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Staatsarchiv des Kantons Zürich

Zentrale Serien seit 1803 online: Gesetzessammlung

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SignaturStAZH OS 2 (S. 263-280)
TitelGesetz betreffend die Stillstandsordnung.
Datum10.08.1832
P.263-280

[p. 263]

I. Bestand und Erwählung.

§. 1. Jede evangelisch reformirte Kirchgemeinde hat nach Art. 85. der Verfassung und Art. 67. des Gesetzes über die Organisation des Kirchenwesens einen ausschließlich aus reformirten Mitgliedern bestehenden Stillstand als kirchliche Aufsichts- und Verwaltungsbehörde.

In Bezug auf die Organisation der Stillstände für die Stadt Zürich und die dahin kirchgenössigen Gemeinden, so wie für Winterthur, wird ein besonderes Gesetz das Nöthige verfügen. Ebenso in Bezug auf die Stillstände der katholischen Gemeinden Dietikon und Rheinau.

§. 2. Er besteht nach Art. 68. des angeführten Gesetzes aus dem Pfarrer als dem Präsidenten, den übrigen an der Gemeinde angestellten Geistlichen, den Präsidenten der übrigen Gemeindebehörden, dem Gemeindammann oder den Gemeindammännern und einer auf Antrag des Stillstands und des oder der Gemeindräthe durch die Kirchgenossen zu bestimmenden Zahl von wenigstens vier Mitgliedern, von denen in jeder der besondern Civilgemeinden, oder, in Ermangelung von solchen, in jeder zu diesem Behuf mit Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und [p. 264] der Bevölkerung zu bildenden Gemeindsabtheilung wo möglich eines wohnhaft seyn soll.

Die angestellten Pfarrvicare haben da, wo sie nicht als Stellvertreter des Pfarrers das Präsidium führen, und die Capitels-Diakone in der Gemeinde des Capitels, in welcher sie wohnen, den Beysitz mit berathender Stimme. Der Stillstand wählt seinen Secretär in oder außer seiner Mitte.

§. 3. Die Mitglieder des Stillstandes von freyer Wahl werden von den nach Art. 22. der Verfassung stimmberechtigten reformirten Gemeindsbürgern und den auf Eigenthum in der Gemeinde wohnenden reformirten Ansäßen in einer von dem Präsidenten der politischen Gemeinde, in der die Kirche liegt, abzuhaltenden Kirchengemeindsversammlung durch geheimes absolutes Stimmenmehr auf eine Dauer von vier Jahren gewählt. Für jede einzelne Stelle ergeht eine eigene Wahl. Von den getroffenen Wahlen ist, nach Anerkennung ihrer Gültigkeit durch den Bezirksrath, der Bezirkskirchenpflege Kenntniß zu geben.

§. 4. Zur Wählbarkeit in den Stillstand wird das angetretene fünf und zwanzigste Altersjahr erfordert; bey der Wahl soll übrigens auf anerkannt fromme und rechtschaffene Männer gesehen werden. Jeder stimmberechtigte Kirchgenosse, der im Umfange der Gemeinde wohnhaft ist, ist wählbar und verpflichtet, für eine Amtsdauer eine auf ihn gefallene Wahl anzunehmen. Vorbehalten sind solche Ablehnungsgründe, welche von den obern Behörden für gültig anerkannt werden (Art. 91. der Verfassung).

Die Stelle eines Stillständers ist mit jeder andern [p. 265] Beamtung vereinbar; hingegen dürfen nicht gleichzeitig Vater und Sohn, Schwiegervater und Tochtermann oder zwey Brüder aus freyer Wahl Mitglieder dieser Behörde seyn.

Ueber bestrittene Wahlen hat der Bezirksrath zu entscheiden, mit Vorbehalt des Rekurses an den Regierungsrath.

§. 5. Die Mitglieder des Stillstandes treten von zwey zu zwey Jahren zur Hälfte in umgekehrter Ordnung ihrer Erwählung aus; die Abtretenden sind wieder wählbar. Eine in der Zwischenzeit erledigte Stelle ist beförderlich wieder zu besetzen; der Neugewählte tritt hinsichtlich seines Austrittes in die Stelle seines Vorgängers ein.

