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Staatsarchiv des Kantons Zürich

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SignaturStAZH OS 3 (S. 370-376)
TitelGesetz betreffend Verwandlung von Strafen, welche durch rechtskräftige Urtheile festgesetzt sind.
Datum26.01.1835
P.370-376

[p. 370]

Der Große Rath,

in Berücksichtigung der Nothwendigkeit, über die durch bestehende Uebung den Gerichten theilweise bereits eingeräumte Befugniß, in gewissen Fällen durch rechtskräftige richterliche Urtheile verhängte Strafen abzuändern, genauere Bestimmungen zu erlassen, durch welche, bis zur Erscheinung eines Strafgesetzbuches für den hiesigen Canton, in das dießfällige Verfahren der Gerichte die erforderliche Uebereinstimmung gebracht werde,

beschließt:

§. 1. Alle in Rechtskraft erwachsenen Strafurtheile sollen in der Regel sowohl mit Hinsicht auf die Dauer als die Beschaffenheit der durch dieselben verhängten Strafen genau vollzogen werden, wofür die mit der Vollziehung beauftragten Beamten verantwortlich sind.

§. 2. Von dieser Regel ist einzig abzuweichen:

a) wenn die Vollziehung der betreffenden Strafe unmöglich wird;

b) wenn durch das, nach Ausfällung des Strafurtheiles stattfindende Eintreten von Umständen, welche der Richter nicht vorhersah, bewirkt würde, daß die Strafe ein größeres Uebel für den zu Bestrafenden enthielte, als denselben [p. 371] nach der Absicht des urtheilenden Gerichtes treffen sollte;

c) in dem Art. 9. bezeichneten Falle.

§. 3. Zu den Fällen von a. b. kann nämlich Verwandlung der ganzen durch das Urtheil ausgesprochenen Strafe, oder eines noch nicht vollzogenen Theiles derselben, in eine andere Strafe Statt finden; so jedoch, daß letztere ein möglichst gleiches Maß von Uebel für den zu Bestrafenden enthalte, wie durch das ursprüngliche Strafurtheil bezweckt wurde.

§. 4. Dem Ermessen des über die Verwandlung entscheidenden Gerichtes ist es zwar im Allgemeinen überlassen, welche Art von Strafe und in welchem Grade sie, in Anwendung des in dem vorhergehenden Art. aufgestellten Grundsatzes, an die Stelle des aufgehobenen Strafübels treten solle, jedoch sind dabey folgende Vorschriften zu beobachten:

a) besteht das an die Stelle des aufgehobenen zu setzende neue Strafübel in Verweisung aus dem Canton (die gegen Cantonsangehörige nur da ausgesprochen werden mag, wo der Richter Gewißheit erhält, daß der Verurtheilte im Stande sey, sich außer dem Canton auf rechtliche Weise durchzubringen), so soll sie das Doppelte des Gefängnisses, das Dreyfache des Zuchthauses, und das Vierfache der Kettenstrafe, die dem Verurtheilten erlassen werden, betragen;

b) das nämliche Verhältniß soll bey Anwendung der Strafe der Eingrenzung beobachtet, werden; [p. 372]

c) auf Verweisung aus dem Bezirke oder der Gemeinde darf Behufs der Strafverwandlung niemals erkannt werden;

d) tritt Nothwendigkeit der Verwandlung einer Geldbuße ein, so soll an die Stelle derselben auf je 2–4 Frk. 1 Tag Gefängniß kommen und dieses Verhältniß auch im umgekehrten Falle, wenn nämlich Gefängniß in Geldbuße zu verwandeln ist, beobachtet werden.

§. 5. Das Begehren um Strafverwandlung aus den Art. 2. a. b. bezeichneten Gründen, kann entweder von dem Verurtheilten, oder einer in seinem Auftrage handelnden Person, oder von der Aufsichtsbehörde der betreffenden Strafanstalt gestellt werden, und ist schriftlich, mit den nöthigen Belegen begleitet, dem Statthalter, wofern das Straferkenntniß von einem Zunftgerichte oder Bezirksgerichte ausging, dem Staatsanwalde aber, wenn die urtheilende Behörde das Criminalgericht oder das Obergericht war, einzureichen. Der Vollziehungsbeamte hat dasselbe sodann mit seinem ebenfalls schriftlichen Antrage an dasjenige Gericht zu überweisen, durch welches das in Rechtskraft erwachsene Strafurtheil ausgefällt wurde. Das Gericht entscheidet über das Begehren durch Gerichtsbeschluß, gegen den, mit Ausnahme der obergerichtlichen Beschlüsse, den Petenten sowohl als dem Vollziehungsbeamten Recurs an die obere Justizbehörde zusteht.

§. 6. Wenn nicht von dem Vollziehungsbeamten recurrirt wird, so kann die durch das untere [p. 373] Gericht ausgesprochene Strafverwandlung durch die Recursbehörde nicht verschärft werden.

§. 7. Wird Las Begehren um Strafverwandlung gestellt, noch ehe die Vollziehung der Strafe begonnen hat, so soll der Vollziehungsbeamte in dem Art. 2. b. bezeichneten Falle nur dann diese Vollziehung bis zur Entscheidung des Gerichtes verschieben, wenn schon ihr Anfang die zu vermeidenden Nachtheile für den Sträfling nach sich ziehen würde. Von einer solchen Verschiebung ist dem zunächst vorgesetzten Vollziehungsbeamten Anzeige zu machen.

