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Staatsarchiv des Kantons Zürich

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SignaturStAZH MM 3.35 RRB 1921/0246
TitelTerrainrutschungen.
Datum29.01.1921
P.85–86

[p. 85] Die Volkswirtschaftsdirektion berichtet:

1. Der Gemeinderat Turbenthal übermittelte am 26. Januar 1921 der Volkswirtschaftsdirektion eine Eingabe, welche ihm von mehreren dort ansässigen Grundeigentümern am 23. Januar 1921 gemacht worden war und die sich auf die eingetretenen Terrainrutschungen in der Flurabteilung «Lust» bezieht. Es wird darin ausgeführt, daß am Mittwoch, den 19. Januar 1921, in der genannten Flurabteilung ein großer Waldkomplex von 8 Jucharten durch einen Erdrutsch vollständig zerstört und auch die anstoßenden Wiesen teilweise aufgetrieben und stark beschädigt worden seien. Es sei nicht ausgeschlossen, daß die noch immer in Bewegung befindliche Erdmasse, die sich unter dem ungeheuren Druck stetig vorwärts wälze und weitere Kulturen zu zerstören drohe, unter Umständen das Bett des «Katzenbaches» erreiche, dieses ausfülle und den Bach staue. Am östlichen Teil des Butschgebietes seien weitere Rutschungen zu befürchten, wenn nicht sofort Vorkehren getroffen würden. Das dort vorhandene oberflächliche Wasser dringe in die Bisse ein, lockere den Boden und befördere ein weiteres Rutschen. Die Grundeigentümer ersuchen daher den Gemeinderat, bei der Volkswirtschaftsdirektion dahin vorstellig zu werden, daß durch Fachleute die Lage und Situation geprüft und die erforderlichen Maßregeln zur Verhinderung weiterer Schäden getroffen werden. Der Gemeinderat Turbenthal schließt sich in der Überweisung des Gesuches an die Volkswirtschaftsdirektion diesem Begehren der geschädigten Grundeigentümer an.

2. Nach einer am 25. Januar 1921 stattgefundenen mündlichen Benachrichtigung des kantonalen Meliorationsamtes durch Notar Meier von Turbenthal begab sich der kantonale Kultur-Ingenieur am folgenden Tag nach Turbenthal und besichtigte in Begleitung von Mitgliedern des Gemeinderates und einigen geschädigten Grundeigentümern die eingetretenen Schädigungen. Über seinen Befund berichtet er:

Das Rutschgebiet «Lust» befindet sich auf der Nordseite des westlichsten Ausläufers des Hügelzuges, der sich von Sitzberg über Breit-Landenberg gegen Turbenthal hinzieht. Es hat eine Ausdehnung von zirka 2 ha und bildete einen schönen Waldbestand, zum Teil aus über 40jährigen Rottannen bestehend. Die Schilderung der Rutschung, wie sie in der Eingabe der Grundeigentümer enthalten ist, ist zutreffend. Der Rutsch hat stellenweise, besonders in den oberen Partien, den Charakter eines eigentlichen Bergsturzes angenommen. Er hat den Waldbestand größtenteils vernichtet und droht auch die unterhalb liegenden Wiesen bis zum Katzenbach hinunter noch zu zerstören. Gegenwärtig ist die ganze Erd- und Felsmasse von schätzungsweise 50,000 m2 Inhalt noch in langsamer Bewegung; sie schiebt auf den Wiesen unterhalb des Waldes die Rasendecke bis auf ziemlich große Tiefe vor sich hin und verunstaltet das ganze Gelände außerordentlich. Die Gefahr, daß die Rutschungen den Katzenbach erreichen und ihn stauen können, ist nicht ausgeschlossen; denn die Entfernung vom Wald- [p. 86] ranci bis zum Bach beträgt nur zirka 150 m und das Terrain fällt ziemlich steil, das heißt mit nahezu 20%, zum Bach ab. Die Rutsche haben tatsächlich den Flurweg, der sich im untern Drittel der Wiesen befindet, bereits erreicht. Rasche Hülfe ist daher nötig und zwar sowohl zur Verhinderung einer Bachstauung, wie auch der weiteren Zerstörung des Wieslandes. Die Grundeigentümer sind gegenwärtig mit der Abräumung des gestürzten Holzes beschäftigt.