§. 6. Alle Mitglieder des Stillstandes haben gleiche Pflichten und auch gleiche Rechte.

§. 7. Alle Mitglieder des Stillstandes werden bey ihrem Eintritt in denselben vom Pfarrer in’s Gelübde genommen auf folgende an Eides Statt geltende Verpflichtung: «Wir Mitglieder des Stillstandes geloben feyerlich vor dem Allwissenden, die uns durch Verfassung und Gesetze übertragenen Pflichten gewissenhaft zu erfüllen, die Kirchen- und Armengüter treu zu verwalten, über die Jugend genaue Aufsicht zu halten, der Waisen, der Alten und der Gebrechlichen uns anzunehmen, dem Aergerniß und der Verführung nach Kräften zu steuern, in allen Fällen ohne Menschenfurcht wie ohne Leidenschaft, nach Misten und Gewissen zu reden, und zu verschweigen, wovon Nachtheil entstehen könnte, und überhaupt, so viel an uns liegt, Alles zu thun [p. 266] damit in der Gemeinde ein christlich-frommer Sinn und Wandel gepflegt und gefordert werde.»

§. 8. Um die Mitglieder des Stillstandes mit ihren Rechten und Pflichten bekannt zu machen, wird jedem nach seiner Erwählung ein Exemplar der Stillstandsordnung zugestellt.

II. Geschäftskreis.

§. 9. Der Stillstand berathet und besorgt die kirchlichen Angelegenheiten der Gemeinde; er trachtet, in derselben religiöses und sittliches Leben zu wecken und zu befördern; er vollzieht die kirchlichen Gesetze und die Verordnungen der Bezirkskirchenpflege und des Kirchenrathes.

§. 10. Ihm liegt die Sorge für Ordnung und Stille während des Gottesdienstes in der Kirche ob.

§. 11. Er hat die Pflicht, dem Pfarrer bey denjenigen kirchlichen Handlungen, bey denen er dessen bedarf, nahmentlich bey der Zudienung des heiligen Abendmahls, Hülfe zu leisten; er berathet alle auf Gottesverehrung, Sonn- und Festtagsfeyer und kirchlichen Jugendunterricht bezüglichen besondern Einrichtungen in Gemäßheit der allgemeinen kirchlichen Gesetze und Verordnungen.

§. 12. Er hat das Recht und die Pflicht, nach den hierüber zu erlassenden nähern Bestimmungen bey Visitationen sein Zeugniß über den Pfarrer sowohl, als über den kirchlich-sittlichen Zustand der Gemeinde abzulegen.

§. 13. Ihm steht die Aufsicht über anständige Unterhaltung der Kirchengebäude und der dazu gehörigen [p. 267] Umgebungen, so wie über die Beerdigungsplätze und deren Einschließung zu. Er wacht darüber, daß keine Leiche vor Verfluß einer vom Gesundheitsrathe zu bestimmenden Zeit begraben werde. Zur Aufstellung von Denkmählern auf den Beerdigungsplätzen ist die Bewilligung des Stillstands einzuhohlen.

§. 14. Der Stillstand hat das Recht, entweder aus sich selbst oder auf Anregung einzelner Gemeindsglieder oder der Gemeindsversammlung Anfragen, Wünsche und Anträge, die sich auf das Kirchenwesen im Allgemeinen oder auf die besondern Bedürfnisse der Gemeinde beziehen, zu behandeln, und wenn er die letzten für sich allein nicht erledigen kann, an die Bezirkskirchenpflege zu weisen.

Auch wird ihm auf eine noch näher zu bestimmende Weise von den Beschlüssen der Synode Kenntniß gegeben.

§. 15. Er übt die Sittenaufsicht aus über die Einwohner der Gemeinde. Er ist besonders auf dasjenige aufmerksam, was bey der Jugend und in den Haushaltungen zu Unsittlichkeiten oder zu Ausschweifungen führen könnte und sucht solchen Uebeln durch Belehrung vorzubeugen.

§. 16. Er wacht darüber, daß die Pflichten gegen Kranke, Betagte und Gebrechliche von denen, die deren Verpflegung übernommen haben, erfüllt werden und hat die Fehlbaren zu getreuer Erfüllung derselben zu ermahnen.

