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Staatsarchiv des Kantons Zürich

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SignaturStAZH MM 3.123 RRB 1968/1911
TitelUeberfremdung und Einbürgerung.
Datum16.05.1968
P.923–924

[p. 923] Auf Antrag der Direktion des Innern

beschliesst der Regierungsrat:

I. Schreiben an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, in Bern:

Unter Hinweis auf ein von Ständerat Borel-Genf eingereichtes Postulat, das die Förderung der Assimilations- und Einbürgerungspolitik gegenüber Ausländern verlangt, luden Sie die Kantonsregierungen mit Rundschreiben vom 29. Februar 1968 zur Stellungnahme zu einzelnen sich in diesem Zusammenhänge stellenden Problemen ein. Wir danken für die uns gebotene Möglichkeit zur Meinungsäusserung und beehren uns, in Beantwortung Ihrer Fragen folgendes auszuführen:

1. Die bis jetzt gemachten Erfahrungen zeigen deutlich, dass der Grossteil der sich in unserem Lande aufhaltenden Ausländer nicht in die Schweiz eingereist ist, um eine neue Heimat zu finden und dauernd hier zu bleiben. Sieht man von politischen Flüchtlingen und einzelnen, namentlich aus sprachlich verwandten Kulturkreisen stammenden Ausländern von höherem Bildungsniveau ab, so besteht das Motiv für die Einreise vielmehr in den meisten Fällen im Wunsche, zu günstigeren Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten als in der Heimat zu gelangen. Dabei dominiert vielfach, mindestens in den ersten Jahren, der Gedanke, nach einiger Zeit oder doch für die späteren Lebensjahre in die angestammte Umgebung zurückzukehren. Diese Einstellung der grossen Mehrheit der einreisenden Ausländer wirkt sich auf ihre Assimilation, das heisst auf ihre Angleichung an die hiesigen sprachlichen, kulturellen, soziologischen und politischen Verhältnisse, hemmend aus und ist auch der Bereitschaft, das Schweizerbürgerrecht zu erwerben, im allgemeinen nicht förderlich. Anderseits darf gerechterweise nicht übersehen werden, dass die Haltung unserer eigenen Bevölkerung die Assimilierung von Ausländern vielfach ebenfalls erschwert, da die weitverbreitete gefühlsmässige Abneigung gegen alles Fremdartige einen bedeutenden Teil der Schweizerbürger davon abhält, Ausländer, die hier wohnen und arbeiten, als zu uns gehörend anzuerkennen. Nach unserer Beurteilung entwickelt sich deshalb die Assimilierung von in die Schweiz eingereisten Ausländern bis zu dem für eine Einbürgerung erforderlichen Grade in der Regel langsam, sodass von ihnen nur ein kleiner Teil die Einbürgerungsreife erlangen dürfte. Wir glauben nicht, dass diese Verhältnisse innert absehbarer Zeit grundlegend ändern werden.

Wesentlich günstiger scheinen uns die Assimilationsaussichten für die zweite Generation, das heisst für die hier aufwachsenden Kinder eingereister Ausländer, zu liegen. Sie sind

mit unseren Verhältnissen von frühester Kindheit an vertraut, und ihre Beziehungen zum ausländischen Heimatstaat der Eltern sind im allgemeinen bedeutend schwächer. Soweit behördliche Massnahmen zur Förderung der Assimilierung von Ausländern überhaupt möglich sind, sollten sie deshalb vor allem auf die Erfassung dieser zweiten Generation konzentriert werden.