Die Ursache der Rutschungen ist auf die starke Durchnässung des Gebietes infolge der letzten Regengüsse und Schneeschmelzen zurückzuführen, indem das Wasser bei dem ungefrorenen Boden rasch und in großer Menge in die zirka 20 m starke Kies- und Nagelfluhschicht, die unmittelbar unter der Bodenoberfläche folgt, einsickern konnte. Dazu kommt, daß unter der Kiesschicht sich eine sehr weiche Mergelschicht befindet, deren Oberfläche durch das reichlich eindringende Wasser und unter der Wirkung des großen Druckes aufgelöst und damit schlüpfrig wurde, wodurch die notwendige Adhäsion mit der darüberliegenden Erdschicht verloren ging. Indessen ist das Gebiet jedenfalls schon seit längerer Zeit in Bewegung gewesen, ohne daß dies ersichtlich war. Durch den starken Sturm in der Nacht vom 18./19. Januar 1921 ist dann das labile Gleichgewicht der Erdmassen gestört und die Bewegung ausgelöst worden.

An Sicherungsarbeiten sind auszuführen:

a) Ableitung des oberflächlich sichtbaren Wassers aus den Randgebieten und aus dem Rutschgebiet selbst, soweit dies bei der stark verworfenen Bodenoberfläche überhaupt möglich ist; Anlage von offenen Gräben, eventuell in Verbindung mit Holzkänneln oder von solchen allein, insbesonders in den eigentlichen Abrißgebieten.

b) Ausführung von Sickerleitungen zur möglichsten Abfangung des zufließenden Wassers im offenen Kulturland oberhalb des Rutschgebietes, auf der Karte 1:25000 als «Ebnet» bezeichnet, wobei vor der Erstellung der Leitungen Sondierungen auszuführen sind.

c) Entwässerung der Wiesen unterhalb des Waldrandes, um dadurch für die abgerutschten Erdmassen einen möglichst sicheren Fuß zu schaffen und die Ausdehnung der Rutschungen gegen den Bach hinunter verhindern zu können.

Im eigentlichen Rutsch- oder Sturzgebiet sind weitere Vorkehrungen zurzeit nicht möglich; die noch vorhandenen Bäume, welche nicht entwurzelt und nicht verschoben sind, sollen vorläufig noch stehen gelassen werden, um eine Lockerung der Erdmassen möglichst zu verhüten.

Die Arbeiten müssen aber rasch durchgeführt werden, um weitere große Schädigungen verhindern zu können. Dabei wäre es auch möglich, Arbeitslose zu beschäftigen, indem solche auch in der Gemeinde Turbenthal schon in beträchtlicher Anzahl vorhanden sind.

Über die Kosten der Sicherungsarbeiten lassen sich gegenwärtig noch keine Angaben machen, da ohne Terrainaufnahmen und Sondierungen weder deren Umfang noch die Tiefe der auszuführenden Sickerungs- und Drainagearbeiten übersehen werden kann. Ein Kostenvoranschlag wird sich erst aufstellen lassen, wenn genauere Terrainuntersuchungen und Vermessungen vorgenommen sein werden.

Dem Vertreter des Gemeinderates ist Weisung erteilt worden, wie hinsichtlich der administrativen Behandlung der Angelegenheit (Grundeigentümerversammlung unter Leitung des Gemeinderates, Bildung einer Flurgenossenschaft, Wahl einer Kommission etc.) vorzugehen ist; die in Frage kommenden Grundeigentümer werden in den nächsten Tagen zu einer Versammlung einberufen.

3. Eine Beihülfe des Staates wird wie bei allen derartigen Rutschverbauungen auf Grund des Landwirtschaftsgesetzes erfolgen können, indem es sich darum handelt, durch die auszuführenden Sicherungs- und Wiederherstellungsarbeiten das unterhalb des Rutschgebietes liegende Kulturland vor gänzlicher Zerstörung zu bewahren. In gleicher Weise hat sich der Kanton beteiligt bei den Rutschverbauungen in Bauma (Regierungsratsbeschluß Nr. 253 vom 14. Februar 1907) und an andern Orten. In der Regel wurde an solche Arbeiten der höchstzulässige Staatsbeitrag von 30% der wirklichen Kosten zugesichert. Bei der Bestimmung der Höhe des Staatsbeitrages muß eben in Betracht gezogen werden, daß die Grundeigentümer im Grunde genommen aus solchen Rutschverbauungen an und für sich keinen direkten Nutzen ziehen, wie zum Beispiel bei der Entwässerung von nassem Kulturland, wo durch die Drainage allein die Ertragsfähigkeit des Grund und Bodens bedeutend erhöht wird. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß die Grundeigentümer im vorliegenden Fall nebst den Auslagen für die Sicherungs- und Wiederherstellungsarbeiten noch großen Schaden erleiden durch die Vernichtung des teilweise sehr schönen Waldbestandes.