§. 17. Ihm steht es zu, diejenigen, welche sich eines unsittlichen Verhaltens schuldig machen, durch Belehrung auf die richtige Bahn zu weisen. [p. 268]

§. 18. Er stellt, wenn er von Behörden aufgefordert ist, nach bestem Wissen und Gewissen Zeugnisse über den sittlichen Charakter und Lebenswandel der Gemeindsgenossen aus.

§. 19. Er hat die Aufsicht über den kirchlichen Unterricht der Jugend. An ihn wendet sich der Pfarrer, wenn Eltern, Pflegeeltern und Meister die Kinder an fleißigem Besuche des Religionsunterrichtes und des Gottesdienstes hindern.

§. 20. Ueber vermögenslose Waisen, uneheliche Kinder und Kinder geschiedener Eheleute, und deren zweckmäßige Versorgung in sittlicher Beziehung hält er sorgfältige Aufsicht. Er setzt sich deßhalb nöthigen Falls mit den Waisenbehörden in Verbindung.

§. 21. In allen Ehesachen und Paternitätsklagen steht ihm unter Beobachtung des Art. 74. litt. a und b des Gesetzes über das Gerichtswesen im Allgemeinen die Einleitung und, wenn es nöthig ist, die Weisung an das Bezirksgericht zu.

§. 22. Alle Ehestreitigkeiten gehören, wenn die zuerst vom Pfarrer gemachten Aussöhnungsversuche fruchtlos geblieben sind, vor den Stillstand, welcher, wofern die Aussöhnung der streitenden Parteyen wünschbar erscheint, dieselben wieder zu vereinigen sucht.

§. 23. Wird eine Ehescheidung verlangt, so hat der Stillstand die durch die bestehenden Gesetze vorgeschriebenen Vermittelungsversuche im Sinne des Art. 22. vorzunehmen; wenn diese fruchtlos bleiben, hat er innerhalb 10 Tagen die Weisung an die Bezirkskirchenpflege und erst, wenn auch hier keine Aussöhnung erzweckt worden ist, an das Bezirksgericht zu machen. [p. 269]

§. 24. Dem Stillstand steht die Besorgung des Armenwesens der Kirchgemeinde zu, wobey ihn der Gemeindrath nach örtlichen Verhältnissen und Kräften unterstützen soll. Vorbehalten sind nach Art. 85. der Verfassung solche abgesonderte Verwaltungen, welche in Folge besonderer Verhältnisse vom Gesetze anerkannt sind. Nahmentlich mögen Gemeinden, welche ihre Armen durch Armenhäuser unterstützen, eine besondere Verwaltung ihres Armenwesens organisiren, doch nur unter Vorbehalt der Genehmigung des Regierungsrathes.

§. 25. Alle obrigkeitlich oder vom Stillstande selbst, im Vereine mit dem Gemeindrathe, angeordneten außerordentlichen Liebessteuern, seyen es Haus- oder Kirchensteuern, werden von dem Stillstande mit Hülfe des Gemeindrathes eingesammelt und an ihre Bestimmung abgegeben. Steuern, welche in die Gemeinden fließen, werden durch die vom Geber zu bestimmende Behörde, und, wo er diese Bestimmung unterläßt, vom vereinigten Stillstand und Gemeindrathe ausgetheilt.

§. 26. Der Stillstand verwaltet unter Verantwortlichkeit das Kirchen- und das Armengut. In den Gemeinden, wo nach Art. 24. besondere Armenverwaltungen bestehen, wird das Armengut durch dieselben besorgt.

III. Geschäftsordnung.

Versammlungen des Stillstandes.

§. 27. Der Stillstand versammelt sich in der Regel Ein Mahl monathlich, außerordentlich, so oft [p. 270] es die Geschäfte erfordern, und in diesem Fall auf besondere Einladung des Präsidenten. Den Ort der Zusammenkunft bestimmt der Stillstand.

§. 28. Zur Gültigkeit eines Beschlusses wird die Anwesenheit der Mehrzahl der Mitglieder erfordert. Nur in dringlichen Fällen können von einem Dritttheil der Mitglieder, unter dem Vorsitz des Präsidenten, Verfügungen getroffen werden, welche aber in der nächsten Gesammtsitzung zur Genehmigung vorzulegen sind.