§. 8. Bey Geldstrafen, deren Bezug den Gerichts-Kanzleyen zusteht, erkennt das Gericht über eine allfällige Strafverwandlung, nach bisheriger Uebung, auf den Bericht seiner Kanzley.

§. 9. Auch Wohlverhalten eines Sträflings während der Dauer der Strafzeit berechtigt zur Strafverwandlung, sofern nämlich theils das Benehmen des Sträflings, theils die bereits von ihm ausgehaltene Strafe annehmen lassen, daß der Zweck der Strafe, sowohl in so weit er in der bürgerlichen Besserung des Bestraften als in der Abschreckung Anderer besteht, im Wesentlichen erreicht sey.

§. 10. Eine Strafverwandlung kann daher aus diesem Grunde nur dann eintreten, wenn

a) der Sträfling zu Ketten-, Zuchthaus- oder Gefängnißstrafe verurtheilt war; [p. 374]

b) derselbe, in so fern er zu lebenslänglicher Freyheitsstrafe verurtheilt war, wenigstens 16 Jahre, bey zeitiger Freyheitsstrafe wenigstens Zweydrittheile seiner Strafe erstanden hat, welche indessen minder nicht als ein Jahr betragen dürfen;

c) mit hinreichendem Grunde sich annehmen läßt, daß er, wenn er aus dem Gefängnisse entlassen werden sollte, sowohl den Willen als die Mittel habe, auf rechtliche Weise sein Auskommen zu finden.

§. 11. Die an die Stelle der erlassenen Freyheitsstrafe zu setzenden Strafarten sind, Verweisung aus dem Canton (unter der Art. 4. a. angeführten Beschränkung) oder Eingrenzung, die jedoch mindestens die Dauer der aufgehobenen Strafe haben sollen; auch ist in diesem Falle die Eingrenzung stets mit Einstellung in der Ausübung des Activbürgerrechtes, wenn diese oder die Entsetzung vom Activbürgerrechte nicht schon durch das Strafurtheil verfügt wurden, zu verbinden.

§. 12. Mit Beobachtung der in dem vorhergehenden Art. bestimmten Grenzen, ist auch hier dem Ermessen des Richters, wenn er das Begehren um Strafverwandlung überhaupt für zulässig hält, die Bestimmung der Art und der Dauer der an die Stelle der ursprünglichen tretenden Strafe überlassen. Er wird dabey vorzüglich theils die Beschaffenheit der zu erlassenden Strafe, ob sie nämlich Ketten-, Zuchthaus- oder bloße Gefängniß- [p. 375] strafe sey, theils die bisherige Aufführung des Sträflings und die darauf zu stützenden Erwartungen für sein künftiges Benehmen berücksichtigen.

§. 13. Begehren um Strafverwandlung wegen Wohlverhaltens können einzig von der Aufsichtsbehörde der betreffenden Strafanstalt gestellt werden, und sollen zugleich einen genauen Bericht über Nahmen, Alter, Stand u. dergl. des Sträflings über sein Benehmen während seines Aufenthaltes in der Strafanstalt, über die Mittel, durch welche derselbe nach seiner Entlassung sein Aufkommen finden könnte, enthalten. Auch sollen diesem Berichte Protocolls-Auszüge über alle Straferkenntnisse, welche von der Aufsichtsbehörde gegen den Sträfling ausgefällt wurden, so wie Zeugnisse derjenigen Personen beygefügt seyn, denen die unmittelbare Beaufsichtigung des Sträflings oblag. Diese Zeugnisse sind von Zeit zu Zeit, in Zwischenräumen von höchstens einem Jahre, an die Aufsichtsbehörde abzugeben. Der Regierungsrath hat für eine Einrichtung, durch welche regelmäßige Abgabe derselben bewirkt wird, Vorsorge zu treffen. Für die Zeit bis zur Erlassung gegenwärtigen Gesetzes können die Gerichte diese Zeugnisse nicht fordern. Im übrigen ist das Verfahren betreffend Begehren um Strafverwandlung wegen Wohlverhaltens das Art. 5–7. Vorgeschriebene.

§. 14. Ueber Abweichungen von der gewöhnlichen Behandlungsweise der Sträflinge, welche durch vorübergehende Ursachen, wie Krankheit u. dergl., [p. 376] nothwendig gemacht werden, haben, wie bisher, die Vollziehungsbehörden zu entscheiden.

Zürich, den 26. Jenner 1835.

Im Nahmen des Großen Rathes:

Der Präsident,

Dr. F. L. Keller.

Der zweyte Secretär,

Nüscheler.

Wir Bürgermeister und Regierungsrath des Standes Zürich haben zum Behuf der Vollziehung des vorstehenden Gesetzes verordnet:

Dieses Gesetz soll den betreffenden Behörden zugestellt und sowohl in die Gesetzessammlung als in das Amtsblatt aufgenommen werden.

Also beschlossen Dienstags den 3. Hornung 1835.

Der Amtsbürgermeister,

J. J. Heß.

Der dritte Staatsschreiber,

Meyer von Knonau.