Signatur | StAZH MM 1.49 RRB 1814/0359 |
Titel | Genehmigter Entwurf der Redaction einer revidierten Staatsverfaßung für den Canton Zürich. |
Datum | 02.04.1814 |
P. | 1–12 |
[p. 1] Der von dem Staatsrath mit seiner Weisung vom 28sten Merz hinterbrachte Redactions-Entwurf der revidierten hießigen Cantonal-Verfaßung, ist auf nachstehenden Fuß begnehmiget, und der Canzley aufgetragen worden, nun gelegentlich eine kleine Anzahl von Exemplaren abdrucken zu laßen, damit dieselben seiner Zeit, wenn es um die würkliche Sanction des Projects durch den Großen Rath zu thun sein wird, zugleich mit den Einladungsschreiben den Gliederen der Höchsten Behörde zur vorläufigen Einsicht und Prüfung mitgetheilt werden können. Inzwischen wird ein ausgearbeitetes Gutachten des Staatsraths über die Art und Weise der Einführung gewärtiget.
Entwurf
einer revidierten Staatsverfaßung für den Canton Zürich.
I. Allgemeine Grundsätze.
1.) Die Evangelisch-Reformierte Religion ist die herrschende Landesreligion. Den Catholischen Gemeinden Rheinau und Dietikon sind ihre bisherigen Religionsverhältniße durch die Verfaßung garantiert.[p. 2]
2.) Alle Bürger des Cantons Zürich genießen, nach Anleitung der in den späteren Articuln dieser Verfaßungsurkunde enthaltenen näheren Entwicklungen, – der nämmlichen politischen Rechte.
3.) Die Gleichheit der bürgerlichen Rechte ist in dem ausdrücklichen Sinn festgesezt, daß alle Bürger des Cantons in Absicht auf Gewinn und Erwerb die nämmliche Freyheit genießen, und den nämmlichen Gesetzen unterworfen sein sollen.
4.) Jeder Bürger einer Gemeinde des Cantons kann sich in jeder anderen bliebigen Gemeinde deßelben, das Ortsbürgerrecht nach Maaßgabe ihres bestehenden Einzugsbriefs und der bereits vorhandenen oder hinkönftig erheischenden gesetzlichen Verordnungen erwerben.
5.) Jeder Cantonsbürger, so wie jeder im Canton angeseßene Schweizerbürger aus einem anderen Canton ist, nach Maaßgabe der gesetzlichen Bestimmungen, zu Militärdiensten pflichtig.
6.) Die Verfaßung garantiert die Fortdauer der Befugniß, Zehenten und Grundzinse auf gesetzlichem Wege loszukaufen.
7.) Alle dermahlen in Kraft bestehenden Gesetze, Landesverordnungen und Regierungsbeschlüße, behalten ihre vollständige Gültigkeit, in so ferne sie nicht förmlich aufgehoben oder abgeänderet werden.[p. 3]
II. Politische Landeseintheilung. Stimmfähigkeit.
8.) Die Bürger des Cantons Zürich sind zu Ausübung ihres politischen Wahlrechts in 65. Wahlversammlungen oder Zünfte eingetheilt. Die Stadt Zürich hat XIII., der übrige Theil des Cantons LII. Zünfte, welche letzteren je aus den stimmfähigen Bürgeren der sich zunächst ligenden Gemeinden, mit möglichster Beobachtung eines gleichmäßigen Bevölkerungsfußes gebildet werden.
9.) Alle nach den bestehenden Gesetzen volljährigen, würklichen Bürger einer Gemeinde, die zu einem Zunftbezirk gehört, sind Zunft- und stimmfähig.
10.) Diejenigen Cantonsbürger, welche kein Gemeindsbürgerrecht in derjenigen Zunft besitzen, wo sie wohnen, dürfen ihr Stimmrecht nur in einer Zunft ausüben, wo sie würkliche Gemeindsbürger sind.
11.) Vom Zunft- und Stimmrecht sind ausgeschloßen: Diejenigen so in Kost und Lohn stehen; die Allmosengenößigen; die Falliten und gerichtlich Accordierten, in so ferne sie nicht rehabilitiert sind; und diejenigen, so durch Urtheil und Recht ihres Activbürgerrechts verlustig erklärt, oder in der Ausübung deßelben suspendiert worden sind.
