Signatur | StAZH MM 3.44 RRB 1930/1079 |
Titel | Trottoirbeiträge (Rekurs). |
Datum | 16.05.1930 |
P. | 403–404 |
[p. 403] In Sachen der Gemeinde Uster, Rekurrentin, vertreten durch den Gemeinderat Uster, gegen 1. Emil Gull-Hofer, 2. Jakob Bühler-Gerber, 3. Ernst Freitag, 4. Jakob Wohlgemuth, 5. H. Schrämli, 6. Witwe Elise Burkhalter, 7. Emil Bäggli, alle in Uster, Rekursgegner, Nrn. 2 bis 7 vertreten durch Nr. 1, betreffend Trottoirbeiträge, Rekurs gegen einen Beschluß des Bezirksrates Uster,
hat sich ergeben:
A. In der dem Baugesetz für Ortschaften mit städtischen Verhältnissen von 1893 im Sinne von § 1, Absatz 2, unterstellten Gemeinde Uster wird die Niederusterstraße korrigiert und mit Trottoirs versehen. Auf Antrag seiner Baukommission verpflichtete der Gemeinderat Uster mit Beschluß vom 17. April 1929 die Eigentümer der an die Straße stoßenden Grundstücke zu Trottoirbeiträgen im Sinne des § 41 des Baugesetzes. Hiegegen rekurrierten die Grundeigentümer Gull, Bühler, Freitag, Wohlgemuth, Schrämli, Witwe Burkhalter und Bäggli an den Bezirksrat Uster, der am 18. Juni 1929 den gemeinderätlichen Beschluß aufhob, da Trottoirbeiträge gestützt auf § 41 des Baugesetzes nur dann erhoben werden dürften, wenn das fragliche Gebiet dem Baugesetz in vollem Umfange unterstellt wäre.
Rechtzeitig beschwerte sich der Gemeinderat Uster beim Regierungsrat, mit dem Antrag auf Wiederherstellung des gemeinderätlichen Beschlusses vom 17. April 1929.
B. Die Behandlung des Geschäftes wurde zurückgelegt, da gleichzeitig beim Bezirksgericht Uster ein Zivilprozeß hängig war, mit welchem der ebenfalls mit Trottoirbeiträgen für die Niederusterstraße belastete Grundeigentümer Ritter die Unzulässigkeit der Erhebung von Trottoirbeiträgen gerichtlich feststellen lassen wollte. Mit Entscheid vom 15. Januar 1930 er- [p. 404]
klärte sich das Gericht jedoch als unzuständig. Der Streit über die Anwendbarkeit und Handhabung des Baugesetzes sei, soweit dem nicht andere ausdrückliche Vorschriften entgegenständen, ausschließlich vor den Verwaltungsbehörden auszutragen. § 147 des Baugesetzes sehe gegen derartige Beschlüsse der Gemeindebehörde Rekurs an den Bezirksrat vor. Irgendwelche Vorschrift, wonach im Enteignungsverfahren hierüber die Schätzungskommission oder die Gerichte zu entscheiden hätten, bestehe nicht. Zwar sehe auch das Abtretungsgesetz gewisse Beitragspflichten des Expropriaten vor; über Trottoirbeiträge enthalte jedoch der betreffende Gesetzesabschnitt nichts. Eine Berufung an das Obergericht unterblieb, sodaß das Verwaltungsstreitverfahren wieder aufzunehmen ist.
Es kommt in Betracht:
1. Mit Bezug auf die Zuständigkeit, die übrigens von keiner Seite bestritten ist, kann auf die Ausführungen des Bezirksgerichtes Uster im genannten Prozeß Uster contra Ritter verwiesen werden. Die Frage, welche Bestimmungen des Baugesetzes in solchen Gemeinden, die dieses Gesetz nicht in vollem Umfange einführten, anwendbar seien, ist tatsächlich nicht im Enteignungsverfahren, sondern durch die Verwaltungsbehörden zu entscheiden.
