Signatur | StAZH MM 3.9 RRB 1895/1771 |
Titel | Baugesetz. |
Datum | 24.10.1895 |
P. | 512–513 |
[p. 512]
A. Am 17. Oktober 1894 genehmigte die Bausektion des Stadtrates Zürich ein Projekt des Abraham Ulrich, Zimmermeister an der Hardstraße, für ein Werkstattgebäude als Provisorium. Dagegen erhob Herr Ulrich Einsprache beim Stadtrat und verlangte, daß ihm eine bleibende Baute bewilligt werde, welche Einsprache am 8. November 1894 abgewiesen wurde. Der fragliche Bau befindet sich innerhalb des Grundstückes Hardstraße - Neugasse und zwar in einem so geringen Abstand von der Baulinie, daß dazwischen kein Neubau erstellt werden könnte, der die Werkstatt verdecken würden Auch liege der Baugrund viel tiefer als das Niveau der projektirten Straßenzüge und das Gebäude stehe nicht parallel zur Baulinie, alles Umstände, die für ein Provisorium sprechen. Uebrigens seien, die früher von Herrn Ulrich auf diesem Terrain erstellten Bauten ebenfalls nur provisorisch bewilligt und sei keine Veranlassung, daran etwas zu ändern. [p. 513]
B. Mit Eingabe vom 27. Dezember rekurrirte Herr Advokat Wolf namens Herrn Ulrich an den Bezirksrat. Es handle sich um den Umbau des bestehenden Gebäudes, in welchem sich auf der Werkstatt eine Wohnung befinde. Es bestehen keine Vorschriften, daß Werkstätten von der Straße aus nicht sichtbar sein dürfen, das Land zwischen der Werkstatt und der Baulinie gehöre dem Rekurrenten und beabsichtige er nicht, daselbst noch einen Neubau zu erstellen. Der Baugrund liege tiefer als das Straßenniveau, allein § 61, welcher verlange, daß für Bauten auf der Baulinie das Niveau der Straße einzuhalten sei, beziehe sich nicht auf dieses hinter der Baulinie stehende Gebäude; übrigens verpflichte sich der Rekurrent, das Terrain zwischen der neuen Hardstraße und der Werkstatt auszufüllen. Gegenwärtig stehe das Gebäude nicht parallel zur Baulinie, durch den Umbau werde es aber parallel gestellt.
Neben dem städtischen Baugesetz gelte der verfassungsmäßige Grundsatz, daß jedermann über sein Eigentum frei verfügen könne, soweit er nicht durch ausdrückliche Gesetzesbestimmungen daran verhindert sei. Darüber hinaus dürfe eine Baute nicht etwa aus bloßen Zweckmäßigkeit oder sonstigen Konvenienzrücksichten verhindert oder beschränkt werden und da hier keine Gesetzesbestimmungen entgegenstehen, müsse das Gebäude definitiv genehmigt werden.
C. Der Stadtrat beantwortete den Rekurs unterm 29. Januar 1895: Nach § 54, Absatz 2 müsse die Gebäudefront parallel mit der Baulinie verlaufen; die Behauptung, daß dieses durch den Umbau geschehe, sei irrtümlich, denn der Graben, welcher auf der Südseite des Gebäudes aufgeworfen werden soll, sei nicht mit dem Gebäude zu identifiziren. Für die Baute seien ohne Zweifel die Vorschriften von § 61 maßgebend, denn ein Gebäude sei als eine Baute auf der Baulinie zu betrachten, wenn zwischen ihm und der Baulinie ein Neubau nicht erstellt werden könne, was hier bei einem Abstand von blos 11 m zutreffe. Es sei deshalb für die Verweigerung des Definitivums auch der Umstand geltend zu machen, daß das Niveau der Straße nicht eingehalten sei. Endlich besitze das Gebäude weder gegen Norden, noch gegen Westen den gesetzlichen Abstand von den Nachbargrundstücken, es sei daher auch aus diesem Grunde zu beanstanden.
D. Durch Beschluß vom 3./26. April wies der Bezirksrat den Rekurs als unbegründet ab gestützt auf die Ausführungen des Stadtrates.