III. Großer Rath.
12.) Ein Großer Rath von 212.[p. 4] Mitgliederen ist die Höchste Gewalt, der die Ausübung der Souverainitäts-Rechte und die Gesetzgebung des Cantons zusteht.
13.) Die Gesandtschaftsinstructionen des Standes Zürich auf alle ordentlichen und außerordentlichen Tagsatzungen, werden auf den Vorschlag des Kleinen Raths von Ihm beraten und ertheilt. Er erwählt die Gesandten und läßt Sich von Ihnen Bericht abstatten. Auch ligt Ihm in Fällen, wo die Zusammenberufung außerordentlicher Tagsatzungen in die Frage kömmt, der Entscheid darüber ob.
14.) Der Große Rath hat die ausschließende Befugniß Steuern zu erkennen. Die alljährliche Staatsrechnung wird von Ihm geprüft, und nach Richtigbefinden abgenohmen. Über den Gang der vaterländischen Angelegenheiten überhaupt, und der inneren Landes-Administration des Cantons insbesondere, wird dem Großen Rath bey jedesmaliger Eröffnung Seiner ordentlichen Sitzungen durch das Organ des Präsidenten Bericht erstattet.
15.) Der Große Rath wählt denjenigen Theil Seiner eigenen Glieder, welcher nicht unmittelbar von den Zünften gewählt wird; ferner die Mitglieder des Kleinen Raths; die beyden[p. 5] Standeshäupter; die Mitglieder des Obergerichts; diejenigen des Staatsraths; die weltlichen Mitglieder und das Präsidium des Ehegerichts; den Antistes der Züricherischen Kirche, die weltlichen Glieder des Kirchenraths; und die Mitglieder des Erziehungsraths. Ihm steht ferner die Bestätigung der von dem Kleinen Rath zu wählenden Staatscanzley, und der von dem Obergericht zu wählenden Obergerichtscanzlei zu.
16.) Der Große Rath wird ordentlicherweise alljährlich zwey Mahle, nämmlich im Brachmonat und im Christmonat, außerordentlicher Weise aber nach Erforderniß der Umstände von dem Kleinen Rath einberufen.
17.) Der Große Rath wird folgenderMaaßen zusammengesezt:
a. Jede der XIII. Zünfte der Stadt Zürich wählt zwei; die Zunft Winterthur 5.; und jede der LI. übrigen Zünfte des Cantons 1. Mitglied des Großen Raths aus Ihrem eigenen Mittel.
b. Die Wahl der 130. übrigen Glieder stehet dem Großen Rath Selbst zu.
18.) So wie in Zukonft eine durch unmittelbare Zunftwahl zu besetzende Stelle erlediget wird, soll der Kleine Rath die Einleitung treffen, daß die betreffende Zunft innert Monatsfrist vom Eintritt des Erledigungs-[p. 6] falls an gerechnet, zusammenberufen und die erledigte Stelle durch das geheime und absolute Mehr wieder besetzt werde.
19.) Mit der Wiederbesetzung der von dem Großen Rath selbst zu wählenden Stellen wird so lange zugewartet, bis fünf Vacanzfälle eingetretten sind. Dann macht:
a. Der Kleine Rath dem Großen Rath bey Seiner nächsten Versammlung Anzeige von den Erledigungsfällen, und der Große Rath wählt hierauf durch das geheime und absolute Mehr ein Vorschlagscollegium von 5. Gliederen des Kleinen, und 10. Gliederen des Großen Raths, und nimmt daßelbe sofort in Pflichteyd.
b. Dieses Collegium trittet unverweilt zusammen und bildet durch geheimes und absolutes Mehr eine Vorschlagsliste tauglicher, und mit den verfaßungsmäßigen Erfordernißen ausgestatteter Männer in der dreyfachen Anzahl der Vacanzen, keineswegs aber einen Dreyervorschlag für jeden einzelnen Platz.
c. Aus diesem Vorschlag wählt der Große Rath durch geheimes und absolutes Mehr fünf Glieder.
