversehrt fort, und die Ehefrau behält diejenigen Rechte bei, welche ihr als Ehefrau zustehen.

615. Das in den §§ 589–604 bezeichnete Güterrecht der Ehegatten gilt als Regel für alle Kantonsbürger, auch wenn sie ausserhalb des Kantons wohnen, und für die im Kanton wohnhaften Kantonsfremden, soweit nicht das Recht des Staates, dem sie angehören, dieser Anwendung entgegensteht (§ 3).

Verträge der Ehegatten oder Brautleute, durch welche dasselbe in irgend wesentlichen Dingen abgeändert wird, sind nur insofern gültig, als dieselben vorher die gerichtliche Bestätigung erhalten haben.

616. Derartige Verträge müssen dem Bezirksgerichte des Wohnortes zur Prüfung und Ratifikation vorgelegt werden. Wird dieselbe ertheilt, so ist, insofern das veränderte Güterrecht auch dritten Personen gegenüber wirken soll, für angemessene amtliche Kundmachung zu sorgen.

617. Die gerichtliche Bestätigung wird nur ertheilt, wenn:

a) besondere, in den individuellen Verhältnissen der Ehegatten liegende Gründe ein wesentlich verändertes Güterrecht für diese wünschbar machen, z. B. wenn die Ehe unter der Herrschaft eines abweichenden Güterrechtes geschlossen worden war;

b) der Vertrag nichts enthält, was dem Wesen und der Würde der Ehe zuwider ist.

618. Die Aufhebung eines derartigen Vertrages und die Herstellung des Landesrechtes bedarf zu ihrer Gültigkeit der übereinstimmenden Willenserklärung beider Ehegatten vor Gericht und soll, wenn die Eingehung des Vertrages amtlich bekannt gemacht worden war, wieder amtlich bekannt gemacht werden.

619. Verträge, welche sich innerhalb des bestehenden Güterrechtes der ehelichen Vormundschaft und Nutzniessung halten, bedürfen dagegen der gerichtlichen Genehmigung nicht.

Dahin gehören z. B. Verträge, durch welche der Aussteuer der Ehefrau ein bestimmter Schatzungswerth beigelegt und der Mann für Wiedererstattung dieses Schatzungswerthes nach [p. 528] Auflösung der Ehe verpflichtet wird, Verträge über die Art und den Zeitpunkt der Wiedererstattung des Weibergutes u. s. w.

620. Will die Frau mit ihrem Manne zu Gewinn und Verlust in Betreibung eines gemeinschaftlichen Geschäftes zusammenstehen, so bedarf ein solcher Vertrag der in § 616 vorgeschriebenen Form.

621. Wenn eine Ehefrau mit ausdrücklicher oder stillschweigender Genehmigung ihres Ehemannes einen Beruf oder ein Gewerbe selbständig betreibt, so haftet neben ihr auch der Ehemann für diejenigen Verpflichtungen, welche aus der Betreibung des Berufes oder Gewerbes entstehen, bevor die Ehefrau als selbständige Inhaberin desselben im Handelsregister eingetragen ist.

622. Der Mann ist für eine Verminderung, welche das Weibergut durch die Betreibung eines solchen Berufes oder Gewerbes erleidet, sowie für Verwendungen, welche die Ehefrau aus ihrem Verdienste für die gemeinsame Haushaltung macht, nicht haftbar; eben so wenig aber kommt ihm ein hieraus herrührender Gewinn zu.

623. Will die Ehefrau ihren Beruf oder ihr Gewerbe aufgeben, so bedarf sie dazu der Zustimmung des Mannes nicht.

Der Ehemann ist aber auch seinerseits berechtigt, seine Zustimmung zu der Betreibung eines selbständigen Berufes oder Gewerbes seiner Frau zurückzuziehen und ihr dadurch die Fortsetzung desselben zu untersagen, vorausgesetzt, dass dies nicht zur Unzeit, noch in einer böswilligen Absicht geschehe. Vorbehalten bleibt die erforderliche Rücksicht sowohl auf die bisherigen Geschäftsgläubiger als auf das Verkehr treibende Publikum.

Drittes Kapitel.

Folgen der Ehescheidung.

624. Das Gericht bestimmt in Fällen der Trennung zu Tisch und Bett nach freiem Ermessen unter Berücksichtigung der Vermögens- und Standesverhältnisse der Ehegatten auf Begehren der Frau, was der Mann während der Dauer der Trennung zum Unterhalte der Frau und derjenigen [p. 529] Kinder beizutragen habe, welche der Sorge der Mutter überlassen bleiben, und gibt, wo das nöthig erscheint, dem Waisenamte zum Behufe der vormundschaftlichen Obsorge im Interesse der Frau und der Kinder von den Verhältnissen Kenntniss.

Im übrigen dauert das Vormundschaftsrecht und der Niessbrauch des Mannes inzwischen fort.

625. Die gänzlich geschiedene Frau behält das durch ihre Heirat erworbene Bürgerrecht bei, verliert dagegen den Geschlechtsnamen des Mannes.

626. Sie ist in der Regel berechtigt, sofortige Herausgabe ihres Weibergutes zu begehren.

Wenn der Streit über die Grösse des Weibergutes ein weitläufiges Verfahren nothwendig macht, so kann das Gericht denselben so lange einstellen, bis die Scheidung rechtskräftig ausgesprochen ist.

627. Jeder Theil ist berechtigt, die dem anderen vor und bei Eingehung der Ehe gemachten Verlobungsgeschenke, soweit dieselben noch vorhanden sind oder Ersatz dafür da ist, zurück zu begehren.

628. Die Hochzeitsgaben sind, soweit sie nicht von den Verwandten oder besonderen Freunden je des einen Theiles diesem gemacht worden sind, zu gleichen Theilen unter beide Ehegatten zu theilen.

629. Lastet die Verschuldung der Scheidung ganz oder vorzugsweise auf dem Ehemanne, so hat die Frau überdies ein Recht auf Entschädigung.

Diese ist je nach Umständen entweder in einer Gesammtsumme, welche der Mann ein für alle Mal an die Frau zu entrichten hat, oder in einem regelmässigen jährlichen Beitrage an ihre Unterhaltungskosten anzusetzen.

630. Wird die Entschädigung in einer Gesammtsumme bestimmt, so darf diese in keinem Falle mehr als den vierten Theil des ganzen gegenwärtigen Vermögens des Ehemannes betragen. Wird dieselbe in einem fixen jährlichen Beitrage bestimmt, so darf dieser nicht den vierten Theil der regelmässigen jährlichen Einkünfte des Mannes zur Zeit der Ehescheidung (die Zinse seines Vermögens und den Erwerb inbegriffen) übersteigen. [p. 530]

631. Lastet die Verschuldung der Scheidung ganz oder vorzugsweise auf der Frau, so hat der Mann ihr gegenüber ein Recht auf Entschädigung.

Diese Entschädigung ist je nach Umständen entweder in einem Theile des gegenwärtigen Vermögens der Frau (Weibergut und Sondergut), welcher dem Manne zu Eigenthum zugesprochen wird, oder in der bleibenden oder zeitweisen Nutzniessung eines Theiles dieses Vermögens anzusetzen.

632. Dieselbe darf auch in den schwersten Fällen nicht den vierten Theil des Vermögens der Frau oder die dauernde Nutzniessung an einem Drittel desselben übersteigen.

633. Die Grösse der Entschädigung richtet sich nach dem Maasse der persönlichen Schuld und der Grösse der aus der Scheidung für den unschuldigen Theil und die Kinder erwachsenden Nachtheile. Bei Ehebruch ist in der Regel auf das Maximum der Entschädigung zu erkennen.

Die Art der Entschädigung richtet sich namentlich nach den ökonomischen Verhältnissen des schuldigen und den ökonomischen Bedürfnissen des unschuldigen Theiles.

634. Das Gericht kann für den Fall, dass der schuldige Theil in Zukunft zu grösserem Vermögen gelangen sollte, sei es durch Erbschaft oder auf andere Weise, in dem Scheidungsurtheile dem unschuldigen Theile das Recht vorbehalten, auf eine entsprechende Erhöhung der Entschädigung anzutragen. Ohne einen solchen Vorbehalt ist eine spätere derartige Klage auf Erhöhung unzulässig.

635. Die spätere Wiederverehelichung des unschuldigen Theiles hindert ihn nicht, die ihm zugesprochene Entschädigung zu fordern.

636. Auch die in der Form der Nutzniessung oder eines Beitrages zuerkannte Entschädigung geht auf die Erben des Verpflichteten über, insoweit dieselbe auf dessen Kapitalvermögen haftet, erlischt aber mit dem Tode des Verpflichteten, sofern sie auf den Erwerb desselben begründet worden ist. In dem Urtheile, durch welches die Entschädigung ausgesprochen wird, ist auf diesen Gegensatz Rücksicht zu nehmen.

637. Sind Kinder aus der geschiedenen Ehe vorhanden, so bleiben dieselben in der Regel bis zum Eintritte in das schulpflichtige Alter der Mutter zur Pflege überlassen. [p. 531]

Das Gericht bestimmt auf Begehren der Parteien, ob und welchen Beitrag der Vater in dieser Zeit für ihre Besorgung und ihren Unterhalt zu zahlen hat.

638. Mit dem Eintritt in das schulpflichtige Alter sind die Kinder in der Regel dem Vater zur Erziehung zu überlassen.

Wenn die Mutter hinreichendes Vermögen hat und der Vater unbemittelt ist, so kann auf dessen Begehren auch der Mutter ein angemessener Beitrag zu den Erziehungskosten auferlegt werden.

639. Ausnahmsweise kann das Gericht im Interesse einer guten Pflege und Erziehung der Kinder entweder von sich aus oder auf den Antrag der Eltern die Kinder auch vor dem Eintritte in das schulpflichtige Alter dem Vater und nach diesem der Mutter zuweisen.

640. Das Gericht kann auf Begehren der Parteien in dem Scheidungsurtheile nähere Bestimmungen darüber treffen, ob, wie oft und wo dem Theile der Eltern, dessen Sorge die Kinder nicht überlassen sind, gestattet sei, dieselben zu sehen und zu sprechen. Im übrigen ist der Bezirksgerichtspräsident befugt, das im einzelnen Falle später Erforderliche zu verfügen.

641. Ergibt es sich bei Gelegenheit eines Scheidungsprozesses, dass die Erziehung der Kinder vernünftigerweise dem Vater nicht anvertraut werden darf, so hat das Gericht hievon dem Waisenamte zum Behufe weiterer vormundschaftlicher Maassregeln Kenntniss zu geben.

Viertes Kapitel.

Ungültige Ehen und Konkubinat.

642. In den Fällen, in welchen gemäss Art. 51 des Bundesgesetzes betreffend Zivilstand und Ehe von Amtes wegen auf Nichtigkeit einer Ehe geklagt werden muss, ist es Sache der Staatsanwaltschaft, die Klage unmittelbar bei dem Gerichte einzuleiten und durchzuführen.

643. Durch Eingehung einer nichtigen Ehe erwirbt die Frau nicht das Bürgerrecht ihres Mannes. Wird die Ehe als nichtig erklärt, so verliert die Frau auch den Geschlechtsnamen des Mannes. [p. 532]

644. Wenn die Ehe als nichtig erklärt wird, so treten bezüglich der Herausgabe des Weibergutes, der Verlobungsgeschenke und der Hochzeitsgaben dieselben Folgen ein wie im Falle der Ehescheidung (§§ 626 bis 628). Ebenso ist auch der unschuldige Theil berechtigt, von dem schuldigen eine Entschädigung zu begehren, welche nach Maassgabe der §§ 629 bis 636 zu beurtheilen und zu bemessen ist.

645. Die Erklärung der Nichtigkeit einer Ehe hat keinen Einfluss auf das Bürgerrecht der in dieser Ehe erzeugten oder durch dieselbe legimitirten Kinder.

Mit Bezug auf deren Unterhalt und Erziehung kommen die Bestimmungen der §§ 637 bis 641 zur Anwendung.

646. Das Konkubinat ist untersagt. Die Gemeindräthe sind verpflichtet, sobald ein solcher Fall zu ihrer Kenntniss gelangt, hievon dem Statthalteramte Mittheilung zu machen, welches die erforderlichen Verfügungen zur Aufhebung des Verhältnisses unter Androhung strafrechtlicher Verfolgung wegen Ungehorsames erlässt.

Zweiter Abschnitt.

Von dem Eltern- und Kindesrechte.

Erstes Kapitel.

Eheliche Kinder.

A. Rechte und Pflichten der Eltern.

647. Für Kinder, welche in der Ehe erzeugt oder in der Ehe geboren werden, besteht die Rechtsvermuthung des ehelichen Standes. Sie erhalten mit der Geburt den Geschlechtsnamen und das Bürgerrecht des Vaters.

648. Fällt der Zeitpunkt der Geburt eines Kindes innerhalb dreihundert Tage nach der Aufhebung der Ehe, so besteht die Vermuthung, dass dasselbe noch während der Ehe erzeugt worden sei.

649. Wird ein Kind zwar während der Ehe geboren, aber bevor diese einhundertundachtzig Tage gedauert hat, so [p. 533] wird, falls der Ehemann Einsprache erhebt und den Nachweis leistet, entweder dass die Ehefrau ihm ihre Schwangerschaft bis nach Vollziehung der Ehe verheimlicht oder dass sie wissentlich eine falsche Angabe über die Dauer derselben gemacht habe, die Vermuthung für den ehelichen Stand des Kindes aufgehoben. Dieselbe wird aber wieder hergestellt sowohl durch den Gegenbeweis, als durch den von der Ehefrau zu führenden Nachweis, dass der Mann schon vor der Eingehung der Ehe vertrauten Umgang mit ihr gepflogen habe.

650. Ueberdies ist der Ehemann berechtigt, gegen den ehelichen Stand eines Kindes Einsprache zu erheben, insofern er den Beweis leistet, dass er der Ehefrau während der Zeitfrist von dreihundert bis auf einhundertundachtzig Tage vor der Geburt des Kindes nicht beigewohnt habe.

651. Die Einsprache erlischt, wenn sie nicht innerhalb Monatsfrist, seitdem die Geburt zur Kenntniss des betheiligten Mannes oder dessen Erben gekommen ist, bei dem zuständigen Friedensrichteramte eingeleitet wird.

652. Die Erben des Ehemannes sind zu solcher Einsprache nur insofern berechtigt, als der Ehemann entweder noch selbst solche erhoben hat oder vor Ablauf der Einsprachefrist gestorben ist und inzwischen das Kind in keiner Weise anerkannt hat.

653. Der Beweis oder das Zugeständniss eines Ehebruches der Mutter, welcher in den Zeitraum der möglichen Zeugung fällt, ist unerheblich für den ehelichen Stand des Kindes.

654. Die Eltern haben das Recht und die Pflicht der Erziehung ihrer Kinder.

Die Kosten für den Unterhalt und die Erziehung der Kinder hat in erster Linie der Vater zu tragen; in zweiter Linie liegt die Pflicht der Mutter ob, soweit das eigene Vermögen der Kinder hiezu nicht ausreicht.

655. Zur Erziehung gehört sowohl die körperliche Pflege, als die Sorge für eine gesunde und angemessene Entwicklung der gemüthlichen und geistigen Kräfte, insbesondere auch die Sorge für religiöse und moralische Bildung und für gehörigen Schulunterricht und Berufsbildung.

656. Bei der Bestimmung zu einem Berufe ist auch auf die Anlage und die Neigung des Kindes Rücksicht zu nehmen, [p. 534]

657. Sind Vater und Mutter über die Erziehung ihrer Kinder oder die Bestimmung zu einem Berufe verschiedener Meinung, so gebührt dem Vater das entscheidende Wort.

658. Derselbe Grundsatz gilt auch für die religiöse Erziehung der Kinder aus konfessionell gemischten Ehen. Verträge der Ehegatten über die Erziehung in einer bestimmten Konfession, seien sie vor oder während der Ehe abgeschlossen worden, haben keine bindende Kraft.

659. Hat das Kind die Mündigkeit erreicht, so ist es berechtigt, nach eigener freier Ueberzeugung sich für das eine oder andere religiöse Bekenntniss zu entscheiden.

660. Die Kinder sind verpflichtet, so lange sie noch unter der Vormundschaft stehen, die Eltern nach Kräften in ihrem Fortkommen zu unterstützen, und, nachdem sie volljährig geworden, dieselben im Falle des Bedürfnisses gemäss den §§ 441 und 442 nach ihren Kräften anständig zu unterhalten.

661. Die Eltern dürfen von ihren Kindern niemals zum Konkurse getrieben werden.

662. Bedürfen die Eltern, sei es zur Verfolgung flüchtiger Kinder, oder zur Ausübung ihrer Zucht, oder um sich sonst den schuldigen Gehorsam zu verschaffen, einer amtlichen Mitwirkung und staatlicher Beihülfe, so ist diese auf ihr Begehren zu leisten, jedoch innerhalb eines vernünftigen Maasses und nach Ermessen der betreffenden Beamten oder Behörden.

663. Die Vormundschaftsbehörden sind berechtigt, von sich aus oder auf eine bei ihnen angebrachte Beschwerde hin, wenn die Rechte und Interessen der Kinder augenscheinlich durch böswillige oder ungereimte Anordnungen oder Maassregeln oder offenbare und arge Vernachlässigung der Eltern in erheblichem Maasse verletzt oder gefährdet werden, einzuschreiten und nach freier Prüfung des Falles und auf die Einvernahme der Eltern hin, erforderlichen Falles unter Zuziehung von Anverwandten oder Lehrern der Kinder, das Nöthige zu verfügen, insbesondere ausserordentliche Vormundschaft eintreten zu lassen, [p. 535]

B. Besondere Rechte und Pflichten des Vaters.

(Väterliche Vormundschaft).

664. Der Vater ist von Rechtes wegen der Vormund seiner ehelichen Kinder. Als solcher verwaltet er ihr Vermögen und vertritt sie nach aussen, soweit seine Befugnisse nicht durch gesetzliche Bestimmungen beschränkt sind.

665. Er ist befugt, das bewegliche Gut der Kinder gültig zu veräussern oder zu verpfänden.

666. Liegenschaften oder Erbschaften oder verfangenes Gut der Kinder darf der Vater nur veräussern oder verpfänden, wenn ein zu diesem Behufe bestellter ausserordentlicher Vormund (§ 601) für die Kinder seine Zustimmung gibt. Ausgenommen hievon sind die Erbauskaufsverträge gemäss § 1078.

667. Der Vater hat das Recht, das Vermögen der Kinder, so lange dieselben unter seiner Vormundschaft stehen, zu gebrauchen und zu geniessen.

668. Was das Kind durch seine regelmässige Arbeit erwirbt, fällt dem Vater eigenthümlich zu, insofern derselbe die Kosten des Unterhaltes des Kindes bestreitet.

669. Wenn das Kind für seinen Unterhalt selber sorgt, so gehört, was dasselbe durch seine Arbeit verdient, ihm zu eigener Verwendung, vorbehalten die Bestimmung des § 660.

670. Das Kind kann über das, was es durch aussergewöhnlichen Fleiss erwirbt oder was ihm zu freier Verfügung geschenkt wird, selbständig verfügen, wenn es das Alter der Mündigkeit erreicht hat.

671. Ausgenommen von der väterlichen Nutzniessung, nicht aber von der väterlichen Vormundschaft, ist das Spargut der Kinder und solches Vermögen, welches denselben mit der ausdrücklichen Bestimmung geschenkt oder hinterlassen worden ist, dass der Vater keine Nutzniessung daran haben solle.

672. Die Obervormundschaft ist befugt, wo das Interesse der Kinder gefährdet erscheint und nicht aus moralischen Gründen im Interesse der Familie ein Eingriff in das Vermögen der Kinder gerechtfertigt wird, den Vater zur Sicherstellung ihres Vermögens oder eines Theiles desselben anzuhalten, soweit dies nach den Umständen möglich und thunlich ist. [p. 536]

Die Frage, ob und inwieweit Sicherstellung erforderlich sei, ist auf vormundschaftlichem Wege zu erledigen. Die Frage aber, ob eine von dem Vater angebotene Sicherstellung genüge, ist als Rechtssache zu behandeln, und der Entscheid hierüber in gleicher Weise herbeizuführen wie im Falle der §§ 606 und 608.

673. Zur gesetzlichen Vertretung des Kindes im Sinne von Art. 30 des Schweizerischen Obligationenrechtes behufs Eingehung von Schulden ist die Zustimmung des Vaters und eines ausserordentlichen Vormundes nothwendig.

Liegt eine solche nicht vor, wohl aber die Erlaubniss des Vaters, so wird dieser für die Erfüllung der Verbindlichkeit haftbar.

Ebenso sind diejenigen Fälle zu behandeln, wo zwar eine ausdrückliche Ermächtigung des Vaters nicht vorgelegen hat, aber die Einwilligung desselben vernünftiger Weise vorausgesetzt werden konnte. Dies gilt auch dann, wenn eine Leistung für das Kind nützlich verwendet worden ist.

Vorbehalten bleibt die Haftung des Kindes selbst nach Maassgabe des Art. 33 des Schweizerischen Obligationenrechtes.

674. Zur selbständigen Betreibung eines Berufes oder Gewerbes durch das Kind genügt die Zustimmung des Vaters.

Im Falle dieser Zustimmung haftet das Kind, soweit sein Vermögen reicht, der Vater für den Rest der Schuld.

675. Der Vater haftet dem Kinde für ungeschmälerte Herausgabe seines Vermögens.

676. Für das nicht mehr Vorhandene hat er Ersatz zu leisten, insofern er nicht nachzuweisen vermag, dass dasselbe entweder durch blossen Zufall untergegangen oder im Interesse des Kindes selbst und ohne Vernachlässigung der auf dem Vater ruhenden Verpflichtungen verbraucht oder in der Noth der Familie in moralisch gerechtfertigter Weise für diese verwendet worden sei.

677. Im Konkurse des Vaters geniesst die Forderung des Kindes auf Herausgabe seines Vermögens ein Vorzugsrecht gemäss den konkursrechtlichen Bestimmungen.

678. Die väterliche Vormundschaft erlischt, wenn das Kind das Alter der Volljährigkeit (Bundesgesetz betreffend die persönliche Handlungsfähigkeit Art. 1) erreicht hat. [p. 537]

Sind zureichende Gründe vorhanden, die Vormundschaft über diesen Zeitpunkt hinaus fortdauern zu lassen, so ist eine obrigkeitliche Vormundschaft einzuleiten.

679. Die väterliche Vormundschaft erlischt durch die Jahrgebung (Volljährigerklärung).

Die Jahrgebung setzt in der Regel die Zustimmung des Vaters voraus und geschieht durch die Vormundschaftsbehörden nach Maassgabe der §§ 832 u. ff.

680. Die väterliche Vormundschaft erlischt dadurch, dass das Kind in die Ehe tritt. Sie wird auch durch Wiederauflösung dieser Ehe vor Volljährigkeit des Kindes nicht wieder hergestellt.

681. Die väterliche Vormundschaft und Nutzniessung werden durch den Eintritt des Konkurses über den Vater in gleicher Weise wie nach § 613 die eheliche Vormundschaft und Nutzniessung unterbrochen.

682. Wenn der Vater selbst unter obrigkeitliche Vormundschaft kommt, so wird ihm, so lange diese dauert, die väterliche Vormundschaft entzogen, und erstreckt sich die obrigkeitliche Vormundschaft auch über seine Kinder.

683. Wenn der Vater seine väterliche Pflicht dauernd nicht erfüllt und die Unterhaltung und Erziehung der Kinder gröblich vernachlässigt, so kann ihm auf Bericht und Antrag des Gemeindrathes, welcher ihn vorher persönlich einzuvernehmen und überhaupt die Verhältnisse des Falles umfassend zu prüfen hat, durch den Bezirksrath die väterliche Vormundschaft entzogen werden. In diesem Falle sind die Kinder als Minderjährige sammt ihrem Vermögen unter obrigkeitliche Vormundschaft zu nehmen.

684. Bestreitet der Vater in diesem Falle, dass Grund zur Entziehung der Vormundschaft vorliege, so hat er dies innerhalb sechs Wochen von der Mittheilung des Beschlusses an dem Bezirksrathe schriftlich zu erklären, und es hat alsdann der letztere nach Maassgabe des Gesetzes betreffend die zürcherische Rechtspflege einen gerichtlichen Entscheid herbeizuführen.

In der Zwischenzeit bleibt die obrigkeitliche Vormundschaft über die Kinder bestehen.

685. Der Entzug der väterlichen Vormundschaft ist amtlich zu publiziren. [p. 538]

Zweites Kapitel.

Brautkinder.