2. Die Möglichkeiten, durch behördliche Massnahmen aktiv auf die Förderung der Assimilation eingereister Ausländer einzuwirken, sind beschränkt. Immerhin kann durch fremdenpolizeiliche Anordnungen dafür gesorgt werden, dass bei der Zulassung von erfahrungsgemäss schwer assimilierbaren Ausländern strengere Massstäbe angelegt werden als bei Angehörigen von Nachbarländern und anderen Staaten des europäischen Kulturkreises. Sodann wird unseres Erachtens die -- durch Bundesratsbeschluss vom 28. Februar 1968 bereits eingeleitete - allmähliche Lockerung der bis vor kurzem straff gehandhabten einschränkenden Bestimmungen über Stellen- und Berufswechsel sich günstig auf den Assimilierungswillen ausländischer Arbeitnehmer auswirken. Ein wesentlicher Beitrag zur Förderung der Assimilation von eingereisten Ausländern der ersten Generation kann schliesslich auch durch die Ermöglichung des beruflichen Aufstieges und der Erlernung der Landessprache geleistet werden. Für beide Ausbildungszweige bestehen an den gewerblichen Berufsschulen Bildungsmöglichkeiten in Form von Anlehr- oder beruflichen Weiterbildungskursen und von Sprachkursen. Mit der Führung von Sprachkursen «Deutsch für Fremdsprachige» ist die Gewerbeschule der Stadt Zürich richtungsgebend vorangegangen. Bedauerlicherweise haben die Bundesbehörden die unter dem Titel der Förderung des beruflichen Bildungswesens hiefür bestimmten Beiträge begrenzt. Es wäre zu wünschen, dass diese Beschränkung fallen gelassen wird. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass die Förderung der beruflichen Ausbildung von Ausländern, die sich in zunehmendem Masse auch zahlreiche Industriebetriebe angelegen sein lassen, gelegentlich die unerwünschte Wirkung haben kann, dass ausgebildete Ausländer sich leichter entschliessen, in ihr Heimatland zurückzukehren, da ihnen die in der Schweiz erworbenen Kenntnisse in der Heimat bessere Erwerbsaussichten ermöglichen.

Für die Kinder der eingereisten Ausländer betrachten wir als wichtigste Massnahme zur Förderung ihrer Assimilierung den Besuch der hiesigen Schulen. Die sprachliche Verständigungsmöglichkeit ist zweifellos eine der bedeutendsten Voraussetzungen für die Angleichung an unsere Verhältnisse. In Uebereinstimmung mit den kantonalen Erziehungsbehörden halten wir deshalb am Grundsatz fest, dass fremdsprachige Schüler, die sich nicht nur vorübergehend in unserem Kanton aufhalten, verpflichtet sind, eine deutschsprachige Schule zu besuchen. Dieses Prinzip ist vom Bundesgericht geschützt worden. Besonders erwünscht ist die Eingliederung der ausländischen Kinder in die Volksschule, wo sie zusammen mit ihren schweizerischen Altersgenossen in unsere Kultur eingeführt werden und wo sich auf natürlichste Art Kontakte mit der schweizerischen Lebensart ergeben. Die Schulbehörden bemühen sich, die Eltern ausländischer Kinder vom Wert des Besuches der Volksschule im Hinblick auf die Assimilierung an unsere Verhältnisse zu überzeugen und diesen Kindern den Besuch der Volksschule nach Möglichkeit zu erleichtern. Gegenwärtig werden in unserem Kanton mehr als 8000 fremdsprachige, zumeist ausländische Kinder in der Volksschule unterrichtet. Kinder, die mit grossen sprachlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, werden durch spezielle Deutschkurse für Fremdsprachige oder - in Gemeinden mit ausser gewöhnlich vielen fremdsprachigen Schülern - in besonderen Uebergangsklassen darauf vorbereitet, dem Unterricht in den normalen Volksschulklassen folgen zu können. Die ausländischen Eltern bringen diesen Bestrebungen freilich noch nicht immer das nötige Verständnis entgegen, und mit dem Zuzug von Arbeitskräften aus Ländern, deren Sprachen den Lehrern nicht bekannt sind (Spanien, Griechenland, Türkei), ergeben sich weitere Schwierigkeiten für die Eingliederung ihrer Kinder in die Volksschule. Die Erziehungsbehörden werden die Assimilierung der ausländischen Kinder weiterhin nach Kräften fördern. Für die berufliche Ausbildung der Kinder eingereister Ausländer stehen die gleichen Möglichkeiten wie für die einheimische Bevölkerung [p. 924] offen. Nach den geltenden kantonalen Bestimmungen sind die niedergelassenen Ausländer hinsichtlich des Bezuges von Berufsbildungsstipendien den Schweizerbürgern gleichgestellt.