Den Stillständen in größern Gemeinden steht es frey, einen engern Ausschuß aus ihrer Mitte theils zur Vorberathung, theils zur Behandlung besonders dringender Geschäfte zu wählen. Dieser darf indeß kein Fach sich ausschließend zueignen, sondern hat über alles, mittelst Vorlegung seines Protokolls, dem gesammten Stillstände Bericht zu erstatten.

§. 29. Ohne dringende Gründe darf kein Mitglied aus einer Sitzung wegbleiben. Wenn ein Mitglied ohne solche sich längere Zeit hindurch im Besuche der Sitzungen nachlässig erzeigt, so liegt erst dem Präsidenten, und nach dessen fruchtloser Warnung dem Stillstände selbst die Pflicht ob, dasselbe zu regelmäßigerm Erscheinen aufzufordern.

B. Präsidium.

§. 30. Nach Art. 68. des Gesetzes über die Organisation des Kirchenwesens führt der Pfarrer das Präsidium, oder an seiner Stelle der ordentliche Pfarrvicar. Seinen Vicepräsidenten wählt der Stillstand selbst durch geheimes absolutes Stimmenmehr. [p. 271]

§. 31. Der Präsident eröffnet die Sitzungen, legt die zu behandelnden Geschäfte vor, leitet den Gang der Berathungen, und wacht über die Beobachtung der Geschäftsordnung. Er hat das Pfarrarchiv in seiner Verwahrung.

Präsidialverfügungen sind in der nächsten Sitzung der Genehmigung des Stillstandes zu unterwerfen.

Wo das Secretariat nicht dem Präsidenten übertragen ist, hat auch der letztere alle Ausfertigungen zu unterzeichnen.

C. Behandlung der Geschäfte,

a) Im Allgemeinen.

§. 32. In jeder Sitzung wird das Protokoll der vorhergehenden verlesen. Alsdann legt der Präsident den Gegenstand der Berathung vor.

Hierauf fragt er ein ihm beliebiges Mitglied um die erste Meinung an; die weitere Berathung findet mittelst der Umfrage der linken Hand nach Statt. Hat die erste Meinung keinen Widerspruch gefunden, so bezeichnet der Präsident dieselbe einfach als den Beschluß der Behörde. Im entgegengesetzten Falle wird der zweyte Rathschlag vermittelst des freyen Wortbegehrens eröffnet, und, wenn die Meinungen sich noch nicht vereinigen, das in Anfrage stehende Mitglied aufgefordert, einen Antrag zu stellen. Erfolgen Gegenanträge, so wird abgestimmt. Der Präsident kann keine Anträge stellen, und stimmt nur bey gleichgetheilten Stimmen. In allen Beschlüssen, welche in der Competenz des Stillstandes liegen, hat sich die Minderheit der Mehrheit zu unterziehen. [p. 272]

Ist der Gegenstand nicht genug erläutert, so kann die Berathung vertaget oder die genauere Prüfung und Vorberathung einer durch offenes oder geheimes und absolutes Mehr zu bestellenden Commission übergeben werden, welche in möglichst kurzer Frist ihr Gutachten vorzulegen hat.

§. 33. Sobald ein Gegenstand vom Präsidium zur Berathung vorgelegt wird, sollen diejenigen Mitglieder, welche gesetzlich im Ausstande sind, abtreten.

§. 34. Am Ende jeder Sitzung wird angefragt, ob noch jemand etwas vorzutragen habe. Doch soll über wichtigere Gegenstände nicht sogleich eingetreten werden, wenn nicht dem Präsidenten vorher davon Anzeige gemacht worden ist, es wäre denn, daß die Behandlung für dringlich erklärt würde.

b) Im Besondern.

§. 35. Zur Handhabung der kirchlichen Ordnung (nach Art. 10.) halten diejenigen Mitglieder des Stillstandes, die nicht durch besondere Verrichtungen bey’m Gottesdienste davon ausgenommen sind, nach einer bestimmten Kehrordnung allsonntäglich während des Gottesdienstes die Aufsicht. Ebenso bestellt der Stillstand für die Kinderlehre eine regelmäßige Aufsicht.