20.) Von fünf erledigten Stellen unter denjenigen 130, die von dem Großen Rath selbst zu besetzen sind, soll eine auf einen Cantonsbürger fallen, der nicht Bürger der Hauptstadt ist. Hiernach haben sich das Vorschlags-Collegium bey Abfaßung Seiner Listen,[p. 7] und die Glieder des Großen Raths beym Stimmgeben genau zu richten.
21.) Das Gesetz wird die näheren Erläuterungen über die Formen dieser Wahlen und Vorschläge ertheilen.
22.) Um wahlfähig in den Großen Rath zu seyn, ist erforderlich:
a. Daß der betreffende Cantonsbürger, wenn er unmittelbar durch eine Zunft gewählt werden soll, würklich auf diese Zunft eingeschrieben, oder wenn es eine durch den Großen Rath Selbst vorzunehmende Wahl betrifft, würkliches Mitglied einer der 65. Zünfte sey.
b. Daß er das dreyßigste Altersjahr angetretten habe.
Ferner soll jedes Mitglied des Großen Raths unmittelbar nach seiner Erwählung auf gesetzlich zu bestimmende Weise darthun, daß es ein eigenthümliches Vermögen von wenigstens 10,000. Schweizerfranken versteuert habe.
23.) Die unmittelbar von den Zünften gewählten Mitglieder des Großen Raths werden je zu sechs Jahren um (nämmlich alle zwey Jahre zum Dritttheil) einer neuen Wahl durch die Zünfte selbst unterworfen.
24.) Die anderen, nicht von den Zünften gewählten Glieder des Großen Raths werden ebenfalls je zu sechs Jahren um (mit gleichmäßiger Beobachtung der Sönderung in drey Abtheilungen)[p. 8] einer neuen Wahl durch den Großen Rath Selbst unterworfen.
25.) Die Mitglieder des Kleinen Raths und des Obergerichts sind von dieser periodischen Erneuerung in der Eigenschaft von Großen Räthen ausgenohmen, sie mögen nun unmittelbar von den Zünften oder sonst zu Gliederen des Großen Raths gewählt sein.
26.) Die nähere Bestimmung des Verfahrens bey diesen Erneuerungen bleibt dem Gesetz vorbehalten.
IV. Kleiner Rath und Staatsrath.
27.) Ein Kleiner Rath besteht aus 25 Mitgliederen des Großen Raths, von welchen wenigstens einer aus jeder derjenigen Abtheilungen genohmen werden soll, die unter der vormaligen Verfaßung einen Bezirk ausgemacht haben. Er schlägt dem Großen Rath die Gesetze und Beschlüße vor, und setzt dieselben nach ihrer Annahme in Vollziehung. Er entwirft die Standesinstructionen auf ordentliche und außerordentliche Tagsatzungen, und legt dieselben dem großen Rath vor. Er besorgt die täglichen Regierungsgeschäfte und die Correspondenz mit den Eydsgenößischen Ständen und den auswärtigen Behörden. Er hat die Oberaufsicht und Leitung über alle Theile des Justizwesens und der Administration, und wählt zu allen in diese beyden Fächer einschlagen-[p. 9] den Stellen und Ämteren, in so ferne nicht ihre Besetzung durch die Verfaßung dem Großen Rath vorbehalten ist. Er urtheilt in letzter Instanz über alle administrative Streitigkeiten.
28.) Zwey Burgermeister führen abwechselnd jeder ein Jahr lang das Präsidium sowohl im Kleinen als auch im Großen Rath. Derjenige welcher nicht im Amte ist, versiehet nöthigen Falls die Stelle des anderen.
29.) Der Kleine Rath versammelt sich regelmäßig auf den Ruf des Präsidenten, so oft als solches die Geschäfte erforderen.
30.) Die Mitglieder des Kleinen Raths werden von dem Großen Rath aus Seiner eigenen Mitte durch das geheime und absolute Mehr gewählt. Ebenso wählt der Große Rath auch die beyden Burgermeister aus den Mitgliederen des Kleinen Raths.
31.) Um in den Kleinen Rath wahlfähig zu seyn, muß man das 36ste Altersjahr angetretten haben.
32.) Die Mitglieder des Kleinen Raths bleiben sechs Jahre lang an ihren Stellen; in der Meynung, daß sie in drey Abtheilungen gesönderet werden, von denen, je zu zwey Jahren um, eine durch den Großen Rath neugewählt wird. Die Austrettenden sind aber stets wieder wählbar.