686. Kinder, welche zwar nach dem Abschlusse des Verlöbnisses erzeugt, aber vor Eingehung der Ehe geboren sind, sogenannte Brautkinder, erhalten, wenn die Vaterschaft des Bräutigams anerkannt oder infolge einer Vaterschaftsklage ausgemittelt ist (§§ 697 u. ff.), den Geschlechtsnamen und das Bürgerrecht des Vaters und fallen nur insofern der Heimatsgemeinde der Mutter zu, als der Vater ein Kantonsfremder ist und die Heimatsgemeinde desselben nicht zur Anerkennung des Kindes angehalten werden kann.

Dem Gemeindrathe des Heimatsortes des Vaters bleibt jedoch das Recht vorbehalten, eine unwahre Anerkennung des Eheversprechens anzufechten.

687. Die Heimatsgemeinde des Brautkindes hat für die Bevormundung desselben zu sorgen.

688. Die Brautkinder geniessen, abgesehen von dem Verhältnisse der väterlichen Vormundschaft, alle Rechte ehelicher Kinder, und es hat daher auch der Vater zunächst die Kosten der Erziehung und des Unterhaltes für dieselben zu tragen.

689. Damit der Vater die väterliche Vormundschaft über sein Brautkind erhalte, hat er sein Begehren dem Waisenamte einzureichen, welches das Gesuch mit Bezug auf die persönliche Tüchtigkeit des Vaters prüft und mit seinem Antrage dem Bezirksrathe zur Entscheidung übermacht.

Wird die Ehe nachträglich vollzogen, so gelangt das Brautkind sofort in die väterliche Vormundschaft des Vaters.

Drittes Kapitel.

Uneheliche Kinder.

A. Rechtsverhältnisse der unehelichen Kinder.

690. Die unehelichen Kinder tragen, auch wenn ihr Vater ausgemittelt ist, den Geschlechtsnamen der Mutter und gehören der Heimatsgemeinde derselben als Bürger an.

691. Ist die Mutter eine Wittwe, so erhält das Kind den angeborenen, nicht den angeheirateten Geschlechtsnamen der Mutter. [p. 539]

692. Die unehelichen Kinder geniessen alle persönlichen Rechte gleich den ehelichen Kindern.

693. Die Sorge für die Erziehung und den Unterhalt eines unehelichen Kindes liegt zunächst der Mutter ob. Vorbehalten bleiben deren Ansprüche auf Unterstützungsbeiträge von Seite des unehelichen Vaters (§§ 704 bis 706).

694. Sowohl der Vater als die Mutter haften wechselseitig subsidiär für den Unterhalt des Kindes.

Sind dieselben ausser Stande, für das Kind zu sorgen, so haben subsidiär die Eltern des Vaters für diesen und die Eltern der Mutter für diese in dem Sinne einzustehen, dass sie zunächst für die ihrem Sohne oder ihrer Tochter obliegende Verpflichtung, im Nothfalle für das Ganze haften.

695. Die Verpflichtung zum Unterhalte des unehelichen Kindes geht nach dem Tode des Vaters, unbeschadet der nach § 694 bestehenden Verpflichtung seiner Eltern, auf seine Erben über, insoweit die Verlassenschaft desselben zur Bezahlung ausreicht und die Fortdauer der Unterstützungspflicht gegenüber seinen rechtmässigen Erben nicht als eine unbillige Zumuthung erscheint.

696. Die Heimatsgemeinde des unehelichen Kindes hat für Bevormundung desselben zu sorgen.

B. Vaterschaftsklage.

697. Eine Frauensperson, welche ausserehelich geschwängert worden, ist berechtigt, ihren Schwängerer wegen Vaterschaft zu belangen.

Ist indessen die Klägerin eine Ausländerin, so ist ihrer Klage nur insoweit Rechnung zu tragen, als entweder staatsrechtliche Verträge dies vorschreiben oder in ihrer Heimat Schweizerinnen in ähnlichen Fällen Recht gehalten wird.

698. Die Vaterschaftsklage kann in der Regel nur während der Schwangerschaft der Mutter bei dem Friedensrichter eingeleitet werden.

Nur wenn ein Eheverlöbniss zwischen der Geschwängerten und dem Schwängerer (§§ 576 u. ff.) oder eine schriftliche Anerkennung der Vaterschaft von Seite des Schwängerers vorliegt, kann die Klage noch vor Ablauf von sechs Wochen nach der Geburt des Kindes eingeleitet werden. [p. 540]

699. Auf die Erben der Klägerin geht die Klage nur dann über, wenn sie schon bei Lebzeiten derselben eingeleitet worden ist oder ein Eheverlöbniss oder eine schriftliche Anerkennung der Vaterschaft vorliegt.

700. Auf die Erben des Beklagten geht die Klage nur insoweit über, als sie schon bei Lebzeiten desselben oder bevor die Klägerin von seinem Tode Kunde hatte, eingeleitet worden ist, es wäre denn, dass ein Eheverlöbniss oder eine schriftliche Anerkennung der Vaterschaft von Seite des Verstorbenen vorläge.

701. Die Klage auf Vaterschaft wird abgewiesen:

a) wenn der Beklagte zur Zeit der angeblichen Schwängerung noch nicht sechszehn Jahre alt war;

b) wenn der Beklagte zur Zeit der Schwängerung verehelicht war und vorliegt, dass der Klägerin sein ehelicher Stand bekannt gewesen sei;

c) wenn die Klägerin zur Zeit der Schwängerung verheiratet war;

d) wenn die Klägerin früher schon, sei es vor Friedensrichteramt oder vor Gericht, eine andere Person als Schwängerer belangt hat, es wäre denn, dass dieselbe dazu durch Drohung oder Arglist des wirklichen Schwängerers bewogen worden wäre;

e) wenn die Klägerin innerhalb der zwei letzten Jahre als öffentliche Dirne gelebt oder sonst sich gegen Bezahlung an Mannspersonen zur Unzucht überlassen hat;

f) wenn die Klägerin innerhalb der nämlichen Frist während längerer Zeit sich in einer liederlichen Wirthschaft oder einem unzüchtigen Hause aufgehalten oder eine solche Wirthschaft oder Haus öfter in verdächtiger Weise besucht hat;

g) wenn die Klägerin um ihres unzüchtigen Lebenswandels willen, z. B. wegen mehrmaliger unehelicher Geburten oder weil sie wegen Ehebruches bestraft worden ist, oder weil sie den Beklagten zur Unzucht verführt hat, als des Klagerechtes unwürdig erscheint.

702. In der Regel ist anzunehmen, dass ein gehörig ausgetragenes Kind nicht vor der zweiundvierzigsten und nicht nach der achtunddreissigsten Woche vor dem Zeitpunkt der Geburt erzeugt worden sei. [p. 541]

703. Wird die Vaterschaftsklage abgewiesen, so verbleibt das Kind in allen Beziehungen ausschliesslich der Mutter.

704. Wird die Vaterschaftsklage gutgeheissen, so ist der Vater verpflichtet, der Mutter die Entbindungs-, Kindbett- und Taufekosten zu bezahlen.

705. Im weiteren hat der einerkannte Vater, sofern ihm das Kind nicht als Brautkind zugesprochen wurde, der Mutter bis zu zurückgelegtem zwölften Altersjahre des Kindes einen angemessenen, von dem Gerichte nach freiem Ermessen zu bestimmenden Beitrag an die Erziehung und Verpflegung des Kindes zu verabreichen. Dieser Beitrag soll mindestens die Hälfte des erforderlichen Kostgeldes ausmachen.

706. Nach vollendetem zwölften Altersjahre des Kindes ist der Vater verpflichtet, alle Unkosten für den Unterhalt, die fernere Erziehung und Berufsbildung des Kindes auf sich allein zu übernehmen.

C. Legitimation und Ehelichsprechung ausserehelicher Kinder.

707. Uneheliche minderjährige Kinder gelangen mit der Legitimation durch die nachfolgende Ehe der Eltern in die Vormundschaft ihres Vaters.

708. Ist ein uneheliches Kind zur Zeit der Verehelichung seiner Eltern bereits verstorben mit Hinterlassung einer eigenen ehelichen Nachkommenschaft, so erwirbt diese alle Rechte ehelicher Enkel ihrer Grosseltern.

709. Nach dem Tode der Mutter kann auf Begehren des Vaters ein uneheliches Kind desselben durch das Gericht ehelich gesprochen werden und in die väterliche Vormundschaft gelangen, insofern sich derselbe darüber ausweist, dass der Ehe mit der Mutter des Kindes kein gesetzliches Hinderniss im Wege gestanden wäre, und die Obervormundschaft im Interesse des Kindes ihre Einwilligung gibt. Ist der Vater verheiratet, so hat die Obervormundschaft auch die Meinung der Ehefrau zu berücksichtigen.

710. Den erbberechtigten Verwandten und dem Gemeindrathe des Heimatsortes des angeblichen Vaters bleibt es vorbehalten, gegen eine fingirte Vaterschaft Einsprache zu erheben. [p. 542]

Viertes Kapitel.

Findelkinder.

711. Kinder, deren Eltern unbekannt geblieben sind (Findelkinder), erhalten das Gemeindebürgerrecht derjenigen Gemeinde, in welcher sie zuerst gefunden worden sind.

Vorbehalten bleibt die nachherige Ausmittlung des dem Kinde angeborenen Gemeindebürgerrechtes.

712. Die Sorge für den Unterhalt, die vormundschaftliche Pflege und Erziehung der Findelkinder liegt der Gemeinde ob, deren Bürgerrecht dieselben erlangt haben.

Vorbehalten bleibt die Forderung derselben auf Wiedererstattung der Auslagen gegenüber den Eltern, Anverwandten und der Gemeinde, welcher das Kind, infolge späterer Entdeckung seiner wirklichen Abstammung, zuerkannt wird.

713. Der Staat ist verpflichtet, der Gemeinde, welche vier Jahre lang ein Findelkind versorgt hat, ohne dass dessen Herkunft entdeckt wurde, ein für alle Mal die Summe von vierhundert Franken als Beitrag zu bezahlen.

Fünftes Kapitel.

Annahme an Kindesstatt (Adoption).

714. Die Annahme an Kindesstatt setzt auf Seite der adoptirenden Person, des Wahlvaters oder der Wahlmutter, voraus:

a) dass dieselbe keine eheliche Nachkommenschaft habe;

b) dass sie wenigstens sechszehn Jahre älter sei als das Wahlkind (Adoptivkind);

c) dass der Wahlvater wenigstens fünfzig, die Wahlmutter wenigstens vierzig Jahre alt sei; wenn beide Ehegatten gemeinsam adoptiren und wenigstens zehn Jahre lang in kinderloser Ehe gelebt haben, so genügt auch für den Mann ein Alter von vierzig Jahren.

715. Die Adoption kann, insofern der Adoptirende in der Ehe lebt, von Seite bloss des einen Ehegatten oder von Seite beider Ehegatten erfolgen.

Auch im ersteren Falle ist die Zustimmung des anderen Ehegatten erforderlich.

716. Ist das Kind, welches an Kindesstatt angenommen werden soll, noch minderjährig, so ist ausserdem erforder- [p. 543] lich, dass der annehmende Theil während wenigstens sechs Jahren die Erziehung oder den Unterhalt desselben besorgt oder ihm sonst während dieser Zeit persönliche Aufmerksamkeit und Pflege gewidmet habe.

717. Ist dasselbe volljährig, so ist erforderlich, dass erhebliche Gründe für ein derartiges Familienverhältniss sprechen, und zugleich die betreffenden Personen während wenigstens drei Jahren entweder in gemeinschaftlicher Haushaltung gelebt oder der eine Theil dem anderen während dieser Zeit besondere Pflege und Aufmerksamkeit gewidmet habe.

718. Abgesehen von dem Falle des § 715 kann Niemand von mehreren Personen zugleich an Kindesstatt angenommen werden.

719. Die Annahme mehrerer Kinder ist zulässig.

720. Die Annahme an Kindesstatt ist bei dem Waisenamte des Heimatsortes des Adoptirenden einzuleiten.

721. Der Annehmende und der Anzunehmende sind persönlich vor dem Waisenamte über ihre Verhältnisse einzuvernehmen und zu befragen, ob sie beiderseits aus freiem, eigenem Willen gesonnen seien, als Vater oder Mutter, beziehungsweise als Eltern auf der einen Seite und als Kind auf der anderen zu leben.

Ist der anzunehmende Theil noch unmündig, so ist statt seiner der Vater oder Vormund desselben persönlich vorzuladen.

Für Minderjährige ist auch die Zustimmung des natürlichen Vaters oder, wenn dieselben nicht unter väterlicher Vormundschaft stehen, des von dem Bezirksrathe dazu ermächtigten Vormundes nöthig. Der Vater oder Vormund ist ebenfalls persönlich vorzuladen.

722. Das Waisenamt hat zu prüfen, ob die gesetzlichen Erfordernisse vorhanden seien und der annehmende Theil persönliches Zutrauen verdiene, und übermacht die Akten mit seinem Bericht und Antrag versehen dem Bezirksrath.

723. Der Bezirksrath erneuert die Prüfung soweit nöthig und stellt seinen Bericht und Antrag an die Direktion der Justiz, welche unter Vorbehalt des Rekurses an den Regierungsrath die definitive Genehmigung zur Kindesannahme ertheilt oder versagt.

724. Ist die Genehmigung ertheilt, so ladet der Bezirksrath den annehmenden und den anzunehmenden Theil vor, und [p. 544] wenn sie auf ihrem Entschlusse, ein elterliches und kindliches Verhältniss einzugehen, verharren, so erklärt er die Kindesannahme als nunmehr vollzogen.

Diese Kindesannahme ist amtlich bekannt zu machen.

725. Das Wahlkind erhält den Geschlechtsnamen des Adoptivvaters oder der Adoptivmutter, dem der angeborene Geschlechtsname beigefügt werden kann, tritt in ihre Familie ein und erhält ihnen gegenüber alle Rechte und Pflichten eines ehelich geborenen Kindes. Vorbehalten bleiben die besonderen Bestimmungen des Pflichttheilsrechtes.

726. Mit den übrigen Verwandten der Adoptiveltern tritt es in keine erbrechtliche Verbindung, weder als Erbe noch als Erblasser.

727. Die erbrechtliche Verbindung mit seiner natürlichen Familie bleibt fortbestehen, vorbehalten die näheren Beschränkungen des Erbrechtes.

728. Die väterliche Vormundschaft des leiblichen Vaters erlischt, sobald diejenige des Wahlvaters beginnt.

729. Das Adoptivverhältniss kann wieder aufgelöst und das ursprüngliche Recht der natürlichen Familie hergestellt werden:

a) wenn beide Theile darüber einverstanden sind, unter Beobachtung derselben Formen, welche für die Eingehung erfordert worden;

b) wenn das als minderjährig adoptirte Kind innerhalb Jahresfrist seit Erlangung der Volljährigkeit aus zureichenden Gründen die Wiederherstellung begehrt;

c) wenn der Wahlvater oder die Wahlmutter die Auflösung deshalb begehrt, weil das Wahlkind sich durch sein Verhalten der Kindschaft unwürdig erzeigt hat.

Dritter Abschnitt.

Von der obrigkeitlichen Vormundschaft.

Erstes Kapitel.

Arten der Vormundschaft.

730. Unter die ordentliche Vormundschaft des Staates gehören: [p. 545]

a) die Minderjährigen, vorbehalten die Bestimmung des § 731;

b) die gerichtlich erklärten Verschwender;

c) die zu Zuchthausstrafe verurtheilten Sträflinge;

d) Personen, welche wegen Geisteskrankheit oder Leibesgebrechen dauernd ausser Stande sind, ihr Vermögen selbst zu besorgen;

e) Personen, welche sich freiwillig unter Vormundschaft begeben haben.

Ferner werden durch die obrigkeitliche Vormundschaft vertreten:

f) die unbekannt wo Abwesenden.

731. Die ordentliche Vormundschaft des Staates wird ausgeschlossen durch die Vormundschaft des Ehemannes über die Ehefrau und des Vaters über seine ehelichen Kinder.

Geräth aber ein Ehemann oder Vater in Konkurs oder kommt er selbst unter Vormundschaft, so werden die eheliche und väterliche Vormundschaft obrigkeitlich verwaltet. (§§ 613, 614, 681 und 682.)

732. Ausserordentliche Vormünder (Kuratoren) werden bestellt:

a) in allen Fällen, wo aus besonderen Gründen die Vormundschaft des Ehemannes über die Frau oder des Vaters über die Kinder oder des ordentlichen Vormundes über die in § 730 bezeichneten Personen nicht ausreicht oder in einem auffallenden Maasse vernachlässigt wird, und ein besonderer Schutz dieser Personen nothwendig erscheint;

b) für die ungeborene Leibesfrucht nach § 736;

c) wenn sonst eine vorübergehende ausserordentliche Vertretung eines Menschen nöthig wird, welcher weder selbst handeln kann, noch durch eine anderweitige Vertretung geschützt wird, während Gefahr im Verzuge ist.

Zweites Kapitel.

Entstehung der Vormundschaft.

733. Alle öffentlichen Vormünder und Kuratoren werden von den Vormundschaftsbehörden von Staates wegen bestellt.

734. Sobald der Gemeindrath auf irgend welche Weise davon Kenntniss erhält, dass ein Fall der öffentlichen Vormund- [p. 546] schaft eintrete, so bestellt er von sich aus vorläufig einen Vormund oder Kurator, wobei er auf allfällige Wünsche des verstorbenen Vaters oder der Anverwandten des Vögtlings geeignete Rücksicht zu nehmen hat, und stellt dem Bezirksrathe den Antrag zu definitiver Ernennung des Vormundes.

735. Die nächsten Anverwandten eines verstorbenen Vaters, welcher minderjährige Kinder oder eine schwangere Frau hinterlässt, sind verpflichtet, mit möglichster Beförderung dem Gemeindrathe des Wohnortes und dem Gemeindrathe des Heimatsortes der Kinder von einem derartigen Todesfalle Kenntniss zu geben. Die gleiche Pflicht der Anzeige liegt ihnen gegenüber dem Gemeindrathe des Heimatsortes ob, wenn dauernde Geistes- oder Leibeskrankheit oder Abwesenheit eines Anverwandten die vormundschaftliche Obsorge nothwendig machen.

Ferner liegt es, wenn ein Ehemann oder Vater in Konkurs geräth, der betreffenden Notariatskanzlei ob, davon dem Gemeindrathe des Heimatsortes, bei einem Nichtkantonsbürger dem Gemeindrathe des Wohnortes, zum Behufe der Einleitung der Vormundschaft über die Ehefrau und minderjährigen Kinder des Gemeinschuldners und zur Wahrung ihrer Interessen im Konkurse Kenntniss zu geben.

Eine Versäumniss dieser Anzeige wird in Fällen grober Fahrlässigkeit oder absichtlicher Verheimlichung mit einer Busse von fünf bis fünfhundert Franken bestraft.

736. Auch der ungeborenen Leibesfrucht soll für die Zeit der Schwangerschaft der Mutter in allen den Fällen ein Vormund bestellt werden, in welchen, wenn das Kind bereits geboren wäre, demselben wegen Minderjährigkeit ein Vogt bestellt werden müsste.

737. Die Vormundschaft wegen Geisteskrankheit oder Leibesgebrechen setzt eine vorherige sorgfältige Prüfung des einzelnen Falles durch den Bezirksarzt mit Zuziehung des behandelnden Arztes oder durch einen Arzt an den kantonalen Krankenanstalten voraus. Der Antrag zur Anordnung der Vormundschaft wird von Seite der unteren Vormundschaftsbehörde an die obere gestellt. Gegen die diesfälligen Beschlüsse des Bezirksrathes steht sowohl dem Gemeindrathe als dem Betheiligten und dessen nächsten Anverwandten das Recht des Rekurses an den Regierungsrath zu. [p. 547]

738. Die Bevormundung wegen Verschwendung ist entweder auf Anzeige der Verwandten des Verschwenders oder der betreffenden Armenpflege oder von Amtes wegen durch die erstinstanzliche Vormundschaftsbehörde einzuleiten. Dieselbe soll in allen Fällen, wo erheblicher Verdacht vorliegt, dass Jemand durch verschwenderische oder leichtfertige Lebensweise oder Geschäftsführung sein Vermögen zu Grunde richten werde, eine solche Person vorbescheiden und je nach Umständen entweder durch blosse Warnung und Ermahnung dem Uebel zu steuern suchen oder sofort die Einleitung zur Bevormundung treffen.

Willigt der Vorbeschiedene in die Bevormundung ein, so ist nach § 741 zu verfahren. Verweigert er seine Zustimmung, so wird der Gemeindrath dem Bezirksrathe einen umfassenden Bericht über die Sachlage machen und den Antrag auf Bevormundung stellen.

739. Der Bezirksrath ist nach vorläufiger Prüfung der Sache berechtigt, sofort eine Inventarisirung des Vermögens anzuordnen und bis zur Erledigung des Antrages sowohl werthvolle Vermögensstücke und Dokumente in Verwahrung zu nehmen, als durch gerichtliche Vermittlung Sperrung der Notariats- und Pfandprotokolle zu veranlassen.

740. Erkennt der Bezirksrath, welcher in der Regel den zu Bevormundenden persönlich einvernimmt, für den Fall, dass derselbe gerichtlich als Verschwender erklärt werde, auf Bevormundung, so ernennt er vorläufig einen Vormund und ertheilt diesem die nöthige Prozessvollmacht, um auf gerichtlichem Wege jenen als Verschwender erklären und verrufen zu lassen.

Ein solcher Beschluss des Bezirksrathes, gegen welchen ein weiterer Rekurs nicht gestattet wird, ist öffentlich bekannt zu machen und Jedermann vor allem Verkehr mit dem Bevogteten zu verwarnen, mit der Androhung, dass, insofern das Gericht ihn wirklich als Verschwender erkläre, alle nach Bekanntmachung jenes Beschlusses mit demselben abgeschlossenen Rechtsgeschäfte ganz so beurtheilt würden, wie die nach der definitiven gerichtlichen Verrufung eingegangenen.

741. Wer sich freiwillig unter obrigkeitliche Vormundschaft begeben will, hat diesen Willen sowohl schriftlich zu bezeugen, als überdies persönlich vor der erstinstanzlichen Vor- [p. 548] mundschaftsbehörde zu erklären. Wenn der Bezirksrath auf den Bericht des Gemeindrathes sich davon überzeugt, dass das Begehren um einen Vormund auf dem freien Willen des zu Bevogtenden beruhe und dass genügende Gründe für eine Vormundschaft vorhanden seien, so beschliesst er die Bevormundung und ernennt auf Antrag des Gemeindrathes den Vormund.

742. Sowohl die Bevormundung wegen Geisteskrankheit oder Leibesgebrechen als diejenige infolge freiwilliger Unterziehung sind durch den Bezirksrath öffentlich bekannt zu machen.

743. Die Vormundschaft für einen unbekannt wo Abwesenden wird von den Vormundschaftsbehörden (§ 734) angeordnet, wenn der Aufenthalt desselben ein ganzes Jahr hindurch unbekannt geblieben ist und der Abwesende für keinen gehörigen Stellvertreter gesorgt hat.

744. Der Zeitpunkt, auf welchen die letzte sichere Kunde von dem Leben des Abwesenden sich bezieht (§ 11), ist im Protokolle des Waisenamtes bei der Bestellung eines Kurators vorzumerken.

745. Auch vor Ablauf des ersten Jahres der Abwesenheit wird für den nicht vertretenen unbekannt wo Abwesenden ein Vormund bestellt, wenn Gefahr im Verzuge ist.

Dieselbe Anordnung findet statt, wenn eine vorübergehende Stellvertretung eines Abwesenden dringend nöthig wird, dessen Aufenthaltsort zwar bekannt, dem es aber nicht möglich ist, zur rechten Zeit selbst für eine Stellvertretung zu sorgen.

746. Bei der Bestellung von Vormündern soll auf rechtschaffene, verständige und des Zutrauens sowohl der Vormundschaftsbehörden als der Bevormundeten würdige Männer gesehen werden und sind voraus taugliche Anverwandte derselben zu berücksichtigen.

747. Die Uebernahme einer Vogt- oder Kuratorstelle ist eine allgemeine Bürgerpflicht und kann nur aus erheblichen Gründen abgelehnt werden; die Entscheidung über die Statthaftigkeit solcher Gründe steht in erster Instanz dem Bezirksrathe, in zweiter der Direktion der Justiz zu. Jedenfalls ist Niemand verpflichtet, gleichzeitig mehr als höchstens zwei Vormundschaftsstellen zu übernehmen.