§. 36. In Sachen, welche das Kirchliche betreffen, nahmentlich in der äußern Anordnung und Verwaltung des öffentlichen Gottesdienstes, soll von Seite des Pfarrers nichts Wesentliches verändert werden, ohne daß das Gutachten des Stillstandes darüber ein- [p. 273] gehohlt worden sey. Erhebt sich beharrlicher Widerspruch, so wird die Sache an die Bezirkskirchenpflege gewiesen.

§. 37. Zu Handhabung der dem Stillstand zustehenden Sittenaufsicht (Art. 15. u. 17.) wird jedem Stillständer eine besondere Abtheilung der Gemeinde, wo möglich diejenige, in welcher er wohnt, zu näherer Beaufsichtigung angewiesen.

§. 38. Personen, die sich in sittlicher Beziehung verfehlt haben (Art. 17.) und Uebertreter der kirchlichen Ordnung, die entweder von einem Gerichte zur Stellung vor den Stillstand verfällt, oder von diesem selbst, nach vorhergegangener fruchtloser Erinnerung durch den Pfarrer, zur Zurechtweisung vorbeschieden werden, sollen auf Citation von Seite des Pfarrers erscheinen.

Der Zweck ist kein anderer, als durch sittliche und religiöse Vorstellungen auf Besserung des Fehlbaren einzuwirken. Der Pfarrer hält die Anrede und fragt dann, ob noch jemand etwas beyfügen wolle. Der Sprechende soll alles vermeiden, was dem Zweck der Besserung zuwider ist.

§. 39. Eltern, Pflegeeltern, Vormünder und Meister, die ihre eigenen oder ihnen anvertraute Kinder in Absicht auf den öffentlichen Religionsunterricht vernachlässigen, sind zuerst vom Pfarrer, dann vom Stillstand zurechtzuweisen und, wenn dieses fruchtlos bleibt, nach Art. 50. des Gesetzes über die Organisation des Kirchenwesens, der Bezirkskirchenpflege zu verzeigen. [p. 274]

§. 40. Um die Erziehung der durch den Stillstand versorgten Waisen, unehelicher Kinder und der Kinder geschiedener Eheleute desto besser zu besorgen, wird jedes derselben unter besondere Aufsicht eines einzelnen Mitgliedes gestellt, welches halbjährlich oder in dringenden Fällen sogleich einen Bericht über seine Beobachtungen dem Stillstände zu erstatten hat.

§. 41. Wenn eine außerehelicher Schwangerschaft verdächtigte Person solche vor Pfarrer und Stillstand läugnet, so hat dieser nach Art. 78. des Gesetzes über das Gerichtswesen dem Statthalter Anzeige davon zu machen.

§. 42. Werden gegen Schließung oder Vollziehung von Eheversprechen Einwendungen gemacht, so ist die Protestation bey’m Stillstande, und wenn keine Vermittelung möglich ist, durch denselben bey’m Bezirksgerichte anhängig zu machen.

§. 43. Jede Paternitätsklage gegen einen Cantonsbürger wird bey dem Pfarramte und Stillstand der Klägerinn anhängig gemacht. Ersteres macht dem Pfarramte des Beklagten schriftliche Anzeige, und wenn dieser die Ehe nicht vollziehen will, so wird die Klage von dem Stillstände der Klägerinn unmittelbar an das Bezirksgericht, in dessen Kreise der Beklagte wohnt, gewiesen. Ist der Beklagte ein im hiesigen Canton nicht Verbürgerter, so geht die pfarramtliche Weisung an das hierseitige Bezirksgericht, in dessen Kreise die Klägerinn verbürgtet ist.

§. 44. Streitige Eheleute werden (laut Art. 22. und 23.) zuerst vom Pfarramte allein, dann nöthigen Falles nach Verfluß von wenigstens drey Wochen von [p. 275] demselben, mit Zuzug von zwey Stillständern, wieder zusammen gewiesen. Wenn dieses fruchtlos geblieben, werden die Parteyen nach Ablauf von vierzehn Tagen vor den ganzen Stillstand ihrer Aufenthaltsgemeinde gewiesen und ernstlich zur Aussöhnung ermahnet; von dem Ergebnisse soll jedenfalls dem Stillstand der Heimathsgemeinde Kenntniß gegeben werden. Bleibt auch dieses ohne Erfolg, so wird nach Verfluß von höchstens 10 Tagen die Sache an die Kirchenpflege des Bezirkes, in welchem die Eheleute wohnhaft sind, gewiesen.