2. Gemäß § 1, Absatz 2, des Baugesetzes sind die. Gemeinden berechtigt, da, wo das Baugesetz nicht zur Anwendung kommt, für Neubauten an Straßen, öffentlichen Plätzen und in Quartieren, welche voraussichtlich überbaut werden, wenigstens Bau- und Niveaulinien festzusetzen. Uster machte von diesem Recht Gebrauch; sein Gebiet ist dem Baugesetz im Sinne des § 1, Absatz 2, unterstellt. Daher haben - so sagt das Gesetz - nur diejenigen Bestimmungen Geltung, die sich auf die Bau- und Niveaulinien und die Aufstellung von Quartierplänen beziehen. Es ist klar, daß bei diesem Gesetzestext sehr leicht Meinungsdifferenzen darüber entstehen können, welche einzelnen Baugesetzbestimmungen herangezogen werden dürfen. Stüßi meint in seinem Kommentar in Note 12 zu § 1, Absatz 2, es kämen nur die Abschnitte I (Geltungsgebiet) und II (Einteilung des Gebietes, Quartiere) in Frage. Dem wird mit Recht entgegengehalten, eine solche Praxis wäre mehr einfach als richtig. Die Anwendbarkeit verschiedener grundsätzlicher Bestimmungen bedinge folgerichtig auch diejenige der zugehörigen Ausführungsbestimmungen (vergleiche Kommentar Maag und Müller, Note 5 zu § 1). Die Praxis hat sich ebenfalls auf diesen Standpunkt gestellt und beispielsweise auch den § 120 als anwendbar erklärt, trotzdem er sich nicht im ersten oder zweiten Abschnitt des Gesetzes befindet (Regierungsratsbeschluß Nr. 1510/1909).
Durch die Aufstellung des § 1, Absatz 2, wurde bezweckt, Gemeinden, deren Entwicklung die Einführung des auf Ortschaften mit städtischen Verhältnissen zugeschnittenen Baugesetzes noch nicht verlangt, doch die Möglichkeit zu geben, wenigstens die für die zukünftige Überbauung besonders wichtigen Gesetzesbestimmungen als anwendbar zu erklären. Hiezu gehört in erster Linie die Kompetenz, Bau- und Niveaulinien festzusetzen, damit Straßenführung und Straßenausbau sich später nicht nach der bereits bestehenden Überbauung zu richten haben. Das Ziel würde nicht erreicht, wenn ohne Rücksicht auf bestehende Straßenbauprojekte gebaut werden könnte. Theoretisch hätte zwar die Gemeinde immer noch freie Hand, nicht aber in der Praxis, weil zu viele Gebäudeabbrüche aus verschiedenen, vor allem auch finanziellen Gründen vermieden werden müssen. Ähnliche Erwägungen führten den Gesetzgeber dazu, auch die Bestimmungen über die Aufstellung von Quartierplänen als anwendbar zu erklären. Selbst in dem Baugesetz noch nicht vollständig unterstellten Ortschaften soll die Überbauung neuer Quartiere nicht planlos erfolgen.
Gemäß § 17 des Gesetzes über die Abtretung von Privatrechten können Grundeigentümer, deren Liegenschaften durch eine öffentliche Unternehmung in ungewöhnlicher Weise Nutzen erwächst, mit einem Beitrag an die Kosten des Unternehmens belegt werden, gleichviel, ob sie Rechte abzutreten haben oder nicht.
Diese Bestimmung gilt grundsätzlich für das ganze Kantonsgebiet. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Erstellung von Trottoirs an Staats- oder Gemeindestraßen als öffentliche Unternehmung bezeichnet werden kann. Infolgedessen dürfen überall die Grundeigentümer zu Beiträgen herangezogen werden, sofern nur ein Mehrwert entsteht. Dies dürfte auch heute noch fast immer der Fall sein. Die in § 41 des Baugesetzes statuier ten Trottoirbeiträge der Anstößer sind daher im Grunde genommen nichts anderes als solche Mehrwertsbeiträge. Ein Unterschied besteht lediglich darin, daß nicht auf den entstehenden Mehrwert abgestellt, sondern die Höhe des Beitrages nach andern Faktoren (Baukosten und Anstoßlänge) berechnet wird. So entsteht ein einfacheres Verfahren; Streitigkeiten über die Beitragshöhe werden tunlichst vermieden, am Charakter des Beitrages als Mehrwertsbeitrag aber wird nichts geändert.