748. Der vorläufig ernannte Vormund ist verpflichtet, in der Zwischenzeit, seitdem ihm von seiner Ernennung amtliche [p. 549] Kenntniss gegeben worden ist, bis zur Erledigung seines Ablehnungsbegehrens diejenigen Geschäfte des Bevormundeten zu besorgen, für welche er entweder von Seite der Vormundschaftsbehörde einen besonderen Auftrag erhalten hat, oder bei welchen er wusste oder wissen konnte, dass Gefahr im Verzuge sei.

749. Wenn von der zu bevormundenden Person nach der Einleitung des vormundschaftlichen Verfahrens oder von dem Vögtling Vermögensstücke beseitigt oder bei der Inventarisation des Vermögens verheimlicht oder unredlicher Weise Schulden vorgespiegelt werden, so ist derselbe mit Polizeistrafe, bestehend in Gefängniss bis auf drei Monate, oder Busse bis auf tausend Franken, oder mit Gefängniss und Busse zu belegen.

Derselben Strafe unterliegen auch Dritte, welche sich solcher Handlungen schuldig machen, oder sich bei denselben betheiligen.

Vorbehalten bleibt die Anwendung des Strafgesetzbuches auf die unter dasselbe fallenden Handlungen.

750. Die zur Aufnahme des Inventars zugezogenen Personen sind auf die Bestimmungen des § 749 aufmerksam zu machen.

751. Weigert sich ein Vormund beharrlich, seine Bürgerpflicht zu erfüllen, so wird er nicht bloss dem Bevormundeten für allen Schaden verantwortlich, welcher aus der Nichterfüllung seiner Pflicht hervorgeht, sondern er ist überdies nach fruchtloser Androhung (Strafgesetzbuch § 80) wegen Ungehorsames dem zuständigen Gerichte zur Bestrafung zu überweisen.

Bis zum Antritte der Verwaltung durch den ungehorsamen Vogt ist auf dessen Kosten dem Bevormundeten durch die Vormundschaftsbehörden ein Kurator anzuweisen.

752. Die ordentlichen Vormünder (§ 730) können angehalten werden, die nämliche Vogtstelle wenigstens während vier Jahren zu besorgen.

Drittes Kapitel.

Pflichten und Rechte des Vormundes.

753. Jeder Vormund ist verpflichtet:

a) über das zu verwaltende Vermögen ein Inventar zu be- [p. 550] gehren und auch seinerseits mitzuwirken, dass dasselbe vollständig und richtig sei;

b) alle Werthschriften und ähnlichen Dokumente des Vögtlings dem Waisenamte zur Aufbewahrung in der Schirmlade zu übergeben;

c) das Vermögen des Vögtlings als ein guter Hausvater zu besorgen, dessen Nutzen zu fördern und Schaden zu wenden; zu diesem Behufe hat er namentlich die Gebäude und Liegenschaften in gutem Zustande zu erhalten, für gehörige Versicherung und Zinsbarmachung der vorhandenen Gelder oder Schuldforderungen besorgt zu sein, die ausstehenden Zinsen gehörig einzuziehen u. s. f.;

d) über seine Verwaltung Rechnung zu führen und von Zeit zu Zeit, mindestens alle zwei Jahre, Rechenschaft abzulegen;

e) die Anleitungen der Vormundschaftsbehörden zu beachten und ihre Aufträge gewissenhaft zu vollziehen;

f) da, wo die Ermächtigung der Vormundschaftsbehörde nothwendig ist, dieser umfassenden Bericht zu erstatten und Antrag zu stellen;

g) nach Beendigung seiner Vormundschaft das Vermögen an seinen Nachfolger oder den vormaligen Vögtling auf Grundlage des Inventares und der seitherigen Rechnungen zu übergeben.

754. Der Vogt hat überdies für die geistige und körperliche Wohlfahrt des Vögtlings nach Kräften Sorge zu tragen. Insbesondere ist der Vormund Minderjähriger verpflichtet, für die gute Erziehung, für religiöse und sittliche Entwicklung und für eine der Fähigkeit, dem Vermögen und den sonstigen Verhältnissen angemessene Berufsbildung seiner Vögtlinge wie ein Vater zu sorgen.

755. Der Vormund ist berechtigt:

a) von dem Vögtling Achtung und Gehorsam zu fordern;

b) das Vermögen des Bevormundeten zu verwalten und als Stellvertreter des Vögtlings für denselben zu handeln und Rechtsgeschäfte abzuschliessen, innerhalb der allgemeinen in seiner Stellung liegenden und der besonderen durch die Vormundschaftsbehörde ihm ertheilten Vollmacht;

c) in schwierigen Fällen die Vormundschaftsbehörde um Rath und Anleitung anzugehen. [p. 551]

756. Ein anwesender mündiger Vögtling soll sowohl zur Aufnahme und Anerkennung des Inventars als zu allen wichtigen Berathungen über seine Angelegenheiten zugezogen und seine Ansicht darüber vernommen werden.

Der Vormund und die Vormundschaftsbehörden sind indessen an diese Ansicht nicht gebunden.

757. Wenn einem Minderjährigen das Spargut (Sparhafen) zu eigener Besorgung anvertraut wird, so steht demselben freie Verfügung darüber zu. Ebenso kann er frei und selbständig, gleich einem Volljährigen, über das verfügen, was ihm zu diesem Behufe geschenkt werden, oder was er durch seinen Fleiss erworben hat, soweit er nicht hierin ausnahmsweise durch besondere Anordnung der Vormundschaftsbehörde beschränkt wird.

758. Die Rechte und Pflichten des Vormundes für einen unbekannt wo Abwesenden sind nach Analogie der Rechte und Pflichten der übrigen Vormünder zu behandeln, mit dem wesentlichen Unterschiede jedoch, dass die Handlungsfähigkeit des Abwesenden weder aufgehoben noch beschränkt ist, sondern Verwaltung und Stellvertretung für denselben nur insoweit und auf so lange bestehen, als nicht der Abwesende selbst andere Verfügungen trifft.

759. Volljährigen Personen, welche zwar unter Vormundschaft stehen, aber befähigt erscheinen, ihre laufende Wirthschaft selber zu besorgen, ist in der Regel zu gestatten, den Ertrag ihres Kapitalvermögens und ihrer Arbeit selbst zu beziehen und zu verwenden.

Ohne Zustimmung des Vormundes können sie indessen keine Schulden kontrahiren, ausser insoweit Art. 6 des Bundesgesetzes betreffend die persönliche Handlungsfähigkeit oder Art. 34 des Schweizerischen Obligationenrechtes zur Anwendung kommen oder die gewohnten täglichen Bedürfnisse der Haushaltung solche Verbindlichkeiten rechtfertigen.

In solchen Fällen beschränkt sich die vormundschaftliche Obsorge hauptsächlich darauf, das Kapitalvermögen, soweit dieses möglich und thunlich ist, ungeschmälert zu erhalten.

760. Der Bezirksrath ist ermächtigt, die nämliche Befugniss zu freier laufender Wirthschaft mit Bezug auf vaterhalb verwaiste Kinder an deren Mutter ganz oder theilweise zu übertragen, insofern diese eines solchen Vertrauens würdig erscheint. In solchen Fällen kann ihr, auch abgesehen von [p. 552] den ihr nach § 903 zustehenden Rechten, die Nutzniessung an dem übrigen Vermögen des Kindes überlassen werden.

761. In solchen Fällen (§§ 759 und 760) genügt anstatt der gewöhnlichen Vogtrechnung eine jährliche Uebersicht über den Bestand des Vermögens und eine Berichterstattung über die Verhältnisse der Mündel im allgemeinen.

762. Die Obervormundschaft kann indessen jederzeit die ertheilte Befugniss wieder zurückziehen und die ordentliche Vormundschaft eintreten lassen, sobald sie solches im Interesse des Vögtlings nöthig findet.

763. Die Vögte und Kuratoren sind ihren Vögtlingen für allen Schaden verantwortlich, welchen sie absichtlich oder durch Fahrlässigkeit verschuldet haben.

764. Die Vormundschaftsbehörde bestimmt dem Vormunde für die Besorgung des Vermögens des Vögtlings, abgesehen von dem Ersatze für die aus seinem eigenen Vermögen für den Bevormundeten gemachten Auslagen, je nach der Schwierigkeit und Weitläufigkeit der Verwaltung eine Vogtgebühr, welche jedoch zwei vom Tausend des reinen Kapitalbestandes für das Jahr nicht übersteigen darf. Für Vermögen unter zweihundert Franken Kapitalwerth sind keine Vogtgebühren zu beziehen.

Wenn an dem Vermögen des Bevormundeten oder an einem Theile desselben zu Gunsten einer dritten Person ein Nutzniessungsrecht besteht, so wird die entsprechende Vogtgebühr aus dem Ertrage der Nutzniessung bestritten, fällt hingegen weg, insofern die Vermögensverwaltung dem Nutzniesser selbst überlassen bleibt.

Viertes Kapitel.

Obervormundschaft.

765. Die Obervormundschaft wird ausgeübt von dem Gemeindrathe der politischen Gemeinde, wo der Bevormundete verbürgert ist, in erster, von dem betreffenden Bezirksrathe in zweiter, von dem Regierungsrathe beziehungsweise der Direktion der Justiz in dritter Instanz.

766. Der Gemeindrath als Waisenamt kann die Besorgung des Vormundschaftswesens an seiner Statt auch einer stehenden Kommission von drei bis fünf Mitgliedern aus seiner Mitte übertragen. [p. 553]

Der Bezirksrath ist indessen ermächtigt, von sich aus oder auf die Beschwerde einzelner Mitglieder des Qemeindrathes hin, da wo die Bestellung einer solchen Waisenkommission keine hinreichende Gewähr für eine gute und sichere Verwaltung der Vormundschaftssachen gibt, auf Abhülfe zu dringen, nötigenfalls die Kommission aufzuheben.

767. Wenn besondere Gründe es ausnahmsweise nothwendig machen, so können statt der Vormundschaftsbehörden des Heimatsortes diejenigen des Wohnortes des Vögtlings angegangen oder je von einer oberen Vormundschaftsbehörde angewiesen werden, die vormundschaftliche Aufsicht zu besorgen. In diesem Falle sind die. Inventarien und Rechnungen auch zur Kenntniss des heimatlichen Gemeindrathes zu bringen.

768. Insbesondere soll der Gemeindrath derjenigen Gemeinde, in welcher ein Niedergelassener mit Zurücklassung minderjähriger Kinder verstorben ist, die vorläufigen Anordnungen zur Ziehung eines Inventars, sowie zu provisorischer Bestellung eines Vormundes treffen und davon mit möglichster Beförderung dem Gemeindrathe der Heimatsgemeinde des Verstorbenen Mittheilung machen, damit dieser Gelegenheit erhalte, das Weitere zu verfügen.

769. Die hiesigen Vormundschaftsbehörden sind ermächtigt, wenn Kantonsbürger ausserhalb des Kantons leben, auf die Ausübung der Obervormundschaft ausnahmsweise zu verzichten, sofern entweder an dem Wohnorte der Vögtlinge nach dortigem Vormundschaftsrechte anders für dieselben gesorgt wird, oder wegen Mangels an gehörigen Verbindungen oder aus anderen Gründen die Ausübung der obervormundschaftlichen Rechte und Pflichten übermässig schwierig ist, im letzteren Falle jedoch nur mit Bewilligung des Regierungsrathes.

770. Dieselben sind ferner verpflichtet, die Obervormundschaft auszudehnen auf im Kanton wohnhafte und der Vormundschaft bedürftige Kantonsfremde, wenn deren Heimatsbehörden sich derselben nicht annehmen und nicht auf andere Weise für dieselben gesorgt wird. [p. 554]

771. Ueber die vormundschaftlichen Geschäfte wird in jeder Gemeinde ein besonderes Protokoll und eine tabellarische Uebersicht der Vormundschaftsfälle (Bevogtigungsetat) geführt.

772. Die Obervormundschaft äussert sich theils in der Mitwirkung bei der Verwaltung und Stellvertretung der Bevormundeten, theils in der Aufsicht über die vormundschaftliche Besorgung.

773. Das Waisenamt hat zunächst für gehörige Inventarisirung des Vermögens des zu Bevormundenden und für die Einleitung zu dessen Bevormundung zu sorgen.

Die Liegenschaften sowohl als die Fahrhabe sollen genau verzeichnet, geschätzt und eine klare Uebersicht und Vergleichung der Aktiven und Passiven möglichst angestrebt werden.

774. Sobald die Vormundschaftsbehörde von dem Tode eines Vaters Kenntniss erhält, welcher minderjährige Kinder oder eine schwangere Wittwe hinterlässt, so lässt sie, insofern die Umstände es erfordern, die Siegelung vornehmen und sodann durch ihren Schreiber unter Aufsicht eines ihrer Mitglieder und in Beisein des Vögtlings (§ 756), der Wittwe des Verstorbenen und der nächsten anwesenden volljährigen Verwandten ein Inventar über die Verlassenschaft aufnehmen.

775. Wenn minderjährige Kinder mutterhalb verwaist werden, so bleibt der überlebende Vater zwar ihr natürlicher Vormund, aber das Waisenamt kann auf Antrag der Verwandten dieser Kinder oder nöthigenfalls von sich aus ein Inventar über die den Kindern angefallene mütterliche Verlassenschaft begehren und überdies in der in § 672 angeführten Weise die Sicherstellung dieses Vermögens zu bewirken suchen.

Gegen derartige Beschlüsse des Waisenamtes steht dem Betheiligten der Rekurs an den Bezirksrath und von diesem an den Regierungsrath offen. Die Frage, ob eine vom Vater angebotene Sicherstellung genüge, ist Rechtssache, und der Entscheid hierüber in gleicher Weise herbeizuführen wie im Falle der §§ 606 und 608.

776. Wenn Bedenken darüber vorhanden sind, ob die Passiven durch die Aktiven gehörig gedeckt seien, und die daherige Gefahr für die Minderjährigen als Erben nicht sofort auf irgend eine andere Weise, z. B. durch Kaution beseitigt [p. 555] wird, so soll das Waisenamt theils beförderlich die Rechtswohlthat des gerichtlichen Inventars verlangen, theils, wo es zweckmässig erscheint, Probeganten anordnen und davon dem Bezirksrathe Kenntniss geben.

Die Gebühren für solche gerichtliche Inventare und Probeganten sind bei dem allfälligen Konkurse zu den Konkurskosten zu rechnen.

777. Wenn es sich ergibt, dass die Passiven der Verlassenschaft grösser sind als die Aktiven, so hat das Waisenamt dies unverzüglich dem Bezirksrathe zu berichten und ihm für den Fall, dass eine Verständigung mit den Gläubigern nicht thunlich erscheint, einen Antrag über Ausschlagung der Erbschaft im Namen der Minderjährigen zu stellen.

Findet der Bezirksrath die Ausschlagung der Erbschaft als im Interesse der Minderjährigen liegend, so ermächtigt er das Waisenamt, im Namen der Minderjährigen solches bei dem betreffenden Bezirksgerichte zu erklären.

778. Das von der Vormundschaftsbehörde erhobene Inventar (§ 773) wird mit Rücksicht auf die Liegenschaften der betreffenden Notariatskanzlei zur Revision mitgetheilt, zugleich von dem Gemeindammann eine schriftliche Erklärung eingezogen, ob und inwieweit etwa die Fahrhabe des Erblassers verpfändet sei, hierauf im Beisein der in § 774 genannten Personen von dem Waisenamte geprüft und nach Berichtigung der allfälligen Irrthümer dem Bezirksrathe zu definitiver Genehmigung zugewiesen.

779. Wenn die Bevormundung eines Volljährigen aus irgend einem Grunde angeordnet wird, so bleibt es den Vormundschaftsbehörden überlassen, zur Feststellung des Vermögensbestandes bei dem betreffenden Bezirksgerichte die Erlassung eines öffentlichen und gerichtlichen Schuldenrufes zu verlangen. Das Gericht sorgt durch Anordnung von allgemeinen, und bei solchen Forderungen, von deren Dasein man, sei es aus den Angaben des Bevormundeten, sei es aus den Büchern und Schriften desselben, Kenntniss erhält, auch durch Anordnung von besonderen Ladungen dafür, dass der Schuldenruf den Gläubigern des Bevogteten möglichst bekannt werde, unter Androhung des Verlustes derjenigen nicht angemeldeten Forderungen, welche weder aus den Notariats- noch aus den Pfand- [p. 556] protokollen mit Bestimmtheit ersichtlich, noch durch Faustpfänder gedeckt sind.

780. Das Waisenamt stellt dem ernannten Vormunde eine Abschrift des Inventars, nöthigenfalis der letzten Rechnung und gleichzeitig die bezirksräthliche Ernennungsurkunde zu. Zu diesem Behufe ist der neu ernannte Vormund persönlich vor das Waisenamt oder dessen Präsidenten zu laden und an seine Verpflichtung zu erinnern.

Hievon ist im Protokolle Vormerk zu nehmen.

781. Durch die Ernennungsurkunde erhält der Vormund das Recht und die Pflicht als solcher zu handeln.

Indessen ist auch der vorläufig bestellte und von dieser Bestellung in Kenntniss gesetzte Vormund, bevor ihm die Ernennungsurkunde eingehändigt ist, berechtigt und verpflichtet, diejenigen Geschäfte des Bevormundeten zu besorgen, für welche er entweder von Seite der Vormundschaftsbehörde einen besonderen Auftrag erhalten hat, oder bei welchen er wusste oder wissen konnte, dass Gefahr im Verzuge sei (§ 748).

782. Wenigstens der waisenamtlichen Genehmigung bedürfen, damit der Vögtling durch solche Geschäfte rechtlich gebunden werde:

a) alle nicht zum ordentlichen Wirthschaftsbetriebe gehörenden Veräusserungen (z. B. durch Verkauf, Vertauschung, Verpfändung) oder Ankäufe werthvoller Vermögensstücke;

b) alle Darlehensverträge (Anleihen und Entlehnungen);

c) alle erheblichen Bauten;

d) Verträge über Versorgung des Bevormundeten, z. B. Vertischgeldungen, Uebergabe desselben an einen Meister als Lehrling oder in eine Erziehungsanstalt;

e) Pacht- und Mietverträge auf ein oder mehrere Jahre;

f) die Ertheilung oder Verweigerung einer Vollmacht zur Führung eines ordentlichen Prozesses vor dem Friedensrichter und vor dem Einzelrichter des Bezirksgerichtes, sowie die Ermächtigung zur Anerkennung eines Schiedsgerichtes.

783. Ausserdem ist der Vormund verpflichtet, auch andere, in § 782 nicht ausdrücklich benannte Verträge oder andere Rechtsgeschäfte, welche den Kapitalbestand des Vermögens [p. 557] vermindern könnten oder sonst von grossem Einflusse sind auf die gesammte Vermögensverwaltung, dem Waisenamte zur Genehmigung vorzulegen. Im Unterlassungsfalle wird er gegenüber dem Bevormundeten für allen Schaden verantwortlich, welcher aus diesen Geschäften für denselben entsteht.

784. Der bezirksräthlichen Genehmigung bedürfen:

a) der Erwerb eines Bürgerrechtes oder die Verzichtleistung auf ein solches von Seite des Vögtlings;

b) die Adoption eines Bevormundeten (§ 721);

c) Veräusserungen von Liegenschaften, z. B. durch Verkauf, Vertauschung, Verpfändung;

d) Ankäufe von Liegenschaften;

e) Kontrahirung von Kapitalschulden mit Versicherung;

f) Bürgschaften und andere Interzessionen;

g) Stiftungen (§ 40);

h) alle Hauptbauten;

i) Uebernahme oder Liquidation einer Fabrik, einer Handlung oder eines Gewerbes oder Eingehung einer Handelsgesellschaft;

k) Pachtverträge, welche sich auf ein ganzes landwirtschaftliches oder industrielles Gewerbe beziehen;

l) Leibdingsverträge;

m) Erklärungen über Antritt oder Ausschlagung einer Erbschaft;

n) Ausrichtungen und Erbtheilungen;

o) die Ertheilung oder Verweigerung einer Vollmacht zur Führung eines ordentlichen Zivilprozesses ausser den in § 782 lit. f angeführten Fällen.

785. Die Ausschlagung einer Prozess Vollmacht für den Vögtling, wenn dieser als Beklagter von einem Dritten ins Recht gefasst wird, gilt als Anerkennung der klägerischen Rechtsbegehren.

786. Der Verkauf von Liegenschaften oder anderen wichtigen Vermögensstücken ist in der Regel nur zulässig auf dem Wege der öffentlichen Versteigerung. Indessen sind die Vormundschaftsbehörden berechtigt, da wo aus besonderen im Protokolle vorzumerkenden Gründen ein Verkauf aus freier Hand, zweckmässiger scheint, einen solchen gutzuheissen. [p. 558]

787. Es steht dem Waisenamte frei, auch andere besonders wichtige Rechtsgeschäfte, welche in dem § 784 nicht ausdrücklich benannt sind, dem Bezirksrathe zur Genehmigung vorzulegen.

788. Ebenso kann der Bezirksrath von sich aus anordnen, dass ihm auch andere besonders wichtige Rechtsgeschäfte vor dem endlichen Abschlusse zur Genehmigung vorgelegt werden. Gegen solche Anordnungen steht dem betheiligten Waisenamte das Recht des Rekurses an die Direktion der Justiz offen, welche definitiv darüber entscheidet.

789. Wenn ein Rechtsgeschäft von dem Vögtlinge selbst, ohne Zustimmung des Vormundes, abgeschlossen wird, oder in dessen Namen von dem letzteren ohne Zustimmung des Waisenamtes, wo diese nach § 782 nöthig ist, oder ohne Zustimmung des Bezirksrathes, wo diese nach § 784 oder § 788 erfordert wird, so unterliegt die Gültigkeit desselben den Bestimmungen des Schweizerischen Obligationenrechtes und des Bundesgesetzes betreffend die persönliche Handlungsfähigkeit.

790. Der Bezirksrath ist berechtigt, wo besondere Gründe es im Interesse eines Vögtlings nothwendig machen, die Befugnisse des Vormundes oder des Waisenamtes ausnahmsweise zu erweitern.

Gegen eine solche Verfügung oder gegen deren Versagung steht dem betheiligten Vögtling oder seinen Anverwandten, dem Vormunde und dem Waisenamte das Recht des Rekurses an den Regierungsrath offen.

791. Wo die waisenamtliche oder, bezirksräthliche Genehmigung für ein Rechtsgeschäft erforderlich ist, kann das Waisenamt oder der Bezirksrath entweder das Geschäft einfach gutheissen oder untersagen, oder die nöthige Anweisung für weitere Unterhandlung und Vollmacht für Abschluss ertheilen.

792. Der auf Hinderung eines Rechtsgeschäftes an je die obere Vormundschaftsbehörde gerichtete Rekurs gegen eine Verfügung oder einen Beschluss des Vormundes oder der unteren Vormundschaftsbehörde ist so lange gestattet, bis durch den endlichen Abschluss des Rechtsgeschäftes durch die kompetente Stelle und die Mittheilung an den betheiligten Dritten dem letzteren ein Privatrecht erworben ist. [p. 559]

Da, wo der Abschluss eines Rechtsgeschäftes in die Kompetenz des Bezirksrathes fällt (§§ 784 und 788), geht die Ratifikation desselben durch den Beschluss erst dann in Wirksamkeit über, wenn binnen der Rekursfrist (§ 815) nicht bei dem Bezirksrathe Rekurs erklärt worden ist.

793. Demgemäss können der Vögtling selbst oder dessen Mutter oder andere Anverwandte sich mit einer solchen Beschwerde über den Vormund an das Waisenamt wenden, diese Personen und der Vormund mit einer Beschwerde über das Waisenamt an den Bezirksrath, die genannten Personen und das Waisenamt mit einer Beschwerde über den Bezirksrath an den Regierungsrath.

794. Je die obere Vormundschaftsbehörde ist in diesem Falle berechtigt, auch wenn das Geschäft in die Kompetenz der unteren gehört, derselben die nöthigen Vorschriften zu ertheilen und den Abschluss eines Geschäftes auf so lange zu hindern, bis diese Vorschriften beachtet sind.

795. Streitigkeiten über die Gültigkeit und Rechtsverbindlichkeit eines abgeschlossenen Rechtsgeschäftes sind als Rechtssache zu behandeln.

796. Jedes Waisenamt sorgt, unter der Oberaufsicht des Bezirksrathes, für eine taugliche Schirmlade.

Dieselbe soll in einem sicheren, feuerfesten Raume untergebracht und wenigstens mit drei Schlössern wohl verwahrt sein. Von den drei Schlüsseln sollen einer in der Hand des Präsidenten, die beiden anderen in den Händen zweier Mitglieder des Waisenamtes liegen. Bei jeder Oeffnung und Schliessung der Schirmlade sollen alle drei Schlüssler oder ihre Stellvertreter und der Schreiber des Waisenamtes gegenwärtig sein.