§. 45. Bey der Besorgung des Armenwesens (Art. 24.) soll die Armenbehörde darauf bedacht seyn, daß auch die Ursachen der Armuth aufgesucht und so viel möglich beseitigt, daß zu dem Ende hin die Unterstützungen möglichst an die Selbstthätigkeit der Armen geknüpft werden.

§. 46. Wenn Arme für sich oder ihre Haushaltungen directe Unterstützung genossen haben, so hat die Armenbehörde das Recht, auf die Hinterlassenschaft der Unterstützten oder ihnen zufallende Erbschaften Regreß zu nehmen und Wiedererstattung zu fordern.

§. 47. Er hat das Recht, liederliche Personen nach wirderhohlter, fruchtloser Zurechtweisung dem Gemeindrathe zu verzeigen, damit derselbe gutfindenden Falles die Bevogtigung verlangen kann.

§. 48. Er ist verpflichtet, Eltern, welche ihre Kinder vernachlässigen und sie zum Bettel anziehen, vor den Stillstand zu berufen, um ihnen gehörige Vorstellungen zu machen. [p. 276]

§. 49. Dem Ortsstillständer liegt es ob, vorzüglich auf die Armen in seinem Aufsichtskreise in jeder Beziehung ein aufmerksames Auge zu richten und seine Beobachtungen von Zeit zu Zeit dem Stillstände oder in dringenden Fällen dem Pfarrer mitzutheilen. Diesem wird er auch Kenntniß geben von den Kranken, die sich in seinem Kreise befinden.

§. 50. Empfehlungen an den Armenarzt werden vom Pfarrer schriftlich ertheilt, welcher in allen Fällen dem Stillstande davon Anzeige zu machen und in zweifelhaften Fällen ihn um seine Zustimmung zu befragen hat. Von dem Stillstande müssen auch die Empfehlungen an die Spitalpflege ausgehen.

§. 51. Die Versorgung unehelicher, verwaiseter oder verwahrloseter Kinder soll von Seite des Stillstandes mit möglichster Vorsicht bey den zutrauenswürdigsten Personen geschehen. Jeder Tractat wird in der Regel nur auf ein Jahr geschlossen, auch keine Vertischgeldung erneuert, kein Tischgeld ausbezahlt, bis von dem mit der speciellen Aufsicht über das Kind beauftragten Stillständer über Unterhalt, Erziehung und Behandlung desselben befriedigender Bericht erstattet ist.

§. 52. Vom Armenpfleger ist jährlich bey Abnahme der Rechnung der Armenrodel dem Stillstande zur Revision vorzulegen; auch soll ein Verzeichniß über die almosengenössigen Familien und Individuen geführt und alljährlich, mit Hinweisung auf die Rechnungen, die denselben verabfolgte Unterstützung unter ihrem Titel eingetragen werden.

§. 53. Wenn Arme eine bleibende Unterstützung [p. 277] verlangen, so sollen sie persönlich vordem Stillstände sich anmelden, wenn dieser es fordert.

§. 54. Hülfsbedürftige Ansaßen werden von dem Stillstande oder Pfarramte ihres Wohnortes an ihren heimathlichen Stillstand zur Unterstützung empfohlen.

§. 55. Die Gemeindräthe sind verpflichtet, vom Eintritte ganzer Haushaltungen oder einzelner Personen den Pfarrämtern spätestens binnen Monathsfrist Anzeige zu machen und die Taufscheine der betreffenden Personen zur Einsicht beyzulegen. Die Pfarrämter haben nach genommener Einsicht dieselben zurück zu geben, und die Nahmen der betreffenden Personen in ein besonderes Ansäßenverzeichniß einzutragen.

§. 56. Die specielle ökonomische Verwaltung des Kirchen- und des Armenguts überträgt der Stillstand, mit Vorbehalt der Art. 24. und 26. bezeichneten Ausnahmen, einem Kirchen- und einem Armenpfleger, welche als seine Beauftragte von ihm selbst aus seiner Mitte gewählt werden. Jeder stellt zwey annehmbare Bürgen, welche nach einem zu entwerfenden Formulare Bürgschaftsscheine einzulegen haben.