33.) Ein Staatsrath, bestehend aus den beyden Burgermeisteren[p. 10] (die von Amts wegen Mitglieder sind) und fünf anderen, durch den Großen Rath, durch geheimes und absolutes Mehr zu wählenden Mitgliederen des Kleinen Raths, leitet, unter dem Vorsitz des Amtsburgermeisters, die Diplomatischen Geschäfte. Ihm liegen die Vorberathungen und unter dringenden Umständen auch die vorläufigen Maaßregeln bezüglich auf die innere und äußere Sicherheit des Staats ob.
V. Gerichtsverfaßung und Vollziehungsbeamten.
34.) Alle Streitsachen im Canton müßen zuerst vor ein Friedensrichteramt gebracht werden, deßen Organisation und Competenz das Gesetz bestimmt.
35.) Der Canton Zürich ist in zehn bis elf Amtsbezirke eingetheilt, deren Umfang das Gesetz definitiv festsetzen wird.
36.) Jedes dieser Ämter hat eine erstinstanzliche Gerichtsbehörde, welche Amtsgericht benannt wird, und aus einer durch das Gesetz zu bestimmenden Anzahl von Mitgliederen bestehet.
37.) Ein Oberamtmann führt den Vorsitz im Amtsgericht, und vereiniget mit dieser Präsidentenstelle diejenige eines Obervollziehungs-Beamten in seinem Amtsbezirk.
38.) Die Amtsgerichte werden von dem Kleinen Rath also besetzt, daß der Oberamtmann durch freie Wahl aus allen zünftigen Bürgeren des Cantons gewählt[p. 11] werden kann, die Amtsrichter oder Beysitzer aber aus den zünftigen Bürgeren des Amtsbezirks gezogen werden müßen.
39.) Könftige Gesetze werden die Competenz, Attribute, Besoldung, und periodische Erneuerung dieser Beamten näher bestimmen. Die Ausmittlung schicklicher Sitzungsorte für die Amtsgerichte, sowie die allfählige Anweisung amtlicher Wohnungen für die Oberamtleute und die Canzleyen, bleibt gleichfalls dem Gesetz vorbehalten.
40.) Das Gesetz wird auch das Nähere in Bezug auf die Organisation, Pflichten und Befugniße derjenigen Unterbeamten festsetzen, die den Oberamtleuten in ihrer Eigenschaft von Obervollziehungsbeamten nachgesezt sind.
41.) Für die Matrimonialsachen wird ein Ehegericht aus weltlichen und geistlichen Gliederen gebildet, deßen nähere Organisation dem Gesetz vorbehalten bleibt.
42.) Ein von dem nicht im Amte stehenden Burgermeister präsidiertes, und (diesen Präsidenten ungerechnet) aus 13. Mitgliederen bestehendes Obergericht, beurtheilt in letzter Instanz alle Civil- und Criminalfälle, in so ferne die lezteren nicht malefizisch sind.
43.) Dieses Obergericht soll sich regelmäßig auf den Ruf Seines Präsiden-[p. 12] ten versammeln, so ift es die Geschäfte erforderen.
44.) Die Mitglieder des Obergerichts werden von dem Großen Rath aus Seiner eigenen Mitte durch das geheime und absolute Mehr gewählt.
45.) Um in das Obergericht wahlfähig zu seyn, muß man das 36ste Altersjahr angetretten haben.
46.) Die Mitglieder des Obergerichts bleiben sechs Jahre lang an ihren Stellen; in der Meynung, daß sie in drey Abtheilungen gesönderet werden, von denen je zu zwey Jahren um eine, durch den Großen Rath neugewählt wird.
Die Austrettenden sind aber immer wieder wählbar.
47.) In allen Fällen, wo eine Todesstrafe eintretten kann, werden vier Mitglieder des Kleinen Raths durch das Loos zugezogen, welche vereint mit dem Obergericht, das Malefizgericht bilden.
48.) Alle in der gegenwärtigen Verfaßung nicht ausdrücklich bestimmten näheren Anwendungen und Entwicklungen, sollen succeßiv durch die Gesetzgebung ausgeführt werden.