797. In der Schirmlade werden aufbewahrt:

a) alle Inventare, Vormundschaftsrechnungen, Werthschriften und andere wichtige, den Bevormundeten zugehörige Urkunden;

b) allfällige Kostbarkeiten, deren Ueberlassung an den Vögtling oder an dessen Familie oder Vormund unzweckmässig wäre.

798. Ueber die sämmtlichen in der Schirmlade verwahrten Gegenstände soll ein genaues und vollständiges Verzeichniss [p. 560] (Schirmbuch) geführt werden. In demselben sind die einzelnen Stücke, welche eingelegt oder herausgenommen werden, unter dem entsprechenden Datum vorzumerken.

799. Für jeden Gegenstand, welcher dem Waisenamte zur Einlegung in die Schirmlade übergeben wird, hat dasselbe einen Empfangschein auszustellen; ebenso ist ihm die Aushingabe durch den Empfänger zu bescheinigen.

800. Von Zeit zu Zeit, alljährlich wenigstens ein Mal, soll das Waisenamt eine Durchsicht der Schirmlade vornehmen, den Inhalt derselben mit dem Schirmbuche vergleichen und über das Resultat dieser Untersuchung an den Bezirksrath berichten.

801. Von Zeit zu Zeit, wenigstens ein Mal innerhalb zweier Jahre, soll der Bezirksrath jede Schirmlade seines Bezirkes durch Abgeordnete an Ort und Stelle genau untersuchen lassen, das Nöthige verfügen und über das Resultat dieser Untersuchung an die Direktion der Justiz Bericht erstatten.

802. Das Waisenamt lässt sich von dem Vormunde ordentlicher Weise alle zwei Jahre ein Mal, und ausserordentlicher Weise so oft solches nöthig befunden wird, Rechnung ablegen über die ganze Vermögensverwaltung.

Wenn ein Vormund nicht fähig ist, selbst die Rechnung zu stellen, so wird der Gemeindrath auf dessen Begehren oder von sich aus demselben auf seine, des Vormundes, Kosten zu diesem Behufe einen geeigneten Stellvertreter anweisen.

803. Die Vogtrechnungen sollen auf Grundlage des Inventars, beziehungsweise je der letzten Rechnung, gestellt sein und einen deutlichen Ueberblick der seitherigen Veränderungen des Vermögens enthalten. Ausgaben und Einnahmen sollen verzeichnet und, so weit es möglich ist, mit den erforderlichen Belegen versehen sein. Der Vormund hat jede Rechnung in zwei Exemplaren auszufertigen, wovon das eine ihm zurückgestellt, das andere von dem Waisenamte aufbewahrt wird.

804. Das Waisenamt prüft die Vogtrechnungen, lässt die nöthigen Ergänzungen und Berichtigungen anbringen und ladet zur Abnahme derselben den Vormund, den mündigen Vögtling (§ 756) und dessen Mutter oder andere nächste Anverwandte vor, theils um weitere Erkundigungen von diesen Personen einzuziehen, theils um sich mit ihnen zu berathen. [p. 561]

805. Das Ergebniss der Prüfung der Vogtrechnung durch das Waisenamt wird in Form eines Abschiedes der Rechnung beigesetzt und dieselbe sodann dem Bezirksrathe zu zweitinstanzlicher Prüfung und Verabscheidung zugewiesen.

806. Die von den Vormundschaftsbehörden abgenommene und gutgeheissene Rechnung hat auch bei späteren Ausstellungen gegen dieselbe die Vermuthung der Richtigkeit für sich.

807. Bei Gelegenheit der Rechnungsabnahme soll jederzeit auch auf die übrigen Verhältnisse des Vögtlings, insbesondere auf die religiöse und sittliche Erziehung und die Berufsbildung der Minderjährigen sorgfältig geachtet, auch darüber näherer Bericht verlangt und mit den betheiligten Personen sowohl als auch, wo es nöthig ist, mit anderen sachkundigen Männern zu Rathe gegangen werden.

Beschwerden des Vögtlings selbst oder seiner Anverwandten über das Benehmen oder die Geschäftsführung des Vogtes oder des Waisenamtes sind nach § 793 zu behandeln.

808. Wenn ein Vormund länger als sechs Wochen nach dem Rechnungstermine zögert, Rechnung abzulegen, so soll ihm von dem Waisenamte eine den Umständen angemessene Frist angesetzt werden, um inzwischen die Rechnung einzureichen.

809. Nach fruchtlosem Ablaufe dieser Frist ist der säumige Vormund mit einer Ordnungsstrafe zu belegen, und auf dem Exekutionswege dafür zu sorgen, dass auf seine Kosten durch einen Sachkundigen die Rechnung hergestellt werde.

810. Wenn ein Vormund sich in einem solchen Falle weigert, dem geordneten Rechnungssteller die nöthigen Schriften einzuhändigen und Aufschlüsse zu geben, so wird er nach vorangegangener Androhung (Strafgesetzbuch § 80) durch das Statthalteramt dem zuständigen Gerichte zur Bestrafung überwiesen.

Ferner ist auf Beschluss des Bezirksrathes sein Vermögen durch das Gericht mit Beschlag zu belegen, und diese Beschlagnahme so lange aufrecht zu erhalten, bis der Vormund sich den Anordnungen der Vormundschaftsbehörde unterzieht.

811. Wenn ein Vormund verdächtig ist, Gelder oder anderes Vermögen des Vögtlings unterschlagen zu haben, oder wenn er auf eine widerrechtliche Weise zögert, solches Ver- [p. 562] mögen an seine Nachfolger oder die Vormundschaftsbehörde abzuliefern, so ist das Waisenamt verpflichtet, davon unverzüglich dem Bezirksrathe Anzeige zu machen, welcher strafrechtliche Untersuchung veranlassen kann.

Das Statthalteramt ist berechtigt, nach vorläufiger Prüfung des Falles den Vormund zu verhaften, für die vorläufige Beschlagnahme seines Vermögens zu sorgen und das gewohnte Strafverfahren unverzüglich einzuleiten.

812. Der Bezirksrath ist jederzeit berechtigt, sei es auf Antrag des Waisenamtes oder von sich aus, die Entlassung eines Vormundes zu beschliessen. Gegen einen solchen Beschluss steht den Betheiligten der Rekurs an die Direktion der Justiz offen.

813. Ueberdies ist das Waisenamt gegenüber dem Vormunde, je eine höhere Vormundschaftsbehörde gegenüber der unteren befugt, für Fehler und unordentliches Benehmen, welche nicht gerade ein Vergehen begründen, aber von der Art sind, dass sie im Interesse der Ordnung nicht ungeahndet bleiben können, Ordnungsbussen zu verhängen. Gegen eine solche Verfügung steht dem Betreffenden der Rekurs an je die obere Vormundschaftsbehörde offen.

814. Die von dem Waisenamte verfügten Ordnungsbussen werden zu Handen des Armengutes der betreffenden Gemeinde, die von oberen Vormundschaftsbehörden aufgelegten zu Handen der Staatskasse bezogen.

815. Die regelmässige Rekursfrist in Vormundschaftssachen dauert vierzehn Tage von der schriftlichen Mittheilung an gerechnet. Da, wo Gefahr im Verzuge liegt, sind jedoch die Vormundschaftsbehörden berechtigt, sowohl eine kürzere Rekursfrist anzusetzen, als dem Rekurse die aufschiebende Wirkung zu versagen. Vorbehalten ist in diesen beiden Beziehungen die Bestimmung des § 792.

816. Die Mitglieder der Vormundschaftsbehörden sind verantwortlich für allen Schaden, den sie durch Absicht oder Fahrlässigkeit verschuldet haben.

Hat der Gemeindrath eine besondere Waisenkommission bestellt (§ 766), so tragen zunächst die Mitglieder dieser Kommission die Verantwortlichkeit und haften die übrigen Mitglieder des Gemeindrathes nur, soweit jene zahlungsunfähig sind. [p. 563]

817. Wenn die Fahrlässigkeit, welche den Schaden verursacht hat, sowohl dem Vormunde als den Mitgliedern der Vormundschaftsbehörde zugleich zur Last fällt, so haften die letzteren nur hinterher (subsidiär), insofern der Vormund nicht im Stande ist, den Schaden zu ersetzen; ebenso unter der gleichen Voraussetzung beiderseitiger Fahrlässigkeit die Mitglieder des Bezirksrathes nur soweit die Mitglieder des Waisenamtes nicht vermögen, den Ersatz zu leisten.

818. Im Falle absichtlicher Schädigung haften alle Schuldigen solidarisch, d. h. unmittelbar jeder für das Ganze, im Falle fahrlässiger Schädigung dagegen diejenigen Personen, welche nach §§ 816 und 817 belangt werden können, alle zusammen für den ganzen Ersatz, jedoch in der Meinung, dass jeder zunächst nur für seinen Antheil und erst subsidiär für das Ganze einzustehen hat.

Fünftes Kapitel.

Familienbevogtigung.

819. Anstatt der gewohnten obrigkeitlichen Vormundschaft kann eine Familienbevogtigung ausnahmsweise -gestattet werden, insofern:

a) besondere Gründe im Interesse der Vögtlinge eine Ausnahme rechtfertigen, und

b) die zur Garantieleistung sich anbietenden Anverwandten (§ 822) derselben, sowie der von ihnen oder dem verstorbenen Vater vorgeschlagene Vogt, mit Rücksicht auf ihre Rechtschaffenheit, Einsicht und Vermögen das unzweifelhafte Zutrauen der Vormundschaftsbehörden verdienen.

820. Das Begehren um eine Familienbevogtigung wird vorerst von dem Waisenamte näher geprüft, die Ansicht eines mündigen Vögtlings (§ 756) und der nächsten Anverwandten eingeholt, mit dem Gutachten des Waisenamtes versehen dem Bezirksrathe und von diesem ebenfalls begutachtet der Direktion der Justiz eingereicht, welche unter Vorbehalt des Rekurses an den Regierungsrath entscheidet.

821. Wenn eine Familienbevogtigung gestattet ist, so wird unter Mitwirkung der Familie, eines abgeordneten Mitgliedes [p. 564] und des Schreibers des Bezirksrathes ein Inventar nach Anleitung des § 773 und mit sorgfältiger Berücksichtigung allfälliger Schwankungen in den Werthverhältnissen der betreffenden Vermögensstücke gezogen, von jenen Personen unterzeichnet und dem Bezirksrathe vorgelegt. Wenn dieser das Inventar in Ordnung findet, so ist das Original der Familie zurückzustellen und eine versiegelte Abschrift in dem Archive des Bezirksrathes aufzubewahren.

Den Mitgliedern und dem Schreiber des Bezirksrathes ist, besondere gesetzliche Bestimmungen vorbehalten, Verschwiegenheit mit Rücksicht auf den Inhalt des Inventars zur Pflicht gemacht.

822. Der von der Familie vorgeschlagene Vormund wird, insofern nicht gegen dessen Persönlichkeit und Tauglichkeit Bedenken walten, von dem Bezirksrathe bestätigt und die Familie angehalten, durch Eingabe eines gehörigen, von wenigstens zwei Anverwandten unterzeichneten Garantiescheines Sicherheit zu leisten. Die garantirenden Anverwandten haften gemeinsam mit dem Vogte dem Bevormundeten für allen Schaden, welcher aus ihrer oder des Vogtes oder gemeinschaftlicher Fahrlässigkeit entstanden ist. Wenn jedoch die Fahrlässigkeit ausschliesslich dem Vogte zur Last fällt, so sind die Garanten berechtigt, hinwieder den Vogt auf Rückerstattung zu belangen; im entgegengesetzten Falle, wenn ausschliesslich die Garanten den Schaden verschuldet haben, ist der Vogt berechtigt, diese zur Wiedererstattung anzuhalten.

823. Unter diesen Voraussetzungen treten die garantirenden Anverwandten, so lange die Familienbevogtigung dauert, an die Stelle der Vormundschaftsbehörden, in dem Sinne, dass der Vormund alljährlich ihnen Rechenschaft abzulegen und für wichtigere Geschäfte, soweit nicht demselben weiter gehende Vollmachten ertheilt werden, ihre Zustimmung einzuholen hat.

824. Je das zweite Jahr hat der Vormund auch dem Bezirksrathe die Vermögensrechnung zur Prüfung vorzulegen.

Die Garanten sind verpflichtet, dem Bezirksrathe jeweilen Anzeige zu machen, ob die jährliche Rechnungsstellung erfolgt sei, und haben demselben auch in der Zwischenzeit Bericht zu erstatten, wenn das Vermögen einen erheblichen Verlust [p. 565] erlitten hat. Erfolgen diese Berichterstattungen nicht rechtzeitig, so hat der Bezirksrath dieselben unter Androhung einer Ordnungsbusse auf einen neu zu bestimmenden Termin wieder einzufordern, und wenn auch diese Frist erfolglos bleibt, auf Aufhebung der Familienbevogtigung anzutragen.

825. Bei Familienbevogtigungen bedarf es der bezirksräthlichen Zustimmung nur bei Veräusserung oder Verpfändung von Liegenschaften, bei Theilungen und Ausrichtungen, bei Erklärungen über Antritt oder Ausschlagung einer Erbschaft, bei Aufgeben oder neuer Uebernahme einer Handlung, Fabrik oder eines Gewerbes, bei Veränderung der Garanten und bei der Bestellung eines neuen Vormundes. Vorbehalten bleiben, mit Rücksicht auf die Befugnisse des Vormundes und der Garanten, die Bestimmungen des § 790.

826. Der Bezirksrath sowohl als die Garanten und der Vögtling selbst sind befugt, sobald die Fortdauer einer Familienbevogtigung als nicht mehr zuträglich erscheint, bei der Direktion der Justiz auf Aufhebung und Umwandlung derselben in eine ordentliche Vormundschaft anzutragen.

827. Jede Umwandlung einer Familienbevogtigung in eine ordentliche Vormundschaft ist mit einer genauen Untersuchung der bisherigen Verwaltung und ihres Ergebnisses verbunden.

828. Hört die Familienbevogtigung ganz auf, so ist auf den Zeitpunkt des Erlöschens derselben nach Anleitung des § 821 ein zweites Inventar über den Vermögensbestand der Vögtlinge zu ziehen und eine Abschrift desselben im Archive des Bezirksrathes aufzubewahren.

Wird die Familienbevogtigung in eine ordentliche verwandelt, so ist das Vermögen des Bevormundeten nach § 773 durch den Gemeindrath zu inventarisiren.

829. Die Entlassung eines unter Familienbevogtigung stehenden Vögtlings bedarf, wie die Entlassung eines anderen Vögtlings, der Mitwirkung der Obervormundschaftsbehörden. [p. 566]

Sechstes Kapitel.

Ende der Vormundschaft.

830. Die Vormundschaft über Minderjährige hört auf:

a) mit dem Eintritte der Volljährigkeit (Bundesgesetz betreffend die persönliche Handlungsfähigkeit Art. 1);

b) durch die Jahrgebung (Art. 2 daselbst und § 832).

831. Wenn der Vögtling das einundzwanzigste Altersjahr angetreten hat, so ist die Vormundschaft wegen Minderjährigkeit von Rechtes wegen unmöglich geworden. Sollten andere Gründe die Fortdauer der Vormundschaft nothwendig machen, so ist in diesen Fällen eine anderweitige Vormundschaft nach den Vorschriften des zweiten Kapitels einzuleiten.

832. Das Begehren um Jahrgebung ist dem Waisenamte einzureichen, welches den Fall vorläufig prüft und das Gesuch mit seinem Berichte an den Bezirksrath überweist. Wenn der Bezirksrath das Begehren nach erneuter Prüfung für zulässig hält, so Übermacht er dasselbe mit seinem Gutachten der Direktion der Justiz, welche von sich aus über das Gesuch entscheidet.

833. Die Prüfung bezieht sich theils auf die in den äusseren Umständen liegende Zweckmässigkeit, theils vornehmlich auf die Tauglichkeit und Fähigkeit des bisherigen Vögtlings, sein Vermögen gehörig zu verwalten und seine Angelegenheiten in Zukunft würdig und mit Vortheil zu besorgen. Zu diesem Ende sind die Zeugnisse des Vormundes, der nächsten anwesenden Verwandten, des gewesenen Vorgesetzten (z. B. Meisters, Handelsherrn, Lehrers) sorgfältig zu beachten.

834. Die Vormundschaft wegen Verschwendung hört auf, wenn der Bevogtete während eines Zeitraumes von wenigstens zwei Jahren sich gut betragen hat und hinreichende Gründe vorhanden sind, um anzunehmen, dass derselbe sich gebessert habe und im Stande sei, seinem Vermögen selbst in Zukunft würdig vorzustehen. Solche Beschlüsse werden nach vorheriger genauer Prüfung des Falles und auf die Berichterstattung des Vormundes und des Waisenamtes von dem Bezirksrathe gefasst, mit Vorbehalt des Rekurses an den Regierungsrath. Die Entlassung eines solchen Bevormundeten aus [p. 567] der Vormundschaft ist durch den Bezirksrath öffentlich bekannt zu machen.

835. Die Vormundschaft über die zu Zuchthausstrafe verurtheilten Sträflinge hört mit dem Ablaufe der Strafzeit auf.

836. Die Vormundschaft wegen Geisteskrankheit oder Leibesgebrechen hört auf, wenn der Vögtling soweit hergestellt ist, dass ihm die Besorgung seiner eigenen Angelegenheiten zutrauensvoll wieder überlassen werden kann. Die Entlassung geschieht nach vorheriger Einziehung eines Zeugnisses des Bezirksarztes mit Zuziehung des behandelnden Arztes durch den Bezirksrath, mit Vorbehalt des Rekurses an den Regierungsrath.

837. Die Vormundschaft eines Vögtlings, der sich freiwillig derselben unterworfen hat, hört auf, wenn keinerlei Gründe mehr vorhanden sind, um dieselbe fortdauern zu lassen, auf Beschluss des Bezirksrathes unter Rekurs an den Regierungsrath.

838. Für das Aufhören beziehungsweise die Unterbrechung der Vormundschaft über die Ehefrau und die minderjährigen Kinder eines in Konkurs Gerathenen sind die Vorschriften der §§ 613 und 681 maassgebend.

839. Das in den §§ 834, 836 und 837 erwähnte Recht des Rekurses gegen die verfügte Entlassung eines Bevormundeten steht dem Vögtling selbst, seinen Anverwandten, seinem Vogte und dem Waisenamte zu. Wird ein Rekurs innerhalb vierzehn Tagen seit der Mittheilung des Beschlusses an den Vögtling nicht bei dem Bezirksrathe angemeldet, so geht der Beschluss desselben in Wirksamkeit über und ist von da an die Handlungsfähigkeit des Bevormundeten wieder hergestellt. Im entgegengesetzten Falle wird dieselbe erst von dem Zeitpunkte der Erledigung des Rekurses an gerechnet.

840. Nach beendigter Vormundschaft wird dem vormaligen Vögtlinge das unter vormundschaftlicher Verwaltung gestandene Vermögen gegen Empfangschein übergeben und ihm zugleich Einsicht in die Inventare und Rechnungen, sowie die Befugniss, Abschriften zu nehmen, gestattet.

Die Vogtrechnungen und die dazu gehörigen Belege hat der Vormund dem gewesenen Vögtling gegen einen General- [p. 568] Empfangschein auszuliefern, wenn er von seiner Verantwortlichkeit vollständig entlastet sein wird (§§ 842, 843 und 845). Bezieht sich die vormundschaftliche Verwaltung auf mehrere in einer Gemeinschaft stehende Vögtlinge zugleich, so tritt diese Verpflichtung des Vormundes erst ein, nachdem derselbe gegenüber allen entlastet sein wird.

841. Die Schlussrechnung ist in der Regel innerhalb sechs Wochen von dem Aufhören der Vormundschaft an gerechnet zu stellen.

In Fällen, wo wegen Mangels an Vermögen keine Schlussrechnung zu stellen ist, soll dem gewesenen Vögtling der an den Bezirksrath gerichtete Schlussbericht mitgetheilt werden.

842. Der gewesene Vögtling ist verpflichtet, binnen Jahresfrist, von der abschriftlichen Mittheilung der Schlussrechnung beziehungsweise des Schlussberichtes (§ 841) an gerechnet, entweder die vormundschaftliche Verwaltung gutzuheissen und sowohl den Vormund als die Mitglieder der Vormundschaftsbehörden, sowie die Familiengaranten ihrer Verantwortlichkeit zu entschlagen, oder seine Ausstellungen geltend zu machen.

Eine Befreiung des Vormundes von seiner Haftpflicht vor Abnahme der Schlussrechnung ist ungültig.

843. Wird eine aus der Vormundschaft herrührende Forderung auf Schadenersatz nicht innerhalb der nämlichen Jahresfrist (§ 842) bei der Direktion der Justiz anhängig gemacht, so erlischt dieselbe in der Regel.

Von den Bestimmungen dieses und des vorhergehenden Paragraphen ist dem gewesenen Vögtling bei der Mittheilung der Schlussrechnung, beziehungsweise des Schlussberichtes (§ 841), schriftlich Kenntniss zu geben.

844. Ausgenommen von dieser Verjährung (§§ 842 und 843) sind diejenigen Fälle, in welchen der Schaden entweder durch böswillige Absicht des Vogtes, eines Familiengaranten oder der Mitglieder einer Vormundschaftsbehörde veranlasst wurde oder erst nach dem Zeitpunkte des Aufhörens der Vormundschaft entdeckt werden konnte. Im letzteren Falle läuft die Verjährungsfrist erst von dem Zeitpunkte an, in welchem zuerst die Entdeckung des Schadens möglich war. [p. 569]

845. Der gewesene Vögtling ist verpflichtet, bevor er gegen den gewesenen Vogt oder die Mitglieder der Vormundschaftbehörde den Rechtsweg einschlägt, seine Ausstellungen der Direktion der Justiz genau zu eröffnen. In einem solchen Falle wird die Direktion der Justiz eine Prüfung anordnen und allfällige Missverständnisse und Irrungen zu heben suchen. Befriedigen sich die Betheiligten nicht mit dem Resultate dieser Prüfung, so steht ihnen dannzumal die Erledigung des Streites auf dem gewohnten Wege Rechtens offen, in der Meinung jedoch, dass eine diesfällige Klage innerhalb sechs Wochen von der Mittheilung des Beschlusses an gerechnet bei dem kompetenten Gerichte anhängig gemacht werden muss.

846. Die Bestimmungen der §§ 841 bis 845 finden auch dann Anwendung, wenn nicht dem vormaligen Vögtlinge selbst, sondern seinen Erben oder anderen Vertretern desselben, z. B. dem Ehemanne, das Vermögen zu übergeben und Rechnung abzulegen ist.

847. Die Vormundschaft für einen unbekannt wo Abwesenden hört auf:

a) wenn der Abwesende wieder erscheint und entweder selbst die Verwaltung seines Vermögens übernimmt oder dieselbe einem Bevollmächtigten übergibt;

b) mit dem Zeitpunkte der Todeserklärung des Verschollenen.

848. Die aus der Vormundschaft herrührenden Forderungen des Vögtlings an den Vormund, die Mitglieder der Vormundschaftsbehörden, den Familienvogt und dessen Garanten gemessen im Konkurse der bezeichneten Personen ein Vorzugsrecht nach Maassgabe der konkursrechtlichen Vorschriften. [p. 570]

Fünftes Buch.

Erbrecht.

Erster Abschnitt.

Von der gesetzlichen Erbfolge.

Erstes Kapitel.

Gesetzliche Erbfolge der Verwandten.

A. Erbfolge der Nachkommen.

849. Die nächsten Erben des Verstorbenen sind dessen hinterlassene eheliche Kinder, oder, wenn solche vor ihm verstorben sind, die ehelichen Enkel und hinwieder deren eheliche Nachkommen.

850. Innerhalb dieser ersten Parentel wird nicht nach Köpfen, sondern nach Stämmen geerbt und besteht ein unbeschränktes Eintrittsrecht, kraft dessen die ehelichen Nachkommen eines vor dem Erblasser verstorbenen Kindes oder Enkels an die Stelle desselben treten und denjenigen Theil der Verlassenschaft erhalten, der auf ihren verstorbenen Vorfahren gefallen wäre, hätte dieser selber den Erblasser beerbt.

Erläuterung:

[Grafik]

f + g erhalten einen Theil, b einen Theil, h + i + k einen Theil.

