Signatur | StAZH MM 3.23 RRB 1909/1369 |
Titel | Gemeindesteuern. |
Datum | 20.07.1909 |
P. | 527–529 |
[p. 527] In Sachen der Erben des Adolf Günthardt, von Örlikon und Bertschikon, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. H. Kunz in Zürich, Rekurrenten gegen einen Entscheid des Bezirksrates Winterthur vom 26. März 1909, betreffend Armensteuer,
hat sich ergeben:
A. Der am 11. Oktober 1908 in Örlikon verstorbene Adolf Günthardt hatte im Jahre 1884 an den Staat Fr. 1000 Vermögen versteuert, dieser Betrag wurde seither mehrfach gesteigert, sodaß er sich in den Jahren 1904/1905 auf Fr. 14,000 und 1907/1908 auf Fr. 15,000 belief, bei der amtlichen Inventarisation dagegen wurde das steuerpflichtige Vermögen auf Fr. 50,000 festgesetzt. Günthardt war Bürger der Gemeinden Örlikon und Bertschikon und entrichtete an jene die Armen-Steuer vom staatssteuerpflichtigen Vermögen, an diese dagegen seit dem Jahre 1884 nur von Fr. 1000 Vermögen. Auf Grund der Nachsteuerverfügung der Finanzdirektion machte die Armenpflege Bertschikon den Erben Günthardt folgende Steuerauflagen:
1. Fünffache Nachsteuer für die Jahre 1906 und 1907 von den zu wenig versteuerten Fr. 49,000 Vermögen gleich Fr. 1347.50
2. Einfache Steuer für 1908 von Fr. 25,000 Vermögen,
Haushaltung und Mann (zu 3‰) gleich Fr. 81
B. Gegen diese beiden Steuerauflagen rekurrierte Rechtsanwalt Dr. Kunz namens der Erben Günthardt an den Bezirksrat Winterthur und verlangte vollständige Abweisung der Nachsteuer und Abweisung der einfachen Steuer für 1908, soweit diese den Betrag von Fr. 9 (gleich Steuer von Haushaltung, Mann und Fr. 1000 Vermögen) übersteige.
Mit Entscheid vom 26. März 1909 wurde der Rekurs teilweise abgewiesen und die Erben Günthardt verpflichtet
a) zur Zahlung der fünffachen Nachsteuer für die Jahre 1906 und 1907 vom gleichen Vermögensbetrag, von welchem die Nachsteuer an den Staat entrichtet werden mußte;
b) zur Zahlung der einfachen Steuer für 1908 von Fr. 36,000 Vermögen, unter Abzug allfällig für dieses Jahr bereits entrichteter Steuern.
Zu diesem Beschlusse gelangte der Bezirksrat, indem er zunächst von der Annahme ausging, daß die Armenpflege Bertschikon davon Kenntnis gehabt habe, oder doch bei pflichtgemäßem Vorgehen davon hätte Kenntnis erhalten müssen, daß Günthardt in ürlikon viel höher eingeschätzt gewesen sei als [p. 528] mit Fr. 1000. Dieser Sachverhalt lasse es daher unter keinen Umständen zu, die Erben des Verstorbenen für denjenigen Betrag zur Nachsteuer heranzuziehen, für welchen dieser selber die Staats- und Gemeindesteuern in Örlikon entrichtet habe. Mit Bezug auf das für alle Steuern verheimlichte Vermögen dagegen hält der Bezirksrat dafür, daß § 147 des Gemeindegesetzes auch der Armenpflege Bertschikon das Recht zur Erhebung der Nachsteuern einräume und zwar im nämlichen Umfange wie dem Staate selber und der Wohngemeinde Örlikon. Der bundesgerichtliche Entscheid im Falle Spühler treffe hier nicht zu, da Günthardt von der Armenpflege Bertschikon tatsächlich besteuert worden sei. Die Berechtigung der Armenpflege Bertschikon zur Erhebung der erhöhten einfachen Steuer für das Jahr 1908 leitete der Bezirksrat im wesentlichen aus den nämlichen Gründen ab, mit denen er die Befugnis der genannten Behörde zur Erhebung der Nachsteuer begründet hatte. Im Gegensatz zu dem Begehren der Armenpflege Bertschikon räumte er dieser das Steuerrecht für den ganzen, im Jahre 1908 an den Staat nicht versteuerten Betrag ein, von der Auffassung ausgehend, daß eine Armenpflege nicht befugt sei, von Doppelbürgern (Günthardt war gleichzeitig Bürger von Örlikon) nur die halbe Armensteuer zu erheben.
