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Staatsarchiv des Kantons Zürich

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SignaturStAZH MM 3.11 RRB 1897/2235
TitelAuslieferung.
Datum25.11.1897
P.746

[p. 746] Nach Einsicht eines Antrages der Justiz- und Polizeidirektion

beschließt der Regierungsrat:

Dem Regierungsrat des Kantons Schaffhausen zu schreiben:

Mit dortigem geschätzten Schreiben vom 23. Oktober 1897 stellt Ihr bezugnehmend auf einen Haftbefehl Eueres kantonalen Verhöramtes gegen Joh Jakob Hafner-Rubli von Flurlingen, wohnhaft in Zürich I, und unter Vorlage der ergangenen Untersuchungsakten, das Gesuch um dessen Auslieferung wegen Erpressungsversuch.

Der Requirirte, von unserm Polizeikommando über Euer Begehren einvernommen, hat gegen seine Auslieferung protestirt unter der Begründung:

1. er sei Zürcher und hier niedergelassen;

2. das inkriminirte Vergehen der Erpressung sei kein Auslieferungsdelikt des Bundesgesetzes von 1852;

3. die von ihm begangenen Handlungen seien nicht strafbar, weil er gar keine Erpressung beabsichtige, sondern lediglich an seinen Widersachern in Schaffhausen Rache nehmen wolle.

Was die sub 1 und 2 erwähnten Protestgründe anbetrifft, bemerken wir, daß nach hierorts bestehender Praxis allerdings auch schon Kantonsbürger und Niedergelassene ausgeliefert worden sind, wenn es im Interesse der Strafuntersuchung als wünschenswert erschien, und daß die Bewilligung von Auslieferung sich schon seit Jahren nicht mehr auf die im Auslieferungsgesetz von 1852 genannten Delikte beschränkt, sondern auch andere Straftaten beschlägt, sobald diese sowol im Gebiete des Kantons Zürich, als des requirirenden Staates mit Strafe bedroht sind.

Dagegen halten wir die dritte Einrede des Hafner-Rubli in Uebereinstimmung mit dem bezüglichen Gutachten unserer Staatsanwaltschaft für begründet, das sich folgendermaßen vernehmen läßt:

„Nach den gleichlautenden Bestimmungen des zürcherischen und schaffhauserischen Strafgesetzbuches liegt Erpressung vor, wenn jemand durch körperliche Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung gezwungen wird (Zürch. Str.-G.-B. § 161; Schafft. Str.-G.-B. § 208). Es muß also erwiesen sein, daß Hafner-Rubli die Herren Wegenstein und Genossen durch gefährliche Androhung habe zwingen wollen, ihm einen widerrechtlichen Vorteil zu gewähren. Es liegt nun in den vom Kanton Schaffhausen eingesandten Akten der Beweis dafür vor, daß Hafner den Damnifikaten wiederholt geschrieben und mitgeteilt hat, er beabsichtige die seiner Zeit vor dem Schwurgericht Schaffhausen am 23. September 1896 gehaltene Verteidigungsrede betr. Erpressung, Betrug etc. zu publiziren, und daß er nachher sowol Herrn Wegenstein als auch dessen Advokat Freuler in Frauenfeld in das Hotel Witzig nach Dachsen zu einer Besprechung einlud.

Da die Brochure erst in den zwei ersten Druckbogen, Seite 1 bis 16 vorliegt, geht mir das nötige Material ab zur Prüfung der Frage, ob die Publikation dieser Rede für die Damnifikaten einen gefährlichen Nachteil in sich schließt oder nicht; bis jetzt ist dies aus diesem Aktenstück nicht zu entnehmen. Andererseits aber fehlt der Beweis dafür, daß Hafner es auf eine Erpressung abgesehen habe; es ist zwar allerdings zuzugeben, daß der stets in Geldnöten befindliche Pamphletist wol fähig wäre, sich auf diese Art und Weise Geld verschaffen zu wollen, jedoch mangelt ein strikter Beweis hiefür zur Zeit noch vollständig und verweise ich auf Akt. No. 22, wonach der Verhörrichter des Kantons Schaffhausen die Untersuchung gegen Hafner-Rubli bereits sistirt hatte, als ihn Hafner’s Einladung an die Damnifikaten zu einer Besprechung veranlaßte, nun doch das Auslieferungsbegehren zu stellen.

Nun ist aber ferner noch zu beachten, daß in der Handlung Hafners ein strafbarer Versuch nicht erblickt werden kann. Der Versuch liegt dann vor, wenn die Ausführung eines beabsichtigten Verbrechens angefangen worden ist (Zürch. St.-G. § 34; Schaffh. St.-G.-B. § 46). Es muß also der Entschluß durch eine Handlung betätigt worden sein, welche den Anfang der Ausführung des beabsichtigten Deliktes enthält; auszuscheiden sind demnach alle sogenannten Vorbereitungshandlungen. Nun hat Hafner lediglich einesteils die Publikation der Brochure den Damnifikaten avisirt, andernteils dieselben zu einer Besprechung eingeladen; was er ihnen in dieser Besprechung mitteilen wollte, läßt sich zwar vermuten, und die Vermutung geht wie bereits gesagt, auf einen Erpressungsversuch, aber ein Beweis dafür liegt nicht vor und Hafner muß mit seiner Bestreitung gehört werden. Wer einem andern mit Ermordung droht und ihn nachher zu einer Zusammenkunft bittet, macht sich vielleicht der Drohung von Verbrechen, gewiß aber nicht des Mordversuches schuldig, denn er kann ja bei der Zusammenkunft gerade eine Aussöhnung beabsichtigen, das letztere ist nun allerdings bei Hafner kaum anzunehmen; dagegen muß sich eine Anklage auf Tatsachen und nicht blos auf Vermutungen stützen.

Da unser St.-G.-B. durch den Wortlaut des § 34 klar kund gibt, daß Vorbereitungshandlungen nicht strafbar sein sollen (vgl. Zürcher, Kommentar, Note 1 zu § 34), muß gesagt werden, daß die Handlung Hafner’s den Tatbestand eines Vergehens nicht enthält, es mangelt somit die Voraussetzung, zur Bewilligung der Auslieferung, nämlich daß die Handlung auf dem Gebiete des requirirten Staates strafbar sei und kann daher dem Gesuche nicht entsprochen werden.“

Indem wir den vorstehenden Ausführungen unserer Staatsanwaltschaft beipflichten, müssen wir sowol die Auslieferung, wie auch die diesseitige Uebernahme der Strafuntersuchung ablehnen. Die anher vorgelegten Untersuchungsakten leiten wir anbei wieder zurück.