Signatur | StAZH MM 3.8 RRB 1894/0597 |
Titel | Leichenbestattung. |
Datum | 07.04.1894 |
P. | 156–157 |
[p. 156] A. Unterm 10. März 1894 rekurrirt der Stadtrath Zürich gegen eine Verfügung der Sanitätsdirektion vom 28. Februar d. J., durch welche der Vorstand des Bestattungswesens der Stadt Zürich angewiesen wurde, dem Herrn Meyer-Stocker in Zürich V (Hottingen) in der allgemeinen Gräberreihe auf dem Friedhofe Rehalp ein Grab anzuweisen, um hier die Aschen-Urne der am 18. November 1893 durch Feuer bestatteten Frau Meyer-Stocker beizusetzen.
B. Die Sanitätsdirektion beantwortet diesen Rekurs wie folgt:
Zu wiederholten Malen gelangte Herr Meyer-Stocker an den Vorstand des Bestattungswesens der Stadt Zürich mit dem Gesuch, es möchte ihm die Beisetzung der Aschenurne seiner durch Feuer bestatteten Frau in der allgemeinen Gräberreihe auf dem Friedhof Rehalp gestattet werden, wurde aber immer abgewiesen mit der Begründung, daß wer die Kremation wolle, hiedurch auf ein Reihengrab im zuständigen Friedhof verzichte. Zur Aufbewahrung der Urnen stehen die Nischen im Krematorium zur Verfügung, zur Erdbestattung derselben der zum Krematorium gehörige Friedhof, die auf dem Zentralfriedhofe käuflich zu erwerbenden Privatgräber. Auch auf dem Friedhof Rehalp sei ein solcher Platz für Privatgräber in Aussicht genommen, wodurch dem Herrn Meyer in nicht allzu langer Zeit die Möglichkeit geboten werde, durch Erwerbung eines Privatgrabes seinen Wunsch erfüllen zu können.
Als unterm 12. Februar 1894 Herr Meyer-Stocker gegen diesen abschlägigen Bescheid des Vorstandes des Bestattungswesens an die Sanitätsdirektion Rekurs einlegte, sagte sich diese, daß hier vor Allem die Frage beantwortet werden müsse: Haben die Angehörigen eines Kantonseinwohners, dessen Leiche durch Feuer im Krematorium verbrannt worden, das Recht, die Bestattung der Asche desselben auf dem Friedhofe seiner Wohngemeinde zu verlangen?
Die Sanitätsdirektion hat an Hand des Bestattungsgesetzes vom 29. Juni 1890 diese Frage bejaht, denn § 5 des Gesetzes setzt fest, daß jede Leiche auf dem Friedhofe derjenigen Gemeinde bestattet werden soll, in welcher der Tod erfolgte und § 8 bezeichnet die Leistungen des Staates und der Gemeinden bei der Bestattung selbst. Der Kantonseinwohner hat somit ein Recht auf ein Grab in seiner Wohngemeinde, er hat ein Recht auf die in § 8 bezeichneten Leistungen. Ob ein Kantonseinwohner einbalsamirt, verbrannt, zu anatomischen Zwecken zergliedert wird, immer bleiben ihm diese Rechte, und auch der Stadtrath Zürich anerkennt in seiner Rekursschrift an den Regierungsrath das Recht des Kantonseinwohners auf Beisetzung der Asche eines Verbrannten auf dem Friedhof seiner Wohngemeinde. Der Stadtrath Zürich sagt nun: Zentralfriedhof und Friedhof Rehalp sind beides Friedhöfe der Stadt Zürich; die neue (von der Sanitätsdirektion indessen noch nicht genehmigte) Friedhofordnung der Stadt bestimmt allerdings, daß jede Leiche in der Regel auf dem Friedhof desjenigen Quartiers bestattet werden soll, in welchem der Tod erfolgte und die sachlich gerechtfertigten Ausnahmen von dieser Regel