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Staatsarchiv des Kantons Zürich

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SignaturStAZH MM 3.62 RRB 1941/0001
TitelMotion.
Datum03.01.1941
P.3–4

[p. 3] Kantonsrat Kägi-Bubikon reichte am 28. Oktober 1940 im Kantonsrat folgende Motion ein:

«1. Wäre es nicht möglich, angesichts des notorischen Arbeitermangels in der Landwirtschaft allfällig arbeitslos werdende Industriearbeiter, speziell solche, welche schon früher in der Landwirtschaft tätig waren, wieder vorübergehend der Landwirtschaft zuzuführen?

2. Könnte nicht denjenigen Arbeitern, welche sich solchermaßen in den Dienst der Landesversorgung stellen, an Stelle der üblichen Arbeitslosenunterstützung ein Zuschuß zum landwirtschaftlichen Arbeitslohn ausgerichtet werden, sodaß dieselben auf alle Fälle bezüglich ihrer Belohnung nicht schlechter gestellt werden, als beim bisherigen System der Arbeitslosenunterstützung?»

Auf Antrag der Direktion der Volkswirtschaft

beschließt der Regierungsrat:

I. Der Volkswirtschaftsdirektor wird ermächtigt, die Motion Kägi-Bubikon namens des Regierungsrates wie folgt zu beantworten:

Sowohl die erste wie die zweite Frage des Interpellanten können wir mit ja beantworten. Für das zweite Ja muß die Einschränkung gemacht werden, daß allerdings vollbeschäftigte Arbeitskräfte nicht aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung und nicht mit deren Unterstützungsbeiträgen abgefunden werden können. Wohl aber sieht der Bund vor, durch Zuschüsse die landwirtschaftlichen Löhne jener Arbeiter zu erhöhen, die vorübergehend für den Mehranbau eingesetzt werden müssen.

Mit dieser kurzen Auskunft ist die Motion eindeutig beantwortet. Die Größe der hier aufgeworfenen Probleme und ihre Bedeutung für die Ernährung unseres Volkes in den Kriegsjahren läßt es dem Regierungsrat als erwünscht erscheinen, bei diesem Anlaß dem Kantonsrat und einer weitern Öffentlichkeit einige weitere Aufschlüsse zu geben.

Der bisherige Kriegsverlauf und die beinahe völlige Unterbindung überseeischer Zufuhren in die Schweiz zwingen unser Land, vorab alle einheimischen Kräfte und Mittel in den Dienst der Landesversorgung zu stellen. Unser Volk soll wissen, daß wir unsere politische Selbständigkeit nur wahren können, wenn wir uns in der Lebensmittelversorgung unabhängig machen. Ein Volk, das nicht fähig und nicht willens ist, alle Kräfte in den Dienst der Volksernährung zu stellen, würde verdientermaßen Hunger leiden. Die Höchstanspannung aller Kräfte im Dienste der Landesernährung wird uns nicht vor der Lebensmittelknappheit, wohl aber vor dem Hunger bewahren. Wo es zum Bewältigen dieser ersten Staatsaufgabe in unserer Zeit des Einsatzes staatlicher Zwangsmittel bedarf, wird der Regierungsrat nicht zögern, von ihnen Gebrauch zu machen.

Die Arbeit der kantonalen Kriegswirtschaftsämter hat sich in die Ausführung eines schweizerischen Gesamtanbauplanes einzugliedern.

Der Erfolg hängt in erster Linie von der Bereitstellung der erforderlichen Arbeitskräfte ab. Das bedeutet, daß auch im zürcherischen Wirtschaftsgebiet mehrere Tausend Arbeitskräfte neu der Landwirtschaft zuzuführen sind. Die Verfügung des eidg. Volkswirtschaftsdepartements über die Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion vom 1. März 1940 bestimmt in den Artikeln 4 und 5, daß der Arbeitseinsatz vor allem und so weit als möglich auf der Grundlage der Freiwilligkeit zu organisieren sei. Zu diesem Zwecke sind alle Mittel der privaten Initiative, die Möglichkeiten des öffentlichen Arbeitsnachweises sowie die Handhaben, welche die Vorschriften über Arbeitslosenversicherung und Krisenunterstützung bieten, in Anwendung zu bringen.

