Signatur | StAZH MM 1.11 RRB 1804/2008 |
Titel | Weisung und Gesezesvorschlag, betreffend die Einrichtung des Advocatur-Wesens im Canton Zürich. |
Datum | 07.12.1804 |
P. | 1–10 |
[p. 1] Der bereits gestern ablesend angehörte, von der Justiz- und Polizei-Commißion [in Folge erhaltenen Auftrags vom 19ten Januarii a. c.] unterm 30ten November hinterbrachte Entwurf einer gesezlichen Verordnung über das Advocatur-wesen im Canton Zürich, – wurde articulatim in Berathung genommen, und demnach beschloßen, dem Kleinen Rath dießfalls die nachstehende Weisung und Gesetzes-vorschlag zu hinterbringen:
Weisung.
Theils dem Beyspiel mehrerer anderer Lobl. Stände gemäß, theils durch vielfältige Erfahrungen der leztverfloßenen Jahre von den traurigen Folgen einer ganz frey gegebenen Ausübung des Advocatenberufs überzeugt, – hat der Kleine Rath bereits vor geraumer Zeit diesen wichtigen Gegenstand in’s Auge gefaßt, durch seine Justiz- und Polizei-Commißion den sorgfältigen Entwurf einer gesetzlichen Verordnung über das Advocaturwesen ausarbeiten laßen, und auf dieses Fundament hin, eine eigene reiffliche Berathung über den betreffenden Gegenstand gepflogen, deren Resultat dem Großen Rath in beyliegendem Gesetzesvorschlag zur Annahme oder Verwerfung geziemend vorgelegt wird.
Gesetzes-Vorschlag betreffend die Einrichtung des Advocatur-Wesens im Canton Zürich.
Da eine mehrjährige traurige Erfahrung gezeigt hat, daß die unbeschränkte Freyheit, den Beruf eines Anwaldes oder Advocaten, ohne bestimmte Vorschrift, treiben zu können, – weit entfernt, die Führung der Rechtshändel sicherer und weniger kostbar zu machen, – vielmehr die Prozeße vervielfältiget, unerfahrne Leute oft in gros-[p. 2] sen Verlurst bringt, und überhaupt für das rechtsbedürftige Publikum die nachtheiligsten Folgen erzeugt, – so haben wir nothwendig erachtet, über diesen Gegenstand folgende Verordnung zu machen:
Von den Rechtsanwälten überhaupt.
§ 1
Es bleibt jedermann freygestellt, vor allen Tribunalien und Behörden des Cantons seine eigenen Rechts-Angelegenheiten mündlich und schriftlich selbst zu verfechten. Nur vor dem Obergericht, dem Ehegericht und den Bezirksgerichten kann man sich hierzu auch eines Rechts-Anwaldes, nach näherer Anleitung gegenwärtiger Verordnung, bedienen. Vor den Zunftgerichten hingegen bleibt der Gebrauch eines solchen Anwaldes gänzlich untersagt.
§ 2
Nur den obrigkeitlich geordneten Rechts-Anwälden ist die Betreibung eigentlicher Advocatur-Geschäfte gestattet.
§ 3
Alle Rechts-Anwälde des Cantons Zürich sind in Fürsprecher und Procuratoren abgetheilt. Außer diesen sollen keine weiteren Beyständer geduldet werden.
§ 4
Sämmtliche Anwälde sollen der Cantonsregierung Treu und Wahrheit leisten, und sich dazu, sowie zu Erfüllung ihrer wichtigen Pflichten überhaupt, durch einen besondern Eyd verpflichten.
§ 5
Sie sollen niemals wißentlich eine ungerechte und schändliche Handlung verfechten.
§ 6
Ihre Partheyen, sowohl beym Beginnen der Prozeße, als im Lauf derselben, gewißenhaft und mit möglichstem Fleiß berathen.
§ 7
Sich der freundlichen Beseitigung der Rechtshändel keineswegs widersezen, sondern solche vielmehr aufrichtig beförderen.[p. 3]
§ 8
Alle unnöthigen Beyhändel und Nebenfragen möglichst hindern, auch in ihren mündlichen und schriftlichen Vorträgen überflüßige Weitläufigkeiten vermeiden.
§ 9
Bey Führung ihrer Rechtshändel nur erlaubte Rechtsmittel gebrauchen, demnach sich aller persönlichen Verunglimpfungen, beschimpfenden Stichelreden und heimlichen Empfehlungen enthalten.