C. Mit Eingabe vom 19. Mai an den Regierungsrat verlangt nunmehr Rechtsanwalt Dr. Kunz namens der Erben Günthardt Aufhebung des erwähnten bezirksrätlichen Entscheides und Gutheißung seiner vor erster Instanz gestellten Begehren. Er stützt sich zur Begründung seines Antrages namentlich auf die Tatsache, daß die Armenpflege Bertschikon den A. Günthardt stets nur für Fr. 1000 besteuert, trotzdem dessen staatssteuerpflichtiges Vermögen längst diesen Betrag überstiegen hatte. Da nun der konkrete Steueranspruch grundsätzlich und dem Umfange nach erst durch seine Festlegung im Steuerverleger entstehe, eine Festlegung aber hinsichtlich des Mehrbetrages über Fr. 1000 zu Lebzeiten des steuerpflichtigen Günthardt nicht erfolgt sei, so sei auch kein bezüglicher Steueranspruch entstanden, was die Erhebung einer Nachsteuer ausschließe. Nach dem bundesgerichtlichen Urteil in Sachen Spühler habe die Nachsteuer Strafcharakter, setze also ein Verschulden des Steuerpflichtigen voraus, das für die ungenügende Besteuerung kausal gewirkt habe. Diese Voraussetzung sei aber im vorliegenden Falle nicht erfüllt, da die Armenpflege bei voller Kenntnis des wirklichen staatssteuerpflichtigen Vermögens des Günthardt, diesen absichtlich nur mit Fr. 1000 zur Armensteuer herangezogen habe. Die Armenpflege habe durch dieses Verhalten auf die Mehrbesteuerung über den Betrag von Fr. 1000 hinaus schlechthin verzichtet; es sei daher völlig gleichgültig, ob dieser Mehrbetrag sich auf Fr. 14,000 oder auf Fr. 49,000 belaufe, und ob die Behörde gewußt habe oder nicht, daß der Steuerpflichtige ein steuerpflichtiges Vermögen von Fr. 50,000 besessen habe. Es könne daher auch nicht die Nachsteuer für den Betrag zwischen Fr. 1000 - 15,000 abgelehnt, dagegen diejenige für die Summe zwischen Fr. 15,000 - 50,000 gutgeheißen werden.
Was sodann die vom Bezirksrat der Armengemeinde zuerkannte einfache Steuer von Fr. 36,000 für das Jahr 1908 betrifft, so wollen die Rekurrenten nur die Steuerpflicht von Fr. 1000 anerkennen, also nur Fr. 9 (Vermögen, Haushaltung und Mann) Steuern entrichten, mit der Begründung, die Erben Günthardt seien nicht mehr in den Steuerverleger von 1908 eingesetzt gewesen, trotzdem der Armenpflege Bertschikon der Betrag des Nachlasses bekannt gewesen sei. Wenn die Gemeinde den Erblasser für 1908 habe stärker besteuern wollen, so hätte sie ihn rechtzeitig davon benachrichtigen müssen, um ihm Gelegenheit zu geben, eventuell auf das Bürgerrecht von Bertschikon verzichten zu können. Unter allen Umständen könne die Armenpflege die Steuer pro 1908 höchstens von Fr. 25,000 erheben.
D. Die Armenpflege Bertschikon sowohl als der Bezirksrat Winterthur beantragen in ihren Vernehmlassungen vom 1. und 19. Juni 1909 Abweisung des Rekurses. Die ersterwähnte Behörde hält insbesondere daran fest, daß sie von der Steigerung des steuerpflichtigen Vermögens des Günthardt nichts gewußt habe, und daß der bundesgerichtliche Entscheid in Sachen Spühler für den vorliegenden Fall nicht in Betracht kommen könne, indem von Spühler überhaupt keine Armensteuern erhoben worden seien. Daß die Erben Günthardt eine Steuerpflicht gegenüber Bertschikon anerkennen, ergebe sich daraus, daß einzelne von ihnen, vor allem Frau Günthardt, dem Armengutsverwalter die Hälfte der begehrten Nach- und einfachenSteuern zu zahlen offeriert hätte. Im übrigen sei die Armenpflege mit dem bezirksrätlichen Entscheid einverstanden.
