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Staatsarchiv des Kantons Zürich

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SignaturStAZH MM 1.112 RRB 1830/0971
TitelBericht des Staatsrathes über die politischen Umtriebe im Kanton und die Volksversammlung in Uster nebst Beschluß der Erlaßung eines Mandates.
Datum23.11.1830
P.188 [recte: p. 168; Sprung in der Seitenzählung; Fortsetzung gemäss Originalpaginierung] –195

[p. 188; recte: p. 168] Das Hohe Präsidium erstattete der Hohen Behörde des Kleinen Rathes im Nahmen des Staatsrathes Bericht über die außerordentlichen Bewegungen, welche in den neusten Tagen im hiesigen Kanton auf Veranstaltung einer verborgenen und ungenannten Leitung Statt gefunden, die von Stäfa ausgehend, sich mit dem Nahmen die Committirten bezeichnet habe, und schriftliche sowohl als mundliche Einladungen durch den ganzen Kanton verbreitet, daß sich die Landleute auf den 22sten dieß Vormittags zu einer Landsgemeinde in Uster einfinden möchten, um daselbst über wichtige, des Vaterlandes Wohl betreffende Gegenstände zu berathen und abzuschließen. Die ausgebreiteten Einladungszedel, geschrieben und lythographirt, und zum Theil mit aufwiegenden Druckschriften begleitet, haben meistentheils gelautet, wie folgt:

„Bey der am 19. November 1830. zu Stäfa Statt gehabten Versammlung vieler daselbst zusammen getroffenen Landesbürger, hatte man aus reiner Liebe für das Wohl des Kantons, dem wir angehören, folgende Punkte erörtert:

Daß bereits in allen Landgemeinden und Winterthur jedem Ehrenmann, der sich dazu berufen fühlt, geboten werde, Montag den 22. November[p. 189] Morgens um 10. Uhr zum Kreutz zu Uster zu erscheinen, um eine, allgemeine Landesansichten emanirende Denkschrift an den Großen Rath des Kantons Zürich zum Heil des engern theuren Vaterlandes nach Bürgerpflichten zu erlaßen und abzufertigen.

Den Freunden zu Stäfa und der Umgegend wird überlaßen und empfohlen, die geeigneten Mittel zur schnellen Verbreitung dieses Entschlußes im Kanton zu ergreiffen.“

Von diesen Umtrieben benachrichtigt, habe der Staatsrath sich mehrmahls besammelt und sein Bestreben hauptsächlich dahin gerichtet, zu verhüten, daß bey dieser, nicht mehr zu behindernden Volksversammlung keinerley Gewaltsausbrüche Statt finden; daher seye sowohl dem Herrn Oberamtmann in Greifensee, welcher dießfalls eingefragt, als auch durch ein Kreisschreiben den sämmtlichen Herrn Oberamtmännern der Auftrag ertheilt worden, durch mittelbare Einwirkung auf Männer von Einfluß und guter Denkungsart für Beybehaltung der Ruhe sowohl in jener Gegend, als überhaupt möglichst zu sorgen, und ganz in gleichem Sinne habe die Kantons-Policey-Commißion gehandelt.

Wirklich habe dann auch die angekündigte Versammlung in der Zahl von circa[p. 190] 6000. bis 7000. Personen zu Uster im Freyen Statt gefunden, woselbst auf einem zu solchem Zwecke errichteten Gerüste, Müller Gujer von Bauma, Doctor Hegetschweiler von Stäfa und J. J. Steffen von Wädenschweil, zu dem Volke gesprochen und den Antrag gemacht, eine Petition über die 15. nachfolgenden Punkte an den Großen Rath zu bringen, wie folgt:

„Den freyen Zürcher-Landleuten, wo sie auch wohnen mögen, erklären wir andurch unsern Wunsch und Willen, daß im Sinn und Geist allgemeiner Bedürfniße und Forderungen der Landbürger, dem Lande wenigstens 2/3. Theile der Repräsentation in die Oberste Landesbehörde oder im Großen Rath, und zwar wenigstens 5/6. derselben unmittelbar durch das Volk gewählt, zugestanden werde; wodurch allein die Gemüther beruhigt, unsere und unserer Nachkommenden Zukunft gesichert, und die Rechte des Volkes gewährleistet bleiben können.

Garantien sind hierfür unerläßlich, und eine neue Wahl der Großen Räthe in kurzer Frist dringend.

Von einem dermaßen zusammengesetzten Großen oder gesetzgebenden Rath erwarten wir befördersammst:

1.) Trennung der Gewalten im Staat.

2.) Preßfreyheit, als Staatsgrundgesetz.[p. 191]

3.) Nach dem Local bedingte Öffentlichkeit der Großen Rathsverhandlungen, und Zulaßung der Publicisten.

4.) Das Recht, Beschwerden und Wünsche des Volkes an den Großen Rath zu bringen, oder ein gesetzlich gesichertes Petitionsrecht.

5.) Wahl der Oberamtsvorsteher und Amtsrichter durch den Großen Rath, Letztere auf einen Vorschlag eines Amtswahl-Corps, und periodische Erneuerungsvorschläge.

6.) Freye Wahl der Gemeindrathspräsidenten, des Gemeindammanns und des Friedensrichters, gleichwie der Gemeindräthe durch die Gemeinden.

7.) Aufhebung des Zunftzwangs.

8.) Abschaffung des bisherigen Casernendienstes.

9.) Bedingte frühere Entlaßung vom Militärdienst.

10.) Verminderung der Getränks- und Stempel-Abgaben.

11.) Aufhebung der Landjägersteuer und Verminderung dieses Corps.

