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Staatsarchiv des Kantons Zürich

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SignaturStAZH MM 3.65 RRB 1942/1774
TitelTiefengrund A.-G.
Datum26.06.1942
P.652–653

[p. 652] A. Mit Beschluß Nr. 706 vom 12. März 1942 hat der Regierungsrat einer damals im Entwurf vorliegenden Vereinbarung zwischen den Hypothekargläubigern und den Aktionären der Tiefengrund A.-G. über die Fortführung der Tiefengrund A.-G. zugestimmt und die Finanzdirektion ermächtigt, diese Vereinbarung namens des Kantons Zürich als Hypothekargläubiger und Aktionär der Tiefengrund A.-G. zu unterzeichnen. Dem Abschluß dieser Vereinbarung waren längere Verhandlungen über die Frage, ob die Tiefengrund A.-G. weitergeführt oder liquidiert werden solle, vorangegangen (vergl. RRB. Nrn. 2864 und 3080 vom 13. November und 11. Dezember 1941). In diesem Zusammenhang waren einige Großbanken und Versicherungsgesellschaften auf dem Platze Zürich angefragt worden, ob sie sich für einen Kauf der Börsenliegenschaft interessieren würden. In der Folge zeigte sich, daß sich hiefür außer den als Hypothekargläubiger oder Aktionär an der Tiefengrund A.-G. Beteiligten nur die Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt interessierte. Der Entwurf der Sanierungsvereinbarung von Mitte Februar enthielt deshalb die Bestimmung, daß die Vereinbarung dahinfalle, wenn bis längstens 28. Februar 1942 von dritter Seite ein Kaufsangebot von mindestens Fr. 3 750 000 für die Börsenliegenschaft erfolge und sich die Kontrahenten nicht binnen 14 Tagen über den Verkauf oder Nichtverkauf einigen könnten. Da bis Ende Februar ein entsprechendes Angebot der Rentenanstalt nicht erfolgte, blieb diese Bestimmung ohne praktische Bedeutung. Die Rentenanstalt interessierte sich indessen nach wie vor für den Kauf der Börsenliegenschaft und ersuchte schließlich den Verwaltungsrat, ihr mitzuteilen, zu welchem Preis er die Liegenschaft an die Rentenanstalt verkaufen würde. Gestützt auf einen Beschluß des Verwaltungsrates vom 12. Mai 1942 teilte darauf die Tiefengrund A.-G. der Generaldirektion der Schweizerischen Lebensversicherungs- und Rentenanstalt mit, daß der Verwaltungsrat keine verbindliche Offerte stellen könne; der Verkaufserlös sollte aber nach seiner Auffassung den Betrag der I. Hypotheken, die mit dem Verkauf verbundenen Spesen, die Zinsen und allfällige weitere Unkosten erreichen; die Gesellschaft sei gerne bereit, unter diesen Voraussetzungen weiter zu verhandeln und die ihr zukommenden Vorschläge mit aller Sorgfalt zu prüfen. Die Rentenanstalt erklärte sich im Prinzip bereit, den vom Verwaltungsrat umschriebenen Kaufpreis zu akzeptieren. Die Bedingungen, zu denen der Ankauf erfolgen würde, wurden daraufhin zusammen mit dem Verwaltungsratspräsidenten der Tiefengrund A.-G. im einzelnen wie folgt festgelegt:

Kaufpreis der LiegenschaftFr.4 460 000
= Betrag der I. Hypothek (Fr. 4 400 000) plus Spesenersatz von Fr. 60 000.Eintritt in sämtliche, die Liegenschaft betreffenden Miet- und Anstellungsverträge.

Übernahme des der Tiefengrund A.-G. gehörenden Inventars zum Preise von170 000
Übernahme der für die Eigentumsübertragung entstehenden Beurkundungs- und Handänderungskosten, sowie der Handänderungssteuer der Stadt Zürich.Übernahme sämtlicher Lebensmittel- und Getränkevorräte für das Restaurant und der vorhandenen Kohlen- und Heizölvorräte für die Bewerbung der Liegenschaft.Als Kaufpreis für die Kohlen- und Heizölvorräte wurde ein Betrag vonFr.16 000
in Aussicht genommen; der Kaufpreis für die Lebensmittel- und Getränkevorräte wird zu den Einkaufspreisen gestützt auf ein von Käuferin und Verkäuferin gemeinsam aufgenommenes Inventar berechnet. Er beläuft sich auf ca.30 000
Der Gesamtkaufpreis würde sich somit unter Einbezug dieser Nebenpunkte auf rundFr.4 680 000
belaufen.