Ist b todt, so erben f + g einen Theil, h + i + k einen Theil. [p. 571]

851. In der Verlassenschaft des Vaters haben die Söhne vorzugsweise vor den Töchtern das Recht, das von dem Vater hinterlassene liegende Gut (§ 48) sammt gesetzlicher Zubehörde (§ 50) zu ermässigtem Schatzungswerthe an sich zu ziehen.

852. Der ermässigte Schatzungswerth wird bei landwirtschaftlichen Gütern und bei Fabriken durch Abzug von einem Sechstel bis zu einem Viertel des vollen Verkehrswerthes, bei anderem liegenden Gute, insbesondere bei Wohnhäusern, die nicht mit einem landwirthschaftlichen Gute verbunden sind, durch Abzug von einem Achtel bis zu einem Viertel des Verkehrswerthes bestimmt und ist der gemeinen Erbmasse zu vergüten.

Die genaue Grösse des Abzuges im einzelnen Falle wird in Berücksichtigung der jedesmaligen Verhältnisse durch billiges Ermessen bestimmt; der Schatzungswerth darf jedoch nie unter die Gesammtsumme der auf den Liegenschaften haftenden Kapital- und Zinsschulden hinuntersinken.

853. Ueberdies haben die Söhne vor den Töchtern das Vorzugsrecht, die vorhandene zu dem übernommenen väterlichen Gewerbe gehörige fahrende Habe (§ 58), als Werkzeug, Berufsvorräthe, das auf dem ererbten Gute vorhandene Vieh u. drgl., jedoch ohne Abzug an dem Verkehrswerthe, an sich zu ziehen.

854. Unter den Söhnen selbst besteht kein Vorzugsrecht. Auf die Erwerbung des liegenden Gutes und auf den Sohnsvortheil haben sie alle gleiches Anrecht.

855. Die Söhne nehmen überdies ohne Ersatz an die Erbmasse aus der Verlassenschaft des Vaters vorweg die väterlichen Kleider, Rüstung, Waffen, Pettschaft, Siegel.

Ferner haben sie das Recht, die von dem Vater hinterlassene Bibliothek, andere Sammlungen, Denkzeichen, Ehrengeschenke, Taschenuhren sammt Uhrketten, Fingerringe und anderen Schmuck, der an den Leib gehört, insofern diese Gegenstände zusammen nicht mehr als fünf Hundertstel der reinen Verlassenschaft (§ 897) betragen, ohne Ersatz, wenn sie diesen Betrag übersteigen, für den Mehrwerth gegen Ersatz an die Erbmasse vorweg zu nehmen, [p. 572]

856. Die Familienschriften fallen ohne Ersatz an die Erbmasse dem ältesten Sohne zu; jedoch haben die übrigen Kinder und Enkel das Recht, Abschriften oder Auszüge davon zu nehmen.

857. Die gemeine väterliche Erbmasse wird zwischen Söhnen und Töchtern gleichmässig getheilt.

858. In der mütterlichen Verlassenschaft gebühren den Töchtern voraus, ohne Ersatz an die gemeine Erbmasse, die Kleider, das zugeschnittene Weisszeug, die Arbeitsgeräthschaften und die Bücher der Mutter.

Ferner der Schmuck und die Kleinodien sowie der Sparhafen der Mutter bis auf den Betrag von fünf Hundertstel der reinen Verlassenschaft (§ 897) ohne Ersatz. Betragen diese letzteren Vermögensstücke zusammen mehr als fünf Hundertstel, so haben die Töchter für den Mehrwerth Ersatz an die gemeine Erbmasse zu leisten.

859. Die gemeine mütterliche Erbmasse wird zu gleichen Theilen unter Söhne und Töchter vertheilt. Die Söhne sind aber berechtigt, das liegende Gut der Mutter gegen Ersatz seines vollen Werthes an die Erbmasse an sich zu ziehen.

860. Das den Söhnen oder den Töchtern gebührende Vorzugsrecht kommt auch den durch sie vermittelten Enkeln und Enkelinnen und zwar nicht bloss dann zu statten, wenn die Enkel infolge des Eintrittsrechtes zur Erbfolge kommen, sondern auch dann, wenn nur Enkel vorhanden sind, in beiden Fällen ohne Rücksicht darauf, ob von einem Sohne her nur Enkelinnen oder von einer Tochter her nur Enkel vorhanden seien.

Erläuterungen:

[Grafik]

1.

Der Enkel c und die Enkelin d erhalten zusammen die Hälfte der Erbschaft und darin die Liegenschaften zum ermässigten Schatzungswerthe. Enkel f erhält die andere Hälfte der Erbschaft, [p. 573]

[Grafik]

2.

Die Enkel d und f bekommen das Spargeld der Grossmutter, während die Enkelin c die Liegenschaften derselben zum vollen Verkehrswerthe vor den Enkeln d und f beanspruchen kann.

861. Gelangen neben Enkeln auch Enkelinnen des gleichen Stammes zur Erbfolge, so bestehen unter denselben keine Vorzugsrechte.

Erläuterungen:

[Grafik]

1.

c + d + f erhalten je 1/6, g + h erhalten je ¼ der ganzen Verlassenschaft.

[Grafik]

2.

Wenn die reine Verlassenschaft des Erblassers 15000 Franken beträgt und sich in derselben eine Bibliothek im Werthe von 750 Franken findet, so fällt diese, da sie nicht mehr als fünf Prozent der reinen Verlassenschaft ausmacht, ohne Ersatz an die Erbmasse dem Stamme des vorverstorbenen Sohnes b zu. Von den übrigen 14250 Franken erhalten e, f und g, als Kinder des verstorbenen Sohnes b, zusammen 1/3, h 1/3 und i 1/3. Von dem auf die Nachkommen des Sohnes b fallenden Erbtheile im Gesammtbetrage von 4750 + 750 = 5500 Franken erhalten e, f und g je wieder 1/3 = 1833 1/3 Franken.

862. Wenn ausgestattete Kinder (Sohn oder Tochter) neben anderen Kindern ihr Erbrecht geltend machen wollen, so müssen sie den Kapitalwerth der vom Vater empfangenen Aussteuer und des erhaltenen Heiratsgutes oder der sonstigen vom Vater her erlangten Ausstattung in die Verlassenschaft einwerfen. [p. 574]

863. Im Zweifel ist die Bezahlung von Schulden des Kindes von Seite des Vaters, insofern sie als Kapitalverwendung erscheint, als Ausstattung zu behandeln; für periodische Unterstützungen dagegen, auch wenn sie das Maass der Unterstützungspflicht (§ 441) übersteigen, findet in der Regel keine Einwerfung statt. Vorbehalten bleiben rechtsgültige abweichende Anordnungen des Vaters.

864. Ist die Aussteuer oder das Heiratsgut aus dem mütterlichen Vermögen hergekommen, so ist der Werth derselben in die mütterliche Verlassenschaft wieder einzuwerfen, wenn diese zur Theilung kommt.

865. Die Pflicht, einzuwerfen, welche auf dem Sohne und der Tochter ruht, insofern sie Erben werden, lastet auch auf den Enkeln, wenn diese zur Erbfolge kommen; und zwar auch dannzumal, wenn der in der Ausstattung liegende Werth den Enkeln nicht zugekommen ist.

Erläuterung:

[Grafik]

b hat wie a 2000 Franken Aussteuer empfangen und gerieth später in Konkurs; f muss sich in der Verlassenschaft des Grossvaters diese Summe in Anrechnung bringen lassen so gut wie d + e, deren Vater a seine Aussteuer von 2000 Franken ihnen hinterlassen hat.

866. Erziehungskosten für einen Sohn oder eine Tochter, auch wenn dieselben in ausgezeichnetem Maasse verwendet worden sind, sind in der Regel, soweit nicht der Vater durch letzten Willen oder auf andere Weise eine abweichende Bestimmung getroffen hat, nicht einzuwerfen.

867. Sind noch unerzogene Kinder neben erzogenen vorhanden, so ist nach Umständen und Vermögen aus dem gemeinen Erbgute ein billiger Voraus für die Erziehung der unerzogenen Kinder vorweg zu nehmen.

878. [recte: 868.] Nachgeborene Kinder erben, insofern anzunehmen ist, dass sie zur Zeit des Todes des Erblassers bereits erzeugt waren (§ 648). [p. 575]

869. Adoptivkinder und deren eheliche Nachkommen haben in der Verlassenschaft des Adoptivvaters oder der Adoptivmutter gleiches Erbrecht wie eheliche Nachkommen (§§ 849 und ff.).

870. Mit Bezug auf die Verlassenschaft ihrer natürlichen Eltern ist das Erbrecht der adoptirten Kinder unter der Voraussetzung, dass neben ihnen noch andere eheliche, nicht in Adoption gegebene Nachkommen vorhanden sind, in dem Sinne beschränkt, dass die adoptirten Kinder auf die in den §§ 851 bis 853, 855, 856, 858 und 859 bezeichneten Vorzugsrechte keinen Anspruch haben und von dem gemeinen Erbgute nur einen halben Kindestheil (Sohnes- oder Tochtertheil, je nach ihrem Geschlechte) erhalten.

Konkurriren keine anderen ehelichen Nachkommen mit ihnen, so haben sie das volle Erbrecht der ehelichen Kinder auch in der Verlassenschaft ihrer natürlichen Eltern.

B. Erbfolge der väterlichen und mütterlichen Parentel.

871. Sind keine ehelichen Nachkommen des Erblassers vorhanden, wohl aber seine beiden ehelichen Eltern noch am Leben, so fällt seine Verlassenschaft diesen zu.

872. Dem Vater gebührt an der Verlassenschaft seines Sohnes das gleiche Vorzugsrecht, welches den Söhnen an der Verlassenschaft ihres Vaters zusteht (§§ 851 bis 853, 855 und 856).

An der Verlassenschaft der Tochter dagegen hat er kein Vorzugsrecht.

873. Der Mutter kommt an der Verlassenschaft ihrer Tochter dasselbe Vorzugsrecht zu, welches diese an der mütterlichen Verlassenschaft hat (§ 858).

874. Die gemeine Erbmasse wird im übrigen zu gleichen Theilen zwischen Vater und Mutter getheilt.

875. Ist nur der eine Theil der beiden Eltern noch am Leben, aber eheliche Nachkommen von dem verstorbenen Theile vorhanden, so erhält jener den ihm als Vater oder als Mutter gebührenden Erbantheil, und es fällt der Erbantheil, den der verstorbene Vater oder die verstorbene Mutter erhalten haben würde, den ehelichen Nachkommen derselben zu. [p. 576]

Erläuterung:

[Grafik]

Die eine Hälfte der Verlassenschaft mit dem Voraus des Vaters (§ 872) fällt an d + f + g zu gleichen Theilen, die andere Hälfte an die noch lebende Mutter B.

876. Wenn nur entweder der Vater oder die Mutter den Erblasser überlebt hat, der andere Theil der Eltern aber vorher verstorben ist und keine ehelichen Nachkommen von demselben vorhanden sind, so fällt die ganze Verlassenschaft jenem überlebenden Theile zu.

877. Sind beide Eltern verstorben, aber eheliche Nachkommen derselben, Geschwister des Erblassers, oder Kinder oder Enkel von Geschwistern vorhanden, so fällt der Theil der Verlassenschaft, welcher an den Vater gekommen wäre, den Nachkommen desselben, und der Theil, welcher der Mutter gebührt hätte, ihren Nachkommen zu.

878. Es konkurriren somit in diesem Falle vollbürtige Geschwister des Erblassers mit halbbürtigen Geschwistern desselben, insofern solche vorhanden sind, in der Weise, dass die ersteren von Vater und Mutter her, die letzteren dagegen nur von dem Theile der Eltern her, den sie mit dem Erblasser gemein haben, einen Erbantheil beziehen.

879. Wenn kein Elterntheil, sondern nur Geschwister oder deren Nachkommen erben, so hört jedes Vorzugsrecht auf.

Brüder und Schwestern von gleichem Stamme theilen den ihnen zufallenden Erbantheil gleichmässig.

Erläuterung:

[Grafik]

Die väterliche Hälfte der Verlassenschaft ohne Voraus fällt an c + d + f, die mütterliche Hälfte an d + f + g + h.

c erhält also 4/24 der ganzen Verlassenschaft,
d " " 7/24 " " "
f " " 7/24 " " "
g " " 3/24 " " "
h " " 3/24 [p. 577] " " "

880. In der Parentel-Ordnung der Eltern gilt unbeschränktes Eintrittsrecht und Stammtheilung.

Erläuterung:

[Grafik]

Die Verlassenschaft zerfällt in drei gleiche Theile.

1/3 fällt an den Stamm c,
1/3 " " " " d,
1/3 " " " " f.
g erhält 2/18 der ganzen Verlassenschaft,
h " 2/18 " " "
k " 1/18 " " "
l " 1/18 " " "
m " 6/18 " " "
n " 3/18 " " "
o " 3/18 " " "

881. Stirbt ein Adoptivkind, ohne erbberechtigte Nachkommenschaft zu hinterlassen, und sind noch Adoptiveltern am Leben, so fällt die eine Hälfte seiner Verlassenschaft diesen, die andere Hälfte den natürlichen Erben zu.

Unter den Adoptiveltern selbst besteht kein Vorzugsrecht.

Ist weder Adoptivvater noch Adoptivmutter mehr am Leben, so kommt das Erbrecht der natürlichen Familie zu voller Anwendung.

C. Erbfolge der grosselterlichen Parentelen.

882. Sind weder eheliche Nachkommen des Erblassers, noch auch Erben innerhalb der Parentel der Eltern vorhanden, so beginnt die Erbberechtigung der Grosseltern des Erblassers und ihrer ehelichen Nachkommenschaft.

883. Die eine Hälfte der Verlassenschaft fällt auf Seite der Grosseltern vom Vater her und ihrer ehelichen Nachkommen, die andere Hälfte auf Seite der Grosseltern von der Mutter her und deren eheliche Nachkommenschaft. Vorbehalten bleibt § 887. [p. 578]

Erläuterung:

[Grafik]

Die eine Hälfte fällt an den Stamm der väterlichen Grosseltern C + D, und zwar so, dass dieselbe wieder in die zwei Stämme des Onkels m und der Tante n zerlegt wird. Die andere Hälfte fällt an den Stamm der mütterlichen Grosseltern F + G und kommt, wenn die Tante o noch lebt, dieser allein, wenn sie gestorben ist, ihren drei Kindern s + t + u zu.

v erhält 2/24 der Verlassenschaft,
w " 2/24 " "
x " 2/24 " "
q " 3/24 " "
r " 3/24 " "

Wenn o lebt, empfängt sie 12/24; ist sie todt, so erhalten

s 4/24,
t 4/24,
u 4/24,.

884. Sind nur auf väterlicher oder nur auf mütterlicher Seite Erben vorhanden, welche dieser Parentelordnung angehören, so fällt die ganze Verlassenschaft dieser zu.

885. Die Grosseltern selbst schliessen die von ihnen abstammenden Nachkommen und von diesen je die näheren die durch sie vermittelten entfernteren aus.

Siehe Erläuterung zu § 883.

886. Sind auf Seite der väterlichen Grosseltern oder auf Seite der mütterlichen Grosseltern aus zwei verschiedenen Stämmen Erben vorhanden, so wird die väterliche oder die mütterliche Hälfte der Verlassenschaft weiter nach diesen Stämmen vererbt.

Erläuterung:

[Grafik] [p. 579]

Die eine Hälfte fällt an die grosselterlichen Stämme C + D auf der Vaterseite, die andere an die grosselterlichen Stämme F + G auf der Mutterseite, und zwar haben Theil an dem ¼ des Grossvaters C dessen Enkel n + o + p + q, an dem ¼ der Grossmutter D deren Enkel q, an dem ¼ des Grossvaters F dessen Sohn k und die Enkel r + s, an dem ¼ der Grossmutter G deren Enkel r + s + t + u + v + w.

n erhält 1/24 der Verlassenschaft,
o " 1/24 " "
p " 1/24 " "
q " 3/24 + 6/24 = 9/24 " "
k " 4/32 " "
r " 2/32 + 2/32 = 4/32 " "
s " 2/32 + 2/32 = 4/32 " "
t " 1/32 " "
u " 1/32 " "
v " 1/32 " "
w " 1/32 " "

887. Wenn ein Erbe sowohl der Vaterseite als der Mutterseite angehört, so erbt er auf beiden Seiten, und wenn er verschiedenen Stämmen der einen oder anderen Seite angehört, soweit die Stammtheilung reicht, auch nach seiner Stellung in diesen Stämmen.

Erläuterung:

[Grafik]

Die eine Hälfte der Verlassenschaft kommt an den grosselterlichen Stamm C + D und gelangt an das Geschwisterkind l und die Kinder des Geschwisterkindes m: q + r.

Die andere Hälfte der Verlassenschaft fällt an den grosselterlichen Stamm F + G und gelangt an q + r, die durch Eintrittsrecht an die Stelle von n treten, an o und an t, der die Stelle von p tritt. [p. 580]

l erhält 2/8
q " 1/8 + 1/8 = 2/8
r " 1/8 + 1/8 = 2/8
o " 1/8
t " 1/8

888. Innerhalb der grosselterlichen Parentelordnung wird das Eintrittsrecht vollständig anerkannt. Bis zur Linie der Geschwisterkinder dauert auch die Stammtheilung fort.

Erläuterung:

[Grafik]

Die eine Hälfte der Verlassenschaft fällt auf die Seite der Grosseltern C und D, und zwar in drei Theile, so dass p + q durch Eintrittsrecht an der Stelle von i erben.

Die andere Hälfte der Verlassenschaft fällt auf die Seite der Grosseltern F und H, und zwar bekommt davon die Grossmutter H einen Viertel der Verlassenschaft und infolge des Eintrittsrechtes m + n + o an der Stelle des Grossvaters F den anderen Viertel.

889. Sind nur entferntere Erben vorhanden, so theilen die auf gleicher Linie stehenden nach Köpfen, ohne Rücksicht darauf, ob sie der Vater- oder der Mutterseite angehören.

[Grafik] [p. 581]

Wenn p, Geschwisterkind des Erblassers E, noch lebt, so kommen infolge des Eintrittsrechtes q + r an die Stelle von m, s an die Stelle von n, t + u + v an die Stelle von o.

Wenn dagegen auch p todt ist, so wird die Erbschaft zu gleichen Theilen unter die acht Kinder von Geschwisterkindern q, r, s, t, u, v, w und x getheilt. Ist auch q todt, so erhalten y und z zusammen einen Theil, also jeder einen Sechszehntel.

D. Erbfolge der Urgrosseltern.

890. Sind weder Grosseltern noch Nachkommen von solchen vorhanden, so gelangt die Erbschaft an die Urgrosseltern.

891. Mit den Urgrosseltern ist der Kreis der erbfähigen Verwandtschaft abgeschlossen.

E. Erbrecht der Brautkinder und unehelichen Kinder und Erbfolge in deren Verlassenschaft.

892. Brautkinder erben und werden beerbt wie eheliche Kinder.

893. Uneheliche Kinder haben in der Verlassenschaft ihrer Mutter und der mütterlichen Verwandten das gleiche Erb- und Pflichttheilsrecht wie eheliche Kinder der ersteren.

894. Gegenüber dem Vater und den väterlichen Verwandten steht den unehelichen Kindern kein Erbrecht zu.

895. Stirbt ein Unehelicher, ohne erbfähige Nachkommen zu hinterlassen, so fällt seine Verlassenschaft an die Mutterseite.

Zweites Kapitel.

Erbrecht der Verlobten und der Ehegatten.

A. Gemeinsame Bestimmungen.

896. Dem überlebenden Verlobten oder Ehegatten steht ein Erbrecht nur an der reinen Verlassenschaft des verstorbenen Verlobten oder Ehegatten zu.

Vorbehalten bleibt die Bestimmung des § 905. [p. 582]

897. Bei Ausmittlung der reinen Verlassenschaft fallen allfällige Vermächtnisse nicht in Abzug und sind die Liegenschaften, auch wenn daran der Sohnsvortheil geltend gemacht wird, zum Verkehrswerthe anzurechnen, in der Weise, dass der Sohnsvortheil im Verhältnisse seines Betrages zu demjenigen des gesammten Nachlasses mit dem Erbrechte des Verlobten oder Ehegatten belastet wird.

Dagegen sind von dem gesammten Nachlasse abzurechnen:

a) die Schulden des Erblassers;

b) die Kosten für das Begräbniss des Erblassers, soweit sie den Erben obliegen;

c) die Kosten der Fortführung der Haushaltung während dreissig Tagen gemäss § 923;

d) die Ausgaben für die Sicherstellung der Verlassenschaft, und für die Erhebung eines im Interesse aller Erben aufgenommenen Inventars.

B. Erbrecht der Verlobten.

898. Der überlebende Verlobte erhält zu eigen:

a) die dem verstorbenen Verlobten gegebenen Verlobungsgeschenke, soweit dieselben noch vorhanden sind;

b) ausserdem einen Zehntel der übrigen reinen Verlassenschaft, wenn der Verstorbene keine ehelichen Nachkommen hinterlässt.

C. Erbrecht der Ehegatten.

899. Wenn der Ehemann stirbt, so ist die überlebende Ehefrau vorerst berechtigt, ihr Weibergut aushin zu begehren. Ausnahmsweise kann das Gericht, wenn der sofortigen Herausgabe der der Wittwe zugehörigen Kapitalien erhebliche Hindernisse im Wege stehen, nach billigem Ermessen eine den Umständen angemessene Frist bewilligen, unter der Voraussetzung, dass die Erben des Ehemannes für die wirkliche Erfüllung ihrer Verpflichtung gehörige Sicherheit leisten und das ausstehende Kapital inzwischen verzinsen.

900. Dem überlebenden Ehegatten fallen zum voraus zu eigen zu:

a) ohne Ersatz die dem verstorbenen Ehegatten zugekommenen Hochzeitsgeschenke, soweit sie noch vorhanden sind; [p. 583]

b) der Hausrath des Verstorbenen nach Abzug des Voraus der Kinder oder Eltern (§§ 855, 858, 872, 873); übersteigt der Werth des Hausrathes jedoch einen Viertel der reinen Verlassenschaft, so kann der überlebende Ehegatte dieses Recht nur gegen Ersatz des Mehrwerthes geltend machen.

901. Ausserdem kommt dem überlebenden Ehegatten zu:

a) nach seiner Wahl, wenn die gesetzlichen Erben Nachkommen des Erblassers sind, die Nutzniessung an der Hälfte der übrigen reinen Verlassenschaft oder ein Achtel derselben zu eigen;

b) nach seiner Wahl, wenn die gesetzlichen Erben der elterlichen Parentel angehören, die Nutzniessung an der gesammten übrigen reinen Verlassenschaft oder ein Viertel derselben zu eigen;

c) wenn die gesetzlichen Erben der grosselterlichen Parentel angehören, zwei Viertel der übrigen reinen Verlassenschaft zu eigen und überdies die Nutzniessung an der anderen Hälfte derselben;

d) wenn die Urgrosseltern zur Erbschaft gelangen, drei Viertel der übrigen reinen Verlassenschaft zu eigen und überdies die Nutzniessung an dem Reste derselben.

Bei Wiederverehelichung des überlebenden Ehegatten vermindert sich seine Nutzniessung auf die Hälfte.

902. Wenn minderjährige Kinder der verstorbenen Mutter in der Haushaltung des überlebenden Vaters zurückbleiben, so hat derselbe, auch wenn er gemäss § 901 lit. a. den Achtel zu eigen wählt, an den Erbtheilen der volljährigen Kinder so lange die Hälfte der Nutzniessung, bis alle Kinder volljährig oder ausgerichtet sind.

903. Das gleiche Recht steht auch der überlebenden Mutter zu, wenn und so lange ihr die Pflege und Erziehung der minderjährigen Kinder des verstorbenen Vaters auf ihre Kosten von den Vormundschaftsbehörden überlassen wird; an den Erbtheilen der gemeinsamen minderjährigen Kinder hat sie während dieser Zeit die volle Nutzniessung.

904. Bei der Wiederverehelichung der Wittwe hört ihr Recht auf die Nutzniessung der den Kindern zugefallenen Erbtheile (§ 903) auf, und sind je nach Umständen im [p. 584] Interesse der Kinder neue Anordnungen von Seite der Vormundschaftsbehörden zu treffen.

905. Sind keine erbfähigen Verwandten vorhanden, so fällt die gesammte Verlassenschaft dem überlebenden Ehegatten zu.

Drittes Kapitel.

Erbloses Gut.

906. Wenn weder erbfähige Verwandte, noch ein überlebender Ehegatte vorhanden sind, so fällt das erblose Gut dem Staate in der Meinung zu, dass derselbe die Hälfte der reinen Verlassenschaft an die Gemeinde des Kantons abgibt, in welcher der Erblasser verbürgert war.