§. 57. Die Capitalbriefe, Urbarien, Bürgschaftsscheine und andere bedeutende Schriften des Kirchen- und des Armengutes sollen nebst einem genauen, von dem Pfleger zu verfertigenden und fortzusetzenden, Verzeichniß in einer Lade mit ungleichen Schlössern, deren Schlüssel in verschiedenen Handen, einer aber immer in der Hand des Präsidenten, liegen müssen, verwahrt werden. Die Pfleger haben zu jeder neuen Anleihung oder Pfandänderung die Genehmigung des Stillstandes einzuhohlen. [p. 278]

§. 58. Der Kirchenpfleger hat die Pflicht, über die Baulichkeit der unter kirchlicher Verwaltung stehenden Gebäude die nächste Aufsicht zu halten, alles dahin Gehörige unverweilt dem Stillstande anzuzeigen und seine Weisung einzuhohlen, oder, wenn es in seiner Competenz liegt, sogleich zu besorgen. Ueber größere Reparaturen, neue Bauten und Hauptveränderungen an den unter kirchlicher Verwaltung stehenden Gebäuden hat der Stillstand der Kirchgemeindsversammlung sein motivirtes Gutachten vorzulegen und ihre Einwilligung zu gewärtigen.

§. 59. Der Kirchenpfleger führt über alle der Kirche gehörenden Geräthschaften, Mobilien und Vorräthe ein genaues und sorgfältig fortzuführendes Verzeichniß, welches er jährlich bey Abnahme der Kirchenrechnung dem Stillstande vorzulegen hat.

§. 60. Alljährlich haben die Kirchen- und Armenpfleger über die Einnahmen und Ausgaben eine Rechnung im Doppel zu stellen, welche der Stillstand nach geschehener Voruntersuchung durch eine Commission aus seiner Mitte, in Abstand des Pflegers, genau prüft und mit den Belegen vergleicht. Im Falle des Richtigbefindens sollen die Rechnungen, im Nahmen des Stillstandes unterschrieben, vierzehn Tage lang sämmtlichen Antheilhabern zur Einsicht offen liegen und hernach der Kirchgemeinde zur Abnahme vorgelegt werden. Rücksichtlich der Armenrechnungen sind die Bestimmungen der Art. 21. und 26. vorbehalten. Nach ersetzter Abnahme, Verabscheidung und Unterzeichnung wird dieselbe dem Bezirksrathe zur Ratification eingesandt, nach ihrer Rückkunft aber in das Archiv niedergelegt. [p. 279]

D. Bedienung.

§. 61. Der Stillstand wählt seinen Abwart auf ein Jahr mit Wiederwählbarkeit. Derselbe soll den Parteyen biethen und überhaupt alle Aufträge des Präsidenten im Nahmen der Behörde mit Treue und Verschwiegenheit vollziehen.

IV. Aeußere Stellung des Stillstandes.

§. 62. In allen kirchlichen Angelegenheiten steht der Stillstand unter der Bezirkskirchenpflege; in Sachen, welche die Oekonomie des Kirchen- und Armengutes angehen, unter dem Bezirksrathe; in polizeylichen Fällen hat er sich an den betreffenden Gemeindammann oder den Statthalter zu wenden.

Anstände und Competenz-Streitigkeiten zwischen Stillstand und Gemeindrath gehören vor den Bezirksrath.

§. 63. Wenn jemand dem Stillstände den schuldigen Gehorsam nicht leistet oder sonst Anstand und Pflicht gegen die Behörde verletzt, so wird der betreffende Vollziehungsbeamtete auf Anzeige hin den Fehlbaren gerichtlich belangen.

Zürich, den 10. Augstmonath 1832.

Im Nahmen des Großen Rathes:

Der Präsident,

Dr. F. L. Keller.

Der zweyte Secretär,

Nüscheler. [p. 280]

Wir Bürgermeister und Regierungsrath des Standes Zürich haben zum Behuf der Vollziehung des vorstehenden Gesetzes verordnet:

Dieses Gesetz soll gedruckt und den betreffenden Behörden zugestellt werden.

Also beschlossen Donnerstags den 16. Augstmonath 1832.

Der Amtsbürgermeister,

Hirzel.

Der erste Staatsschreiber.

Hottinger.