festzusetzen, sind doch wohl innere Angelegenheiten der Stadt, welche dieser schwerlich verwehrt werden können. Ausnahmsfälle ausgenommen hat also der Einwohner der Stadt Zürich ein Recht auf ein Grab seines Quartiers. Und nun beansprucht die Stadt Zürich, die Anordnung treffen zu können, daß die durch Kremation verbrannten Leichen nur auf dem Friedhof des Krematoriums oder auf Privatplätzen der städtischen Friedhöfe bestattet werden sollen, d. h. auf Plätzen, welche nur durch Bezahlung einer erheblichen Gebühr erhältlich sind. Dieses Verfahren hat eben die Sanitätsdirektion durch die angefochtene Verfügung untersagt; der Einwohner Zürich’s soll ein Grab, in dem er seine durch Kremation bestattete Leiche ausnahmsweise und aus besondern Pietätsgründen bergen will, nicht kaufen müssen; wünscht er vor der Beerdigung die Kremation, so soll er diese allerdings bezahlen. Das Recht auf ein Grab bleibt dem Gemeindeeinwohner; die Stadt Zürich hat es ihm durch Bezahlung von 30 Fr. an den Feuerbestattungsverein für eine Kremation nicht abgekauft, noch überhaupt abkaufen können. Es ist auch ein Irrthum, wenn der Stadtrath behauptet, durch die Verfügung der Sanitätsdirektion sei der Regierungsrathsbeschluß vom 13. April 1889 abgeändert. Es ist im Gegentheil, in Aufhebung der Verfügung des Vorstandes des Bestattungswesens der Stadt Zürich, jenem Regierungsrathsbeschluß, Ziffer V, Al. 3, durch die Sanitätsdirektion Nachachtung verschafft, indem auf motivirtes Ansuchen der nächsten Angehörigen die Beisetzung der Aschenurne auf einem auswärtigen Friedhofe, und als solcher muß auch derjenige auf der Rehalp betrachtet werden, ausnahmsweise gestattet worden ist. Es kann nicht zugegeben werden, daß als gerechtfertigte Ausnahmen wie sie der Stadtrath anerkennen will und wie sie der Regierungsrathsbeschluß vom 13. April 1889 in Aussicht nimmt, nur der Ankauf von Privatgrabplätzen verstanden sei. Diese stadträthliche Anwendung der Ausnahmefälle ist eine reine Finanzmaßregel zu Gunsten der Stadtkasse und dieses Verfahren steht in direktem Widerspruch mit dem Bestattungsgesetz und kann daher nicht gutgeheißen werden.
Die Sanitätsdirektion hält somit dafür, daß die Stadt Zürich dem Herrn Meyer-Stocker ein Grab in der allgemeinen Gräberreihe auf dem Friedhof Rehalp anzuweisen hat für die Aschenurne der am 18. November 1893 durch Feuer bestatteten Frau Meyer-Stocker, da der Grund der Verweigerung nur auf Erlangung einer hohen Gebühr tendirt.
Die Direktion will hiebei nicht unterlassen, zu erwähnen, daß faktisch bereits eine ganze Anzahl von Urnen auf den auswärtigen Friedhöfen der Stadt in der Gräberreihe bestattet sind, z. B.:
Enge Grab Nr 631: August Knell, Januar 1892;
Unterstraß Grab Nr. 352: Nikolaus Fries, März 1890;
“ “ 466: Hotze, Lehrer, Oktober 1892;
Oberstraß Grab Nr. 221: Müller, Präsident, Oktober 1892;
Wollishofen: Grab Nr. 314: Frau Hermetschwyler, Juli 1893;
Rehalp: Grab Nr. 72: | Marg. Hausheer | 1875 Leiche | 1 Grab; |
Jean Hausheer | 1891 Urne |
Grab Nr. 3317: J. J. Meyer, Vater des Herrn Meyer-Stocker, Januar 1890;
Grab Nr. 3751: Schultheß, Hottingen.