907. Das Recht des Staates auf das erblose Gut unterscheidet sich von dem Rechte der übrigen Erben darin, dass er den Erbschaftsgläubigern nur insoweit haftet, als deren Forderungen durch die Aktiven der Verlassenschaft gedeckt werden.

Viertes Kapitel.

Uebergang der Erbschaft.

A. Persönliche Erfordernisse.

908. Nur der Todte wird beerbt, nur der Lebende wird Erbe.

909. Ausnahmsweise wird ein Kind, welches zur Zeit des Todes des Erblassers zwar empfangen, aber noch nicht geboren ist, durch die lebendige Geburt Erbe, und ist mit Rücksicht auf dieses Erbrecht schon vorläufig in demselben zu schützen.

910. Stirbt ein Erbe nach dem Tode des Erblassers, aber vor der wirklichen Uebernahme der Erbschaft, so geht sein Erbrecht auf seine Erben über.

911. So lange ein Abwesender, von dessen Schicksal man keine Kunde hat, noch nicht als verschollen zu betrachten ist (§§ 11 bis 13), wird eine ihm in der Zwischenzeit angefallene Erbschaft von der Vormundschaft in seinem Namen geltend gemacht.

912. Ist der Abwesende als verschollen zu betrachten, so sind die jeweiligen nächsten Erben desselben berechtigt, die [p. 585] Nutzniessung seines in vormundschaftlicher Verwahrung liegenden Vermögens anzusprechen.

913. Zu diesem Behufe haben die Erben an das Bezirksgericht, in dessen Gerichtskreise der Abwesende verbürgert ist, das Begehren um gerichtlichen Aufruf des Abwesenden und Gestattung der Nutzniessung seines Vermögens zu richten. Das Bezirksgericht stellt, nach vorheriger Prüfung des Falles, einen Antrag an das Obergericht, welches die Bewilligung zum gerichtlichen Aufrufe ertheilt.

914. Wenn der gerichtliche Aufruf des Abwesenden und allfälliger unbekannter Erben desselben während der angesetzten Frist erfolglos geblieben ist, so wird durch das Obergericht der Abwesende als verschollen erklärt und den jeweiligen bekannten nächsten Erben, welche sich über diese Eigenschaft genügend ausgewiesen haben, die Nutzniessung seines Vermögens gestattet, und zwar in den regelmässigen Fällen der Verschollenheit von dem Zeitpunkte an, in welchem sie eintritt. Von diesem Beschlusse hat das Bezirksgericht dem Bezirksrathe Kenntniss zu geben.

915. Zum Ersatze der bezogenen oder zur Rückgabe der vorhandenen Früchte sind die Erben auch dann nicht verpflichtet, wenn im Verfolge der unbekannt Abwesende wieder erscheinen sollte.

916. Das Recht der nächsten Erben auf die Nutzniessung beginnt ausnahmsweise in dem § 12 lit. a erwähnten Falle mit dem Zeitpunkte des wahrscheinlichen Todes und in dem § 12 lit. b erwähnten Falle, sobald der Abwesende das Alter von wenigstens achtzig Jahren erreicht haben würde.

917. Durch die Todeserklärung des Verschollenen wird das Erbrecht in dessen Verlassenschaft eröffnet (§ 15).

Dieselbe erfolgt auf Begehren der Erben durch das Obergericht, nach vorherigem öffentlichem Aufrufe des Verschollenen und allfälliger unbekannter Erben desselben.

918. Der öffentliche Aufruf wird auf Begehren der Erben und unter Genehmigung des Obergerichtes durch das Bezirksgericht veranstaltet, in dessen Bezirke der Verschollene verbürgert ist.

919. Die am Schlusse des in der Todeserklärung angenommenen Todestages vorhandenen nächsten Erben des Ver- [p. 586] schollenen haben das Recht, das Vermögen desselben nach Maassgabe ihres erbrechtlichen Verhältnisses unter sich zu vertheilen.

920. Jeder Erbe eines für todt erklärten Verschollenen haftet für Rückgabe des ihm zugefallenen Kapitalvermögens noch während zwanzig Jahren, nach Ablauf dieser Frist überall nicht mehr.

921. Wer den Tod des Erblassers absichtlich und rechtswidrig herbei geführt hat, verliert jeden erbrechtlichen Anspruch auf dessen Verlassenschaft und es wird die Nachfolge in dieselbe so bestimmt, wie wenn er den Tod des Erblassers nicht erlebt hätte.

B. Sicherung der Verlassenschaft.

922. In der Regel sind die Erben berechtigt, ohne Vermittlung des Gerichtes die Verlassenschaft in Besitz zu nehmen.

923. Diejenigen Personen, welche bis zum Tode des Erblassers in derselben Haushaltung mit ihm lebten und auf seine Kosten verpflegt wurden, wie insbesondere seine Wittwe oder minderjährige Kinder, sind in der Regel berechtigt, bis zum dreissigsten Tage nach dem Tode ihres Verpflegers noch ferner im Genüsse der Wohnung und des Hausrathes zu verbleiben und die erforderliche Nahrung auf Rechnung der Erbmasse zu beziehen.

924. Wenn Erben vorhanden sind, welche entweder unter obrigkeitlicher Vormundschaft stehen oder unter solche gehören, so hat das Waisenamt von sich aus, sobald es von dem Todesfalle Kunde erhält, ohne Zögerung die Verlassenschaft zu inventarisiren und, soweit es erforderlich ist, unter amtliches Siegel zu legen.

925. Die gerichtliche Siegelung der Verlassenschaft wird angeordnet, wenn besondere zureichende Gründe dieselbe rechtfertigen, insbesondere:

a) auf Begehren eines der Erben oder des überlebenden Ehegatten;

b) wenn Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden ist, dass erbloses Gut vorliege; [p. 587]

c) wenn die Rechtswohlthat des öffentlichen Inventars begehrt worden ist;

d) wenn es zur Sicherung der Erbschaftsgläubiger erforderlich erscheint, auf deren Begehren;

e) wenn gegen einen der Erben das Konkursverfahren durchgeführt worden ist und dessen Gläubiger (§ 1108) es verlangen.

926. In allen Fällen, wo eine gerichtliche Siegelung verfügt wird, ist zugleich ein amtliches Inventar aufzunehmen.

927. Ueberdies ist das Gericht berechtigt, wenn die gerichtliche Siegelung angeordnet ist und das Bedürfniss es erheischt, einen Güterverwalter für die Verlassenschaft oder einen Theil derselben zu ernennen und demselben die erforderlichen Vollmachten und Aufträge zu geben, alles in dem Sinne, dass dabei vorzüglich dafür zu sorgen ist, dass der Bestand der Verlassenschaft ungeschmälert erhalten bleibe, und auch die Rechte sowohl der Erben als der Gläubiger gewahrt werden.

C. Uebernahme und Ausschlagung der Erbschaft.

928. Die gesetzlichen Erben werden durch den Tod des Erblassers sofort und ohne ihr Zuthun Erben desselben.

929. Wenn die sichere Ausmittlung der nächsten Erben mit ungewöhnlichen Schwierigkeiten verbunden ist, so ist das Gericht ermächtigt, den unbekannten Betheiligten durch öffentliche Aufforderung eine Frist anzusetzen, innerhalb welcher sie sich bei Vermeidung von Rechtsnachtheilen über ihr Verhältniss zu erklären und ihre Ansprüche geltend zu machen haben.

930. Jeder Erbe ist berechtigt, die Erbschaft auszuschlagen, insofern er dieselbe noch nicht wirklich übernommen hat, und die für die Ausschlagung angesetzten Fristen inne hält.

931. Wenn ein Erbe, in der Absicht, seine Gläubiger zu schädigen (§ 1103), eine ihm angefallene Erbschaft ausschlägt und nachher der Konkurs über ihn ausbricht, so kann diese Ausschlagung auf dem von den konkursrechtlichen Bestimmungen für die Anfechtung von Rechtsgeschäften des Gemeinschuldners vorgeschriebenen Wege angefochten werden. [p. 588]

932. Will der Erbe die Erbschaft ausschlagen oder hat er wenigstens Bedenken, dieselbe zu übernehmen, so soll er in der Regel innerhalb dreissig Tagen seit dem Tode des Erblassers bei dem Bezirksgerichte, in dessen Kreise der Erblasser gewohnt hat, entweder seine Ausschlagserklärung eingeben oder die Rechtswohlthat des öffentlichen Inventars begehren.

Versäumt er diese Frist, so sind die Erbschaftsgläubiger berechtigt, sich an ihn als Erben zu halten, und die Miterben befugt, anzunehmen, dass er die Erbschaft für seinen Theil übernommen habe.

933. Ist der Erbe durch Abwesenheit, oder weil er von dem Tode oder von seinem Erbverhältnisse keine Kenntniss hat, oder aus einem anderen Grunde verhindert, binnen dieser Frist die nöthige Erklärung oder Begehren bei dem Gerichte einzureichen, so beginnt die Frist von dreissig Tagen erst von dem Zeitpunkte an zu laufen, in welchem das Hinderniss zuerst beseitigt war.

934. Ueberdies ist das Gericht ermächtigt, aus erheblichen Gründen, insbesondere auf Verlangen einer Vormundschaftsbehörde, die Frist zu Gunsten einzelner oder aller Erben so weit zu erstrecken, als die Verhältnisse es rechtfertigen, oder gegen den Ablauf derselben Wiederherstellung zu gewähren. Dabei sind aber zugleich die Interessen der Erbschaftsgläubiger zu beachten.

935. War gegen den Verstorbenen zur Zeit seines Todes das Konkursverfahren anhängig, oder war er almosengenössig, oder lebte er als Bettler oder Vagabund, oder ist nach dem Tode des Erblassers keine Habe vorhanden, so wird, wenn die Erben sich nicht wirklich als Erben benehmen, die Ausschlagung als sich von selbst verstehend angenommen.

Die Gläubiger des Erblassers sind indessen berechtigt, zu fordern, dass die Erben von dem Gerichte zu bestimmten Erklärungen angehalten werden.

936. Schlägt einer von mehreren Miterben die Verlassenschaft aus, so fällt sein Theil den Miterben anheim, und es wird gehalten, als wäre der ausschlagende Erbe überall nicht Erbe geworden. [p. 589]

937. Sind keine Erben da oder schlagen alle aus, so ist der überlebende Ehegatte berechtigt, sich zur Uebernahme zu erklären.

Das Gericht kann demselben von sich aus oder auf Begehren der Erbschaftsgläubiger dafür Frist ansetzen, sobald es nöthig und zweckmässig erscheint.

938. Wird die Erbschaft von allen Erben ausgeschlagen und nicht von dem überlebenden Ehegatten übernommen, so ist dieselbe, soweit sie reicht, zur Befriedigung der Gläubiger zu verwenden.

Ergibt sich hiebei ein Ueberschuss, so ist den Nachkommen oder dem überlebenden Ehegatten des Erblassers trotz der früheren Ausschlagung auf gestelltes Begehren der Antritt des Nachlasses nachträglich zu gestatten.

939. Wer in dem guten Glauben, Erbe zu sein, eine Verlassenschaft übernommen und während zehn Jahren besessen hat, ist von da an als Erbe gegenüber allen anderen Erbansprechern, welche nicht innerhalb dieser Frist die Erbschaftsklage anhängig gemacht und fortgesetzt haben, zu schützen.

Vorbehalten bleibt § 920.

940. Der gutgläubige Besitzer einer Verlassenschaft hat mit Bezug auf die Früchte derselben das nämliche Recht, welches dem gutgläubigen Besitzer einer einzelnen Sache zusteht (§§ 85 u. ff.).

D. Oeffentliches Inventar.

941. Jeder Erbe ist berechtigt, zur rechten Zeit (§ 932 und 933) die Rechtswohlthat des öffentlichen Inventars bei dem Gerichte in Anspruch zu nehmen.

Begehrt einer von mehreren Miterben das öffentliche Inventar, so wirkt dasselbe für alle gleichmässig und wird auf gemeinschaftliche Kosten angefertigt; es wäre denn, dass jetzt schon ein Miterbe sich für unbedingte Uebernahme der Verlassenschaft erklären und dadurch die Kosten des Inventars von sich ablehnen wollte.

942. Das Inventar wird von der betreffenden Notariatskanzlei besorgt. Auf Verlangen eines Erben und auf dessen [p. 590] Kosten ist eine Schatzung der einzelnen Erbschaftssachen nach dem muthmaasslichen Verkehrswerthe dem Inventar beizufügen.

943. Sowohl die Erbschaftsgläubiger als die Erbschaftsschuldner sind theils durch allgemeine öffentliche, theils, soweit es den Umständen gemäss erscheint, durch besondere Ladungen zu veranlassen, ihre Forderungen beziehungsweise Schulden binnen Frist der Notariatskanzlei richtig anzumelden.

944. Alle nicht angemeldeten Schuldforderungen, welche weder aus den Notariats- noch aus den Pfandprotokollen mit Bestimmtheit ersichtlich, noch durch Faustpfänder gedeckt sind, sind gegenüber den Erben, welche die Erbschaft auf Grundlage des Inventars übernommen haben, als erloschen zu betrachten. Verfährt der Erbe arglistig, so kommt ihm dieser Rechtsvortheil nicht zu gute.

945. Wiederherstellung gegen die Verwirkung einer Erbschaftsforderung darf, falls die Erbschaft schon angetreten ist, nur ausnahmsweise aus erheblichen Gründen, und in allen Fällen nur insoweit gestattet werden, als anzunehmen ist, dass die Erbschaft zureiche, um auch eine solche wiederhergestellte Forderung zu befriedigen.

946. Forderungen, deren Dasein erst nach Ablauf der Anmeldungsfrist ersichtlich wird, können auch nachher noch von den Gläubigern gegen die Erben geltend gemacht werden, jedoch nur soweit, als die Erben in der Erbschaft Ersatz gefunden haben.

947. Ist das öffentliche Inventar gezogen, so ist dasselbe auf Anordnung des Gerichtes den Erben zur Einsicht zuzustellen und sind dieselben unter Ansetzung einer angemessenen Frist aufzufordern, sich entweder zur Uebernahme oder zur Ausschlagung der Erbschaft zu erklären.

948. Ist über wichtige Bestandtheile der Erbschaft Streit und hängt von dem Ausgange des Prozesses der Entscheid über die Uebernahme oder Ausschlagung der Erbschaft ab, so kann die Frist bis zur Erledigung des Prozesses erstreckt werden. Es ist aber zugleich auf Wahrung der Rechte der Erbschaftsgläubiger Bedacht zu nehmen. Insbesondere kann den Ansprechern, deren Ansprüche bestritten sind, unter Androhung von Rechtsnachtheilen Frist angesetzt werden zur gerichtlichen Geltendmachung derselben. [p. 591]

949. Lassen die Erben die Ueberlegungsfrist stillschweigend vorübergehen, so ist anzunehmen, sie haben die Erbschaft übernommen.

Das Gericht ist indessen befugt, je nach Umständen auch anzudrohen, dass Stillschweigen als Ausschlagung ausgelegt werde.

950. Wird die Erbschaft übernommen, so haften auch die das Inventar begehrenden Erben für die angemeldeten oder ihnen gleichstehenden (§ 944) Erbschaftsschulden wie in allen anderen Fällen der Uebernahme einer Erbschaft nicht bloss, soweit die Aktiven der Erbschaft reichen, sondern unbeschränkt.

951. Uebernimmt der überlebende Ehegatte nach der Ausschlagung der Erbschaft von Seite der das Inventar begehrenden Erben die Verlassenschaft (§ 937), so tritt er in alle Rechte ein, welche diesen aus dem Inventar zugekommen wären.

952. Schlagen die Erben aus, so haben sie die Kosten des öffentlichen Inventares soweit zu tragen, als dasselbe nicht zugleich zum Konkursprotokolle dient; vorbehalten bleibt die Bestimmung des § 776.

Fünftes Kapitel.

Wirkungen des Erwerbes der Erbschaft.

A. Stellvertretung des Erblassers.

953. Die Erben treten in der Regel in allen vermögensrechtlichen Beziehungen an die Stelle des Erblassers.

954. Sind mehrere Erben (Miterben) vorhanden, so erwerben sie in der Regel an allen Erbschaftssachen Miteigenthum je nach Verhältniss der Erbtheile.

955. Die Söhne sind berechtigt, vor der Erbschaftstheilung die Uebernahme der Liegenschaften zu erklären und dadurch die Besorgung und den Fruchtgenuss derselben vor der eigentlichen Zufertigung an sich zu ziehen. Die Schatzung der Liegenschaften ist in diesem Falle auf die Zeit dieser Uebernahmserklärung zu beziehen. [p. 592]

956. Erbschaftsforderungen gehen auf mehrere Erben so über, dass jeder Miterbe, so lange eine Forderung nicht einem einzelnen Erben zugetheilt worden ist, den seiner Erbquote entsprechenden Theil derselben geltend machen kann.

957. In Erbschaftsschulden treten mehrere Miterben in der Weise ein, dass jeder zunächst nur für den seiner Erbquote entsprechenden Theil der Schuld haftet, falls aber ein Miterbe zahlungsunfähig ist, die übrigen Miterben für seine Rate wieder nach Verhältniss ihrer Erbtheile einzustehen haben.

In der Regel haftet jeder Erbe für die Erbschaftsschulden persönlich ohne Rücksicht darauf, ob und welchen Ersatz er in der Erbschaft empfangen habe.

958. Wenn die Erbschaftsgläubiger die Gefahr bescheinigen, dass ihre Forderungen durch die Vermischung der Verlassenschaft mit dem übrigen Vermögen des Erben Schaden leiden, so sind dieselben berechtigt, bei dem Gerichte auf Sonderung der Verlassenschaft, soweit dieselbe zur vorherigen Befriedigung ihrer Forderungen nöthig ist, zu dringen.

Ein solches Begehren ist binnen drei Monaten von dem Todestage des Erblassers an gerechnet zu stellen.

Das Gericht verfügt nach vorheriger Prüfung des Falles, was nöthig ist, diesen Zweck zu erreichen. Insbesondere sorgt es, wenn das Konkursverfahren gegen den Erben durchgeführt worden ist, für eine besondere Liquidation der Erbschaftsmasse.

B. Theilung der Erbschaft.

959. Jeder Erbe ist jederzeit berechtigt, Theilung der Erbschaft zu begehren, soweit diese nöthig ist, um den ihm zukommenden Theil auszuscheiden.

Den übrigen Miterben steht es frei, unter sich für den unvertheilt bleibenden Bestandtheil der Verlassenschaft die Gemeinschaft fortzusetzen.

960. In der Regel haben die Erben unter sich gleiche Rechte auf die zu der Verlassenschaft gehörenden Vermögensstücke und können daher, soweit die Natur der Sachen es zulässt, Anweisung derselben in Natura verlangen.

961. Ein zusammenhängendes Stück landwirtschaftlichen Bodens, welches weniger als vierzig Aren umfasst, [p. 593] wird in der Regel, wenn nicht sämmtliche Erben über weitere Theilung sich verständigen, als nicht weiter theilbar angesehen, und ist bei der Theilung einem der Miterben gegen Entschädigung an die übrigen ganz zuzutheilen.

Ebenso ist bei der Theilung grösserer landwirthschaftlicher Grundstücke unter Mehrere darauf zu achten, dass die einzelnen zusammenhängenden Theile nicht unter zwanzig Aren herabsinken.

Weinberge sind bis auf fünf Aren als theilbar anzusehen.

Auf Gärten, Pünten und Bauplätze findet diese Bestimmung keine Anwendung.

962. Sind ausnahmsweise Gründe für weitere Theilung landwirtschaftlichen Bodens vorhanden, so kann das Gericht ungeachtet der Einsprache einzelner Erben dieselbe anordnen.

963. Können sich die Miterben weder über die Zuteilung eines Erbteiles oder einzelner Vermögensstücke zu einem Erbteile, noch über die Anwendung des Looses verständigen, so entscheidet das gerichtliche Theilungsverfahren (§§ 115 und 116).

964. Die einzelnen Erbschaftsforderungen sind in der Regel ganz auf einen Erben als Berechtigten zu übertragen.

965. War ein Erbe selbst Schuldner des Erblassers, so hat er diese Erbschaftsforderung voraus auf seinen Erbteil zu übernehmen.

966. Ergibt sich aus den Verhältnissen, dass der Erblasser Kapitalverwendungen für einen nachherigen Erben mit Rücksicht auf dessen zukünftigen Erbteil gemacht oder in dieser Absicht die Rückforderung eines dem Erben gemachten Vorschusses unterlassen hat, so ist der Betrag derselben bei der Erbteilung in Abrechnung zu bringen.

967. Jeder Erbe ist den anderen gegenüber berechtigt, darauf zu dringen, dass die Erbschaftsschulden soweit möglich abgelöst werden oder, wenn das nicht angeht, je eine Schuld ganz einem Erben zur Bezahlung angewiesen werde. Im letzteren Falle werden die Miterben aber erst dann frei von der Schuld, wenn der Gläubiger jenen einzelnen Erben als seinen alleinigen Schuldner anerkennt.

Bis diese Ueberweisung geschehen, kann der Erbschaftsgläubiger jeden Erben als Träger (§§ 314 u. ff.) bezeichnen. [p. 594]

Diese Bezeichnung muss jedoch, um wirksam zu sein, der rechtlichen Belangung vorausgehen.

Mit Bezug auf die Anweisung grundversicherter Schulden kommen die §§ 361 u. ff. zur Anwendung.

968. Abgesehen von den allgemeinen Gründen der Aufhebung eines Vertrages (Schweizerisches Obligationenrecht Art. 18 u. ff) kann ein Miterbe einen geschlossenen Theilungsvertrag auch dann anfechten, wenn er dabei um wenigstens einen Drittel seines reinen Erbtheiles zu Schaden gekommen ist. Diese Anfechtung kann jedoch nur innerhalb eines Jahres seit der Theilung erfolgen.

Zweiter Abschnitt.

Von den letztwilligen Verordnungen (Testamenten und Erbverträgen).

Erstes Kapitel.

Pflichttheil.

A. Grösse des Pflichttheiles.

969. Letztwillige Verordnungen des Erblassers werden nur insoweit rechtlich geschützt, als dieselben den der erbberechtigten Familie gebührenden Pflichttheil nicht verletzen.

970. Der Pflichttheil beträgt:

a) für die Nachkommen des Erblassers drei Viertel des gesetzlichen Erbtheiles;

b) für Vater oder Mutter des Erblassers zwei Viertel des gesetzlichen Erbtheiles;

c) für die entfernteren Erben der elterlichen Parentel und für die Grosseltern einen Viertel des gesetzlichen Erbtheiles.

Entferntere Verwandte haben kein Pflichttheilsrecht.

971. Der Pflichttheil des Adoptivkindes in der Verlassenschaft der Adoptiveltern beträgt die Hälfte und der Pflichttheil der Adoptiveltern in der Verlassenschaft des Adoptivkindes einen Viertel des gesetzlichen Erbrechtes.

972. Wenn einzelne Erben infolge des Eintrittsrechtes auf eine höhere Linie kommen, z. B. wenn neben Vater oder [p. 595] Mutter auch Nachkommen des verstorbenen Elterntheiles zur Erbschaft gelangen, so haben sie auf den Pflichttheil dieser höheren Linie Anspruch.

973. In welcher Form dem pflichttheilsberechtigten Erben der Pflichttheil zukomme, ob infolge des gesetzlichen Erbrechtes oder der Erbeinsetzung oder des Vermächtnisses, ist gleichgültig. Demselben wird auch das angerechnet, was er durch frühere Ausrichtung oder Ausstattung oder an dem Erbtheile anzurechnende Kapitalverwendung (§§ 863 und 966) empfangen hat.

974. Der überlebende Ehegatte ist bis auf drei Viertel der durch die §§ 900, 901 und 905 bestimmten erbrechtlichen Vortheile gegen beeinträchtigende letztwillige Verfügungen des Erblassers zu schützen.

Brautleute haben einen derartigen Schutz nicht anzusprechen.

975. Der Erblasser darf seinem überlebenden Ehegatten ausser dem diesem von Gesetzes wegen oder zufolge testamentarischer Verordnung zukommenden Eigenthum auch die lebenslängliche Nutzniessung an der ganzen Verlassenschaft, somit auch an dem Pflichttheile der gesetzlichen Erben zuwenden, jedoch mit folgender Beschränkung: Sind eheliche Nachkommen die nächsten Erben, so darf sich die Nutzniessung nur auf so lange über ihre ganzen Erbtheile erstrecken, als dieselben weder in die Ehe getreten noch volljährig geworden sind; von da an ist die Nutzniessung des überlebenden Ehegatten bis auf die Hälfte des betreffenden Erbantheiles zu beschränken.