Folgt man diesen Ausführungen, dann kann - im Gegensatz zur Auffassung des Gemeinderates Uster - keinesfalls davon gesprochen werden, bei Nichtanwendbarkeit des § 41 in dem Gesetz nicht in vollem Umfang unterstellten Gemeinden oder Gemeindeteilen würden Sinn und Zweck des § 1, Absatz 2, vereitelt. Es kann auch nicht gesagt werden, § 41 habe dann keine Berechtigung mehr. Die andere Berechnungsart in Gemeinden, welche sich dem Baugesetz vollständig unterstellten, kann zwanglos damit begründet werden, daß solche Ortschaften mit städtischen Verhältnissen eine weit regere Bautätigkeit aufweisen, welche bei der im Abtretungsgesetz vorgesehenen Lösung mit dem etwas schwerfälligen Schätzungsverfahren allzu sehr gehemmt würde. Nun mag sein, daß in Uster auch derart intensiv gebaut wird, daß sich diese Nachteile sehr bemerkbar machen. Trotzdem geht es nicht an, den § 41 als anwendbar zu erklären; die richtige Folgerung wäre die Einführung des Baugesetzes in vollem Umfange.
3. Der Gemeinderat macht ferner geltend, § 1, Absatz 2, erkläre ausdrücklich die Normen über die Aufstellung von Quartierplänen als anwendbar. Infolgedessen habe auch die Quartierplanverordnung Geltung. In § 23 derselben aber werde bestimmt, die Trottoirbeiträge seien gemäß § 41 des Baugesetzes zu berechnen. Hiebei wird übersehen, daß § 23 der Quartierplanverordnung sich im Abschnitt über die Ausführung von Quartierstraßen befindet, deren Erstellung grundsätzlich Aufgabe der beteiligten Grundeigentümer ist. Im vorliegenden Fall aber handelt es sich um eine öffentliche Straße; der Bau der Trottoirs erfolgt nicht im Quartierplanverfahren durch die Grundeigentümer, sondern durch eine politische Gemeinde. Daher geht die Berufung auf die Quartierplanverordnung fehl.
4. Gegenüber der Behauptung des Gemeinderates Uster, bei Nichtanwendbarkeit des § 41 entstehe Rechtsungleichheit und es könnten in Zukunft Privatstraßen nur noch dann als öffentliche Straßen übernommen werden, wenn bereits Trottoirs vorhanden seien, ist nochmals darauf aufmerksam zu machen, daß auch die Eigentümer von Grundstücken, welche an einer öffentlichen Straße liegen, bei Erstellung von Trottoirs zu Beiträgen verpflichtet werden können. Es ist nicht richtig, daß die Gemeinden die vollen Trottoirkosten zu tragen hätten. Die Beitragshöhe allerdings ist nicht von vornherein fixiert; das Verfahren zu ihrer Festsetzung wird komplizierter. Wiederholt haben aber Schätzungskommissionen und Gerichte, die sich mit Mehrwertsbeiträgen bei Trottoirbauten zu befassen hatten, entscheidend auf § 41 des Baugesetzes abgestellt und erklärt, diese Bestimmung enthalte einen billigen Grundsatz, dessen analoge Anwendung gegeben sei.
5. Aus allen diesen Gründen ist der Entscheid der Vorinstanz zu bestätigen. Dadurch werden die Beschlüsse des Gemeinderates Uster, welche die Rekursgegner zu nach § 41 des Baugesetzes berechneten Trottoirbeiträgen verpflichteten, aufgehoben. Sache des Gemeinderates wird es sein, zu prüfen, ob und in welcher Höhe Mehrwertsbeiträge im Sinne des § 17 des Gesetzes über die Abtretung von Privatrechten zu verlangen seien.
Auf Antrag der Baudirektion und nach Zirkulation der Akten
beschließt der Regierungsrat:
I. Der Rekurs wird abgewiesen.
II. Die Kosten werden auf die Staatskasse genommen.
III. Mitteilung an den Gemeinderat Uster, an E. Gull-Hofer, in Uster, in 7 Ausfertigungen für sich und zu Handen der Rekursgegner Nrn. 2 - 7, an den Bezirksrat Uster, sowie an die Baudirektion.