Mit diesen Einnahmen könnten die Gläubiger der ersten Hypothek für Kapital und Zins voll befriedigt werden und es könnte auch den Gläubigern zweiter Hypothek noch ein Abfindungsbetrag von je etwa Fr. 80 000 bis 90 000 ausgerichtet werden. Der Verkauf kann selbstverständlich nur erfolgen, wenn der Kanton sowohl als Aktionär wie auch als Gläubiger der zweiten Hypothek in den Verkauf einwilligt. Die Tiefengrund A.-G. würde nach dem Verkauf in Liquidation treten. Das praktische Resultat des Verkaufs bestünde für den Kanton darin, daß er für seine erste Hypothek im Betrage von Fr. 800 000 in vollem Umfang gedeckt würde, daß er für die zweite Hypothek von Fr. 650 000 eine Liquidationsrate von Fr. 80 000 bis 90 000 erhielte, daß dagegen sein Anteil am Aktienkapital in der Höhe von Fr. 500 000 in vollem Umfang verloren ginge.

B. Die Finanzdirektion beantragt dem Regierungsrat, dem Verkauf zuzustimmen, im wesentlichen aus folgenden Gründen:

1. Der angebotene Kaufpreis sei als günstig zu bezeichnen.

Die jährlichen Mieteinnahmen haben in den letzten Jahren mit Einschluß des Börsensaales zirka Fr. 220 000 betragen. Daraus ergibt sich ein Renditenwert der Börsenliegenschaft von 3,14 Millionen Fr. bei einer Kapitalisierung mit 7% und von 4,4 Millionen Fr. bei einer Kapitalisierung mit 5%. Nun muß jedoch in nächster Zeit mit einer Verminderung der Mietzinseinnahmen um rund Fr. 20 000 gerechnet werden, womit der Renditenwert bei einer Kapitalisierung mit 7% auf 2,86 Millionen Fr. und bei einer Kapitalisierung mit 5% auf 4 Millionen Fr. sinken wird. Den Bau- und Landwert der Börsenliegenschaft errechnet die Liegenschaftenverwaltung wie folgt:

Gebäude43 206m3àFr.85Fr.3 672 510
Land2 146,2m3à8001 716 960
zusammenFr.5 389 470

Wird das Land nur zu einem Preis von Fr. 500 pro m2 eingesetzt, so ergibt sich ein Bau- und Landwert von Fr. 4 745 610.

2. Der Mietvertrag über die Börsenlokalitäten bilde keinen Hinderungsgrund für den Verkauf.

Der Kanton hat sich seinerzeit deshalb an der Erstellung der Börsenliegenschaft beteiligt, weil er nach § 38 des Gesetzes betreffend den gewerbsmäßigen Verkehr mit Wertpapieren vom 22. Dezember 1912 die Pflicht hat, die Börsenlokalitäten zur Verfügung zu stellen. Der Mietvertrag über die Räumlichkeiten der Effektenbörse läuft noch bis 31. Dezember 1955. Er ist im Grundbuch eingetragen, kann also auch von der Rechtsnachfolgerin der heutigen Tiefengrund A.-G. nicht auf einen früheren Zeitpunkt aufgelöst werden. Der Mietzins von Fr. 75 000 jährlich oder zirka Fr. 84 pro m2 entspricht den seinerzeitigen Erstellungskosten. Im Verhältnis zu den heutigen Mietpreisen muß er als sehr hoch bezeichnet werden. Die meisten übrigen Mieter der Börsenliegenschaft zahlen heute, abgesehen von den bereits genannten Ausnahmefällen, nur noch einen Mietzins von Fr. 40 bis höchstens Fr. 45 per m2. Das vierte Stockwerk ist für die Zwecke der Effektenbörse besonders gebaut und eingerichtet worden und kann nach Auffassung der Finanzdirektion bei seiner heutigen Einrichtung für eine andere Zweckbestimmung kaum in Frage kommen. Für den Eigentümer einer Geschäftshausliegenschaft in der City werde stets von großem Vorteil sein, gleichzeitig Vermieter der Börse zu sein. Wenn sich die Verhältnisse auf dem Liegenschaftenmarkt bis 1955 nicht grundlegend ändern, werde es vermutlich [p. 653] nicht schwer sein, von der Rentenanstalt eine Verlängerung des Mietvertrages zu gleichen, wenn nicht sogar zu wesentlich günstigeren Bedingungen zu erreichen.

3. Ein Verkauf der Börsenliegenschaft hätte den großen Vorteil, daß damit in bezug auf die Beteiligung des Kantons am fraglichen Unternehmen endlich klare Verhältnisse geschaffen würden. Die Erfahrungen hätten gezeigt, daß der seinerzeitige Entschluß, mit der Handelskammer zusammen sich am Bau einer großen Geschäftshausliegenschaft in der Altstadt zu beteiligen, nicht nur große materielle Risiken in sich schloß, sondern auch mit allerlei administrativen Nachteilen verbunden war.