3. Unser kantonales Recht legt der Einbürgerung von assimilierten Ausländern keine Hindernisse in den Weg. Nach der geltenden gesetzlichen Regelung kann jeder Ausländer, der die eidgenössische Einbürgerungsbewilligung erlangt hat, in das Bürgerrecht einer Gemeinde und des Kantons aufgenommen werden, der mindestens seit zwei Jahren in der betreffenden Gemeinde seinen tatsächlichen Wohnsitz hat, sich und seine Familie selber zu erhalten vermag, genügende Ausweise über seine bisherigen Heimats- und Familienverhältnisse sowie über einen unbescholtenen Ruf beibringt und die vorgeschriebene Einkaufsgebühr entrichtet. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass die in der Schweiz geborenen Ausländer bei Erfüllung der genannten Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung in ihrer zürcherischen Wohnsitzgemeinde besitzen, der nötigenfalls auf dem Wege des verwaltungsrechtlichen Rekurses durchgesetzt werden kann. Die Ausländer der zweiten Generation geniessen damit bei der Einbürgerung eine Vorzugsstellung, die zusätzlich noch dadurch betont wird, dass ihre Aufnahme in das Bürgerrecht sowohl der Gemeinde als auch des Kantons durch Beschlüsse von Exekutivbehörden (Gemeinderat und dreigliedrige Kommission des Regierungsrates) erfolgt. Lediglich bei nicht in der Schweiz geborenen Ausländern, für die kein Rechtsanspruch auf Einbürgerung besteht, ist der Entscheid über die Erteilung des Gemeindebürgerrechts durch die Bürgerschaft oder durch das Gemeindeparlament zu treffen, während die Aufnahme in das Kantonsbürgerrecht auch bei ihnen durch eine Kommission des Regierungsrates geschieht. Für die in der Schweiz geborenen Ausländer bestehen somit bereits heute beträchtliche Erleichterungen, die wohl bei grundsätzlicher Beibehaltung des herkömmlichen Einbürgerungssystems kaum noch erheblich ausgedehnt werden könnten.

Wir glauben auch feststellen zu dürfen, dass die Pflicht zur Bezahlung von Einkaufsgebühren jedenfalls in unserem Kanton assimilierte Ausländer der zweiten Generation in den wenigsten Fällen von der Stellung eines Einbürgerungsgesuches abhält die Aussicht, beim Erwerb des Schweizerbürgerrechts in jungen Jahren Militärdienst leisten zu müssen, bildet nach unseren Erfah[r]ungen weit häufiger einen Grund dafür, mit der Einbürgerung zuzuwarten). Unsere Einkaufsgebühren bemessen sich nach den Einkommensverhältnissen, wobei die Gebührenskala stark progressiv ausgestaltet ist und jungen Bewerbern zudem bedeutende Ermässigungen gewährt werden. So ermässigt sich die kantonale Mindesteinkaufsgebühr von Fr. 500 für in der Schweiz geborene und aufgewachsene Ausländer, deren Einbürgerung vor dem vollendeten 25. Altersjahr erfolgt, auf Fr. 125. Den Gemeinden ist es untersagt, den in der Schweiz geborenen Ausländern höhere als die vom kantonalen Recht festgesetzten Gemeindeeinkaufsgebühren aufzuerlegen; zudem begnügen sich zahlreiche zürcherische Gemeinden mit geringeren Gebühren. Bei dieser Sachlage wird unseren Einkaufsgebühren kaum eine prohibitive Wirkung zugeschrieben werden können. Sollte aber darin in gesamtschweizerischer Sicht gleichwohl ein nicht gerechtfertigtes Hindernis für die Einbürgerung von Ausländern der zweiten Generation erblickt werden, so sind wir auf Ihren Wunsch bereit, unsere Gebührenansätze erneut zu überprüfen.