Der Bezirksrat Winterthur verweist in der Hauptsache auf die Begründung zu seinem Entscheide vom 26. März 1909.
E. Nach einem von der Direktion des Innern eingezogenen Berichte der Armenpflege Bertschikon ist der Armensteuerverleger dieser Gemeinde für das Jahr 1908 erst im November 1908 publiziert worden, so daß der verstorbene A. Günthardt für 1908 noch keine Steueraufforderung erhalten hatte. Der Steuerzettel wurde den Erben im Januar 1909 zugestellt. Das hatte seinen Grund darin, daß die Armenpflege Bertschikon zuerst mit der Armenpflege Örlikon wegen der Höhe des nachsteuerpflichtigen Vermögens unterhandelte, das Resultat dieser Unterhandlungen aber abgewartet werden mußte, bevor die Höhe des im Jahre 1908 steuerpflichtigen Vermögens festgesetzt werden konnte.
Es kommt in Betracht:
1. Die Berechtigung der Armenpflege Bertschikon zur Erhebung einer Nachsteuer wird von den Erben Günthardt vor allem deshalb bestritten, weil die genannte Behörde den Erblasser seit 1884 nur für Fr. 1000 besteuerte, während sein staatssteuerpflichtiges Vermögen bis 1907 mehrfach wesentlich erhöht worden war. Sie stützen sich hiebei insbesondere auf den bundesgerichtlichen Entscheid im Falle Spühler. Allein sie übersehen, daß die tatsächlichen Verhältnisse, die jenem Rekurs zu Grunde lagen, sich in einem sehr wesentlichen Punkte von denjenigen unterscheiden, die heute Gegenstand des Prozesses sind: Bankdirektor Spühler war von der Armenpflege Wasterkingen gar nie zur Armensteuer herangezogen worden, während der Erblasser der Rekurrenten, A. Günthardt, seit 1884 ununterbrochen auf dem Steuerregister von Bertschikon figuriert und in Bertschikon auch von Fr. 1000, sowie von Haushaltung und Mann die Armensteuer bezahlt hatte. Für das Bundesgericht war nun aber in dem fraglichen Urteil gerade die Tatsache der Nichtbesteuerung Spühler’s entscheidend gewesen. Da dieser niemals Gelegenheit erhalten hatte, sich einer Steuerauflage gegenüber zu äußern, so konnte ihn auch an der unzureichenden Heranziehung zur Armensteuerpflicht in seiner Heimatgemeinde keinerlei Verschulden treffen; damit fiel nach der Auffassung des Gerichtes das Recht der Armenpflege Wasterkingen zur Erhebung einer Nachsteuer dahin.
Wesentlich anders ist das Verhalten des Erblassers der Rekurrenten zu beurteilen. Im Falle Günthardt liegt tatsächlich eine unvollständige Versteuerung auch gegenüber der Heimatgemeinde Bertschikon (im Sinne von § 38 des Staatssteuergesetzes) vor, und zwar hat Günthardt nur Fr. 1000 versteuert, trotzdem er genaue Kenntnis davon hatte, daß er damit seiner gesetzlichen Steuerpflicht nicht genüge. Irgendwelche Vereinbarung über eine vom Gesetz abweichende Besteuerung ist niemals getroffen worden und wäre auch nach § 146 des Gemeindegesetzes unstatthaft gewesen. Die Armenpflege Bertschikon war tatsächlich über die Höhe des steuerpflichtigen Vermögens ihres in Örlikon wohnhaften und dort ebenfalls heimatberechtigten Mitbürgers nicht richtig informiert. Darin, daß Günthardt sie wissentlich in diesem Irrtum belassen hat, liegt zweifellos ein «für das Gemeinwesen schädliches Vorgehen, ein gewisses, für die unvollständige Versteuerung kausales Verhalten», das nach der Auffassung des Bundesgerichtes Voraussetzung für die Erhebung der Nachsteuer auf Grund von § 147 des Gemeindegesetzes und § 38 des Staatssteuergesetzes ist. Diese Qualifikation der fraglichen Handlungsweise des Steuerpflichtigen erleidet keine Änderung durch den Umstand, daß auch die Steuerbehörde selber ein Verschulden an der unrichtigen Besteuerung trifft, indem sie sich nicht genügend über die Änderungen der Staatssteuerregistereinträge orientiert hat.