C. 1. Der Regierungsrat ist zunächst darüber einig, daß die gegenwärtige Organisation der Tiefengrund A.-G. nicht befriedigt. Der Staat kann sich als Aktionär und Hypothekargläubiger nie so frei bewegen wie ein Privater und muß sich auch wegen seiner gleichzeitigen Eigenschaft als Mieter Einschränkungen auferlegen, die nicht immer erwünscht sind.

2. Bedenken bestehen dagegen, die Börsenliegenschaft laut Antrag der Finanzdirektion an die Rentenanstalt verkaufen zu lassen. Ein solcher Verkauf bedeutet für den Staat den vollständigen Verlust des Aktienkapitals von Fr. 500 000, sowie der II. Hypothek von Fr. 650 000 bis auf den Betrag von Fr. 80 000, zusammen also einen Verlustbetrag von Fr. 1 070 000. Dieser Verlust ist so groß, daß ihm gegenüber das Risiko eines Kaufes der Liegenschaft angesichts des Sachwertcharakters der Liegenschaft und des sinkenden Geldwertes eher geringer erscheint. Dazu kommt, daß der Kanton für seine eigenen Zwecke heute schon einen großen Teil der Räume der Börsenliegenschaft benützt und bei Verwirklichung der eidgenössischen Steuerprojekte noch viel mehr Raum wird beanspruchen müssen, so daß bis auf weiteres eine nutzbringende Verwendung der Liegenschaft möglich sein sollte.

Der Regierungsrat sieht auch in der Tatsache, daß der Staat gesetzlich verpflichtet ist, der Börse die Börsenlokalitäten zur Verfügung zu stellen, im Gegensatz zur Finanzdirektion eine rechtliche Bindung, die sich nach Ablauf des jetzigen Mietvertrages im Jahre 1955 auch zu Ungunsten des Staates auswirken kann. Der Staat hat seinerzeit für die Einrichtung der Börse den Betrag von Fr. 300 000 aufgewendet. Er ist tatsächlich an die Börsenliegenschaft gebunden. Das wird auch der dannzumalige Eigentümer der Liegenschaft wissen und möglicherweise die Zwangslage des Staates für sich ausnützen können. Im übrigen weiß heute niemand, wie sich der Geldwert bis zum Jahre 1955 entwickelt. Sollte er kleiner sein als heute, wofür eine gewisse Erfahrung spricht, so wäre damit allein schon ein wesentlicher Teil des Risikos aufgewogen.

3. Bei der großen finanziellen Tragweite, die der Frage des Verkaufs oder Erwerbs der Börsenliegenschaft zukommt, kann es der Regierungsrat nicht verantworten, heute einem Verkauf zuzustimmen. Der Regierungsrat ist verpflichtet, dem Kantonsrat Gelegenheit zu geben, sich über die Frage auszusprechen, ob der Staat die Liegenschaft selbst erwerben und damit die notwendigen neuen Investitionen übernehmen, oder den bei einem Verkauf entstehenden Verlust endgültig auf sich nehmen will. Dies soll in der Form geschehen, daß der Regierungsrat dem Kantonsrat einen Antrag auf Ankauf der Börsenliegenschaft unterbreitet, der dem Kantonsrat ein genaues Bild über die finanziellen Folgen des Kaufs oder Verkaufs vermittelt.

Der Regierungsrat beschließt:

I. Der Antrag der Finanzdirektion auf Zustimmung zum Verkauf der Börsenliegenschaft an die Schweizerische Lebensversicherungs- und Rentenanstalt wird abgelehnt.

II. Die Vertreter des Regierungsrates im Verwaltungsrat der Tiefengrund A.-G. werden beauftragt, den Organen der Tiefengrund A.-G. die Erklärung abzugeben, daß der Regierungsrat vorbehältlich der Zustimmung durch den Kantonsrat bereit ist, die Börsenliegenschaft zu den gleichen Bedingungen, wie sie im Vertragsentwurf mit der Lebensversicherungs- und Rentenanstalt vereinbart wurden, für den Kanton Zürich zu erwerben.

III. Die Finanzdirektion wird beauftragt, die Vereinbarung über die Fortführung der Tiefengrund A.-G. bis zum 30. Juni 1942 auf den 31. Dezember 1912 vorsorglich zu kündigen.

IV. Die Volkswirtschaftsdirektion wird beauftragt, in Verbindung mit der Finanzdirektion dem Regierungsrat einen Antrag für eine Vorlage an den Kantonsrat im Sinne des Ankaufs der Börsenliegenschaft zu unterbreiten.

V. Mitteilung an Regierungspräsident Henggeler, die Regierungsräte Dr. Streuli und Dr. Briner, Direktionssekretär Dr. Billeter, sowie an die Direktionen der Volkswirtschaft, der öffentlichen Bauten und der Finanzen.