E. Gegen den Beschluß des Bezirksrates rekurrirte mit Eingabe vom 1. Mai 1895 Herr Advokat Wolf an den Regierungsrat. Den Grund, ein Gebäude sei als ein solches auf der Baulinie zu betrachten, wenn zwischen ihm und der Baulinie ein Neubau nicht erstellt werden könne, anerkenne er nicht, derselbe sei ganz willkürlich und im Gesetze nirgends begründet. § 61 des Baugesetzes treffe daher nicht zu. Auch die Behauptung, das Gebäude habe nicht den gesetzlichen Abstand vom Nachbargrundstück, sei teilweise unrichtig, da Herr Ulrich inzwischen das Grundstück No. 3846 wieder erworben habe. Herr Ulrich sei ein fleißiger Zimmermann, der seine große Familie mit Anstrengung durchzubringen suchen und genötigt sei, das Geschäft etwas zu erweitern, die Nichtbewilligung sei für ihn geradezu ruinös.
F. Die Antwort des Stadtrates vom 5./18. Juni enthält keine neuen Argumente.
Die Direktion der öffentlichen Arbeiten berichtet:
Die Einwände des Stadtrates, das Gebäude stehe nicht parallel zur Baulinie der Hardstraße und besitze nicht die gesetzliche Entfernung von der nachbarlichen Grenze, sind zutreffend; was dagegen das Niveau anbelangt, so enthält das Baugesetz hiefür keine Vorschriften für Gebäude hinter der Baulinie und ist jedenfalls die Interpretation, welche der Stadtrat dem § 61 des Baugesetzes angedeihen läßt, eine unrichtige und sehr gesuchte, denn unter einem Gebäude auf der Baulinie kann doch nur ein solches und nicht eines hinter der Baulinie verstanden sein. Es wollte offenbar auch für Gebäude, welche im Sinne von § 54, Absatz 2 hinter die Baulinie gestellt werden, die Möglichkeit offen gelassen werden, von der Niveaulinie abzuweichen, um die Bauten (z. B. bei stark ansteigendem Terrain) den Terrainverhältnissen anpassen zu können.
Ueberhaupt gibt es bekanntlich noch sehr viele Gebäudes welche erstellt worden sind, bevor an der betreffenden Straße Baulinien gezogen wurden, und daher meistens auch mit der Baulinie nicht Parallel laufen und oft auch nicht den vom jetzigen Gesetze geforderten Abstand vom Nachbargrundstück haben, ohne daß deswegen die Behörden berechtigt wären, dieselben als Provisorium zu erklären.
Die beiden Gründe, welche der Bezirksrat für Abweisung des Rekurses anführt, sind daher nicht zutreffend. Für den Entscheid wichtiger ist aber der Umstand, daß die fragliche Baute unbestrittenermaßen als Provisorium bewilligt worden ist und daß jedenfalls die Behörde nicht verpflichtet ist, den Umbau dieses Provisoriums in ein Definitivum zu gestatten, es sei denn, daß das Definitivum mit den jetzt geltenden gesetzlichen Vorschriften in Uebereinstimmung gebracht wird. Letzteres ist aber nach den vorliegenden Plänen nicht der Fall.
Trotzdem es richtig sein mag, daß der Rekurrent durch die Abweisung des Rekurses schwer geschädigt wird, muß doch auf Abweisung angetragen werden. Der letztere Umstand und der gegenwärtige Zustand des Gebäudes könnten allfällig eine Ausnahmsbewilligung im Sinne von § 149 des Gesetzes rechtfertigen, insofern um eine solche nachgesucht wird.
Nach Einsicht eines Antrages der Direktion der öffentlichen Arbeiten
beschließt der Regierungsrat:
I. Der Rekurs des Herrn Advokat Wolf, namens Herrn Zimmern meister Ulrich, wird abgewiesen.
II. Vom Bezug einer Staatsgebühr wird Umgang genommen.
III. Mitteilung an denselben, an den Stadtrat Zürich, den Bezirksrat Zürich und an die Direktion der öffentlichen Arbeiten.