Liegt somit ein Verschulden des Pflichtigen schon in Hinsicht auf die Nichtbesteuerung desjenigen Vermögens vor, welches vom Staate zur Steuer herangezogen worden war, so ist dies noch in größerem Maße inbezug auf diejenigen Aktiven der Fall, welche ganz der Besteuerung entzogen gewesen waren und infolgedessen der Nachsteuer unterliegen. Das Vorhandensein dieses Verschuldens ist auch von den Rekurrenten dadurch anerkannt worden, daß sie die Nachsteuerverfügung der Finanzdirektion unangefochten ließen. Der Rekurs kann daher, soweit er die den Rekurrenten auferlegte Nachsteuer betrifft, nicht gutgeheißen werden.
2. Mit Bezug auf die einfache Steuer für das Jahr 1908 hat sich ergeben, daß der Steuerverleger der Armengemeinde Bertschikon erst im November dieses Jahres, also nach dem Tode [p. 529] Günthardt’s publiziert worden ist. Es war daher ohne weiteres klar, daß die Armensteuer von den Erben erhoben werden mußte. Die Behauptung der Rekurrenten, sie seien nicht mehr in den Steuerverleger von 1908 aufgenommen worden und infolgedessen für dieses Jahr auch nicht mehr steuerpflichtig, entspricht nicht dem wirklichen Sachverhalt. Wie aus den Ausführungen in lit. E hervorgeht, sind die Erben Günthardt von Anfang an als steuerpflichtig behandelt worden, nur war sich die Armenpflege nicht völlig klar über die Höhe des steuerpflichtigen Vermögens. Sofort nach dessen Feststellung ist dann aber der Frau Günthardt der Steuerzettel für 1909 übermittelt worden.
Die Armenpflege Bertschikon hat von den Erben Günthardt für das Jahr 1908 Steuern von Fr. 25,000 verlangt, der Bezirksrat Winterthur hat dagegen Fr. 36,000 als steuerpflichtig erklärt. Durch die amtliche Inventarisation ist festgestellt worden, daß das steuerpflichtige Vermögen Günthardt’s im Jahre 1908 Fr. 50,000 betragen hat. Die mit Rücksicht auf das Doppelbürgerrecht Günthardt’s von der Armenpflege Bertschikon erfolgte Beschränkung der Steuer auf die Hälfte dieses Vermögens widerspricht den gesetzlichen Vorschriften über die Armensteuerpflicht und kann infolgedessen nicht geschützt werden. Im weitern ist aber auch kein Grund vorhanden, die bisher vom Staat, aber nicht von der Armenpflege Bertschikon zur Steuer herangezogenen Fr. 14,000 für die ordentliche Armensteuer pro 1908 von der Besteuerung auszuschließen. Da die Festsetzung der Steuerpflicht alljährlich selbständig erfolgt, ist das Vorgehen der Armenpflege in den Jahren 1907 etc. für ihr Verhalten im Jahre 1908 keineswegs maßgebend. Sie hat bei der Feststellung des Steuerverlegers in diesem Jahre vom Vorhandensein dieser Fr. 14,000 Kenntnis gehabt, war infolgedessen verpflichtet, diese Summe in den Steuerverleger aufzunehmen und demgemäß die Steuer zu berechnen. Lit. B des bezirksrätlichen Entscheides muß daher aufgehoben und die Armenpflege verpflichtet werden, die Armensteuer der Erben Günthardt vom staatssteuerpflichtigen Vermögen (Fr. 50,000) zu erheben.
Auf Antrag der Direktion des Innern
beschließt der Regierungsrat:
I. Der Rekurs der Erben Günthardt gegen den Entscheid des Bezirksrates Winterthur vom 26. März 1909 wird abgewiesen, lit. a dieses Entscheides bestätigt, lit. b in dem Sinne abgeändert, daß das steuerpflichtige Vermögen der Erben Günthardt für 1908 auf Fr. 50,000 festgesetzt wird.
II. Die Staatsgebühr wird auf Fr. 20 festgesetzt. Sie ist samt den übrigen Kosten, bestehend in den Ausfertigungs- und Stempelgebühren, von den Rekurrenten zu bezahlen.
III. Mitteilung an Rechtsanwalt Dr. H. Kunz in Zürich zu Handen der Erben des Adolf Günthardt, die Armenpflege Bertschikon, den Bezirksrat Winterthur und die Direktion des Innern.