B. Ausschliessung von dem Pflichttheile.

976. Der Erblasser ist berechtigt, den Erben ganz von dem Pflichttheile auszuschliessen:

a) wenn dieser ihn in grosser Noth auf eine lieblose Weise im Stiche gelassen oder sonst auf eine grobe Weise die dem Erblasser gebührenden verwandtschaftlichen Rücksichten verletzt oder beharrlich missachtet hat;

b) wenn der Erbe wegen eines gemeinen (nicht politischen) Verbrechens, welches eine entschieden niedere und unmoralische Gesinnung verräth, bestraft worden ist; [p. 596]

c) wenn der Erbe sich einer liederlichen oder entehrenden Lebensweise hingegeben hat.

977. Die Gründe der Ausschliessung eines Erben vom Pflichtteil sind jederzeit von dem Erblasser in der letztwilligen Verordnung zu bezeichnen, widrigenfalls die Ausschliessung nicht gilt.

978. Alle letztwilligen Anordnungen des Erblassers sind dem pflichttheilsberechtigten Erben gegenüber, soweit sie dessen Pflichtteil beeinträchtigen, ungültig.

Der Erbe ist befugt, sowohl sein gesetzliches Erbrecht bis auf diesen Betrag auszuüben, als jene Verfügungen soweit nöthig durch eine Klage anzufechten.

979. Im Zweifel ist anzunehmen, dass sowohl an den Erbtheilen, insoweit dieselben auf letztwilliger Verordnung beruhen, als an den Vermächtnissen nach Verhältniss ihres Wertes der zur Ergänzung des Pflichtteiles nötige Abzug zu machen sei.

Sind aber einem pflichttheilsberechtigten Erben besondere Vermächtnisse überbunden, durch welche sein Pflichtteil verletzt wird, so ist der Abzug vorerst an diesen vorzunehmen.

980. Ebenso ist der Pflichttheilsberechtigte befugt, die Gültigkeit eines Geschäftes unter Lebenden, in der Regel jedoch erst nach dem Tode des Erblassers, anzufechten, insofern dasselbe wesentlich die Absicht birgt, das Erbgesetz zu umgehen und dem Erben den Pflichtheil zu entziehen.

981. Insbesondere kann, wenn die Form einer Schenkung unter Lebenden dazu missbraucht worden ist, die Bestimmungen über den Pflichttheil zu umgehen, das Rechtsgeschäft von den pflichttheilsberechtigten Erben nach dem Tode des Erblassers als pflichtwidrig angefochten und gerichtlich insoweit wirkungslos gemacht und Wiederherstellung verfügt werden, als der Pflichtteil verletzt erscheint.

Der Beschenkte in gutem Glauben haftet jedoch nur, soweit er noch bereichert ist.

982. Auf die pflichtwidrige Absicht ist insbesondere zu schliessen:

a) wenn die Schenkung im Angesichte des bevorstehenden Todes gemacht worden ist; [p. 597]

b) wenn der Schenker sich bis zu seinem Tode den freien Widerruf vorbehalten hat;

c) wenn der Schenker zwar die Schenkung unwiderruflich gemacht, aber zugleich dafür gesorgt hat, dass die Schmälerung des Vermögens nicht ihm selbst, sondern erst seinen Erben fühlbar werde.

983. Bei Lebzeiten des Schenkgebers können die nächsten Erben auch in diesem Falle weder Aufhebung der Schenkung noch Herausgabe fordern. Wohl aber steht es ihnen frei, durch Anzeige an den Beschenkten ihr Recht zu verwahren und, wenn dringende Verdachtsgründe der Pflichtwidrigkeit vorliegen und die Gefahr einer Verschleppung oder Verschleuderung der geschenkten Vermögensstücke bescheinigt wird, nach gerichtlichem Ermessen Sicherungsmaassregeln zu begehren.

984. In den Fällen der pflichtwidrigen Schenkung (§§ 981 und 982) wird bei Berechnung der Grösse des Pflichttheiles die ganze Schenkung als Bestandteil der Verlassenschaft angenommen.

985. Die Zuwendung einer Lebensversicherungssumme kann von Seite des pflichttheilsberechtigten Erben wegen Pflichtwidrigkeit nur dann angefochten werden, wenn sich aus den Umständen ergibt, es habe der Versicherte im Vorgefühl des nahen Todes die Versicherung in der Absicht abgeschlossen, die dafür bezahlte Prämie seinen natürlichen Erben zu entziehen.

986. Der Leibrentenvertrag kann von den Erben des Leibrentenbezügers nicht aus dem Grunde angefochten werden, dass das Kapitalvermögen desselben ihnen pflichtwidrig entzogen werde, sondern nur ausnahmsweise, wenn sich aus dem offenbaren Missverhältnisse zwischen dem Einlagekapital und dem Betrage der ausbedungenen Leibrente in Verbindung mit den übrigen Umständen ergibt, der Erblasser habe den Leibrentenvertrag nicht in der Absicht abgeschlossen, sich eine Leibrente zu sichern, sondern seinen Erben den Pflichttheil zu entziehen.

987. Ist ein Erbe von dem Pflichttheile ausgeschlossen, so wird es sowohl mit Rücksicht auf die gesetzliche Erbfolge als die Grösse der Pflichttheile für die bleibenden Erben [p. 598] gehalten, wie wenn der ausgeschlossene Erbe den Tod des Erblassers nicht erlebt hätte.

Erläuterung.

[Grafik]

b ist enterbt, a erbt die eine und c + d erben die andere Hälfte, c und d haben den Pflichtteil der ehelichen Nachkommen anzusprechen.

988. Wenn gegen einen Erben der Konkurs durchgeführt ist oder bloss wegen Mangels an Aktiven nicht durchgeführt wurde, so ist der Erblasser berechtigt, denselben von der Erbschaft auszuschliessen und dessen Kinder an seine Stelle eintreten zu lassen. In diesem Falle wird als Meinung des Erblassers angenommen, es haben die eingesetzten Kinder des Enterbten den Erbteil mit ihren später hinzukommenden Geschwistern nach Verhältniss zu theilen.

989. Der Pflichtteil eines kinderlosen Erben, über welchen ein als verschuldet erklärter Konkurs ergangen ist, vermindert sich auf die Hälfte.

990. Wenn der Erblasser begründete Besorgniss hat, dass der Erbe den auf ihn fallenden Erbanteil auf eine ungehörige Weise verbrauchen werde, so ist er berechtigt, dafür zu sorgen, dass dieser Erbanteil vorerst in vormundschaftlichen Gewahrsam genommen werde. Liegen sodann genügende Gründe vor, um den Erben unter Vormundschaft zu setzen, so ist, wenn er sich nicht freiwillig unter Vormundschaft begibt die Bevormundung von Amtes wegen einzuleiten.

991. Der Erblasser ist überdies, wenn sich ergibt, dass der Erbe seinen Erbanteil gehörig zu verwalten ausser Stande sei, und dieser Mangel nicht durch die vormundschaftliche Verwaltung beseitigt wird, berechtigt, die Verwaltung und Verfügung darüber auf so lange, als diese Gefahr dauert, an einen dritten Vertrauensmann zu übertragen.

992. Die nämlichen Gründe, welche zur Ausschliessung eines Erben von dem Pflichttheile berechtigen (§ 976), finden analog auch auf das Verhältniss der Ehegatten Anwendung [p. 599] und rechtfertigen es, wenn ein Ehegatte den anderen von dem ihm gesetzlich zukommenden Vortheile in seiner Verlassenschaft ausschliesst.

Auch diese Gründe sind, damit die Ausschliessung wirke, von dem Erblasser in der letztwilligen Verordnung zu bezeichnen.

Zweites Kapitel.

Testament.

A. Persönliche Erfordernisse.

993. Jede mündige Person, sei dieselbe im übrigen selbständig oder unter Vormundschaft, ist in der Regel fähig, ein Testament zu machen, vorausgesetzt, dass sie zur Zeit der Testamentserrichtung, wenn auch kranken Leibes, doch bei gesunden Geisteskräften sei.

994. Wer wegen Verschwendung unter Vormundschaft gesetzt worden ist, bedarf ausnahmsweise zu seinem Testamente der Zustimmung der Vormundschaftsbehörden.

B. Form des Testamentes.

I. Ordentliches Testament.

995. Das ordentliche Testament ist entweder ein eigenhändiges oder ein öffentliches Testament.

996. Zur Gültigkeit eines eigenhändigen Testamentes wird erfordert, dass dasselbe

a) von dem Erblasser eigenhändig in seinem ganzen Umfange geschrieben, datirt und unterschrieben sei,

b) von dem Testator einem Notar zur Aufbewahrung übergeben worden sei.

997. Der Notar soll sich von dem Willen des Testators, das Testament zu hinterlegen, genügend überzeugen, das Testament, sei es von dem Testator selbst versiegelt oder unversiegelt übergeben worden, amtlich versiegeln und den vollständigen Namen und Wohnort des Erblassers im Protokolle und wenn es nicht zuvor schon geschehen, auch auf dem Umschlage des Testamentes vormerken.

998. Zur Gültigkeit eines öffentlichen Testamentes ist erforderlich, dass dasselbe [p. 600]

a) von dem Testator in gleichzeitiger Gegenwart eines Notars und wenigstens zweier erbetener Zeugen mündlich eröffnet,

b) unmittelbar nach der Eröffnung im Beisein der Zeugen von dem Notar niedergeschrieben und

c) nach der Abfassung dem Testator und den Zeugen vorgelesen, von denselben als richtig anerkannt und von dem Testator selbst, den Zeugen und dem Notar eigenhändig mit ihren Namen unterschrieben worden sei.

999. Als Testamentszeuge kann nur eine handlungsfähige männliche Person zugezogen werden, welche des Schreibens kundig und weder blind, noch taub, noch im Aktivbürgerrechte eingestellt ist.

1000. Als Testamentszeugen dürfen überdies nicht zugezogen werden:

a) Personen, welche in dem Testamente irgendwie bedacht werden, sowie deren Söhne oder Enkel, Väter oder Grossväter, Brüder, Ehemänner, Verlobte und Schwäger,

b) der Ortsgeistliche oder wer sonst als Geistlicher sich der Seelsorge in der Familie des Erblassers angenommen hat,

c) der Arzt des Erblassers.

1001. Die Zuziehung einer nach § 1000 lit. a ausgeschlossenen Person als Testamentszeugen zieht die Ungültigkeit derjenigen Verfügungen nach sich, welche zu ihrem eigenen Vortheile oder demjenigen einer mit ihr durch Verwandtschaft, Ehe oder Verlobung verbundenen Person in dem Testamente erlassen worden sind.

Die Zuziehung einer nach § 999 und 1000 lit. b und c ausgeschlossenen Person als Testamentszeugen hat die Ungültigkeit des ganzen Testamentes zur Folge, sofern nicht sonst die erforderliche Anzahl fähiger Zeugen mitgewirkt haben.

1002. Verliert Jemand, welcher zu einem Testamente als Zeuge zugezogen worden ist, später seine Zeugenfähigkeit, so übt dies auf die Gültigkeit des Testamentes keinen nachtheiligen Einfluss aus.

1003. Ist der Erblasser ausser Stande, seinen Namen zu unterzeichnen, so ist überdies noch ein dritter gleichzeitiger [p. 601] Zeuge zu der Testamentserrichtung herbeizuziehen. Die Beisetzung eines Handzeichens ist nicht erforderlich.

1004. Der Notar verwahrt das öffentliche Testament im Original und nimmt sofort nach dessen Errichtung eine vollständige und genaue Abschrift desselben zu Protokoll.

Dritten Personen darf er bei Lebzeiten des Testators nur mit dessen Zustimmung eine Abschrift mittheilen oder die Einsicht gestatten.

II. Ausserordentliches Testament.

1005. In Fällen von plötzlicher Todesgefahr ist es gestattet, ein mündliches Testament zu errichten.

1006. Das mündliche Testament ist nur insofern gültig, als

a) der vollständige Inhalt desselben von dem Testator in gleichzeitiger Gegenwart von drei erbetenen Zeugen eröffnet worden,

b) der Testator innerhalb vier Tagen nach dieser Testamentserrichtung gestorben oder von da an bis zu seinem Tode nicht wohl im Stande gewesen ist, ein ordentliches Testament zu errichten, und

c) innerhalb vier Tagen nach der Testamentserrichtung einer der Zeugen einem Notar von derselben Bericht gegeben hat.

1007. Der Notar ist in diesem Falle verpflichtet, auf Errichtung eines ordentlichen Testamentes hinzuwirken oder, wo derselben fortwährend Hindernisse entgegen stehen, ohne Verzug die sämmtlichen Zeugen wo möglich gleichzeitig zu Protokoll einzuvernehmen und dasselbe von den Zeugen unterschreiben zu lassen.

1008. Wenn zur Zeit einer herrschenden schweren Epidemie oder weil der Erblasser selbst an einer ansteckenden Krankheit leidet, die gleichzeitige Anwesenheit des Notars und der Zeugen unzulässig und der Erblasser ausser Stande ist, ein eigenhändiges Testament zu errichten, so genügt es, wenn er das einer zeugnissfähigen Person mündlich eröffnete und von dieser niedergeschriebene Testament entweder eigenhändig unterschreibt oder nach einander vor wenigstens drei [p. 602] Zeugen mündlich bestätigt und ein solches Testament innerhalb vier Tagen einem Notar eingehändigt wird. Der Notar hat in diesem Falle nach § 1007 zu verfahren.

1009. Ein derartiges ausserordentliches Testament verliert seine Gültigkeit nach sechs Wochen, seitdem das Hinderniss, welches der Errichtung eines ordentlichen Testamentes entgegenstand, gehoben erscheint.

C. Eröffnung des Testamentes.

1010. Die Eröffnung des Testamentes geschieht, wenn nicht der Testator ausnahmsweise durch seine Verfügung die amtliche Eröffnung ausgeschlossen hat, durch den Notar.

1011. Der Notar ladet zu diesem Behufe die ihm bekannten und anwesenden Erben, den überlebenden Ehegatten und den allfällig bezeichneten Testamentsvollstrecker, wo es thunlich erscheint in die Wohnung des Erblassers, zu einer Zusammenkunft ein.

1012. Das Testament wird in Gegenwart der eingeladenen Personen, welche sich eingefunden haben, von dem Notar vorgewiesen und verlesen.

1013. Ist das Testament ein eigenhändiges, so wird es bei dieser Gelegenheit von dem Notar vorerst entsiegelt und die bisher verschlossene Originalurkunde amtlich bezeichnet.

1014. Sind in dem Testamente Vermächtnisse an Personen hinterlassen worden, welche bei der Eröffnung weder persönlich anwesend noch vertreten sind, und ist kein Testamentsvollstrecker ernannt, so soll der Notar jene Personen von der sie betreffenden Verfügung in Kenntniss setzen.

Ist ein Testamentsvollstrecker ernannt, so ist es dessen Sache, die Begabten davon zu unterrichten.

D. Inhalt des Testamentes.

I. Erbeinsetzung und Enterbung.

1015. Der Testator kann, soweit seine Testirfreiheit nicht durch den Pflichttheil beschränkt ist, wen er will zu seinem Erben für die ganze Verlassenschaft oder für einen Theil der- [p. 603] selben einsetzen oder einem gesetzlichen Erben sein Erbrecht ganz oder theilweise entziehen (ihn enterben).

1016. Der Testator kann auch für den Fall, dass ein gesetzlicher oder im Testamente eingesetzter Erbe sein Erbe nicht wird, einen Anderen als Erben substituiren.

1017. Ebenso kann der Testator innerhalb der gesetzlichen Schranken der Testirfreiheit seinem Erben die Verpflichtung auferlegen, dass er, sei es bei Lebzeiten unter einer bestimmten Voraussetzung die Erbschaft auf einen Nacherben übertrage, sei es nach seinem Tode dem Nacherben hinterlasse.

Dagegen ist die Bestellung eines zweiten fideikommissarischen Nacherben hinter dem ersten unzulässig. Vorbehalten bleibt die besondere Folge in Familienstiftungen.

1018. Will der eingesetzte Erbe die Erbschaft nicht antreten, so kann der fideikommissarische Nacherbe statt seiner dieselbe antreten.

1019. Der Nacherbe kann von dem eingesetzten Erben Sicherheit für gehörige Zurücklassung der fideikommissarischen Erbschaft fordern, insofern er zu bescheinigen vermag, dass dieselbe durch die Handlungen oder Unterlassungen des Erben gefährdet erscheine, es sei denn, dass der Erblasser solches untersagt habe.

1020. Die im Testamente eingesetzten Erben stehen, soweit ihre Einsetzung gültig ist, in der Regel den gesetzlichen Erben gleich.

1021. Die Uebernahme der Erbschaft von Seite der Testamentserben wird jedoch nicht als sich von selbst verstehend angenommen. Vielmehr bedarf es dazu eines Erbantrittes durch die Testamentserben. Dieser Erbantritt kann entweder ausdrücklich erklärt oder aus den Handlungen des Erben geschlossen werden.

1022. Stirbt der eingesetzte Erbe nach dem Tode des Erblassers, aber vor der Antrittserklärung, so geht sein Recht zu dieser auf seine Erben über.

1023. Das Gericht ist berechtigt, auf Begehren der übrigen Erben, gesetzlichen oder Testamentserben, oder der im Testamente sonst Bedachten oder der Erbschaftsgläubiger, dem Testamentserben eine Frist anzusetzen, innerhalb welcher er [p. 604] sich über Antritt oder Ausschlagung der Erbschaft zu erklären hat.

1024. Soweit der Einsetzung eines Erben in dem Testamente keine Folge gegeben wird, sei es weil der Testamentserbe vor dem Erblasser stirbt, sei es weil er die Erbschaft ausschlägt, tritt die gesetzliche Erbfolge ergänzend ein, insofern nicht aus dem Testamente auf eine andere Willensmeinung des Erblassers zu schliessen ist.

II. Vermächtniss.

1025. Der Erblasser kann im Testamente auch einzelne Vermächtnisse aussetzen.

1026. In der Regel ist anzunehmen, dass die sämmtlichen Erben, gesetzliche und Testamentserben, für die Leistung der Vermächtnisse je nach Verhältniss ihrer Erbantheile einzustehen haben.

1027. Wenn der Begabte den Tod des Testators überlebt, so fällt ihm das Vermächtniss in der Weise an, dass er gegenüber den Erben desselben, gesetzlichen oder Testamentserben, eine Forderung auf Entrichtung des Vermächtnisses und Ueberlassung der vermachten Sache erwirbt.

1028. Ist der Begabte vor dem Erblasser verstorben, so ist das Vermächtniss nicht zur Geltung und solches den Erben zu gute gekommen, wenn sich nicht aus dem Testamente auf eine andere Willensmeinung des Testators schliessen lässt.

1029. Die Gültigkeit des Vermächtnisses ist von der formellen Gültigkeit des Testamentes abhängig, durch welches es bestimmt worden, nicht aber von dem Antritte der Erbschaft durch den Testamentserben.

1030. Wird über die Verlassenschaft Konkurs eröffnet, so können die Forderungen auf Vermächtnisse erst nach der Befriedigung aller Erbschaftsgläubiger geltend gemacht werden.

1031. Auch wo kein Pflichttheil weitere Beschränkungen nöthig macht, sind die Erben, gesetzliche oder Testamentserben, berechtigt, zu verlangen, dass nicht mehr als neun Zehntel ihrer Erbtheile durch Vermächtnisse aufgezehrt werden. [p. 605]

Demgemäss sind die Vermächtnisse, wenn sie zusammen dieses Maass überschreiten, je nach ihrem verhältnissmässigen Werthe soweit zu vermindern, dass jeder Erbe einen Zehntel seines Erbtheiles ungeschmälert behält.

1032. Ist das Vermächtniss einem bestimmten Erben auferlegt, so haftet dieser ausschliesslich mit seinem Erbantheile für die Entrichtung und gewinnt ebenso ausschliesslich, wenn das Vermächtniss aus irgend einem Grunde wegfällt, an seinem Erbantheile.

1033. Es kann auch einem Begabten, welcher nicht zugleich Erbe ist, die Entrichtung eines Vermächtnisses an einen Dritten auferlegt werden. Das Vermächtniss ist aber für diesen belasteten Begabten nur insoweit verbindlich, als dasselbe den Werth des ihm selbst Vermachten nicht übersteigt.

Schlägt der erste Begabte das Vermächtniss aus, so ist der folgende Begabte berechtigt, an seiner Statt dasselbe zu begehren.

1034. Stirbt ein Begabter nach dem Tode des Erblassers, aber bevor er seine Forderung aus dem Vermächtniss gekannt oder geltend gemacht hat, oder bevor dieselbe fällig geworden ist, so geht das Recht aus dem Vermächtnisse auf seine Erben über, insofern nicht für diesen Fall der Testator etwas anderes verfügt hat.

1035. Ist die Fälligkeit des Vermächtnisses auf einen späteren Termin verschoben, so ist der Begabte berechtigt, von dem Belasteten Sicherheit für die zukünftige Leistung zu fordern.

1036. Soweit nicht der Erblasser innerhalb der Schranken seiner Testirfreiheit abweichende Anordnungen getroffen hat, gelten für die vermachte Nutzniessung an der Verlassenschaft oder an einem Theile derselben die Bestimmungen des Sachenrechtes.

1037. Die Schulden des Erblassers gehen nicht auf die Begabten über.

III. Ernennung eines Testamentsvollstreckers.

1038. Der Erblasser kann in dem Testamente einen oder mehrere Testamentsvollstrecker ernennen. [p. 606]

1039. Der Testamentsvollstrecker, welcher sich der an ihn ergangenen Aufforderung unterzieht, ist berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen und alle Rechtsmittel zu ergreifen, welche erforderlich sind, um den letzten Willen des Erblassers zur Vollziehung zu bringen, auch, soweit es zu diesem Behufe nöthig ist, die Erbschaft vorläufig in Besitz zu nehmen und zu verwalten.

Seine Befugnisse reichen aber nicht weiter, als das Bedürfniss dieser Vollziehung es rechtfertigt.

1040. Den Erben ist der Testamentsvollstrecker für seine Geschäftsführung verantwortlich und die Begabten sind berechtigt, von ihm die Ausrichtung der Vermächtnisse zu fordern.

E. Abänderung und Aufhebung des Testamentes.

1041. Der Testator hat, so lange er lebt, jederzeit das Recht, ein errichtetes Testament wieder aufzuheben oder abzuändern. Er hat dieses Recht auch dann unversehrt, wenn er in dem Testamente selbst auf jede Abänderung oder Aufhebung verzichtet haben sollte.

1042. Zur Abänderung eines Testamentes bedarf es einer der Formen, welche für die Errichtung eines solchen nothwendig sind, aber nicht nothwendig der gleichen Form, nach welcher das frühere Testament entstanden ist.

1043. Jedes frühere Testament kann durch ein späteres als aufgehoben erklärt und durch diese Erklärung wirklich aufgehoben werden.

1044. Ist in dem späteren Testamente die Aufhebung des früheren nicht erklärt, so ist anzunehmen, das erstere sei insoweit abgeändert oder aufgehoben, als der Inhalt des späteren Testamentes im Widerspruche ist mit dem Inhalte des früheren.

1045. Ueberdies kann ein eigenhändiges bei einem Notar deponirtes Testament dadurch aufgehoben werden, dass der Testator dasselbe wieder aushinbegehrt und äusserlich vernichtet.

1046. So lange das eigenhändige Testament wieder in die Hände des Testators zurückgegeben ist, bleibt dessen Wirk- [p. 607] samkeit eingestellt, und wird erst dann wiederum hergestellt, wenn das Testament neuerdings von dem Testator bei dem Notar hinterlegt worden ist.

1047. Ein öffentliches Testament kann auch dadurch aufgehoben werden, dass der Testator seinen Willen, das Testament zu vernichten, dem Notar persönlich erklärt und die entkräftete Originalurkunde herausbegehrt.

Der Notar darf die Originalurkunde eines öffentlichen Testamentes bei Lebzeiten des Testators nie anders als entkräftet aushingeben, und hat davon im Protokolle Vormerkung zu nehmen.

1048. Durch einen späteren Erbvertrag kann ein früheres Testament für aufgehoben erklärt oder abgeändert werden.

1049. Wird dem Testator nach der Testamentserrichtung ein Nachkomme geboren, so wird durch dessen Geburt das Testament nicht zerstört.

1050. Wird der Pflichttheil durch das Testament verletzt, so wird nicht das ganze Testament deshalb ungültig, sondern seine Wirksamkeit nur soweit beschränkt, als der Pflichttheil reicht.