4. Im Hinblick auf die dargelegten, nach unserem kantonalen Recht schon jetzt für die Einbürgerung junger Ausländer der zweiten Generation geltenden Erleichterungen besteht für uns kein zwingender Grund, den Erlass neuer bundesrechtlicher Vorschriften zu befürworten, die zwangsläufig zu einem weiteren Abbau der Kompetenzen von Kantonen und Gemeinden führen müssten. Insbesondere möchten wir empfehlen, von Lösungen abzusehen, die - im Sinne des Postulates von Ständerat Borel - allen oder einzelnen Kategorien der in unserem Lande geborenen Ausländer automatisch das Schweizerbürgerrecht verschaffen würden (Bürgerrechtserwerb iure soli). Soweit Artikel 44 der Bundesverfassung den Gesetzgeber ermächtigt, von schweizerischen Müttern abstammende ausländische Kinder von Geburt an als Schweizerbürger zu erklären, besteht seit dem Inkrafttreten des eidgenössischen Bürgerrechtsgesetzes vom 29. September 1952 keine Notwendigkeit mehr zu entsprechenden Vorkehren, weil die nach diesem Gesetz gegebenen Möglichkeiten der erleichterten Einbürgerung solcher Kinder durchaus genügen. Ein über das geltende Verfassungsrecht hinausgehender automatischer Erwerb des Schweizerbürgerrechts iure soli aber liesse sich, weil dann nicht mehr an einen bestehenden oder früheren Heimatort der Mutter angeknüpft werden könnte, folgerichtig wohl nur in Erwägung ziehen, wenn man auf die Kantons- und Gemeindebürgerrechte verzichten und nur noch eine einheitliche schweizerische Staatsangehörigkeit vorsehen wollte. Derart grundlegende Aenderungen des geltenden Rechtszustandes dürften sich jedoch unseres Erachtens innert absehbarer Zeit nicht verwirklichen lassen.

Demgegenüber möchten wir uns der Einführung einer neuen Art der erleichterten Einbürgerung für in der Schweiz geborene Ausländer, obwohl uns im Hinblick auf unsere kantonale Bürgerrechtsgesetzgebung auch dafür kein zwingendes Bedürfnis vorzuliegen scheint, grundsätzlich nicht widersetzen, sofern in gesamtschweizerischer Sicht zusätzliche Erleichterungen für die Aufnahme assimilierter junger Ausländer in Betracht gezogen werden müssen. Zwar würden auch durch solche Lösungen Schmälerungen der kantonalen und kommunalen Befugnisse bewirkt, die nicht leicht wiegen. Anderseits bliebe den Kantons- und Gemeindebehörden immerhin - im Gegensatz zu jedem automatischen Bürgerrechtserwerb iure soli - ein gewisses Mitspracherecht gewahrt, und es bestände namentlich auch die Möglichkeit, ungeeignete Bewerber von der Aufnahme ins Bürgerrecht auszuschliessen. Das schwierigste Problem würde bei der Schaffung einer neuen Art der erleichterten Einbürgerung für in der Schweiz geborene Ausländer darin bestehen, dass auch hier nicht an ein bestehendes oder früheres Schweizerbürgerrecht angeknüpft werden könnte, sondern die Einbürgerung in der Wohnsitzgemeinde vorgenommen werden müsste. Da die heute noch bestehenden Unterschiede hinsichtlich der Rechtsstellung von Bürgern und Niedergelassenen aber ohnehin kaum auf die Dauer beibehalten werden können, dürften jedenfalls grundsätzlich der Einführung einer neuen Art der erleichterten Einbürgerung für im Inland geborene und aufgewachsene Ausländer, sofern sie nicht über die im Kanton Zürich bestehende Ordnung hinausgeht, keine unüberwindlichen Schwierigkeiten im Wege stehen.

II. Mitteilung an die Direktionen des Innern, der Volkswirtschaft, der Polizei und des Erziehungswesens.