12.) Aufhebung oder Loskauf der Porten- und Kaufhaus-Zölle.

13.) Aufhebung der jetzigen Advocaten-Ordnung.

14.) Berücksichtigung der an verschiedenen Orten allzulästigen Zehenten-Bezügen, und endlich als einen der wichtigsten Gegenstände der Landesvorsorge:

15.) Eine allgemeine durchgreifende Verbeßerung des Schulwesens.“[p. 192]

Mit Vorlegung dieser Punkte sey das Volk dann aufgefordert worden, seine Zustimmung durch Handaufheben, (was man Handgelübd benannt) zu erklären und Unterschriften abzugeben. Endlich seyen als Zeichen der Anwesenheit bey der Versammlung, Karten mit der Aufforderung zur Ruhe und Ordnung ausgetheilt und die Versammlung entlaßen worden, welche sich auch ohne Ruhestörung zertheilt. Es stehe nunmehr die Einreichung des Memoriales selbst durch eine Deputation zu gewärtigen.

Nach Anhörung dieses Berichtes und der von mehrern Mitgliedern der Versammlung beygefügten Anzeigen über größere und kleinere Versammlungen, welche sich hie und da von Vorsteherschaften, Gemeinden oder Zünften gebildet, haben UHochgeachten Herren beschloßen, zuvorderst die von dem Staatsrathe getroffenen sorgfältigen Maßregeln genehmigend zu verdanken, mit dem Ersuchen, daß Wohlderselbe nöthigen Falls das Erforderliche weiter in diesem Sinne verfügen möchte.

Ferner wurde das Hohe Rathspräsidium ersucht, die zu erwartende Petition abzunehmen und die Überbringer, in Erwartung weiterer Verfügung, auf angemeßene Weise zu verbescheiden.[p. 193]

Und endlich wurde beschloßen, nachfolgende Publication zu erlaßen:

Publication.

Wir Burgermeister und Rath des Standes Zürich finden uns veranlaßt, unsern lieben Kantonseinwohnern nachfolgendes zu eröffnen:

Da in den neusten Tagen die Aufregung und Spannung der Gemüther in verschiedenen Gegenden unsers Kantons einen hohen Grad erreicht und bereits außerordentliche Bewegungen zur Folge gehabt haben, ein solcher Zustand aber, seiner möglichen Folgen wegen, unter keinen Umständen unbeachtet gelaßen werden dürfte, so muß derselbe unsere Aufmerksamkeit ganz vorzüglich in dem gegenwärtigen Augenblicke in Anspruch nehmen, wo der Große Rath unsers Standes wirklich im Begriffe steht, auf Veranlaßung der ausgesprochenen Wünsche wieder zusammen zu treten, um sich mit den wichtigsten Grundlagen unserer Verfaßungs- und gesetzmäßigen Verhältniße zu beschäftigen, und mit weiser Überlegung zu berathen, wie des Vaterlandes Wohlfahrt erhalten, gesichert und befestigt werden könne. Da nun aber zum glücklichen Gedeihen solcher hochwichtigen Rathschläge, welche nicht nur auf die Schicksale des gegenwärtigen Geschlechtes, sondern auch seiner spätern Nachkommenschaft einen großen Einfluß[p. 194] haben können, das öffentliche Zutrauen, vor allem aus aber ungestörte Ruhe nothwendig ist, so erachten wir unsrer hohen Pflicht, dafür zu sorgen, daß dieselbe gesichert werde, damit die Höchste Behörde ihren schweren Verpflichtungen ein volles und befriedigendes Genügen leisten könne.

Wir fordern daher unsere sämmtlichen lieben Kantonsangehörigen mit väterlichem Wohlwollen und Ernste bey ihren Bürgerpflichten auf, Friede und Ordnung zu bewahren und nach beßtem Vermögen zu handhaben; mit ruhiger Haltung und verdientem Vertrauen die bevorstehenden Erklärungen und Beschlüße des Großen Rathes über die angeregten wichtigen Punkte der Verfaßung und Gesetzgebung abzuwarten, unterdeßen aber sich aller ungesetzlichen Schritte zu enthalten, ruhestörenden Aufreizungen und falschen Gerüchten ihre Ohren zu verschließen. Das Vaterland darf nur dann sich seines Glückes und Wohlstandes ferner getrösten, wenn jeder einzelne Bürger dem Gesetze ergeben, seine persönlichen Wünsche und Vortheile dem allgemeinen Beßten unterordnet, und wo es um Angelegenheiten des Gemeinwesens zu thun ist, wohl bedenkt, daß er für alle seine Handlungen eine hohe Verantwortlichkeit gegen Gott, gegen das Allgemeine und unser besonderes Vater-[p. 195] land und gegen sein Gewißen auf sich hat, weil oft ein kleiner unbedachter Schritt unabsehbare Folgen nach sich ziehen kann.

Wir versehen uns aber zuvörderst von allen Beamten und Gemeindsvorstehern, daß sie ihr Ansehen pflichtmäßig und auf angemeßene Art und Weise für Beybehaltung der Ruhe und Verhütung aller Unordnungen verwenden, damit durch ihre Vorsorge eben dieser Zweck, so wie die Sicherheit der Personen und des Eigenthums erzielt werde.

Möge die gütige Vorsehung unser theures Vaterland vor Unglück gnädig bewahren, und die Bestrebungen aller Gutgesinnten für deßen Wohlfahrt mit Erfolg segnen.

Zürich den 23. Wintermonath 1830.

Im Nahmen des Kleinen

Raths unterzeichnet:

Der Amtsburgermeister.

Reinhard.

Der Erste Staatsschreiber.

Hottinger.