Wenn die übrigen Mittel zur Gewinnung der unentbehrlichen Arbeitskräfte vollständig ausgeschöpft werden, kommt der Arbeitseinsatz auf Grund der eidgenössischen Verordnung über die Arbeitsdienstpflicht vom 2. September 1939 zur An wendung. Bedürftigen Arbeitnehmern kann der Stellenantritt in einem landwirtschaftlichen Betriebe durch Zuschüsse zu den orts- und berufsüblichen Löhnen erleichtert werden.

Auf die Dauer wird sich aber eine Sanierung des landwirtschaftlichen Dienstverhältnisses nicht umgehen lassen, damit sich wieder mehr Leute aus freien Stücken der Landwirtschaft zuwenden.

Zu den Maßnahmen auf weitere Sicht gehört in erster Linie die Verhinderung der Abwanderung vom Lande. Die Landwirte sollen dafür sorgen, daß ihre Söhne und Töchter in der Landwirtschaft bleiben. Diese Arbeitskräfte sind für die Landwirtschaft viel wertvoller als solche, die schon in städtischen Verhältnissen gelebt haben und gegen ihren Willen wieder aufs Land zurückgebracht werden sollen. Die Schule und Berufsberatung müssen der vermehrten Abwanderung der Landbevölkerung in industrielle Berufe stärker entgegenarbeiten. Es ist insbesondere auch danach zu trachten, die Schulentlassenen auf dem Lande in allererster Linie der Landwirtschaft zuzuweisen.

Sodann sind Maßnahmen zu treffen, um den Stand der landwirtschaftlichen Dienstboten durch Verbesserung der Berufskenntnisse, Einführung von Prüfungen und Fähigkeitsausweisen zu heben. Die Dienstorte der vermittelten landwirtschaftlichen Arbeitskräfte sind zu kontrollieren, um bei Fehlvermittlungen die Ursachen, welche sowohl beim Arbeitgeber wie beim Arbeitnehmer liegen können, festzustellen.

Besondere Beachtung ist den Dienstbotenwohnungen und Dienstbotensiedlungen zu schenken, da viele aus der Landwirtschaft abgewanderte Arbeitskräfte nur deshalb den Beruf verlassen haben, weil die wenigsten Bauernbetriebe Dienstbotenfamilien aufnehmen können.

Die landwirtschaftliche Arbeitsfrage kann auf die Dauer nicht gelöst werden, wenn nicht die Arbeitslöhne in der Landwirtschaft in ein angemessenes Verhältnis zu den Industrielöhnen gebracht werden. Dabei muß man sich darüber im klaren sein, daß eine Erhöhung der Löhne für landwirtschaftliche Dienstboten ohne entsprechende Erhöhung der Produktenpreise für die Landwirtschaft nicht tragbar ist. Bei Vergleichen wird der Bewertung der freien Station zumeist zu wenig Beachtung geschenkt, es werden zu oft nur die Barlöhne einander gegenübergestellt. Gerade in der jetzigen Zeit der Lebensmittelknappheit und der Teuerung sollte die freie Station wieder besser gewürdigt werden können.

Bei aller grundsätzlichen Bedeutung der erwähnten Maßnahmen reichen diese doch nicht aus, die dringlichen Aufgaben der allernächsten Zeit zu lösen. Im Kanton Zürich werden im Frühjahr 1941 gemäß Anordnung des Bundes 4000 Hektaren mehr anzubauen sein. Diese Anbauverpflichtung wird nicht nur der Berufslandwirtschaft auferlegt. Größere nicht landwirtschaftliche Unternehmungen und größere Gemeinden werden eine eigene Anbaupflicht zu erfüllen haben. Ein Teil des Mehranbaues wird auch von den Kleinpflanzern zu bewältigen sein. Mit Kreisschreiben des kantonalen Kriegswirtschaftsamtes vom 26. November 1940 wurden die Gemeindebehörden ersucht, nicht nur Landwirte, sondern auch Nichtlandwirte, welche Kulturland besitzen, zur vollen Selbstversorgung mit Kartoffeln und möglichster Selbstversorgung mit Gemüse anzuhalten. Die Gemeindebehörden sind ferner aufgefordert worden, den Familiengärten besondere Aufmerksamkeit zu schenken und die notwendigen Vorkehren zu treffen, damit allen Interessenten für solches Land, welche sich rechtzeitig anmelden, entsprochen werden kann.