Die übrigen Gemeinden des Kantons nehmen keinen Anstoß, auch ihrerseits die Bestattung der Urnen zuzulassen, z B. Veltheim: Sigrist, Kaufmann, gestorben Mai 1893 im Kantonsspital Winterthur, in Zürich durch Feuer bestattet, Asche beigesetzt auf dem Friedhof Veltheim. Grab Nr. 44; etc.
Es erübrigt noch, die Gründe zu besprechen, welche nach Ansicht des Stadtrathes Zürich für die Beisetzung der Aschenurnen auf dem eigens dazu angelegten Theile des Zentralfriedhofes sprechen. In dieser Hinsicht weist derselbe darauf hin, daß die Vertheidiger der Feuerbestattung den größten Vortheil, den die Leichenverbrennung gegenüber der Erdbestattung ausweist, darin erblicken, daß die kostspielige Erstellung und der Unterhalt von Leichenfeldern, deren Anlage beim Wachsthum der Städte immer größern Schwierigkeiten begegnet, bei der allgemeinen Einführung der Feuerbestattung ganz dahin fallen würde und daß also jede Kremation eine Platzersparniß für das Gemeinwesen bedeutet.
Nach Ansicht der Sanitätsdirektion liegt der größte Vortheil der Feuerbestattung aber darin, daß der Verwesungsprozeß der Leichen durch dieselbe in einem Zeitraum von wenigen Stunden und in einer für die Umgebung absolut unschädlichen Weise durchgeführt wird. Es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß der Hauptgrund für die Feuerbestattung auch für den zu Bestattenden nicht in der Platzfrage, [p. 157] sondern darin liegt, daß der unheimliche Verwesungsprozeß in der Erde umgangen werden will.
Der Stadtrath frägt weiter: Dient es zur Wahrung der Pietät, wenn in Zukunft die Bestattung in zwei Theile zerlegt und nach erfolgter Kremation ein Verbringen der Aschenreste vom Zentralfriedhof nach irgend einem der übrigen städtischen Friedhöfe sich anschließen soll? An dem Transport der Urnen ins Ausland, in die Friedhöfe des Kantons, in Privatgräber des Friedhofes Rehalp hat nach Wissen der Sanitätsdirektion noch kein Mensch etwas Anstößiges gefunden, auch der Stadtrath Zürich in Bezug auf die Privatgräber nicht, sonst wäre er nicht geneigt, die Beisetzung der Urnen auf Privatgräbern der Rehalp zu gestatten. Dagegen soll etwas Anstößiges liegen im Transport einer Urne auf den Friedhof Rehalp, insofern solche zur Beisetzung in der allgemeinen Gräberreihe bestimmt ist!! Wenn von Verletzung der Pietät gesprochen werden will, hält die Sanitätsdirektion vielmehr dafür, daß solche eintreten müßte, wenn die Beisetzung von Aschenurnen nur auf theuer bezahlten Privatgräbern gestattet, weniger Bemittelten oder prinzipiellen Gegnern der Privatgräber aber die Möglichkeit genommen würde, unter Darlegung von ausnahmsweisen Verhältnissen, wozu wohl in allererster Linie solche der Pietät gehören dürften, eine Beisetzung von Aschenurnen in der Gräberreihe des Friedhofes ihres Wohnsitzes zu verweigern.
Aus diesen Gründen hält die Direktion somit dafür, daß ihre Verfügung vom 28. Februar 1894, welche das Recht eines Kantonseinwohners auf ein Grab in seiner Wohngemeinde, im speziellen Fall das Recht eines Einwohners von Zürich auf ein Grab seines Quartiers wahrt, und nicht duldet, daß der durch Feuer Bestattete ein solches nur durch Bezahlung einer nicht unbedeutenden Summe Geldes erlangen kann, vollständig berechtigt ist.
Gestützt auf die Vernehmlassung der Sanitätsdirektion und in Aufnahme der in dieser Vernehmlassung enthaltenen Motivirung,
nach Einsicht eines Antrages der verordneten Rekurskommission,
beschließt der Regierungsrath:
1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.
2. Mittheilung an den Stadtrath Zürich und an die Sanitätsdirektion.