§ 10
In allen ihren Vorträgen den gehörigen Anstand und die schuldige Achtung gegen die richterlichen Behörden beobachten.
§ 11
Dem vorgeschriebenen Tarif sich unterziehen, von ihren Clienten niemals ein Mehreres fordern, als der Tarif bestimmt, auch getreulich in jedem einzugebenden Kosten-Verzeichniß nur das Empfangene oder Ausgegebene ansezen.
§ 12
Keine Rechtshändel kaufen, oder für einen bestimmten Antheil an dem streitigen Gegenstand übernehmen.
§ 13
Von einer Gegenparthey, ihren Verwandten und Freunden, oder zu ihrem Vortheil, weder Geld, Geschenke, noch sonst einiges Anerbieten für sich oder die Ihrigen annehmen, und eben so wenig zum Vortheil ihrer eignen Parthey solche Bestechungs-Versuche machen.
§ 14
Alle Gerichtsstellen, Vollziehungs-Beamtete, Canzleyen, und die Anwälde selbst, haben die nähere und bestimmte Pflicht, darauf zu achten, ob irgend ein Anwald gegen obige allgemeine Pflichtordnung und seinen Eyd sich verfehle, und sobald sie von einem solchen Vergehen Kenntniß bekommen, solches der Justizcommißion unverweilt anzuzeigen. Auch die Partheyen selbst sind zu[p. 4] einer solchen Anzeige berechtigt.
§ 15
Sobald die Justizcommißion eine Anzeige von dieser Art erhalten hat, wird sie aus Amtspflicht die Thatsache möglichst zu erwahren trachten, und dem betreffenden Anwald seine Vertheidigung abfordern.
§ 16
Kann der Angeschuldigte sich nicht befriedigend rechtfertigen, so überweist die Justizcommißion die Anklage, nebst allen dazu gehörigen Acten, zu näherer Untersuchung und angemeßener Beurtheilung dem Obergericht, welches einen erweislichen Übertretter seiner beschworenen Eydespflichten nach Gebühr zu bestrafen, zu Vergütung des aus seinem Mißtritt entstandenen Schadens anzuhalten, insbesondere aber je nach Beschaffenheit des Falls, mit Suspension oder gänzlicher Entesezung [sic!] zu belegen wißen wird.
§ 17
Damit aber redliche Anwälde nicht muthwilligen Klagen unzufriedner Partheyen ausgesezt seyen, so soll eine Parthey, die einen Anwald verklagt, insoferne sie ihre Unvermögenheit nicht erweisen kann, – sogleich eine von der Justizcommißion zu bestimmende Summe versichern, damit der Beklagte für seine Kosten entschädiget werden könne, im Fall die Anzeige von richterlicher Behörde ungegründet erfunden würde. Außerdem haben muthwillige Verleumder noch die verdiente Strafe zu gewärtigen.
Von den Fürsprechen insbesonders.
§ 18
Die Fürsprechen werden aus der Claße der Procuratoren gezogen, und müßen sich in Ausübung dieses Berufs als ausgezeichnet verständige und redliche Männer ge-[p. 5] zeigt haben. Für einstweilen wird ihre Zahl auf acht festgesezt, und zwar in der Meynung, daß die sechs vormahligen, schon längst geprüften Rathsredner ohne weitere Wahl ihren Plaz unter den gesezlichen Fürsprechen einnehmen, dann jedoch noch zwey andere zugewählt, und alle acht, nach geleistetem Eyd, patentiert, in Zukonft aber die Fürsprechen auf die Zahl von sechsen beschränkt, und mithin die beyden zuerst ledig werdenden Stellen nicht mehr besezt werden, sondern die Ergänzungen erst bey der sich ergebenden dritten Vacanz ihren Anfang nehmen sollen.
§ 19
Über ihre Kenntniße und Fähigkeit werden sie folgendermaaßen geprüft:
a. Sie müßen über eine, durch das Loos ertheilte Rechtsfrage, in einem verschloßenen Zimmer ohne Bücher eine Abhandlung verfertigen.
b. Eine solche Abhandlung mit Büchern und Muße über eine gegebene Rechtsmaterie abfaßen.
c. Eine wirkliche Rechtßache zur Probe vor dem Obergericht mündlich und unentgeldlich verfechten.