Um Land für die Erfüllung der Anbaupflicht der Nichtlandwirte zu erhalten, kann das kantonale Kriegswirtschaftsamt die Zwangspacht über alles geeignete Areal aussprechen. Das wird zuerst bei Ländereien geschehen, die nicht zu eigentlichen Landwirtschaftsbetrieben gehören. Aber auch Land, das zu Landwirtschaftsbetrieben gehört, kann in Zwangspacht genommen werden, wenn diese Betriebe den ihnen auferlegten Mehranbau nicht erfüllen oder sonst schlecht bewirtschaftet sind. Das Kriegswirtschaftsamt hat in seinem Kreisschreiben vom 26. November 1940 bereits auf diese Möglichkeiten hingewiesen. [p. 4]

Um die nötigen Arbeitskräfte, welche diesen Mehranbau bewältigen können, für 1941 bereitzustellen, ist vor allem notwendig, daß bei kleinen Landwirtschaftsbetrieben mindestens der Betriebsleiter, bei größeren Betrieben weitere berufsgewohnte Arbeitskräfte militärisch beurlaubt oder dispensiert werden. Was die landwirtschaftlichen Aushilfskräfte anbetrifft, so ist die Bildung von Arbeitsdetachementen vorgesehen, die militärisch ähnlich wie die Baudetachemente organisiert werden sollen. Diese Detachemente sollen Sold und Erwerbsausgleich erhalten. Die Bildung solcher Detachemente wird notwendig, da vorauszusehen ist, daß mit freiwilligen Hilfskräften nicht die ganze Aufgabe bewältigt werden kann. Auf die freiwilligen Hilfskräfte soll deswegen nicht verzichtet werden; sie sollen im Gegenteil in verstärktem Maße eingesetzt werden.

Sollte unsere Industrie die Produktion einschränken müssen, so ist den Teilarbeitslosen durch Ausdehnung der Familiengärten und durch Verwendung in den eigenen Pflanzwerken des Unternehmens nützliche Mehranbauarbeit zuzuweisen. In jedem industriellen oder gewerblichen Betrieb ist eine Liste derjenigen Arbeiter aufzunehmen, die landwirtschaftliche Arbeiten gewohnt sind, damit diese Kräfte nötigenfalls in erster Linie aufgeboten werden können. Wenn eine Unternehmung ihre Arbeiterschaft in dieser Weise für den Mehranbau einsetzt, so entstehen keine Schwierigkeiten wegen der Entlohnung.

Solange wir eine größere Zahl von Internierten im Lande behalten müssen, die sich für landwirtschaftliche Arbeit eignen, ist es gegeben, sie zweckmäßig einzusetzen.

Wichtig ist auch die Vorsorge für die Zugkräfte. Als Aushilfe bei der Zugarbeit sind folgende Maßnahmen vorgesehen: Genossenschaftliche oder gemeindeweise gemeinsame Verwendung von Traktoren, Einsatz der kantonalen mobilen Ackerbaukolonne als Reserve und Verwendung von Militärpferden. Vor allem ist die vermehrte Verwendung des Rindvieh-Zuges zu fördern.

Der Mehranbau 1941 wird sich nur bewältigen lassen, wenn in den Gemeinden eine tatkräftige Ackerbaustelle die Durchführung der Arbeiten vorbereitet und beaufsichtigt. Diesem Zwecke wird eine Reorganisation der Gemeindeackerbaustellen, die in nächster Zeit vorgenommen wird, dienen.

Über alle Maßnahmen wird der Regierungsrat dem Kantonsrat jeweilen im Geschäftsbericht des Kriegswirtschaftsamtes Rechenschaft ablegen. Der Regierungsrat beantragt, die Motion als erledigt abzuschreiben.

II. Mitteilung an die Volkswirtschaftsdirektion und an die Staatskanzlei.