Der Bund hat sich bei allen solchen Rutschverbauungs- und Sicherungsarbeiten bisher ebenfalls mit gleich hohen Beiträgen wie der Kanton beteiligt und zwar ebenfalls aus den Krediten für Bodenverbesserungen. Es ist indessen im vorliegenden Fall noch die Frage zu prüfen, ob sich nicht ein höherer Bundesbeitrag erhältlich machen ließe auf Grund von Artikel 5 des Bundesgesetzes betreffend die Wasserbaupolizei im Hochgebirge vom 22. Brachmonat 1877, beziehungsweise der Novelle vom Jahr 1897.

Offenbar wird sich auch die Gemeinde Turbenthal der Pflicht einer Beitragsleistung an die Sicherungs- und Verbauungsarbeiten nicht entziehen können, insbesonders nachdem an die ausgeführten Drainagearbeiten bei Seelmatten und Neubrunn schon ein Gemeindebeitrag von 7% geleistet worden ist.

Endlich kommen für die am stärksten geschädigten und nicht sehr kapitalkräftigen Grundeigentümer wohl auch Beiträge aus dem «Schweizerischen Fonds für Hülfe bei nicht versicherten Elementarschäden» in Betracht, worauf die Interessenten aufmerksam zu machen sind. Eine Beitragsleistung aus diesem Fonds an die Kosten der eigentlichen Wiederherstellungsarbeiten findet nicht statt, sondern nur an die eingetretenen Schädigungen.

Auf diese Weise sollte es möglich sein, daß den geschädigten Grundeigentümern Beiträge von insgesamt gegen 70% zukommen können, so daß ihnen noch ungefähr 30% der Kosten der Sicherungsarbeiten übrig bleiben.

Nach Einsicht

a) einer Zuschrift des Gemeinderates Turbenthal vom 26.

Januar 1921 an die kantonale Volkswirtschaftsdirektion,

b) einer Kartenskizze, vorgelegt vom kantonalen Meliorationsamt,

c) eines Antrages der Volkswirtschaftsdirektion,

beschließt der Regierungsrat:

I. Unter der Voraussetzung, daß für die genossenschaftliche Verbindung der bei den Rutschverbauungs- und Sicherungsarbeiten im Rutschgebiet «Lust» bei Turbenthal aktiv beteiligten Grundeigentümer im Sinne der Bestimmungen über die Bodenverbesserungen im zürcherischen Landwirtschaftsgesetz nachträglich die regierungsrätliche Genehmigung des Projektes beziehungsweise der technischen Unterlagen (Pläne, Kostenvoranschlag etc.), sowie der Statuten nachgesucht wird, und daß die Wiederherstellungs- und Sicherungsarbeiten technisch solid und zweckmäßig ausgeführt werden, wird dem Unternehmen ein Staatsbeitrag von 30% der wirklichen Kosten zugesichert und die Projektierung und Leitung der erforderlichen Arbeiten auf Staatskosten übernommen.

II. Der sofortige Beginn der Sicherungsarbeiten unter Leitung des kantonalen Meliorationsamtes wird gestattet.

III. Die Volkswirtschaftsdirektion wird eingeladen, zu untersuchen, nach welchen bundesgesetzlichen Bestimmungen sich der höhere Bundesbeitrag für die Sicherungsarbeiten erhältlich machen läßt und alsdann dem betreffenden Departement des Bundesrates das Gesuch um Zusicherung eines solchen, sowie um die Bewilligung zum sofortigen Beginn der Sicherungs- und Verbauungsarbeiten einzureichen.

IV. Der Gemeinderat Turbenthal wird darauf aufmerksam gemacht, daß sich für die am stärksten geschädigten und nicht sehr kapitalkräftigen Grundeigentümer voraussichtlich ein Beitrag aus dem «Schweizerischen Fonds für Hülfe bei nicht versicherbaren Elementarschäden» (Präsident der Verwaltungskommission: a. Regierungsrat Naegeli, in Zürich 2) erhältlich machen läßt.

V. Mitteilung an den Gemeinderat Turbenthal für sich und zu Handen der geschädigten Grundeigentümer, sowie an die Direktion der Volkswirtschaft.