§ 20
Diese Prüffungen der Candidaten werden durch eine aus zwey Mitgliederen der Justiz- und Polizey-Commißion, und eben so vielen Mitgliederen des Obergerichts bestehende gemeinschaftliche Commißion vorgenohmen, welche dem Kleinen Rath in jedem eintrettendem Fall einen bestimmten schriftlichen Bericht über die Resultate der Prüffung zu erstatten hat.
§ 21
Die Wahlen der Fürsprechen werden jeweilen auf das Fundament obgedachter Berichte über die Resultate der Prüffungen, von dem Kleinen Rath vorgenohmen.[p. 6]
§ 22
JederNeuerwählte Fürsprech erhält gegen Erlegung einer Gebühr von hundert Franken zu Handen des Staats, – ein förmliches Patent von der Regierung.
§ 23
Bey Antrettung seines Berufs, ist er zu einer Real- oder Personal-Bürgschaft von 3200 Frank[en] verpflichtet, welche bey der Justiz-Commißion deponiert wird.
§ 24
In Civil- und Criminal-Sachen sind die Fürsprechen sowohl zu den schriftlichen als mündlichen Vorträgen vor dem Obergericht und dem Ehegericht, ausschließlich befugt, – mit Vorbehalt der Ausnahmen, welche die eingeführte Criminal-Prozedur erfordert.
§ 25
Neben den allgemeinen Pflichten aller Anwälte, liegt der Fürsprechen noch besonders ob, auf Anweisung des Präsidii bey dem Obergericht und dem Ehegericht, die Rechts-Angelegenheiten erweislich unvermögender Personen, vor diesen Tribunalien, nach einzuführender Kehrordnung, unentgeldlich zu verfechten.
§ 26
Ferner sollen sie auf die Pflichterfüllung der übrigen Anwälde achten, und die zu ihrer Kenntniß gelangenden strafwürdigen Fälle der Behörde unfehlbar anzeigen.
§ 27
Endlich haben sie die besonderen Aufträge der Regierung des Obergerichts und der Regierungs-Departements, zu Führung obrigkeitlicher Rechtssachen, Abfaßung von Gutachten, Prüffung der Procuratoren u. s. w. gewißenhaft zu erfüllen.
Von den Procuratoren.
§ 28
Vier Monate nach Bekanntma-[p. 7] chung gegenwärtigen Gesetzes, soll außer den geordneten Fürsprechen, niemand mehr als Anwald sich zu Advocatur-Geschäften gebrauchen laßen, als wer zu einem Procurator förmlich gewählt worden ist.
§ 29
Die Anzahl dieser Procuratoren soll im ganzen Canton nicht über zwanzig ansteigen, kann aber darunter bleiben.
§ 30
Um wahlfähig zu seyn, muß man das 21ste Jahr zurükgelegt, und entweder als Zögling unter einem geschikten Fürsprech, Procurator, Bezirksgerichtschreiber oder Notarius drey Jahre lang gearbeitet, oder aber auf einer Academie die Rechtsgelehrsamkeit förmlich studiert haben, vornemmlich aber gute Zeugniße, seines Fleißes und seiner moralischen Aufführung halber, vorlegen können.
§ 31
Die abzulegenden Beweise der Kenntniße eines solchen Candidaten bestehen:
a. In einem gründlichen Examen über die Civilgesetze unsers Cantons.
b. In unentgeldlicher Verfechtung einer Rechtssache vor einem Bezirksgericht.
Sowohl über diese Verfechtung als auch überhaupt in Bezug auf das Betragen und die Eigenschaften des Candidaten, soll das betreffende Bezirksgericht den Examinatoren einen sorgfältigen Bericht erstatten. – Vormaligen Lizentiaten wird diese neue Prüffung nachgelaßen.
§ 32
Die Examinatoren sind zwey Mitglieder der Justiz-Commißion, ein Mitglied des Obergerichts und zwey von der Justiz-Commißion beliebig zugezogene Fürsprechen.[p. 8]
§ 33
Auf erstatteten günstigen Bericht dieser Examinatoren, wird der Candidat von dem Justizcollegio selbst gewählt, beeydigt und patentiert.
§ 34
Der neu erwählte Procurator entrichtet für sein Patent 40 Frank[en] Gebühr an den Staat, und ist außerdem zu einer Real- oder Personal-Bürgschaft von 1600 Frank[en] verpflichtet, die bey der Justizcommißion deponiert wird.