1051. Jeder betheiligte Erbe oder Begabte ist berechtigt zu begehren, dass den Erben eine gerichtliche Frist zur Erklärung angesetzt werde, ob sie das Testament anerkennen oder nicht.

Drittes Kapitel.

Erbvertrag.

A. Form des Erbvertrages.

1052. Einen Erbvertrag über die eigene Verlassenschaft können nur mündige und willensfähige Personen abschliessen; sie haben dazu persönlich mitzuwirken.

1053. Personen, welche nicht handlungsfähig sind, bedürfen zur Abschliessung eines Erbvertrages in der Regel der vormundschaftlichen Ermächtigung oder Stellvertretung.

1054. Ausnahmsweise, in Abweichung von der Regel der §§ 592 und 600, ist die Ehefrau berechtigt, ohne einer wei- [p. 608] teren Zustimmung zu bedürfen, mit ihrem Ehemanne einen wechselseitigen Erbvertrag abzuschliessen, und genügt zu dem Erbvertrage, durch welchen eine verheiratete Tochter zu Gunsten ihrer Geschwister gegen eine Ausrichtung auf die künftige Verlassenschaft ihrer Eltern verzichtet (Ausrichtungsvertrag), die Zustimmung ihres Ehemannes und bedarf es nicht der Zuziehung eines ausserordentlichen Vormundes.

1055. Erbverträge, in welchen sich zwei Personen wie insbesondere die Ehegatten wechselseitig zu Erben einsetzen oder einander gegenseitig Vortheile an der Verlassenschaft zusichern, bedürfen der Form des ordentlichen Testamentes.

Andere Erbverträge bedürfen der notarialischen Fertigung.

1056. Wird ein wechselseitiger Erbvertrag in Form eines eigenhändigen Testamentes errichtet, so kann das entweder so geschehen, dass jeder von beiden Erblassern die Verfügung über seine Verlassenschaft eigenhändig auf der einen gemeinsamen Urkunde schreibt und beide dieselbe unterschreiben, oder so, dass jeder von beiden den ganzen wechselseitigen Erbvertrag eigenhändig auf eine besondere Urkunde schreibt und die beiden Doppel unterschreibt. Im ersteren Falle ist die eine, im zweiten sind beide Originalurkunden dem Notar zur Aufbewahrung zu übergeben.

1057. Wird der wechselseitige Erbvertrag in Form eines öffentlichen Testamentes errichtet, so kommt zu den für dieses geltenden Erfordernissen hinzu, dass beide Erblasser zugleich vor dem Notar und den Zeugen anwesend sein und die einfache Originalurkunde unterzeichnen müssen.

1058. Zu der notarialischen Fertigung anderer Erbverträge ist die Zuziehung von Zeugen nicht erforderlich.

B. Inhalt des Erbvertrages.

1059. Der Erbvertrag hat eine erbrechtliche Wirkung, indem durch denselben die eine Vertragsperson, der Erblasser, der anderen in bindender Form entweder ein Erbrecht oder ein Vermächtniss zusichert oder die letztere der ersteren gegenüber auf ein zukünftiges Erbrecht verzichtet. [p. 609]

1060. Soweit der Erblasser berechtigt ist, Jemanden durch Testament zum Erben einzusetzen, ist er auch berechtigt, denselben durch Erbvertrag zu seinem Erben, Vertragserben, zu ernennen.

1061. Ausnahmsweise kann ein Erbvertrag, durch welchen ein Gemeinder dem anderen, oder ein Verpfründeter der Pfrundanstalt (§ 479) ein Erbrecht in seiner Verlassenschaft zugesichert hat, nach dem Tode des Erblassers nur von den ehelichen Nachkommen wegen Pflichttheilsverletzung, von anderen Erben nur unter der Voraussetzung der §§ 485, 486 und 556 angefochten werden.

1062. Dem Vertragserben ist nach dem Tode des Erblassers ein dem Erbrechte des Testamentserben analoges Erbrecht eröffnet. Um wirklich Erbe zu werden, muss er die Erbschaft antreten.

1063. Wenn der Vertragserbe vor dem Erblasser stirbt, so ist der Erbvertrag nicht zur Wirksamkeit gelangt, und es geht die erbrechtliche Anwartschaft des Vertragserben nicht auf seine Erben über. Vorbehalten bleiben abweichende Bestimmungen des Erbvertrages.

1064. Es ist zulässig, dass ein Vertragserbe neben und mit gesetzlichen und Testamentserben die Erbschaft übernehme.

1065. Es kann durch Erbvertrag Jemandem auch ein Vermächtniss zugesichert werden, vorausgesetzt, dass der Bedachte in dem Erbvertrage selbständig mitwirke.

1066. Ein Schenkungsversprechen auf den Todesfall hin hat nur insofern rechtliche Wirkung, als dasselbe in der Form des Vermächtnissvertrages gemacht worden ist.

1067. Werden in einem wechselseitigen Erbvertrage zu Gunsten dritter nicht mitwirkender Personen Vermächtnisse ausgesetzt, so gelten diese als Testamentsvermächtnisse.

1068. Der Vertragserbe sowohl als der vertragsmässig mit einem Vermächtnisse Bedachte haben gegenüber dem Erblasser ein Recht, dass derselbe nicht durch anderweitige Verordnungen auf den Todesfall hin ihnen das zugesicherte Erbrecht oder Vermächtniss entziehe oder schmälere. [p. 610]

1069. Der Schutz dieses vertragsmässig erworbenen Rechte wird behandelt wie der Schutz, welcher den gesetzlichen Erben für ihren Pflichttheil gewährt wird.

1070. Wenn Jemand durch Erbvertrag mit dem Erblasser auf sein gesetzliches Erbrecht Verzicht leistet, so wird durch den Verzicht, soweit er reicht, das erbrechtliche Verhältniss des Erben in der Weise zerstört, dass die Erbschaft weder ihm selbst, noch, wenn er den Tod des Erblassers erlebt, seinen durch ihn vermittelten Nachkommen anfällt.

1071. In der Regel kann Niemand auf mehr als sein eigenes Erbrecht Verzicht leisten. Eine Verzichtleistung eines Erben für seine Kinder oder Erben ist unzulässig, insoweit diese ein selbständiges Erbrecht geltend machen können.

Haben diese über die Verlassenschaft ihres Erblassers übernommen und wollen sie ohne Rücksicht auf dessen Verzicht ihr Erbrecht an der Verlassenschaft geltend machen, auf welche jener verzichtet hat, so sind sie den übrigen Erben gegenüber verpflichtet, die Ausrichtungssumme einzuwerfen, welche jener um des Verzichtes willen zuvor empfangen hatte.

1072. Eine Ausnahme machen die Erbverzichte und Ausrichtungsverträge ehelicher Nachkommen des Erblassers zu Gunsten anderer ehelicher Nachkommen desselben, bei welchen im Gegentheil im Zweifel anzunehmen ist, dass die Verzichtleistung auch für die Kinder oder Erben des verzichtenden Familiengliedes verbindlich sei.

C. Aufhebung des Erbvertrages.

1073. Der gegenseitige Erbvertrag kann in denselben Formen aufgehoben werden wie das Testament. Es bedarf jedoch dazu der Mitwirkung beider Vertragspersonen.

1074. Ueberdies verliert ein wechselseitiger Erbvertrag unter Ehegatten infolge später eingetretener Scheidung von selbst seine Gültigkeit.

1075. Ein Vermächtnissvertrag, durch welchen ein Erblasser, ohne eine Gegenleistung zu empfangen oder zugesichert zu erhalten, einen Anderen aus Freigebigkeit bedenkt, kann von demselben auch einseitig in Testamentsform (§ 1073) widerrufen werden: [p. 611]

a) wegen Undankes des Bedachten;

b) weil ihm nach Errichtung des Vermächtnissvertrages ein Kind geboren ist, während er zur Zeit der Eingehung desselben kinderlos gewesen war.

1076. Andere Erbverträge können nur durch notarialische Löschung wieder aufgehoben werden.

Dritter Abschnitt.

Von den Verträgen über die Erbschaft eines Dritten.

Erstes Kapitel.

Erbauskauf.

1077. Jeder Erbe ist berechtigt, sich für seine Anwartschaft auf die gemeinsame Erbschaft wie für seine Rechte an einer angefallenen Erbschaft von seinen Miterben oder von einzelnen Miterben auskaufen zu lassen.

In diesem Falle bedarf es der notarialischen Form nicht, sondern genügt die schriftliche Form.

1078. Werden Ehefrauen von Miterben derselben ausgekauft, so genügt die Zustimmung der Ehefrau und ihres Mannes, und bedarf es der in § 592 vorgeschriebenen ausserordentlichen Vertretung nicht.

Wenn Kinder, welche noch in der Vormundschaft des Vaters stehen, von anderen Erben ihrer elterlichen Parentel ausgekauft werden, so ist die in § 666 vorgeschriebene ausserordentliche Vertretung nothwendig; gehören dagegen die auskaufenden Miterben einer ferneren Parentel an oder sind sie mit den Kindern nicht verwandt, so genügt die Zustimmung des Vaters und bedarf es der ausserordentlichen Vertretung nicht.

1079. Bezieht sich der Auskauf auf eine zukünftige Verlassenschaft, so ist anzunehmen, der ausgekaufte Erbe habe auf sein Erbrecht zu Gunsten des auskaufenden Miterben verzichtet, so dass die Verlassenschaft zur Zeit des Anfalles diesem an jenes Statt zukommt, und der ausgekaufte Erbe weder eine allfällige Ausschlagserklärung abzugeben hat, noch den Erbschaftsgläubigern haftet. [p. 612]

Im Zweifel wirkt diese Verzichtleistung auch gegen die Nachkommen und Erben des Verzichtenden (§ 1072) und bezieht sich auf die ganze Verlassenschaft des Erblassers, auch wenn dieselbe nach Abschluss des Auskaufsvertrages durch Erbschaften oder auf andere Weise vermehrt worden wäre.

1080. Wird über eine angefallene Erbschaft ein Auskaufsvertrag geschlossen, so ist der ausgekaufte Erbe zunächst als der eigentliche Erbe zu betrachten. Der auskaufende Miterbe muss zwar an Stelle des ausgekauften für die Erbschaftsschulden einstehen; die Erbschaftsgläubiger können sich aber in diesem Falle auch an den ausgekauften Erben halten.

1081. Die Anfechtung eines Auskaufsvertrages kann nur aus den allgemeinen Gründen der Anfechtung von Verträgen stattfinden.

Zweites Kapitel.

Andere Verträge über die Erbschaft eines Dritten.

1082. Andere Verträge über die Erbschaft eines Dritten, bei welchen der Erblasser nicht selbst mitwirkt, haben in der Regel keine unmittelbar erbrechtliche, sondern nur eine obligatorische Bedeutung.

1083. Der Erwerb einer solchen Erbschaft ist nach den Vorschriften über Abtretung der Forderungen zu behandeln. Sofern der Erwerber dieselbe nach dem Anfalle übernimmt, ist er den Erbschaftsgläubigern haftbar.

1084. Werden derartige Verträge bei Lebzeiten des dritten Erblassers über eine zukünftige Erbschaft abgeschlossen, so bedürfen sie zu ihrer Gültigkeit sowohl der notarialischen Fertigung als der Anzeige an den Erblasser.

1085. Werden sie nach dem Tode desselben mit Bezug auf eine angefallene Erbschaft eingegangen oder beziehen sie sich auf die zukünftige Verlassenschaft von unbekannt wo Abwesenden, so ist die schriftliche Abfassung und Unterzeichnung durch die Vertragsparteien nöthig.

1086. Wenn ein Erbe bei Lebzeiten des Erblassers ohne dessen Mitwirkung seine erbrechtliche Anwartschaft auf die künftige Verlassenschaft an einen Dritten veräussert, so verliert er dadurch jeden Anspruch, sich gegen die letztwilligen [p. 613] Verfügungen des Erblassers aus dem Grunde der Verletzung des Pflichttheiles zu beschweren.

Erläuterung.

Die Pflichttheile von a + b + c betragen zusammen 9000 Franken, c hat aber sein Erbrecht an m veräussert, E hat Vermächtnisse hinterlassen, welche bis auf 3000 Franken auch diese Pflichttheile in Anspruch nehmen, a hat das Recht, dass dieselben um 1000 Franken vermindert werden, so dass er den Pflichttheil von 3000 Franken unversehrt erhält, b hat dasselbe Recht. Aber c oder m können dasselbe nicht geltend machen. Daher werden die Vermächtnisse nur um 2000 Franken verkürzt. Der Erblasser konnte überdies ausdrücklich verordnen, dass die sämmtlichen Vermächtnisse zuerst von dem Pflichttheile des c abgezogen werden.

[Grafik]

1087. Wenn der Veräusserer einer zukünftigen Erbschaft vor dem Erblasser stirbt, so ist anzunehmen, es sei der Gegenstand der Veräusserung durch Zufall untergegangen, und die Erben des Veräusserers sind zu keinen weiteren Leistungen an die andere Vertragsperson verpflichtet.

1088. Eine Erbschaft oder ein Erbtheil als Ganzes oder eine Erbanwartschaft kann nicht Gegenstand eines Pfandrechtes sein.

Uebergangsbestimmungen.

1089. Die Vorschriften des Schweizerischen Obligationenrechtes gelten auch für die dem kantonalen Rechte unterworfenen Rechtsverhältnisse, soweit dieses Gesetzbuch darüber keine besonderen Bestimmungen enthält.

1090. Eine zur Zeit noch in Kraft bestehende freiwillige Pfandverschreibung, welche nicht unter § 403 fällt, erlischt schon vor dem in Art. 885 des Schweizerischen Obligationenrechtes bezeichneten Zeitpunkte, sofern der Gläubiger sie nicht jeweilen vor Ablauf der Jahresfrist, für welche sie bewilligt wurde, auf ein weiteres Jahr erneuern lässt. [p. 614]

1091. Die zur Zeit noch bestehenden generellen Pfandrechte erlöschen mit dem Ablaufe von sechs Monaten nach der Fälligkeit der Forderung beziehungsweise nach dem Zeitpunkte, auf welchen diese kündbar ist, und spätestens mit dem 31. Christmonat 1892, falls nicht schon vor diesem Tage entweder der Konkurs über den Schuldner eröffnet worden ist und in demselben die Realisirung des generellen Pfandrechtes durchgeführt wird, oder, wenn die Forderung streitig gemacht wurde, ihre gerichtliche Geltendmachung und Realisirung begonnen worden ist und ohne Verzug durchgeführt wird.

Der Inhaber einer solchen Forderung ist berechtigt, vom 1. Christmonat 1892 an, auch wenn letztere erst auf einen späteren Termin fällig oder kündbar ist, den Schuldner auf dem Wege des Rechtstriebes zur Bestellung anderer Sicherheit anzuhalten.

1092. Soweit die Bestimmungen dieses Gesetzbuches nicht bereits in Kraft stehen, treten sie mit dem 1. Jenner 1888 in Kraft.

Mit dem nämlichen Tage treten ausser Kraft:

a) alle in dieses Gesetzbuch nicht mehr aufgenommenen Bestimmungen des bisherigen privatrechtlichen Gesetzbuches für den Kanton Zürich;

b) alle diesem Gesetzbuche widersprechenden Bestimmungen zürcherischer Gesetze und Verordnungen, insbesondere:

die §§ 141, 146, 151, 155 bis 158 des Gesetzes betreffend das Konkursverfahren vom 29. Weinmonat 1871;

der erste Satz des § 20, Abs. 1 des Gesetzes betreffend Maassnahmen gegen die Reblaus vom 12. Brachmonat 1882;

der § 17 des Gesetzes über die Polizei an Sonn- und Festtagen, über die Wirtschaften und das Spielen vom 19. Christmonat 1839.

1093. Bis zum Inkrafttreten eines Bundesgesetzes betreffend die Schuldbetreibung und den Konkurs gelten die nachfolgenden Bestimmungen:

1094. Wer im Schuldbetreibungsverfahren zur Zahlung einer angeblichen, von ihm nicht anerkannten Schuld genöthigt worden ist, kann den bezahlten Betrag wieder zurückfordern, sofern er den Beweis leistet, dass er denselben nicht schuldig war. [p. 615]

Konkurs der Gläubiger.

1095. Wird wegen Insolvenz des Schuldners das Konkursverfahren eröffnet, so werden die sämmtlichen Gläubiger dieses Schuldners je nach der Klasse und dem Betrage ihrer Forderungen aus der Konkursmasse soweit befriedigt, als diese zureicht. Der Schuldner bleibt ihnen aber für den Rest haftbar.

1096. Ein Vorzugsrecht am ganzen Vermögen des Gemeinschuldners steht zu:

a) dem Vögtlinge für die aus der Vormundschaft herrührenden Forderungen an den Vormund, die Mitglieder der Vormundschaftsbehörden, den Familienvogt und dessen Garanten, und ebenso den noch unter Vormundschaft des Vaters stehenden Kindern für ihr von dem Vater verwaltetes Vermögen, im Konkurse dieser Personen;

b) der Ehefrau für ihre Weibergutsforderung im Konkurse des Ehemannes.

1097. An der vorhandenen fahrenden Habe des Gemeinschuldners besteht ein Vorzugsrecht:

a) zu Gunsten der Dienstboten für den laufenden und einen fälligen Halbjahrlohn;

b) für Arzt-, Apotheker-, Hebammen- und Thierarztkosten, welche ein Jahr von der Eröffnung des Konkurses rückwärts gerechnet dem Gemeinschuldner zur Last fallen, ebenso für die Beerdigungskosten, ferner für den laufenden und einen fälligen Halbjahrlohn der Schreiber, Kommis u. drgl., und ebenso für den ausstehenden Lohn der drei letzten Monate vor Eröffnung des Konkurses zu Gunsten der Gesellen, Fabrikarbeiter und Taglöhner gegenüber dem Dienstherrn;

c) zu Gunsten des Kostgebers für das Kostgeld der drei letzten Monate.

1098. Die Vorzugsrechte gehen sämmtlichen Pfandrechten nach. Sie werden nach folgenden Klassen geordnet:

a) Kostgeldforderungen nach § 1097 lit. c;

b) Lohn der Dienstboten (§ 1097 lit. a);

c) die übrigen auf die Fahrhabe verwiesenen privilegirten Forderungen (§ 1097 lit. b); [p. 616]

d) die Forderungen aus obrigkeitlicher, Familien- oder väterlicher Vormundschaft (§ 1096 lit. a);

e) die Weibergutsforderung (§ 1096 lit. b).

Vorzugsrechte der nämlichen Klasse stehen unter sich, ohne Rücksicht auf ihre Entstehungszeit, in gleichen Rechten.

1099. Durch die Eröffnung des Konkurses verliert der Gemeinschuldner die Verfügung über seine Güter, und es tritt eine öffentliche unter der Kontrole des Konkursgerichtes stehende Verwaltung derselben ein.

1100. Nach Ablauf der Frist zur Anmeldung der Ansprachen und vor der Vertheilung der Konkursmasse, beziehungsweise wenn nicht genügende Aktiven vorhanden sind, bis zur Erledigung des Konkurses ist dem Schuldner gestattet, mit den Gläubigern über einen Nachlassvertrag zu unterhandeln. Kommt dieser allseitig zu Stande, so wird das Konkursverfahren aufgehoben.

1101. Wenn die Mehrheit der Gläubiger, welche zugleich die Mehrheit der Forderungen repräsentirt, sich für die Grundlage und die Bedingungen des Nachlassvertrages erklärt hat, und dieselben überdies dem Konkursgerichte den Umständen gemäss und billig erscheinen, so ist die Minderheit gehalten, sich mit demselben ebenfalls zu befriedigen.

Dabei haben die Gläubiger nur insoweit ein Stimmrecht auszuüben, als ihre Forderungen nicht hinreichend gedeckt sind. Ein Streit darüber wird durch einfachen Beschluss des Konkursgerichtes erledigt.

1102. Wenn der Nachlassvertrag auf unredliche Weise zu Stande gekommen ist, z. B. indem Forderungen zustimmender Gläubiger zu diesem Behufe fingirt oder einzelne Gläubiger heimlicher Weise durch weitere Begünstigung vor den übrigen von Seite des Gemeinschuldners zur Zustimmung bewogen worden sind, so ist derselbe für die übrigen Gläubiger nicht verbindlich.

1103. Hat der Gemeinschuldner vor Eröffnung des Konkurses einen Gläubiger absichtlich durch Verschleppung, Veräusserung, Vernichtung von Aktiven oder durch in hohem Grade leichtsinnige Handlungen verkürzt oder ihn zu verkürzen versucht, so ist dieser nicht verpflichtet, einen Nachlassvertrag anzunehmen. [p. 617]

1104. Hat der Gemeinschuldner vor dem wirklichen Ausbruche des Konkurses in der Absicht, die Gläubiger zu schädigen, an einen Dritten, der davon wusste oder wissen musste, einzelne Vermögensbestandtheile veräussert, so sind die Gläubiger berechtigt, ein derartiges Rechtsgeschäft im Interesse der Konkursmasse nach Maassgabe des Konkursgesetzes anzufechten und die Rückerstattung selbst ohne Entgelt, wenn etwa der Schuldner den empfangenen Preis durchgebracht hat, zu begehren.

Schenkungen, welche der Gemeinschuldner zu einer Zeit gemacht hat, wo er den bevorstehenden Konkurs voraussehen konnte, können auch dann, soweit der Beschenkte bereichert ist, angefochten werden, wenn derselbe von jener Absicht des Gemeinschuldners nichts gewusst hat.

Das Gericht urtheilt in solchen Fällen nach freiem Ermessen in Berücksichtigung der vorliegenden Umstände.

1105. Wenn ein einzelner Gläubiger vor der formellen Insolvenzerklärung des Schuldners oder vor der Konkurseröffnung nur die Bezahlung seiner fälligen Schuldforderung empfangen hat und nichts darüber hinaus, so hat er auch dann gegenüber den übrigen Gläubigern nichts verschuldet, wenn er wusste, dass der Schuldner wahrscheinlich in naher Zeit in Konkurs gerathen werde.

Aber auch in diesem Falle tritt für den Schuldner die in § 1103 bezeichnete Folge ein, wenn vorliegt, dass er jenen Gläubiger vor anderen habe begünstigen wollen.

1106. Hat der Gemeinschuldner vor dem Ausbruche des Konkurses in der Absicht, die auf dem Wege des ordentlichen Rechtstriebes angedrohte Pfändung unwirksam zu machen durch Einräumung von Wechselrechten und des damit verbundenen schnellen Rechtstriebes oder auf andere ähnliche Weise einem anderen Gläubiger Deckung verschafft, so kann der Richter nach freiem Ermessen auch ein derartiges, den übrigen Gläubigern nachtheiliges Geschäft für ungültig erklären.

1107. Kommen dem Gemeinschuldner während des Konkurses neue Aktiven, z. B. eine Erbschaft zu, so sind dieselben von Amtes wegen zur Konkursmasse zu ziehen und zur Befriedigung der Gläubiger zu verwenden. [p. 618]

1108. Dagegen ist über Vermögen, welches erst nach Beendigung des Konkursverfahrens von dem Gemeinschuldner erworben oder bei ihm gefunden wird, nur auf bestimmtes Begehren eines zu Verlust gekommenen Gläubigers desselben Konkurs zu eröffnen. Der Gemeinschuldner kann überdies dadurch, dass er den Eröffnung des Konkurses verlangenden Gläubiger vor der Ausschreibung desselben befriedigt, den erneuerten Konkurs abwenden. Ausgenommen sind die Fälle, in denen sich ergibt, dass der Gemeinschuldner durch Verschleppung oder Verheimlichung von Vermögensbestandtheilen die frühere Konkursmasse beeinträchtigt hat.

Der Kantonsrath,

nach Einsicht eines Berichtes seines Büreau betreffend das Ergebniss der Volksabstimmung vom 4. September 1887 über das vorstehende Gesetz, wonach sich ergibt:

Zahl der Stimmberechtigten 75837
Eingegangene Stimmzeddel 53820

I. Privatrechtliches Gesetzbuch §§ 1–856, 858–1108.

Annehmende sind 31930
Verwerfende sind 11076
Ungültige Stimmen 43
Leere Stimmen 10771

II. Privatrechtliches Gesetzbuch § 857.

Annehmende sind 25251
Verwerfende sind 16236
Ungültige Stimmen 45
Leere Stimmen [p. 619] 12288

beschliesst:

Die Referendumsvorlage: Privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich

a) §§ 1–856, 858-1108,

b) § 857

ist als vom Volke angenommen erklärt.

Zürich, den 21. November 1887.

Im Namen des Kantonsrathes,

Der Präsident:

Dr. Hasler.

Der erste Sekretär:

J. Nussbaumer.