§ 35
Die Procuratoren haben [neben den Fürsprechen] ausschließlich die Befugnis zu mündlichen Vorträgen vor den Bezirksgerichten, zu Ausfertigung von Hauptschriften in Rechtssachen, und zu allen übrigen Advocatur-Geschäften, welche nicht ausschließend den Fürsprechen vorbehalten sind.
§ 36
Die Fürsprechen werden allein aus dem Mittel der Procuratoren gezogen.
§ 37
Neben den allgemeinen Pflichten aller Anwälde, ligt den Procuratoren noch besonders ob, vor denjenigen Bezirksgerichten, bey welchen sie sich vorzüglich gebrauchen laßen, die Rechtsangelegenheiten erweislich unvermögender Personen, auf dießfällige Anweisung des Präsidenten, unentgeldlich zu verfechten.
Tarif für alle Rechtsanwälte.
§ 38
Für jeden einfachen Vortrag vor einem Tribunal darf kein Anwald mehr fordern, als nach Maaßgabe der Wichtigkeit des Gegenstandes, zwey bis sechs Franken vor dem Obergericht, und ein bis vier Franken vor den übrigen Tribunalien.
§ 39
Für eine förmliche Verfechtung[p. 9] oder Contradictorium dürfen, je nach der Wichtigkeit des streitigen Gegenstandes und der Prozedur, vier bis höchstens zwölf Franken vor dem Obergericht als letzter Instanz, und zwey bis höchstens acht Frk[en] vor den übrigen Tribunalien gefordert werden.
§ 40
Für jeden Tag nothwendiger Entfernung von seinem Wohnort, darf ein Anwald der betreffenden Parthey, als Taggeld für seine Bemühung, nicht mehr ansetzen als vier Franken, nebst möglich bescheydenen Reise- und Zehrungs-Kosten.
§ 41
Für das Haupt-Doppel eines Memorials in wichtigeren Prozeßen soll von jeder Folio-Seite höchstens ein Franken gefordert werden, und jede Seite muß wenigstens 25 Zeilen gewöhnlicher Schrift enthalten. Für keine Rechtschrift aber überhaupt sollen mehr als vierundzwanzig Franken in Anrechnung kommen.
§ 42
Für minder wichtige Schriften, Kostenverzeichniße und Copiaturen, sollen nicht mehr als zwey Batzen für die Folio-Seite gewöhnlicher Schrift, den Partheyen verrechnet werden dürfen.
§ 43
Nach dieser Taxordnung werden alle obrigkeitlichen Behörden und Tribunalien die vorzulegende Kostenverzeichniße der Anwälte beurtheilen, und überhaupt auf derselben genaue Handhabe, sowie auf die Verhütung übertriebener Verehrungen der Partheyen an ihre Rechtsanwälde, sowol für Consultationen, als für andere Verrichtungen, – unausgesetzt das sorgfältigste Augenmerk richten.
Eydesformel für alle Rechtsanwälte.
§ 44
Jeder Anwald [Fürsprech oder Procurator] soll schwören: „Der Regierung des Cantons Zürich[p. 10] getreu zu seyn, ihren Nutzen zu fördern und Schaden zu wenden, zu Verfechtung offenbar ungerechter oder schändlicher Sachen sich nicht gebrauchen zu laßen, das Recht der Partheyen, die seines Beystandes bedürfen, sie seien reich oder arm, fremd oder einheimisch, nach Wißen und Gewißen, getreulich und mit allem Fleiß zu besorgen, sich an dem vorgeschriebenen Tarif zu begnügen, und nicht ein Mehreres von einer Parthey für Schriften, Verrichtungen und Versäumniße zu fordern, mit keiner Gegenparthey irgend ein unerlaubtes und dem Intereße seiner Clienten nachtheiliges Verständnis zu unterhalten, von niemandem, wer es immer seyn möchte, sich durch Geschenke oder Anerbietungen, für sich und die Seinigen, zum Schaden seiner Parthey, auf irgend eine Weise bestechen zu laßen, auch eben so wenig anderen Mieth und Gaaben anzubieten, überhaupt alles gewißenhaft zu beobachten, und zu leisten, was die hochobrigkeitliche Verordnung in Bezug auf die Pflichten der Rechtsanwälte vermag. Alles getreulich und ohne Gefahr“.